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  • 17.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144686

    Finanzgericht München: Urteil vom 25.11.2014 – 2 K 40/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht München

    Urt. v. 25.11.2014

    Az.: 2 K 40/12

    In der Streitsache
    ... Kläger
    prozessbevollmächtigt:
    ...
    gegen
    Finanzamt ...
    Beklagter
    wegen
    Haftung für Umsatzsteuer-Vorauszahlung 03 - 11/2008 der X-GmbH (i. Ins.)
    hat der 2. Senat des Finanzgerichts München durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ... und
    die Richterin am Finanzgericht ...
    sowie den ehrenamtlichen Richtern ... und ...
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2014
    für Recht erkannt:
    Tenor:

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.
    2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe

    I.

    Streitig ist, ob der Kläger dem Grunde und der Höhe nach zu Recht für Umsatzsteuerschulden der X-GmbH in Haftung genommen worden ist.

    Die X-GmbH erzielte steuerpflichtige Umsätze aus dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen. Einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der X-GmbH war laut Handelsregister O. Für die Voranmeldungszeiträume März bis November 2008 wurden Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht, mit denen Vorsteuerüberhänge in Höhe von insgesamt 1.056.765,87 EUR erklärt wurden.

    Als Ergebnis einer bei der X-GmbH durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, dass sie für diesen Zeitraum Vorsteuern aus Rechnungen über Kfz-Lieferungen von verschiedenen Firmen (B-GmbH und V-GmbH: 453.768,40 EUR; M-GmbH: 1.096.865,80 EUR) geltend gemacht hatte, obwohl tatsächlich keine Lieferungen von diesen Firmen an die X-GmbH stattgefunden hätten (vgl. Bericht der Steuerfahndung vom 19. August 2009).

    Der Beklagte (das Finanzamt) erließ deshalb am 2. März 2009 geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Voranmeldungszeiträume März bis Oktober 2008. Für November 2008 erging am 3. März 2009 eine erstmalige, von der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung abweichende Steuerfestsetzung, die ein Guthaben von 189.887,48 EUR ergab. Das Guthaben wurde mit den Nachzahlungsbeträgen für März bis Oktober 2008 verrechnet.

    Mit geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden vom 6. Oktober 2009 für die Voranmeldungszeiträume März bis November 2008 wurde von der X-GmbH Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.270.437,13 EUR zurückgefordert.

    Über die gegen die geänderten Vorauszahlungsbescheide eingelegten Einsprüche wurde nicht mehr entschieden, da am 11. August 2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH eröffnet wurde. Die vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten und auch dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Umsatzsteuerforderungen wurden vom Insolvenzverwalter in vollem Umfang festgestellt.

    Mit Haftungsbescheid vom 11. Dezember 2009 nahm das Finanzamt den Kläger als faktischen Geschäftsführer gemäß §§ 69, 34 Abgabenordnung (AO) und nach § 71 AO als Haftungsschuldner für offene Umsatzsteuerschulden der X-GmbH zuzüglich verwirkter Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 1.117.063,98 EUR in Anspruch. Der rechtsgeschäftlich bestellte Geschäftsführer O wurde als weiterer Haftungsschuldner in gleicher Höhe in Anspruch genommen.

    Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts vom 12. Mai 2011 wurde der Kläger unter anderem in 15 tatmehrheitlichen Fällen der vollendeten Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit 14 tatmehrheitlichen Fällen der versuchten Steuerhinterziehung schuldig gesprochen (vgl. S. 71 des Strafurteils).

    Betreffend die hier streitgegenständlichen Kfz-Lieferungen wurden die Umsatzsteuervoranmeldungen der X-GmbH, mit denen Vorsteuern aus Rechnungen der B-GmbH und V-GmbH geltend gemacht wurden, für die Monate März bis Oktober 2008 jeweils als vollendete Steuerhinterziehung und für November 2008 als versuchte Steuerhinterziehung angesehen. Die Verurteilung des Klägers wegen versuchter Steuerhinterziehung bezieht sich für die Monate März bis November 2008 auch auf die Fälle, in denen die M-GmbH betreffend ihre Lieferungen an die X-GmbH Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hatte, in denen Vorsteuern aus Eingangsrechnungen der vorgenannten Firmen geltend gemacht wurden.

    In den Urteilsgründen wurde festgestellt, dass sich der Kläger, O und M, der Geschäftsführer der M-GmbH, Anfang 2008 verabredet hatten, um arbeitsteilig über die von ihnen betriebene X-GmbH mit O als eingetragenem Geschäftsführer und dem Kläger als faktischem Geschäftsführer sowie der M-GmbH mit dem Angeklagten M unter Einschaltung verschiedener "missing trader" Fahrzeuge netto, also ohne Belastung mit inländischer Vorsteuer zu erwerben und sodann im Inland unter Berechnung der Umsatzsteuer oder wieder netto in das Ausland zu verkaufen. Der Kläger traf danach bei der X-GmbH alle wesentlichen geschäftlichen Entscheidungen, während O lediglich dort Unterschriften leistete, wo dies als Geschäftsführer erforderlich war, und sich im Wesentlichen mit der Pflege und Abholung von Fahrzeugen beschäftigte (vgl. S. 4, 18 des Urteils).

    Des Weiteren wurde in dem Urteil festgestellt, dass es sich bei den Firmen B-GmbH und V-GmbH um sog. "missing trader" gehandelt habe, von denen keine Lieferungen an die X- und M-GmbH erfolgt seien (vgl. S. 20 des Urteils). Außerdem ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass der Kläger den äußeren Sachverhalt, wie vom Landgericht festgestellt, im Wesentlichen einräumte (vgl. S. 29, 75 des Urteils).

    Den gegen den Haftungsbescheid eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2011 als unbegründet zurück.

    Mit der hiergegen erhobenen Klage wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

    Eine faktische Geschäftsführerposition des Klägers habe nicht vorgelegen, weil die Entscheidungen im Unternehmen der X-GmbH zumindest nicht allein von ihm getroffen worden seien. Er habe auch keinen Zugang zu einem Firmenkonto der X-GmbH gehabt. Ebenso wenig habe er jemals mit Geschäftspartnern verhandelt. Allein darauf abzustellen, dass er entschieden habe, welche Fahrzeuge gekauft werden, könne ihm als gelernten Automobilhändler nicht vorgeworfen werden.

    Selbst wenn er dem Grunde nach haften sollte, betreffe seine Haftung aber nicht die Umsatzsteuerfestsetzungen, die auf den Ankauf von Kfz von der M-GmbH entfielen. Hierbei habe es sich um tatsächliche Lieferungen der M-GmbH an die X-GmbH gehandelt. Im Übrigen sei die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Monat November 2008 nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar.

    Der Kläger beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 11. Dezember 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2011 aufzuheben.

    Das Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es bringt vor, dass der Kläger die faktische Geschäftsführung bei der X-GmbH im Strafprozess selbst eingeräumt habe. Bei den papiermäßig dargestellten Kfz-Lieferungen der M-GmbH an die X-GmbH habe es sich eindeutig um Scheinlieferungen gehandelt. Da die "Vorlieferanten" der M-GmbH sog. "missing trader "gewesen seien, hätten diese der M-GmbH keine Verfügungsmacht an den in den Rechnungen benannten Kfz verschaffen können. Damit scheide auch eine Weiterlieferung dieser Kfz an die X-GmbH aus.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts und die im Verfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

    II.

    Die Klage ist unbegründet.

    Das Finanzamt hat den Kläger dem Grunde und der Höhe nach zu Recht für Umsatzsteuerschulden der X-GmbH in Haftung genommen. Die Haftung des Klägers ergibt sich sowohl aus § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO als auch aus § 71 AO.

    1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 69 Satz 1 AO haften u.a. die in den §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftung umfasst nach § 69 Satz 2 AO auch die in Folge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

    Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO haben sie insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Die gleichen Pflichten treffen die Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO, soweit sie sie rechtlich und tatsächlich erfüllen können.

    a) Im Streitfall ist der Kläger faktischer Geschäftsführer der X-GmbH im Sinne des § 35 AO gewesen.

    Für die Stellung und Verantwortlichkeit einer Person als faktischer Geschäftsführer einer GmbH ist es erforderlich, dass der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft - über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus - durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 11. Juli 2005 II ZR 235/03, HFR 2005, 1220).

    Diese Voraussetzungen sind im Streitfall in der Person des Klägers erfüllt gewesen, da er nach den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 12. Mai 2011 bei der X-GmbH alle wesentlichen geschäftlichen Entscheidungen getroffen hat.

    Da der Kläger den vom Landgericht festgestellten äußeren Sachverhalt im Wesentlichen eingeräumt und im finanzgerichtlichen Verfahren nicht substantiiert bestritten hat, kann sich das Gericht die Feststellungen im Urteil des Landgerichts zu eigen machen.

    Im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellte Rollenverteilung zwischen dem Kläger und O sowie M bei der Abwicklung der streitgegenständlichen Kfz-Lieferungen über die X-GmbH ist das Vorbringen des Klägers in diesem Verfahren nicht geeignet, seine Stellung als faktischer Geschäftsführer in Frage zu stellen.

    Bei der Art und Weise der Abwicklung der festgestellten Scheingeschäfte zwischen den Tatbeteiligten kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger selbst mit Geschäftspartnern verhandelt hat. Ebenso kann dahinstehen, ob der Kläger für die Konten der X-GmbH zeichnungsbefugt gewesen ist, da O tatsächlich jeweils auf Anweisung des Klägers gehandelt hat. Auch wenn O als bestellter Geschäftsführer dort Unterschriften geleistet hat, wo es als Geschäftsführer erforderlich gewesen ist, wird dadurch die Stellung des Klägers als faktischer Geschäftsführer nicht in Frage gestellt. Rechtsgeschäftlich bestellte Geschäftsführer und faktische Geschäftsführer können gesamtschuldnerisch als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden.

    Zur Übernahme der Feststellungen des Landgerichts besteht insbesondere auch deswegen Anlass, weil die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, ZfZ 2004, 162, sowie BFH-Beschlüsse vom 14. November 2003 VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513 und vom 2. Juli 2008 VII B 242/07, n.v.).

    b) Die Haftung des Klägers betrifft nicht nur die Fälle, in denen der Vorsteuerabzug aus Rechnungen der B-GmbH und V-GmbH von der X-GmbH zu Unrecht geltend gemacht wurde. Insoweit wurden die Feststellungen des Landgerichts vom Kläger nicht bestritten.

    Das Finanzamt hat den Kläger auch insoweit zu Recht in Haftung genommen als bei den Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der X-GmbH von einem unberechtigten Vorsteuerabzug aus Rechnungen der M-GmbH ausgegangen worden ist. Der Kläger ist insoweit wegen versuchter Steuerhinterziehung in neun Fällen (März bis November 2008) verurteilt worden (vgl. S. 24 und 71 des Strafurteils des Landgerichts).

    Selbst wenn man davon ausgeht, dass die betreffenden Kfz tatsächlich von der M-GmbH an die X-GmbH geliefert worden sind - die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Liste umfasst allerdings nur 79 angebliche Kfz-Lieferungen der M-GmbH an die X- GmbH, während dem Haftungsbescheid lt. Anlage 3 zum Prüfungsbericht vom 19. August 2009 148 dieser Lieferungen zugrunde gelegt worden sind - und die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug grundsätzlich erfüllt gewesen sind, steht der X-GmbH kein Vorsteuerabzug aus diesen Lieferungen zu.

    Denn einem Unternehmer steht trotz Erfüllung sämtlicher materieller und formeller Voraussetzungen dann kein Vorsteuerabzugsrecht mehr zu, wenn aufgrund objektiver Sachlage feststeht, dass er dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht hat (vgl. sog. Karussellrechtsprechung, insbes. EuGH-Urteile vom 6. Juli 2006 C-439/04 und C-440/04, DStR 2006, 1274; vom 12. Januar 2006 C-354/03, C-355/03 und C-484/03, DStR 2006, 133; und vom 6. Dezember 2012 C-285/11, MwStR 2013, 37). Der Vorsteuerabzug ist zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist (vgl. BGH-Urteil vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 312/13, DStR 2014, 365).

    Dies ist vorliegend der Fall. Das Landgericht hat in seinem rechtskräftigen Urteil vom 12. Mai 2011 festgestellt, dass der Kläger, O und M sich Anfang des Jahres 2008 verabredet hatten, durch die Abgabe falscher Umsatzsteuererklärungen beim Finanzamt für die X-GmbH und die M-GmbH selbst in Rechnung gestellte und eingenommene Umsatzsteuerbeträge zu behalten. Darüber hinaus beabsichtigten sie, mit den sich aus den unzutreffenden Erklärungen ergebenden unberechtigten Steuererstattungen eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigen Umfang zu erzielen. Das Geschäftsmodell der Beteiligten hat darauf abgezielt, über Scheinfirmen Fahrzeuge von Lieferanten in Deutschland netto, also ohne Belastung mit Umsatzsteuerbeträgen, für die X-GmbH und die M-GmbH zu erhalten, um diese sodann in der Regel unter dem Nettoeinkaufspreis zu verkaufen.

    Auch insoweit ist die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, von den Vorlieferanten der M-GmbH (B-GmbH und V-GmbH) und von der Vorgehensweise der M-GmbH erst im Strafverfahren Kenntnis erlangt zu haben, nicht geeignet, das Gericht davon zu überzeugen, dass er, entgegen den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 12. Mai 2011, keine Kenntnis von der betrügerischen Geltendmachung des Vorsteuerabzugsrechts durch die M-GmbH gehabt hat und nicht daran beteiligt gewesen ist.

    Hiergegen spricht schon, dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben hat, wusste, dass es sich bei der B-GmbH und der V-GmbH um Scheinfirmen des M gehandelt hat und dass ihm diese von M bereits im Jahr 2008 für die Geschäfte der X-GmbH zur Verfügung gestellt worden sind. Von der M-GmbH und der X-GmbH sind also dieselben Scheinfirmen für die betrügerische Geltendmachung des Vorsteuerabzugsrechts verwendet worden.

    Für ein Tätigwerden des Klägers und des M aufgrund einer gemeinsamen Abrede im Zusammenhang mit den hier streitgegenständlichen Kfz-Lieferungen (vgl. hierzu Pkt. IV. 2. b des Landgerichtsurteils) spricht auch, dass Büroräume in der Z-Str. ... in R von der X-GmbH angemietet und dann an die M- mbH untervermietet worden sind. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen der Steuerfahndung sind sowohl auf den in der Z-Str. als auch in den Geschäftsräumen der X-GmbH beschlagnahmten Computern gespeicherte Blankorechnungsvordrucke der V-GmbH vorgefunden worden. Außerdem sind Blankovordrucke in Papierform vorgefunden worden (vgl. Pkt. 3. des Aktenvermerks vom 3. März 2009 der Steuerfahndung im Steuerstrafverfahren gegen den Kläger).

    Nichts anderes ergibt sich aus der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fahrzeugliste. Sein Vorbringen, die ihm von der M-GmbH in Rechnung gestellten Einkaufspreise seien zwar günstig aber marktüblich unter Händlern gewesen, kann ihn nicht entlasten.

    Anhand des in der Anlage 4 zum Bericht der Steuerfahndung vom 19. August 2009 angeführten Beispiels des BMW X5 D mit der Fahrgestell-EndNr. 1..., der auch in der vom Kläger vorgelegten Fahrzeugliste angeführt ist, wird klar ersichtlich, wie sich bei der unter Beteiligung des Klägers durchgeführten Abwicklung der streitgegenständlichen Kfz-Lieferungen das jeweilige Kfz vom ersten Verkäufer (hier AS) bis zum vierten Verkäufer (M-GmbH) verbilligt hat. Die genannten Scheinfirmen haben die (auf dem Papier) steuerfrei von Deutschland nach Österreich und von dort wieder nach Deutschland verbrachten Kfz nicht der Erwerbsbesteuerung unterworfen und zu einem wesentlich unter dem ursprünglichen Einkaufspreis vom ersten Verkäufer liegenden Verkaufspreis an die M-GmbH verkauft. Diese hat die Kfz wiederum zu einem entsprechend niedrigen Preis an die X-GmbH verkauft. Mit dieser Vorgehensweise, d.h. Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch die M-GmbH und die X-GmbH ohne Durchführung der Erwerbsbesteuerung durch die sog. "missing trader", sind der Kläger und M bzw. deren Firmen M-GmbH und X-GmbH in der Lage gewesen, die so erworbenen Kfz unter ihrem eigenen Einkaufspreis anzubieten (vgl. die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Landgerichts auf S. 21).

    Aufgrund dieser auffälligen Preisgestaltung und der Tatsache, dass es sich beim Kläger um einen erfahrenen Kfz-Händler handelt, dem die marktüblichen Preise bekannt gewesen sind, ist seine Einlassung, zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Lieferungen der M-GmbH an die X-GmbH im Jahr 2008 noch keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die M-GmbH diese Firmen ebenfalls zur betrügerischen Geltendmachung des Vorsteuerabzugsrechts benutzt hat, unglaubwürdig.

    Da dem Kläger somit die Hintergründe bezüglich der Lieferungen der M-GmbH an die X-GmbH bekannt gewesen sind bzw. hätten bekannt sein müssen, hat er auch insoweit vorsätzlich seine Pflichten als faktischer Geschäftsführer verletzt, indem er seinerseits für die X-GmbH den Vorsteuerabzug aus dem Ankauf dieser Fahrzeuge von der M-GmbH geltend gemacht hat.

    2. Aus oben Gesagtem ergibt sich auch die Haftung des Klägers als Steuerhinterzieher nach § 71 AO.

    Insoweit wird gemäß § 105 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung (FGO) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil das Gericht hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nach § 71 AO der Begründung der Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2011 folgt.

    3. Der Umfang der Haftung ist nicht nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung beschränkt.

    Der Umfang der Haftung nach § 69 AO ist nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet wurde. Dies gilt grundsätzlich auch für die Haftung nach § 71 AO, wenn der Geschäftsführer einer GmbH infolge einer begangenen Steuerhinterziehung neben dem Haftungstatbestand des § 69 AO zugleich den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklicht hat (vgl. BFH-Urteil vom 23. April 2014 VII R 41/12, BFH/NV 2014, 1459).

    Ebenso wie § 69 AO hat § 71 AO Schadensersatzcharakter. Eine Sanktion für steuerunehrliches Verhalten wird mit der Vorschrift nicht bezweckt. Vielmehr soll mit der angeordneten Haftung des Straftäters der beim Fiskus eingetretene Vermögensschaden ausgeglichen werden. Deshalb kommt eine Haftung nur dann in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Dies gilt nicht nur im Falle der Nichterfüllung einer Steuerschuld, sondern auch im Fall der Verletzung der Steuererklärungspflichten (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2003 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein und erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen.

    Bezüglich der im Streitfall vom Finanzamt ausgezahlten Vorsteuern für die Voranmeldungszeiträume März bis Oktober in Höhe von insgesamt 765.611,61 EUR und des für November 2009 verrechneten Guthabens in Höhe von 189.887,48 EUR mit Nachzahlungsbeträgen für März bis Oktober 2008 ergibt sich ein adäquater Kausalzusammenhang bereits daraus, dass bei einer zutreffenden Voranmeldung keine Verrechnung bzw. Auszahlung an die GmbH erfolgt wäre. Durch die Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen ist dem Finanzamt ein Schaden durch die Auszahlung der zu Unrecht angemeldeten Vorsteuern entstanden. Der Grundsatz der nur anteiligen Tilgungsverpflichtung greift insoweit nicht ein, weil es sich nicht um eine Zahlungsverpflichtung der GmbH, sondern um eine zu Unrecht an die GmbH ausgezahlte Steuervergütung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97 [BFH 25.04.1995 - VII R 99/94]; Beschluss des FG Hamburg vom 26. Oktober 2010 - 3 V 85/10, EFG 11, 1111).

    Die Haftung ist aber auch im Übrigen, d.h. soweit der Haftung über die ausgezahlten bzw. verrechneten Beträge hinaus eine Nachforderung in Höhe von 161.654,90 EUR zugrunde liegt, nicht beschränkt.

    Zum einen hat das Finanzamt den Kläger mit Haftungsankündigung vom 8. Oktober 2009 Gelegenheit gegeben, zur beabsichtigten Inanspruchnahme als Haftungsschuldner Stellung zu nehmen. Da der Kläger hierzu keine Stellungnahme abgegeben hat, ist das Finanzamt berechtigt gewesen, den Kläger im Schätzungswege in voller Höhe für die offenen Umsatzsteuerschulden der GmbH in Anspruch zu nehmen. Bei der Ausübung seiner Schätzungsbefugnis ist die Verletzung der dem Haftungsschuldner obliegenden Pflicht zur Mitwirkung an der Sachaufklärung zu berücksichtigen. Dem Finanzamt, das keinerlei Angaben über die Gesamtverbindlichkeiten und die Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten erhalten hat, kann ein Schätzungsfehler grundsätzlich nicht vorgeworfen werden (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777).

    Zum anderen hat die X-GmbH zum Zeitpunkt der Fälligkeit der geänderten UmsatzsteuerVorauszahlungsbescheide vom 2. März 2009 noch außerordentlich umfangreiche Geschäfte getätigt (vgl. S. 22 des Strafurteils des Landgerichts), so dass davon ausgegangen werden kann, dass zu diesem Zeitpunkt noch genügend Mittel vorhanden waren, die Forderungen des Finanzamts zu tilgen. Anhaltspunkte für eine Überschuldung der X-GmbH zu diesem Zeitpunkt liegen nicht vor.

    4. Hinsichtlich der vom Kläger gerügten Berechnung der Steuerschuld der X-GmbH für November 2008 wird auf die Stellungnahme des Finanzamts vom 24. April 2012 (Bl. 23 f. Finanzgericht-Akte) verwiesen, in der nachvollziehbar dargelegt worden ist, wie es zu der Nachforderung in Höhe von 235.604,87 EUR im geänderten Vorauszahlungsbescheid vom 6. Oktober 2009 für November 2008 gekommen ist.

    5. Das Finanzamt hat bei Erlass des Haftungsbescheides das ihm nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.

    Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 69, 71 AO Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.

    Hat jemand - wie vorliegend - als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall sachgerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt. Sie würde eher ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von einer Inanspruchnahme freistellte (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFH/NV 2004, 597). Im Übrigen reichen die Hinweise im Haftungsbescheid, dass O als weiterer Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, und in der Einspruchsentscheidung, warum von der Inhaftungnahme des M als Mittäter abgesehen worden ist, als Begründung des Auswahl- und Entschließungsermessens aus.

    6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebietAOVorschriften§ 34 Abs. 1 S. 1 AO; § 69 S. 2 AO

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