08.12.2016 · IWW-Abrufnummer 190455
Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 08.12.2015 – 3 V 194/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FINANZGERICHT HAMBURG
Aktz: 3 V 194/15
08.12.2015
Beschluss - Senat
Rechtskraft: rechtskräftig
Gründe
I.
1. Die Antragstellerin, Frau A, ist mit ihrer Schwester, Frau S, (Mit-) Erbin der am ... verstorbenen Erblasserin B. Zu Lebzeiten reichte die Erblasserin jeweils im Folgejahr durch ihren steuerlichen Berater gefertigte Einkommensteuererklärungen beim Antragsgegner (dem Finanzamt -FA-) ein (letztmalig in 2009 für 2008). Darin erklärte sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (jährlich ca. ... €), Einkünfte aus Kapitalvermögen (jährlich zwischen 0 € und ... €) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einem großen Vermietungsobjekt in der X-Straße in ... Hamburg (jährlich ca. ... €). Für die Ermittlung der Einkünfte aus dem Vermietungsobjekt reichte die Erblasserin jährlich eine umfangreiche Grundstücksabrechnung ein.
2. a) Am 11.08.2010 wandte sich der damalige steuerliche Berater der Erblasserin "im Namen und im Auftrag der Erbengemeinschaft nach Frau B" schriftlich an das FA und meldete jährliche Einnahmen zwischen ... € und ... € aus von der C-AG (C) gezahlten Erbbauzinsen für insgesamt ... Flurstücke in der Y- Straße in ... Hamburg für die Jahre 1998 bis 2008 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung "gemäß § 153 AO" nach (EStA Bd. X Bl. 1). Dabei teilte der Berater bezüglich des Jahres 1998 mit, die Aufführung der Einnahmen sei vorsorglich, und bat um Überprüfung, inwiefern bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei (EStA Bd. X Bl. 1 f.).
b) Die Erbbauzinsen waren von der C auf ein Konto bei der Bank-1 gezahlt worden.
c) Die C teilte dem FA am 24.08.2010 mit, dass ihr als Erben der Erblasserin die Antragstellerin sowie Frau S benannt worden seien (EStA Bd. X Bl. 7).
d) Nach Rücksprache des FA beim FA für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg (Prüfstra) wurde davon abgesehen, die Anzeige vom 11.08.2010 zur strafrechtlichen Würdigung an das Finanzamt für Prüfungsdienste zu übersenden (vgl. Aktenvermerk vom 13.08.2010 EStA Bd. X vor Bl. 11).
e) Die Antragstellerin teilte am 24.05.2011 dem FA mit, dass sie die Generalbevollmächtigte ihrer Mutter, der Erblasserin, sei (EStA Bd. X Bl. 46).
3. Daraufhin erließ das FA am 17.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000, am 19.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2001 und 2002, am 27.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2003 und 2004, am 14.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005, am 16.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006, am 21.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2007 und am 28.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008 (Finanzgerichtsakte -FGA- Anlagenband Bl. 43 - 84).
a) Die Änderungsbescheide 1999 - 2006 enthielten im Anschriftenfeld den Namen und die Anschrift der Antragstellerin. Die Änderungsbescheide 2007 und 2008 wurden an den damaligen steuerlichen Berater der Erblasserin bzw. der Erbengemeinschaft adressiert. In den Bescheiden ist jeweils folgende maschinelle Erläuterung enthalten:
"für FRAU ... verstorben ... B".
b) Diese Erläuterung wurde bei den Einkommensteuerbescheiden 1999 bis 2007 wie folgt handschriftlich ergänzt:
"für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach
FRAU ... verstorben ... B. Alle Beteiligten sind Gesamtschuldner (§ 44 AO)."
c) Für das Jahr 2009 erließ das FA aufgrund der am 02.02.2011 durch den steuerlichen Berater der Erblasserin eingereichten Einkommensteuererklärung am 08.09.2011 erklärungsgemäß einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (Rechtsbehelfsakte -RbA- Bl. 90). Darin wurden die Erbbauzinsen wie erklärt berücksichtigt. Dieser Bescheid wurde an den steuerlichen Berater der Erblasserin adressiert und trägt die o. g. maschinelle Erläuterung.
d) Für das Jahr 2010 erließ das FA aufgrund der am 28.06.2011 durch den steuerlichen Berater der Erblasserin eingereichten Einkommensteuererklärung am 29.08.2011 erklärungsgemäß einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (RbA Bl. 93). Darin wurden die Erbbauzinsen wie erklärt berücksichtigt. Dieser Bescheid wurde an den steuerlichen Berater der Erblasserin adressiert und trägt die o. g. maschinelle Erläuterung.
e) Ob und inwieweit die Erläuterung in den Einkommensteuerbescheiden 2008 bis 2010 handschriftlich ergänzt wurde, ist nicht bekannt. In den Steuerakten befinden sich keine Zweitschriften der Bescheide.
4. Mit Bescheid vom 01.08.2011 setzte das FA Hinterziehungszinsen in Höhe von insgesamt ... € fest (EStA Bd. X Bl. 49). Dabei führte das FA die Zinsen nach Art und Betrag im Einzelnen auf. Der Bescheid enthielt im Anschriftenfeld den Namen und die Anschrift der Antragstellerin und zusätzlich folgende Erläuterung:
"für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach Frau ... (verstorben ...) B".
5. Am 15.06.2011 und 12.07.2011 legte der steuerliche Berater der Erblasserin Einspruch gegen die Festsetzung der Nachzahlungszinsen ein, da die erwarteten Steuernachzahlungen bereits vor Erlass der Änderungsbescheide auf ein Verwahrkonto eingezahlt worden seien (EStA Bd. X Bl. 52). Am 15.08.2011 half das FA den Einsprüchen ab und erließ Nachzahlungszinsen in Höhe von insgesamt ... € (EStA Bd. X Bl. 64).
6. a) Knapp drei Jahre später, am 10.04.2014, wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin an das FA und beantragte Akteneinsicht in die Einkommensteuerakten der Erblasserin. Mit Bescheid vom 07.07.2014 lehnte das FA das Akteneinsichtsgesuch für die Jahre 1998 bis 2008 ab und gewährte Akteneinsicht für die Jahre 2009 und 2010 (RbA Bl. 37). Gegen die Ablehnung legte die Antragstellerin am 11.07.2014 Einspruch ein. Dieser Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24.08.2015 als unbegründet zurückgewiesen (RbA Bl. 55).
b) Am 20.08.2014 legte die Antragstellerin gegen die Änderungsbescheide für 1999 - 2008, gegen die erstmaligen Einkommensteuerbescheide 2009 und 2010 sowie gegen den Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 Einspruch ein und beantragte Aufhebung der Vollziehung (AdV) sowie die Erstattung der Überzahlungen nach § 37 Abs. 2 AO zzgl. Zinsen nach § 233a AO. Zur Begründung trug sie vor, in den Bescheiden seien die Inhaltsadressaten nicht hinreichend bestimmt bezeichnet worden. Zur hinreichend bestimmten Bezeichnung im Sinne des § 119 Abs. 1 AO sei die Angabe der Erbenstellung und die Angabe des Familiennamens aller Erben erforderlich. Ihre Schwester, die Miterbin, sei in keinem Bescheid namentlich erwähnt worden. Infolge der mangelnden Bestimmtheit seien sämtliche Bescheide nichtig. Die Zahlungen auf die nichtigen Bescheide fordere sie im Wege der Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO zurück. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass von der Erblasserin die Tatbestände einer Steuerhinterziehung bzw. leichtfertigen Steuerverkürzung verwirklicht worden seien, hierfür trage das FA die Beweislast.
c) Mit Bescheid vom 06.10.2014 lehnte das FA den Antrag vom 20.08.2014 auf AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2010 sowie des Bescheides über Hinterziehungszinsen ab (RbA Bl. 95). Zur Begründung führte es aus, mit ihren Einsprüchen und dem Antrag auf AdV setze sich die Antragstellerin in Widerspruch zu ihrem vorherigen Verhalten. Sollten die Bescheide tatsächlich einem Bestimmtheitsmangel unterlegen haben, so habe sich die Erbengemeinschaft mit diesem jahrelang abgefunden und diesen aufrechterhalten. Sie könne diesen Mangel dann nicht drei Jahre später zu Erstattungszwecken geltend machen, zumal er im Rahmen der Nachzahlungen tatsächlich zu keinerlei Unklarheiten bezüglich der Bestimmung des Inhaltsadressaten geführt habe.
7. a) Nachdem das FA am 22.12.2014 die Einkommensteuerbescheide für 2003 vom 27.05.2011 sowie für 2009 vom 08.09.2011 aufgehoben hatte (RbA Bl. 110), erließ es am 29.12.2014 geänderte Bescheide für 2003 und 2009 (RbA Bl. 112 ff.). Die Bescheide wurden einmal der Schwester der Antragstellerin bekanntgegeben und enthalten folgende Erläuterung:
"Für die Erben nach B: A (= Antragstellerin) und S. Die Erben sind Gesamtschuldner nach § 44 AO".
Zusätzlich wurden die Bescheide dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zugesandt und enthalten folgende Erläuterung:
"Für die Erben nach B: A (= Antragstellerin) und S. Der Bescheid ergeht an Sie als Zustellbevollmächtigter zugleich mit Wirkung für und gegen die Miterbin A (= Antragstellerin). Alle Beteiligte sind Gesamtschuldner nach § 44 AO".
Gegen die Bescheide vom 29.12.2014 legte die Antragstellerin am 14.01.2015 Einspruch ein. Zumindest für 2003 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Gründe für die Verlängerung oder Hemmung der Regelverjährung seien nicht ersichtlich. Daher werde für 2003 auch AdV beantragt (RbA Bl.129). Am 30.03.2015 beantragte die Antragstellerin ergänzend bezüglich des Bescheides für 2009 vom 23.12.2014 AdV (RbA Bl. 133).
8. Nachdem das FA am 31.03.2015 die Einkommensteuerbescheide für 2004 bis 2008 und 2010 aufgehoben hatte (RbA Bl. 135), erließ es am 14.04.2015 (geänderte) Bescheide für 2004 bis 2008 und 2010. Die Bescheide wurden wie die Bescheide vom 22.12.2014 (oben I.7.a)) bekanntgegeben.
Dagegen legte die Antragstellerin am 15.04.2015 Einspruch ein und trug vor, für 2004 bis 2008 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Gründe für die Verlängerung oder Hemmung der Regelverjährung seien nicht ersichtlich. Daher werde für 2004 bis 2008 AdV beantragt (RbA Bl. 139).
9. Mit Bescheid vom 01.06.2015 lehnte das FA (nochmals) den Antrag vom 12.08.2014 (gemeint wohl: 20.08.2014) auf AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 - 2002 sowie des Bescheids über Hinterziehungszinsen ab (FGA Anlagenband Bl. 1). Ebenfalls mit Bescheid vom 01.06.2015 lehnte das FA die Anträge vom 14.01.2015 bzw. 30.03.2015 sowie vom 15.04.2015 auf AdV der Einkommensteuerbescheide 2003 - 2010 ab (FGA Anlagenband Bl. 5). Zur Begründung führte es aus, die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Jahre 2003 - 2008 seien nicht durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung erloschen, sondern seien im Rahmen der 10-jährigen Frist im Sinne des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geltend gemacht worden. Die Erblasserin habe zumindest bedingt vorsätzlich den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO verwirklicht. Sie habe ihre Steuererklärung jahrelang durch einen steuerlichen Berater erstellen und einreichen lassen. Dieser habe für sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung eines großen Vermietungsobjektes in einem Umfang von mehreren hunderttausend Euro erklärt und für die Immobilie eine jährliche Grundstücksabrechnung eingereicht. Bei den Erbbauzinsen handele es sich ebenfalls um Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Aufgrund des Umfangs ihrer jährlichen Steuererklärung und der Höhe der erklärten Einkünfte sei davon auszugehen, dass die Erblasserin sich der steuerlichen Relevanz der Erbbauzinsen bewusst gewesen sei. Die Einkommensteuer für die Jahre 2009 und 2010 sei auf der Grundlage der eingereichten Einkommensteuererklärungen festgesetzt worden, insoweit sei die Antragstellerin gar nicht beschwert. Eine unbillige Härte sei nach Aktenlage weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
10. Am 27.07.2015 hat die Antragstellerin beim Gericht AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2010 sowie des Bescheides über Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 beantragt.
Zur Begründung trägt sie vor, die Bescheide seien aufzuheben. Hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2008 sei bei Erlass die reguläre Festsetzungsfrist von 4 Jahren verstrichen gewesen. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AO lägen nicht vor. Es fehle an dem - dem FA obliegenden - Nachweis einer Steuerhinterziehung. Über die subjektive Ebene der Erblasserin sei nichts bekannt. Insoweit stelle das FA in seinem Bescheid vom 01.06.2015 reine Spekulationen an. Es sei denkbar, dass die Erblasserin davon ausgegangen sei, dass alles zutreffend von ihren Beratern behandelt und erklärt worden sei. Zudem sei bei dem Umfang und der Höhe der Einkünfte und des Vermögens leicht vorstellbar, dass es sich bei der Nichterklärung der Erbbauzinsen lediglich um ein unbewusstes Versehen der Erblasserin gehandelt habe. Dafür spreche auch, dass die Erbbauzinsen auf ein deutsches Konto geflossen seien, so dass die Erblasserin mit einer Entdeckung hätte rechnen müssen. Das Verhalten des damaligen steuerlichen Beraters, der offenbar davon ausgegangen sei, dass lediglich für 1998 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei, sowie die Tatsache, dass gegen die Änderungsbescheide in 2011 nur hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Abschlagszahlung bei der Festsetzung der Nachzahlungszinsen Einspruch eingelegt worden sei, könne unter Umständen zwar als Indiz für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung durch die Erblasserin gedeutet werden. Allerdings enthielten die Schreiben der damaligen steuerlichen Berater keine inhaltlichen Angaben zu den Motiven ihres Handelns. So sei nicht ersichtlich, dass den Steuerberatern überhaupt bekannt bzw. bewusst gewesen sei, dass für die Verlängerung der Festsetzungsfrist der vollständige Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegen müsse. Insoweit könne es sich daher auch um einen Fehler der damaligen Berater handeln.
Die Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2002 seien darüber hinaus wegen fehlender Bestimmtheit nichtig gem. § 125 Abs. 1 AO i. V. m. § 119 Abs. 1 AO. Insoweit sei sie, die Antragstellerin, nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. Es sei schon im Ansatz nicht erkennbar, wodurch auf Seiten des FA ein schutzwürdiges Vertrauen bezüglich des Ablaufs der Festsetzungsfrist entstanden sein solle. Hierbei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das FA seinerzeit von einer Weiterleitung an die Prüfstra abgesehen und damit unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz bewusst davon abgesehen habe, den Vorsatz und damit ein notwendiges Tatbestandsmerkmal festzustellen.
Bei dem Hinterziehungszinsbescheid fehle es zum einen an der erforderlichen Steuerhinterziehung, zum anderen sei der Bescheid inhaltlich unzutreffend adressiert, da ihre, der Antragstellerin, Schwester als Miterbin namentlich nicht erwähnt werde.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung
des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 17.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2000 vom 17.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2001 vom 19.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 19.05.2011
des Bescheids über Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011
des Einkommensteuerbescheides 2003 vom 29.12.2014
des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2007 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 29.12.2014
des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 14.04.2015
aufzuheben.
Das FA beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung nimmt es auf die Bescheide vom 01.06.2015 Bezug.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten Bd. VII bis X sowie Bd. I der Rechtsbehelfsakte zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig. Das FA hat die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 20.08.2014, 14.01.2015, 30.03.2015 und 15.04.2015 beantragte AdV mit Bescheiden vom 01.06.2015 abgelehnt, sodass die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt ist.
2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (BFH-Beschluss vom 21.11.2013 II B 46/13, DStR 2013, 2686). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 03.04.2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, BStBl II 2013, 973). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 19.05.2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156).
Das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 69 Abs. 3 FGO ist als Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein summarisches Verfahren, in dem wegen der Eilbedürftigkeit nur aufgrund des Sachverhalts entschieden wird, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 03.04.2013 V B 125/12, DStR 2013, 1025). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-), soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschlüsse vom 10.02.2010 V S 24/09, BFH/NV 2010, 930; vom 20.03.2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809).
b) Bei der danach gebotenen summarischen Prüfung anhand des Sachvortrags der Beteiligten und des Inhalts der vorliegenden Akten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2008 war zulässig (aa). Die angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide für 1999 bis 2008 und die erstmaligen Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 durften am 17. bzw. 19.05.2011 (1999 - 2003) bzw. am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 (2004 - 2010) erlassen werden, Feststellungsverjährung war insoweit noch nicht eingetreten (bb). Hinterziehungszinsen wurden zulässigerweise mit Bescheid vom 01.08.2011 festgesetzt (cc). Die an die Antragstellerin gerichteten Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen waren nicht mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nichtig (dd).
aa) aaa) Die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2008 war zulässig.
Die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lagen vor. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dem FA wurde nachträglich, nämlich nach Erlass der ursprünglichen Bescheide, bekannt, dass die Erblasserin weitere, bis dahin nicht erklärte steuerpflichtige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hatte.
bbb) Die eingereichten Einkommensteuererklärungen für 2009 und 2010 wurden erklärungsgemäß veranlagt. Dabei wurden die Erbbauzinsen wie erklärt angesetzt (oben I. 3 c) und d)).
bb) Die Festsetzungsfrist war bei Erlass der Änderungsbescheide für 1999 bis 2003 am 17. bzw. 19.05.2011, bei Erlass der Änderungsbescheide für 2004 bis 2008 am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 und bei Erlass der erstmaligen Bescheide für 2009 und 2010 am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 noch nicht abgelaufen.
Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO begann die Festsetzungsfrist jeweils mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem für den Veranlagungszeitraum (VAZ) die Steuererklärung eingereicht wurde, somit für die Jahre 1999 bis 2008 jeweils mit Ablauf des 31.12. des Folgejahres. Für die VAZ 2009 und 2010 begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2011.
aaa) (1) Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für die VAZ 1999 bis 2008 zehn Jahre, weil hinsichtlich der sich durch die Änderungsbescheide ergebenden Nachforderungen die Voraussetzungen für eine durch die Erblasserin begangene Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen. Danach begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt.
Für die Beurteilung, ob die verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eingreift, hat das FG die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, d. h. eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen (BFH-Urteil vom 11.12.2012 IX R 33/11, juris).
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts - hier des § 370 AO - bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Es ist bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung indes kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 07.11.2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364).
Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (BFH-Urteil vom 15.01.2013 VIII R 22/10, BFH/NV 2013, 799).
Da in einem AdV-Verfahren die entscheidungserheblichen Tatsachen nur glaubhaft zu machen sind, tritt insoweit eine Sachverhaltsfeststellung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit an die Stelle des Vollbeweises (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 123).
(2) Daran, dass die Erblasserin im Streitfall die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht hat, indem sie in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre die von der C erhaltenen Erbbauzinsen steuerlich nicht erklärte, bestehen nach dem oben Ausgeführten keine ernstlichen Zweifel. Aufgrund der Nichtangabe der Erbbauzinsen ist eine Steuerverkürzung eingetreten, weil das FA ursprünglich entsprechend niedriger festgesetzt hat.
Aber auch die subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung liegen zur hinreichenden Überzeugung des beschließenden Senats vor. Der Senat hält es bei summarischer Prüfung für überwiegend wahrscheinlich, dass die Erblasserin zumindest bedingt vorsätzlich handelte, weil sie es für möglich hielt, dass die Erbbauzinsen steuerpflichtig waren, und sie unter billigender Inkaufnahme einer Steuerverkürzung dennoch nicht erklärte.
(3) Der Senat sieht keine hinreichenden Anzeichen dafür, dass die Erblasserin davon ausging, die Erbbauzinsen seien in der Steuererklärung enthalten, bzw. sie insoweit nicht vorsätzlich handelte.
Dass die Erblasserin zumindest mit der Unvollständigkeit der Steuererklärungen in Bezug auf die Erbbauzinsen rechnete und die objektive Steuerverkürzung in voller Höhe in Kauf nahm, ergibt sich zur Überzeugung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits daraus, dass die Erblasserin Vermietungseinkünfte nur aus einem großen Vermietungsobjekt erklärte, mit dem die Erbbauzinsen weder im räumlichen noch im sachlichen Zusammenhang standen. Weshalb die Erblasserin gleichwohl von einer steuerlichen Erfassung ausgegangen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Hinzu kommt, dass die damaligen steuerlichen Berater der Erblasserin eine Nacherklärung einreichten und die Festsetzung von Hinterziehungszinsen akzeptierten.
Der Umstand, dass das FA seinerzeit von einer Abgabe des Falls an die Prüfstra absah (oben I. 2. d)), steht der Annahme einer Steuerhinterziehung nicht entgegen. Da bzgl. der nacherklärten Erbbauzinsen keine weiteren Ermittlungen mehr anzustellen waren, lag es nur nahe, dass der Fall ausschließlich vom FA (inkl. der Festsetzung von Hinterziehungszinsen) bearbeitet wurde und eine Abgabe an die Prüfstra als nicht erforderlich angesehen wurde.
bbb) Für die VAZ 2009 und 2010 beträgt die Festsetzungsfrist 4 Jahre gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO; sie endet mithin mit Ablauf des 31.12.2015.
cc) Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Der Zinssatz beträgt einhalb Prozent für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 AO), der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Steuerverkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO) und endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 Satz 1 AO). Im Zinsbescheid müssen die Zinsen nach Art und Betrag bezeichnet und der Schuldner angeben werden (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO analog; vgl. BFH-Beschluss vom 11.12.2013 I B 174/12, BFH/NV 2014, 665).
Vorliegend ist die für die Erhebung von Hinterziehungszinsen erforderliche Voraussetzung einer vollendeten Steuerhinterziehung (§ 370 AO) durch die Erblasserin gegeben (oben II.2.a)bb)aaa)). Die Hinterziehungszinsen wurden in dem Bescheid vom 01.08.2011 nach Art und Betrag bezeichnet und die Antragstellerin sowie die Miterben wurden als Rechtnachfolger der Erblasserin als Schuldner der Hinterziehungszinsen angegeben (oben I.4.).
dd) Die an die Antragstellerin gerichteten Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen waren nicht mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nichtig.
aaa) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO). Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsaktes, denn es muss unzweifelhaft feststehen, gegenüber wem der Einzelfall geregelt werden soll. Inhaltsadressat eines Verwaltungsaktes ist derjenige, gegen den er sich richtet, für den er bestimmt ist und gegen den er wirken soll (Seer in Tipke/Kruse, a. a. O., § 122 AO Rn. 18). Bei Steuerbescheiden ist dies der Steuerschuldner (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO).
Danach ist ein Einkommensteuerbescheid, der sich an Erben richten soll, diesen gegenüber nur wirksam, wenn diese namentlich als Inhaltsadressaten aufgeführt sind oder sich durch Auslegung des Bescheides ergibt, welche Personen als Erben angesprochen werden sollen (vgl. Urteil des BFH vom 17.11.2005 III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287). Dabei ist es ausreichend, wenn sich die Beteiligten zwar nicht aus dem Adressfeld, wohl aber aus dem weiteren Inhalt des Bescheids ergeben, z. B. aus einer Anlage (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 179 AO Rn. 8), aus den Erläuterungen des Bescheids oder aus einem in Bezug genommenen Bericht über eine Außenprüfung (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.2005 III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287).
bbb) Die Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 sind danach inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie wurden an die Antragstellerin "für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach Frau ... (verstorben ...) B" adressiert. Den Bescheiden ist bei der gebotenen verständigen Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände objektiv eindeutig zu entnehmen, dass die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Erblasserin Inhaltsadressatin ist und sie für die jeweils festgesetzte Steuer bzw. die Hinterziehungszinsen als Gesamtschuldnerin haftet.
Ob die Bescheide bezüglich der Schwester unwirksam sind, da diese in den Bescheiden nicht namentlich erwähnt wurde, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da zusammengefasste Bescheide gem. § 155 Abs. 3 AO jeweils zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte sind, die ein unterschiedliches verfahrensrechtliches Schicksal haben können (BFH-Urteile vom 17.11.2005 III R 8/03, Betriebsberater 2006, 365; vom 30.11.1999 IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678).
c) Umstände, die eine mit der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide verbundene unbillige Härte begründen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Aktz: 3 V 194/15
08.12.2015
Beschluss - Senat
Rechtskraft: rechtskräftig
Gründe
I.
1. Die Antragstellerin, Frau A, ist mit ihrer Schwester, Frau S, (Mit-) Erbin der am ... verstorbenen Erblasserin B. Zu Lebzeiten reichte die Erblasserin jeweils im Folgejahr durch ihren steuerlichen Berater gefertigte Einkommensteuererklärungen beim Antragsgegner (dem Finanzamt -FA-) ein (letztmalig in 2009 für 2008). Darin erklärte sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (jährlich ca. ... €), Einkünfte aus Kapitalvermögen (jährlich zwischen 0 € und ... €) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einem großen Vermietungsobjekt in der X-Straße in ... Hamburg (jährlich ca. ... €). Für die Ermittlung der Einkünfte aus dem Vermietungsobjekt reichte die Erblasserin jährlich eine umfangreiche Grundstücksabrechnung ein.
2. a) Am 11.08.2010 wandte sich der damalige steuerliche Berater der Erblasserin "im Namen und im Auftrag der Erbengemeinschaft nach Frau B" schriftlich an das FA und meldete jährliche Einnahmen zwischen ... € und ... € aus von der C-AG (C) gezahlten Erbbauzinsen für insgesamt ... Flurstücke in der Y- Straße in ... Hamburg für die Jahre 1998 bis 2008 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung "gemäß § 153 AO" nach (EStA Bd. X Bl. 1). Dabei teilte der Berater bezüglich des Jahres 1998 mit, die Aufführung der Einnahmen sei vorsorglich, und bat um Überprüfung, inwiefern bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei (EStA Bd. X Bl. 1 f.).
b) Die Erbbauzinsen waren von der C auf ein Konto bei der Bank-1 gezahlt worden.
c) Die C teilte dem FA am 24.08.2010 mit, dass ihr als Erben der Erblasserin die Antragstellerin sowie Frau S benannt worden seien (EStA Bd. X Bl. 7).
d) Nach Rücksprache des FA beim FA für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg (Prüfstra) wurde davon abgesehen, die Anzeige vom 11.08.2010 zur strafrechtlichen Würdigung an das Finanzamt für Prüfungsdienste zu übersenden (vgl. Aktenvermerk vom 13.08.2010 EStA Bd. X vor Bl. 11).
e) Die Antragstellerin teilte am 24.05.2011 dem FA mit, dass sie die Generalbevollmächtigte ihrer Mutter, der Erblasserin, sei (EStA Bd. X Bl. 46).
3. Daraufhin erließ das FA am 17.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000, am 19.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2001 und 2002, am 27.05.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2003 und 2004, am 14.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005, am 16.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006, am 21.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2007 und am 28.06.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008 (Finanzgerichtsakte -FGA- Anlagenband Bl. 43 - 84).
a) Die Änderungsbescheide 1999 - 2006 enthielten im Anschriftenfeld den Namen und die Anschrift der Antragstellerin. Die Änderungsbescheide 2007 und 2008 wurden an den damaligen steuerlichen Berater der Erblasserin bzw. der Erbengemeinschaft adressiert. In den Bescheiden ist jeweils folgende maschinelle Erläuterung enthalten:
"für FRAU ... verstorben ... B".
b) Diese Erläuterung wurde bei den Einkommensteuerbescheiden 1999 bis 2007 wie folgt handschriftlich ergänzt:
"für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach
FRAU ... verstorben ... B. Alle Beteiligten sind Gesamtschuldner (§ 44 AO)."
c) Für das Jahr 2009 erließ das FA aufgrund der am 02.02.2011 durch den steuerlichen Berater der Erblasserin eingereichten Einkommensteuererklärung am 08.09.2011 erklärungsgemäß einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (Rechtsbehelfsakte -RbA- Bl. 90). Darin wurden die Erbbauzinsen wie erklärt berücksichtigt. Dieser Bescheid wurde an den steuerlichen Berater der Erblasserin adressiert und trägt die o. g. maschinelle Erläuterung.
d) Für das Jahr 2010 erließ das FA aufgrund der am 28.06.2011 durch den steuerlichen Berater der Erblasserin eingereichten Einkommensteuererklärung am 29.08.2011 erklärungsgemäß einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (RbA Bl. 93). Darin wurden die Erbbauzinsen wie erklärt berücksichtigt. Dieser Bescheid wurde an den steuerlichen Berater der Erblasserin adressiert und trägt die o. g. maschinelle Erläuterung.
e) Ob und inwieweit die Erläuterung in den Einkommensteuerbescheiden 2008 bis 2010 handschriftlich ergänzt wurde, ist nicht bekannt. In den Steuerakten befinden sich keine Zweitschriften der Bescheide.
4. Mit Bescheid vom 01.08.2011 setzte das FA Hinterziehungszinsen in Höhe von insgesamt ... € fest (EStA Bd. X Bl. 49). Dabei führte das FA die Zinsen nach Art und Betrag im Einzelnen auf. Der Bescheid enthielt im Anschriftenfeld den Namen und die Anschrift der Antragstellerin und zusätzlich folgende Erläuterung:
"für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach Frau ... (verstorben ...) B".
5. Am 15.06.2011 und 12.07.2011 legte der steuerliche Berater der Erblasserin Einspruch gegen die Festsetzung der Nachzahlungszinsen ein, da die erwarteten Steuernachzahlungen bereits vor Erlass der Änderungsbescheide auf ein Verwahrkonto eingezahlt worden seien (EStA Bd. X Bl. 52). Am 15.08.2011 half das FA den Einsprüchen ab und erließ Nachzahlungszinsen in Höhe von insgesamt ... € (EStA Bd. X Bl. 64).
6. a) Knapp drei Jahre später, am 10.04.2014, wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin an das FA und beantragte Akteneinsicht in die Einkommensteuerakten der Erblasserin. Mit Bescheid vom 07.07.2014 lehnte das FA das Akteneinsichtsgesuch für die Jahre 1998 bis 2008 ab und gewährte Akteneinsicht für die Jahre 2009 und 2010 (RbA Bl. 37). Gegen die Ablehnung legte die Antragstellerin am 11.07.2014 Einspruch ein. Dieser Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24.08.2015 als unbegründet zurückgewiesen (RbA Bl. 55).
b) Am 20.08.2014 legte die Antragstellerin gegen die Änderungsbescheide für 1999 - 2008, gegen die erstmaligen Einkommensteuerbescheide 2009 und 2010 sowie gegen den Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 Einspruch ein und beantragte Aufhebung der Vollziehung (AdV) sowie die Erstattung der Überzahlungen nach § 37 Abs. 2 AO zzgl. Zinsen nach § 233a AO. Zur Begründung trug sie vor, in den Bescheiden seien die Inhaltsadressaten nicht hinreichend bestimmt bezeichnet worden. Zur hinreichend bestimmten Bezeichnung im Sinne des § 119 Abs. 1 AO sei die Angabe der Erbenstellung und die Angabe des Familiennamens aller Erben erforderlich. Ihre Schwester, die Miterbin, sei in keinem Bescheid namentlich erwähnt worden. Infolge der mangelnden Bestimmtheit seien sämtliche Bescheide nichtig. Die Zahlungen auf die nichtigen Bescheide fordere sie im Wege der Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO zurück. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass von der Erblasserin die Tatbestände einer Steuerhinterziehung bzw. leichtfertigen Steuerverkürzung verwirklicht worden seien, hierfür trage das FA die Beweislast.
c) Mit Bescheid vom 06.10.2014 lehnte das FA den Antrag vom 20.08.2014 auf AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2010 sowie des Bescheides über Hinterziehungszinsen ab (RbA Bl. 95). Zur Begründung führte es aus, mit ihren Einsprüchen und dem Antrag auf AdV setze sich die Antragstellerin in Widerspruch zu ihrem vorherigen Verhalten. Sollten die Bescheide tatsächlich einem Bestimmtheitsmangel unterlegen haben, so habe sich die Erbengemeinschaft mit diesem jahrelang abgefunden und diesen aufrechterhalten. Sie könne diesen Mangel dann nicht drei Jahre später zu Erstattungszwecken geltend machen, zumal er im Rahmen der Nachzahlungen tatsächlich zu keinerlei Unklarheiten bezüglich der Bestimmung des Inhaltsadressaten geführt habe.
7. a) Nachdem das FA am 22.12.2014 die Einkommensteuerbescheide für 2003 vom 27.05.2011 sowie für 2009 vom 08.09.2011 aufgehoben hatte (RbA Bl. 110), erließ es am 29.12.2014 geänderte Bescheide für 2003 und 2009 (RbA Bl. 112 ff.). Die Bescheide wurden einmal der Schwester der Antragstellerin bekanntgegeben und enthalten folgende Erläuterung:
"Für die Erben nach B: A (= Antragstellerin) und S. Die Erben sind Gesamtschuldner nach § 44 AO".
Zusätzlich wurden die Bescheide dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zugesandt und enthalten folgende Erläuterung:
"Für die Erben nach B: A (= Antragstellerin) und S. Der Bescheid ergeht an Sie als Zustellbevollmächtigter zugleich mit Wirkung für und gegen die Miterbin A (= Antragstellerin). Alle Beteiligte sind Gesamtschuldner nach § 44 AO".
Gegen die Bescheide vom 29.12.2014 legte die Antragstellerin am 14.01.2015 Einspruch ein. Zumindest für 2003 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Gründe für die Verlängerung oder Hemmung der Regelverjährung seien nicht ersichtlich. Daher werde für 2003 auch AdV beantragt (RbA Bl.129). Am 30.03.2015 beantragte die Antragstellerin ergänzend bezüglich des Bescheides für 2009 vom 23.12.2014 AdV (RbA Bl. 133).
8. Nachdem das FA am 31.03.2015 die Einkommensteuerbescheide für 2004 bis 2008 und 2010 aufgehoben hatte (RbA Bl. 135), erließ es am 14.04.2015 (geänderte) Bescheide für 2004 bis 2008 und 2010. Die Bescheide wurden wie die Bescheide vom 22.12.2014 (oben I.7.a)) bekanntgegeben.
Dagegen legte die Antragstellerin am 15.04.2015 Einspruch ein und trug vor, für 2004 bis 2008 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Gründe für die Verlängerung oder Hemmung der Regelverjährung seien nicht ersichtlich. Daher werde für 2004 bis 2008 AdV beantragt (RbA Bl. 139).
9. Mit Bescheid vom 01.06.2015 lehnte das FA (nochmals) den Antrag vom 12.08.2014 (gemeint wohl: 20.08.2014) auf AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 - 2002 sowie des Bescheids über Hinterziehungszinsen ab (FGA Anlagenband Bl. 1). Ebenfalls mit Bescheid vom 01.06.2015 lehnte das FA die Anträge vom 14.01.2015 bzw. 30.03.2015 sowie vom 15.04.2015 auf AdV der Einkommensteuerbescheide 2003 - 2010 ab (FGA Anlagenband Bl. 5). Zur Begründung führte es aus, die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Jahre 2003 - 2008 seien nicht durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung erloschen, sondern seien im Rahmen der 10-jährigen Frist im Sinne des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geltend gemacht worden. Die Erblasserin habe zumindest bedingt vorsätzlich den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO verwirklicht. Sie habe ihre Steuererklärung jahrelang durch einen steuerlichen Berater erstellen und einreichen lassen. Dieser habe für sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung eines großen Vermietungsobjektes in einem Umfang von mehreren hunderttausend Euro erklärt und für die Immobilie eine jährliche Grundstücksabrechnung eingereicht. Bei den Erbbauzinsen handele es sich ebenfalls um Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Aufgrund des Umfangs ihrer jährlichen Steuererklärung und der Höhe der erklärten Einkünfte sei davon auszugehen, dass die Erblasserin sich der steuerlichen Relevanz der Erbbauzinsen bewusst gewesen sei. Die Einkommensteuer für die Jahre 2009 und 2010 sei auf der Grundlage der eingereichten Einkommensteuererklärungen festgesetzt worden, insoweit sei die Antragstellerin gar nicht beschwert. Eine unbillige Härte sei nach Aktenlage weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
10. Am 27.07.2015 hat die Antragstellerin beim Gericht AdV der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2010 sowie des Bescheides über Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 beantragt.
Zur Begründung trägt sie vor, die Bescheide seien aufzuheben. Hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2008 sei bei Erlass die reguläre Festsetzungsfrist von 4 Jahren verstrichen gewesen. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AO lägen nicht vor. Es fehle an dem - dem FA obliegenden - Nachweis einer Steuerhinterziehung. Über die subjektive Ebene der Erblasserin sei nichts bekannt. Insoweit stelle das FA in seinem Bescheid vom 01.06.2015 reine Spekulationen an. Es sei denkbar, dass die Erblasserin davon ausgegangen sei, dass alles zutreffend von ihren Beratern behandelt und erklärt worden sei. Zudem sei bei dem Umfang und der Höhe der Einkünfte und des Vermögens leicht vorstellbar, dass es sich bei der Nichterklärung der Erbbauzinsen lediglich um ein unbewusstes Versehen der Erblasserin gehandelt habe. Dafür spreche auch, dass die Erbbauzinsen auf ein deutsches Konto geflossen seien, so dass die Erblasserin mit einer Entdeckung hätte rechnen müssen. Das Verhalten des damaligen steuerlichen Beraters, der offenbar davon ausgegangen sei, dass lediglich für 1998 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei, sowie die Tatsache, dass gegen die Änderungsbescheide in 2011 nur hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Abschlagszahlung bei der Festsetzung der Nachzahlungszinsen Einspruch eingelegt worden sei, könne unter Umständen zwar als Indiz für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung durch die Erblasserin gedeutet werden. Allerdings enthielten die Schreiben der damaligen steuerlichen Berater keine inhaltlichen Angaben zu den Motiven ihres Handelns. So sei nicht ersichtlich, dass den Steuerberatern überhaupt bekannt bzw. bewusst gewesen sei, dass für die Verlängerung der Festsetzungsfrist der vollständige Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegen müsse. Insoweit könne es sich daher auch um einen Fehler der damaligen Berater handeln.
Die Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2002 seien darüber hinaus wegen fehlender Bestimmtheit nichtig gem. § 125 Abs. 1 AO i. V. m. § 119 Abs. 1 AO. Insoweit sei sie, die Antragstellerin, nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. Es sei schon im Ansatz nicht erkennbar, wodurch auf Seiten des FA ein schutzwürdiges Vertrauen bezüglich des Ablaufs der Festsetzungsfrist entstanden sein solle. Hierbei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das FA seinerzeit von einer Weiterleitung an die Prüfstra abgesehen und damit unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz bewusst davon abgesehen habe, den Vorsatz und damit ein notwendiges Tatbestandsmerkmal festzustellen.
Bei dem Hinterziehungszinsbescheid fehle es zum einen an der erforderlichen Steuerhinterziehung, zum anderen sei der Bescheid inhaltlich unzutreffend adressiert, da ihre, der Antragstellerin, Schwester als Miterbin namentlich nicht erwähnt werde.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung
des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 17.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2000 vom 17.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2001 vom 19.05.2011
des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 19.05.2011
des Bescheids über Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011
des Einkommensteuerbescheides 2003 vom 29.12.2014
des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2007 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 14.04.2015
des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 29.12.2014
des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 14.04.2015
aufzuheben.
Das FA beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung nimmt es auf die Bescheide vom 01.06.2015 Bezug.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten Bd. VII bis X sowie Bd. I der Rechtsbehelfsakte zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig. Das FA hat die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 20.08.2014, 14.01.2015, 30.03.2015 und 15.04.2015 beantragte AdV mit Bescheiden vom 01.06.2015 abgelehnt, sodass die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt ist.
2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (BFH-Beschluss vom 21.11.2013 II B 46/13, DStR 2013, 2686). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 03.04.2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, BStBl II 2013, 973). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 19.05.2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156).
Das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 69 Abs. 3 FGO ist als Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein summarisches Verfahren, in dem wegen der Eilbedürftigkeit nur aufgrund des Sachverhalts entschieden wird, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 03.04.2013 V B 125/12, DStR 2013, 1025). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-), soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschlüsse vom 10.02.2010 V S 24/09, BFH/NV 2010, 930; vom 20.03.2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809).
b) Bei der danach gebotenen summarischen Prüfung anhand des Sachvortrags der Beteiligten und des Inhalts der vorliegenden Akten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2008 war zulässig (aa). Die angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide für 1999 bis 2008 und die erstmaligen Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 durften am 17. bzw. 19.05.2011 (1999 - 2003) bzw. am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 (2004 - 2010) erlassen werden, Feststellungsverjährung war insoweit noch nicht eingetreten (bb). Hinterziehungszinsen wurden zulässigerweise mit Bescheid vom 01.08.2011 festgesetzt (cc). Die an die Antragstellerin gerichteten Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen waren nicht mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nichtig (dd).
aa) aaa) Die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2008 war zulässig.
Die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lagen vor. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dem FA wurde nachträglich, nämlich nach Erlass der ursprünglichen Bescheide, bekannt, dass die Erblasserin weitere, bis dahin nicht erklärte steuerpflichtige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hatte.
bbb) Die eingereichten Einkommensteuererklärungen für 2009 und 2010 wurden erklärungsgemäß veranlagt. Dabei wurden die Erbbauzinsen wie erklärt angesetzt (oben I. 3 c) und d)).
bb) Die Festsetzungsfrist war bei Erlass der Änderungsbescheide für 1999 bis 2003 am 17. bzw. 19.05.2011, bei Erlass der Änderungsbescheide für 2004 bis 2008 am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 und bei Erlass der erstmaligen Bescheide für 2009 und 2010 am 29.12.2014 bzw. 14.04.2015 noch nicht abgelaufen.
Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO begann die Festsetzungsfrist jeweils mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem für den Veranlagungszeitraum (VAZ) die Steuererklärung eingereicht wurde, somit für die Jahre 1999 bis 2008 jeweils mit Ablauf des 31.12. des Folgejahres. Für die VAZ 2009 und 2010 begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2011.
aaa) (1) Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für die VAZ 1999 bis 2008 zehn Jahre, weil hinsichtlich der sich durch die Änderungsbescheide ergebenden Nachforderungen die Voraussetzungen für eine durch die Erblasserin begangene Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen. Danach begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt.
Für die Beurteilung, ob die verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eingreift, hat das FG die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, d. h. eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen (BFH-Urteil vom 11.12.2012 IX R 33/11, juris).
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts - hier des § 370 AO - bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Es ist bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung indes kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 07.11.2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364).
Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (BFH-Urteil vom 15.01.2013 VIII R 22/10, BFH/NV 2013, 799).
Da in einem AdV-Verfahren die entscheidungserheblichen Tatsachen nur glaubhaft zu machen sind, tritt insoweit eine Sachverhaltsfeststellung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit an die Stelle des Vollbeweises (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 123).
(2) Daran, dass die Erblasserin im Streitfall die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht hat, indem sie in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre die von der C erhaltenen Erbbauzinsen steuerlich nicht erklärte, bestehen nach dem oben Ausgeführten keine ernstlichen Zweifel. Aufgrund der Nichtangabe der Erbbauzinsen ist eine Steuerverkürzung eingetreten, weil das FA ursprünglich entsprechend niedriger festgesetzt hat.
Aber auch die subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung liegen zur hinreichenden Überzeugung des beschließenden Senats vor. Der Senat hält es bei summarischer Prüfung für überwiegend wahrscheinlich, dass die Erblasserin zumindest bedingt vorsätzlich handelte, weil sie es für möglich hielt, dass die Erbbauzinsen steuerpflichtig waren, und sie unter billigender Inkaufnahme einer Steuerverkürzung dennoch nicht erklärte.
(3) Der Senat sieht keine hinreichenden Anzeichen dafür, dass die Erblasserin davon ausging, die Erbbauzinsen seien in der Steuererklärung enthalten, bzw. sie insoweit nicht vorsätzlich handelte.
Dass die Erblasserin zumindest mit der Unvollständigkeit der Steuererklärungen in Bezug auf die Erbbauzinsen rechnete und die objektive Steuerverkürzung in voller Höhe in Kauf nahm, ergibt sich zur Überzeugung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits daraus, dass die Erblasserin Vermietungseinkünfte nur aus einem großen Vermietungsobjekt erklärte, mit dem die Erbbauzinsen weder im räumlichen noch im sachlichen Zusammenhang standen. Weshalb die Erblasserin gleichwohl von einer steuerlichen Erfassung ausgegangen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Hinzu kommt, dass die damaligen steuerlichen Berater der Erblasserin eine Nacherklärung einreichten und die Festsetzung von Hinterziehungszinsen akzeptierten.
Der Umstand, dass das FA seinerzeit von einer Abgabe des Falls an die Prüfstra absah (oben I. 2. d)), steht der Annahme einer Steuerhinterziehung nicht entgegen. Da bzgl. der nacherklärten Erbbauzinsen keine weiteren Ermittlungen mehr anzustellen waren, lag es nur nahe, dass der Fall ausschließlich vom FA (inkl. der Festsetzung von Hinterziehungszinsen) bearbeitet wurde und eine Abgabe an die Prüfstra als nicht erforderlich angesehen wurde.
bbb) Für die VAZ 2009 und 2010 beträgt die Festsetzungsfrist 4 Jahre gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO; sie endet mithin mit Ablauf des 31.12.2015.
cc) Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Der Zinssatz beträgt einhalb Prozent für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 AO), der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Steuerverkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO) und endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 Satz 1 AO). Im Zinsbescheid müssen die Zinsen nach Art und Betrag bezeichnet und der Schuldner angeben werden (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO analog; vgl. BFH-Beschluss vom 11.12.2013 I B 174/12, BFH/NV 2014, 665).
Vorliegend ist die für die Erhebung von Hinterziehungszinsen erforderliche Voraussetzung einer vollendeten Steuerhinterziehung (§ 370 AO) durch die Erblasserin gegeben (oben II.2.a)bb)aaa)). Die Hinterziehungszinsen wurden in dem Bescheid vom 01.08.2011 nach Art und Betrag bezeichnet und die Antragstellerin sowie die Miterben wurden als Rechtnachfolger der Erblasserin als Schuldner der Hinterziehungszinsen angegeben (oben I.4.).
dd) Die an die Antragstellerin gerichteten Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen waren nicht mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nichtig.
aaa) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO). Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsaktes, denn es muss unzweifelhaft feststehen, gegenüber wem der Einzelfall geregelt werden soll. Inhaltsadressat eines Verwaltungsaktes ist derjenige, gegen den er sich richtet, für den er bestimmt ist und gegen den er wirken soll (Seer in Tipke/Kruse, a. a. O., § 122 AO Rn. 18). Bei Steuerbescheiden ist dies der Steuerschuldner (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO).
Danach ist ein Einkommensteuerbescheid, der sich an Erben richten soll, diesen gegenüber nur wirksam, wenn diese namentlich als Inhaltsadressaten aufgeführt sind oder sich durch Auslegung des Bescheides ergibt, welche Personen als Erben angesprochen werden sollen (vgl. Urteil des BFH vom 17.11.2005 III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287). Dabei ist es ausreichend, wenn sich die Beteiligten zwar nicht aus dem Adressfeld, wohl aber aus dem weiteren Inhalt des Bescheids ergeben, z. B. aus einer Anlage (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 179 AO Rn. 8), aus den Erläuterungen des Bescheids oder aus einem in Bezug genommenen Bericht über eine Außenprüfung (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.2005 III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287).
bbb) Die Änderungsbescheide für 1999 bis 2002 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 01.08.2011 sind danach inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie wurden an die Antragstellerin "für Frau A (= Antragstellerin) und die Erben nach Frau ... (verstorben ...) B" adressiert. Den Bescheiden ist bei der gebotenen verständigen Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände objektiv eindeutig zu entnehmen, dass die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Erblasserin Inhaltsadressatin ist und sie für die jeweils festgesetzte Steuer bzw. die Hinterziehungszinsen als Gesamtschuldnerin haftet.
Ob die Bescheide bezüglich der Schwester unwirksam sind, da diese in den Bescheiden nicht namentlich erwähnt wurde, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da zusammengefasste Bescheide gem. § 155 Abs. 3 AO jeweils zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte sind, die ein unterschiedliches verfahrensrechtliches Schicksal haben können (BFH-Urteile vom 17.11.2005 III R 8/03, Betriebsberater 2006, 365; vom 30.11.1999 IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678).
c) Umstände, die eine mit der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide verbundene unbillige Härte begründen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.