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  • 13.11.2015 · IWW-Abrufnummer 145778

    Oberlandesgericht Hamburg: Beschluss vom 19.05.2015 – 2 Ws 75/15

    Die erstmalige Anordnung eines qualifizierten dinglichen Arrestes nach Ablehnung durch das Amtsgericht sowie ablehnender Beschwerdeentscheidung durch das Landgericht zählt nicht zu den in § 310 Abs. 1 StPO abschließend aufgezählten Fällen, in denen die weitere Beschwerde ausnahmsweise eröffnet ist; vielmehr bewendet es bei der gesetzlichen Regel des § 310 Abs. 2 StPO.


    Oberlandesgericht Hamburg

    Beschl. v. 19.05.2015

    Az.: 2 Ws 75/15

    Tenor:

    Die weitere Beschwerde des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen vom 9. März 2015 gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 20, vom 19. Dezember 2014, wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.
    Gründe

    I.

    Mit Schriftsatz vom 7. November 2014 hat das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg bei dem Amtsgericht Hamburg den Erlass eines dinglichen Arrests gegen den Beschuldigten in Höhe von 150.702,90 € als Rückgewinnungshilfe zugunsten des Finanzamtes wegen eines Verdachts der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO beantragt.

    Durch Beschluss vom 26. November 2014 hat das Amtsgericht Hamburg den Antrag zurückgewiesen, wogegen das Finanzamt mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2014, ergänzend begründet durch Schriftsatz vom 16. Dezember 2014, Beschwerde eingelegt hat. Das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 20, hat diese Beschwerde durch Beschluss vom 19. Dezember 2014 als unbegründet verworfen.

    Mit Schriftsatz vom 9. März 2015 hat die Beschwerdeführerin weitere Beschwerde gegen die landgerichtliche Entscheidung eingelegt.

    Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 7. April 2015 ergänzend Stellung genommen.

    II.

    Das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin bleibt ohne Erfolg.

    Die weitere Beschwerde ist vorliegend gemäß § 310 StPO bereits unstatthaft. Der begehrte Entscheidungsgegenstand - die erstmalige Anordnung eines qualifizierten dinglichen Arrestes nach entsprechender Ablehnung durch das Amtsgericht sowie ablehnender Beschwerdeentscheidung durch das Landgericht - zählt nicht zu den in § 310 Abs. 1 StPO abschließend aufgezählten Fällen, in denen die weitere Beschwerde ausnahmsweise eröffnet ist; vielmehr bewendet es vorliegend bei der gesetzlichen Regel des § 310 Abs. 2 StPO.

    Im Einzelnen:

    1. In Rechtsprechung und Literatur ist seit Einführung des § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I, S. 2350, 2352) umstritten, ob diese neue Regelung nur gegen die Anordnung des dinglichen Arrestes die Möglichkeit einer weiteren Beschwerde eröffnet (so OLG München in NJW 2008, 389, 390 [OLG München 12.11.2007 - 2 Ws 942/07], und Beschluss vom 6. Juli 2011, Az.: 1 Ws 545/11 - zitiert nach juris -; OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 282; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg NJW 2008, 1830, 1831, nicht tragend; Meyer-Goßner/Schmitt § 310 Rn. 9; BeckOK-StPO/Cirener § 310 Rn. 9; KMR-Plöd § 310 Rn. 8; Theile StV 2009, 161, 162; Pfordte StV 2008, 243, 244; sowie eine weitere Beschwerde der Strafverfolgungsbehörden generell ablehnend LR/Matt § 310 Rn. 18ff, 21), oder ob eine weitere Beschwerde auch im Falle der Aufhebung oder - wie vorliegend - der Bestätigung der Ablehnung eines dinglichen Arrestes zulässig ist (so OLG Celle StV 2009, 120, 121; KG Berlin NStZ 2011, 175, 176; OLG Thüringen NStZ-RR 2011, 278; OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. Mai 2014, Az.: 1 Ws 103/14 - zitiert nach juris -: jedenfalls dann, wenn ein zunächst angeordneter dinglicher Arrest im Beschwerdeverfahren aufgehoben wurde; KK-StPO/Zabeck § 310 Rn. 13; HK-Rautenberg § 310 Rn. 9; SSW-Hoch § 310 Rn. 21, 22; SK-Frisch § 310 Rn. 30). Der Senat hat diese Frage bisher offengelassen (StV 2009, 122, 124).

    2. Jedenfalls in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der sowohl das Amtsgericht als auch auf die hiergegen eingelegte Beschwerde das Landgericht einen Antrag der Strafverfolgungsbehörde auf Erlass eines dinglichen Arrests zurückgewiesen haben, mithin zu keinem Zeitpunkt eine Anordnung des dinglichen Arrests im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO erlassen worden ist, erachtet der Senat bereits aufgrund des Wortlauts eine weitere Beschwerde als unstatthaft; dieses Ergebnis wird überdies durch eine systematische, historische und teleologische Auslegung der Norm belegt.

    a. Schon der Wortlaut des § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO ergibt, dass der Strafverfolgungsbehörde eine weitere Rechtsmittelmöglichkeit zu versagen ist, wenn - wie vorliegend - eine "Anordnung" eines dinglichen Arrests zu keinem Zeitpunkt verfahrensgegenständlich geworden ist.

    § 310 Abs. 1 StPO eröffnet das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde für einzelne Verfahrensgegenstände, die - durch den Gesetzgeber redaktionell besonders hervorgehoben durch die Ziffern 1 bis 3 - konkret benannt und hierdurch enumerativ bestimmt werden. § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO eröffnet die weitere Beschwerde gegen Beschlüsse, wenn sie "eine Anordnung des dinglichen Arrests nach § 111b Abs. 2 in Verbindung mit § 111d über einen Betrag von mehr als 20.000 € betreffen". Dieser Gesetzeswortlaut korrespondiert mit der Vorschrift des § 111d Abs. 1 S. 1 StPO, wonach zur Sicherung bestimmter Forderungen "der dingliche Arrest" "angeordnet" werden kann, sowie mit § 111e Abs. 1 S. 1 StPO, wonach "zu der Anordnung [...] des Arrests [...] das Gericht" sowie bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft befugt ist. Jede dieser gesetzlichen Vorschriften differenziert zwischen der Maßnahme selber (dinglicher Arrest) und der sie erlassenden Entscheidung (Anordnung).

    Mit dieser sprachlichen Differenzierung unterscheidet sich § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO deutlich von den Wendungen in § 310 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO, wonach eine weitere Beschwerde gegen Beschlüsse statthaft ist, wenn sie "eine Verhaftung" oder "eine einstweilige Unterbringung" "betreffen". Hier benennt der Gesetzgeber gerade nicht die Beschlüsse, mit denen die jeweiligen Freiheitsbeschränkungen (Haft- oder Unterbringungsbefehl) erlassen bzw. "angeordnet" werden, sondern umschreibt - deutlich allgemeiner gehalten und damit zugleich umfassender - bestimmte freiheitsentziehende Maßnahmen als Verfahrensgegenstand.

    Die Bedeutung dieser sprachlichen Abweichung zu § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO wird auch nicht dadurch wieder eingeschränkt, dass die Anordnung des Arrestes nur "betroffen" sein muss. Soweit hierzu angeführt wird, "betroffen" sei die Anordnung eines Arrests auch durch deren Aufhebung oder Ablehnung (so noch Senat aaO.; KG Berlin aaO.; OLG Celle aaO.; einschränkend OLG Braunschweig aaO.), berücksichtigt dieses Auslegungsverständnis nicht hinreichend den konkreten Bezug dessen, was betroffen sein muss, nämlich die unter den Ziffern 1 bis 3 konkret ausformulierten und durch die Nummerierung in ihrer Bedeutung besonders hervorgehobenen Verfahrensgegenstände. Eine Überlagerung des Begriffs der "Anordnung" durch das Ausreichenlassen eines bloßen Betroffensein würde die unterschiedlichen Wendungen der unter den jeweiligen Ziffern genannten Maßnahmen so stark relativieren, dass dem Begriff der "Anordnung" keine eigenständige Bedeutung mehr zukäme (vgl. OLG München NJW 2008, 389, 390 [OLG München 12.11.2007 - 2 Ws 942/07]). Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht zu erkennen.

    b. Nichts anderes ergibt sich aus der systematischen, historischen und teleologischen Auslegung.

    aa. Gesetzessystematisch ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 310 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 StPO um Ausnahmeregelungen handelt (vgl. § 310 Abs. 2 StPO), die für einige wenige konkret genannte Verfahrensgegenstände den Grundsatz durchbrechen, dass jede Entscheidung, gegen die eine Beschwerde gegeben ist, nur einmal von einer höheren Instanz überprüft wird. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist die weitere Beschwerde nur ausnahmsweise zulässig (KK-StPO/Zabeck § 310 Rn. 1); der Beschwerdeführer, dessen Rechts-mittel erfolglos war, kann das nächsthöhere Gericht grundsätzlich auch dann nicht anrufen, wenn er erstmals durch die Beschwerdeentscheidung beschwert ist (Meyer-Goßner/Schmitt § 310 Rn. 1 m.w.N.). Als Ausnahmevorschrift ist § 310 Abs. 1 StPO folglich eng auszulegen (BGH aaO.; Meyer-Goßner/Schmitt aaO. Rn. 4; LR-Matt aaO. Rn. 2; SSW-Hoch aaO. Rn. 8).

    Dies spricht ebenfalls dafür, der Strafverfolgungsbehörde in der vorliegenden Fallgestaltung, in welcher der bisherige Verfahrensgang nicht zu der vom Wortlaut geforderten "Anordnung des dinglichen Arrests" geführt hat, eine weitere Rechtsmittelmöglichkeit zu versagen.

    Soweit hiergegen angeführt wird, der Strafprozessordnung seien asymmetrische Rechtsmittel grundsätzlich fremd, schließlich eröffne § 296 Abs. 1 StPO sowohl dem Beschuldigten als auch der Staatsanwaltschaft eine Anfechtungsmöglichkeit (KG Berlin aaO.; SSW-Hoch aaO. Rn. 22), nimmt dies nur unzureichend in den Blick, dass § 296 Abs. 1 StPO an das jeweils "zulässige Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen" anknüpft, mithin dieses gerade nicht eröffnet, sondern voraussetzt. Das eingelegte Rechtsmittel muss also statthaft sein, d.h. das Gesetz muss überhaupt eine Anfechtung gestatten; dies ist gerade nicht der Fall, wenn - wie vorliegend - der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug bereits erschöpft ist, das Gesetz die Anfechtung der fraglichen Entscheidung ausdrücklich einer Anfechtung entzieht oder sie jedenfalls für ein bestimmtes Prozesssubjekt für unanfechtbar erklärt (HK-Rautenberg § 296 Rn. 11). Insoweit stellt § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO eine die Anfechtbarkeit beschränkende Bestimmung dar (hierzu Theile StV 2009, 161, 162; vgl. auch OLG München NJW 2008, 398, 391; OLG Oldenburg aaO., 283).

    bb. Die Entstehungsgeschichte führt zu keiner anderen Bewertung.

    In dem ursprünglichen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten war eine Änderung des § 310 StPO nicht vorgesehen (BT-Drucks. 16/700). Erst die im Gesetzgebungsverfahren beteiligte Bundesrechtsanwaltskammer hatte u.a. eine Erweiterung des Rechtsbehelfs der weiteren Beschwerde gemäß § 310 StPO "auf Sicherstellungen im Sinne des § 111b StPO" angeregt, um zu gewährleisten, "dass die gesetzlichen Voraussetzungen der vorläufigen Sicherstellung eingehalten werden" (BRAK-Stellungnahme-Nr. 21/2006, Juni 2006, S. 9; vgl. hierzu auch KG Berlin aaO.). Die von der Bundesrechtsanwaltskammer vorgeschlagene Formulierung sah sogar eine weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen Beschlüsse vor, "sofern sie Verhaftungen, einstweilige Unterbringung oder die Sicherstellung von Vermögensgegenständen (§ 111b StPO) betreffen".

    Der Gesetzgeber, dem der Meinungsstand (vgl. die Darstellung bei LR-Matt, § 310 Rn. 18ff) zur Berechtigung der Einlegung einer weiteren Beschwerde zulasten eines Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft bekannt war, hat daraufhin § 310 StPO durch die - von § 310 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO abweichende - Formulierung Anordnung des dinglichen Arrests" (Hervorhebung durch den Senat)schließlich erweitert und zudem die jeweils zulässigen Verfahrensgegenstände durch die Ziffern 1 bis 3 redaktionell hervorgehoben. Mit dieser gesetzlichen Neuregelung sollte schließlich dem Aspekt Rechnung getragen werden, "dass dem Betroffenen mit einer Arrestierung oftmals erhebliche Vermögenswerte entzogen werden, was insbesondere bei Firmenvermögen den Fortbestand des Unternehmens und damit die wirtschaftliche Existenz sowohl des Betroffenen als auch der Firmenangehörigen (Arbeitnehmer) in Frage stellen kann"; dem Gesetzgeber schien es daher angemessen, "dem Betroffenen jedenfalls bei einem Arrest über mehr als 20.000 € das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zu eröffnen" (BT-Drucks. 16/2021, S. 6).

    cc. Schließlich erbringt auch die teleologische Auslegung des § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO angesichts der Gesetzgebungsgeschichte keinen über den Wortlaut hinausgehenden Anwendungsbereich.

    Sinn und Zweck des § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO besteht allein darin, dem Betroffenen ergänzenden Rechtsschutz zu gewähren (s.o. II.2.b)bb)), da er - grundrechtlich bedeutsam nach Art. 12, 14 GG - in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beträchtlich, unter Umständen sogar existentiell, eingeschränkt sein kann (Senat aaO.; BVerfG aaO.; vgl. auch BT-Drucks. 16/2021, S. 6, und BRAK-Stellungnahme-Nr. 21/2006, S. 3f).

    c. Nach alldem hat es hier bei der gesetzlichen Regel des § 310 Abs. 2 StPO sein Bewenden.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

    RechtsgebietStPOVorschriftenStPO § 310; § 111b Abs. 2 StPO; § 111d StPO