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  • 08.12.2016 · IWW-Abrufnummer 190457

    Landgericht Lüneburg: Beschluss vom 07.12.2015 – 26 Qs 281/15

    Die Rechtswidrigkeit einer mündlichen richterlichen Durchsuchungsanordnung kann sich aus einer fehlenden oder verspäteten Dokumentation in den Akten jedenfalls dann ergeben, wenn mangels eines Eilfalls eine schriftliche Anordnung erforderlich gewesen wäre.


    Landgericht Lüneburg

    Beschl. v. 07.12.2015

    Az.: 26 Qs 281/15

    In pp.
    hat die 6., Strafkammer des LG Lüneburg am 07.12.2015 beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird festgestellt, dass der mündlich erlassene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Celle vom 07.10.2015 (17 Gs 569/15) rechtswidrig ist.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

    Gründe

    I.

    Am 07.10.2015 gegen 13:18 Uhr haben Polizeibeamte den Beschuldigten, den sie aufgrund der Angaben eines Zeugen eines versuchten Diebstahls eines E-Bikes am Allgemeinen Krankenhaus in C. verdächtigten, kontrolliert. Beim Beschuldigten haben sie unter anderem einen Bolzenschneider, Kneifzangen und Schraubendreher sowie ein durchgekniffenes Seilringschloss und ein als gestohlen gemeldetes Smartphone aufgefunden und ihn sodann um 13:35 Uhr festgenommen. Das E-Bike war durch ein fest installiertes Schloss abgeschlossen. Der Beschuldigte hat gegenüber den Polizeibeamten angegeben, dass das Seilringschloss zu dem E-Bike gehöre. Bei der Durchsuchung auf der Wache haben die Polizeibeamten noch eine Subutex Tablette und eine Rivotril Tablette gefunden. In der Vernehmung des Beschuldigten von 14:30 Uhr bis 15:00 Uhr hat er angegeben, dass er wegen Ladendiebstahls unter laufender Bewährung stehe und auch schon einmal wegen Ladendiebstahls inhaftiert gewesen sei. Das Handy habe er in Hamburg gekauft, das Werkzeug habe er dabei, weil er jemanden bei der Gartenarbeit habe helfen wollen und die beiden Tabletten seien ihm von Dr. U. verschrieben worden, so glaube er.

    In dem polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 13.10.2015 ist angegeben, dass die Durchsuchung "um 15:00 Uhr, durch Richterin K. am Amtsgericht Celle, mündlich angeordnet" worden sei. Die Durchsuchung hat um 16:30 Uhr begonnen, den Beschuldigten haben die Polizeibeamten um 17:35 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

    Mit seiner Beschwerde vom 11.11.2015 begehrt der Beschuldigte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung am 07.10.2015. Die Anordnung genüge nicht den Anforderungen des § 105 Abs. 1 StPO, das Auffinden weiterer Beweismittel sei nicht zu erwarten gewesen, Gefahr im Verzuge habe nicht vorgelegen und die Anordnung sei unverhältnismäßig gewesen.

    Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Stellungnahme zwar von einem Fehler bei der Dokumentation der Anordnung aus. Hieraus folge aber "nicht zwingend" die Rechtswidrigkeit der Maßnahme.

    Das Amtsgericht führt in seiner Nichtabhilfeentscheidung aus, dass die Durchsuchungsanordnung ergangen sei, weil der Beschuldigte ein aufgebrochenes Schloss bei sich geführt habe, welches dem E-Bike nicht habe zugeordnet werden können. Deshalb habe ein Anfangsverdacht des Diebstahls eines weiteren Fahrrads vorgelegen, das mit der Durchsuchung habe aufgefunden werden sollen. Die Anordnung sei mündlich ergangen, weil eine Vereitelung der Sicherung von Beweisen durch den Beschuldigten gedroht habe und man ihn länger hätte festhalten müssen, wenn erst noch ein schriftlicher Durchsuchungsbeschluss gefertigt worden wäre.

    II.

    Die Beschwerde ist zulässig (M/G StPO, 56. Auflage, § 105 Rn. 15) und auch begründet. Die mündliche undokumentierte Anordnung der Durchsuchung durch das Amtsgericht war rechtswidrig.

    Zwar lagen mit dem Smartphone, den Werkzeugen, dem aufgebrochenen Schloss und den Vorbelastungen des Beschuldigten ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der Durchsuchungweitere gestohlene Gegenstände aufgefunden werden - wenn dies alles der Ermittlungsrichterin zum Zeitpunkt der Anordnung bekannt gewesen ist. Insoweit könnten (außerhalb der Umgrenzungsfunktion liegende) Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme jedoch auch im Beschwerdeverfahren grundsätzlich noch nachgebessert werden.

    Jedoch hätte die Anordnung nicht mündlich und ohne jegliche Dokumentation in den Akten ergehen dürfen:

    1. Grundsätzlich hat eine Durchsuchungsanordnung schriftlich zu erfolgen; in Eilfällen kann sie jedoch auch mündlich erlassen werden (M-G/S StPO, 57. Auflage, § 105 Rn. 3; KK-StPO, 7. Auflage, § 105 Rn. 3; BVerfG, 2 BvR 2267/06; BGH, NStZ 2005, 392). Insbesondere bei einem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 Abs. 1 GG, dient der Richtervorbehalt der Kontrolle der Einhaltung der Verfassung und des einfachen Rechts (BVerfG, NJW 2015, 2787). Durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses trifft ihn die Pflicht, sicherzustellen, dass der Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt (BVerfG, 2 BvR 1440/00). Durch die Beschreibung des Tatvorwurfs und ein Abstecken des äußeren Rahmens wird auch dem Betroffenen ermöglicht, die Durchsuchung zu kontrollieren und einer etwaigen Ausuferung entgegen zu treten (BVerfG, 2 BvR 1440/00). Dies kann am effektivsten mit einer schriftlichen Anordnung erreicht werden, die dem Betroffenen - und auch den Durchsuchungsbeamten - ausgehändigt werden kann (so auch LG Tübingen, 1 Qs 38/07). Eine solche kann dann auch erst Grundlage für eine ggf. zu treffende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts sein (LG Dresden, 3 Qs 105/11; LG Tübingen, 1 Qs 38/07; LG Mühlhausen, 6 Qs 9/06) und einen effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG, gewährleisten (BVerfG, 2 BvR 784/08).

    Ein eine mündliche Anordnung rechtfertigender Eilfall kann dagegen etwa gegeben sein, wenn bei einer erst schriftlichen Anordnung durch den Richter ein Beweismittelverlust droht. Ein solcher drohender Beweismittelverlust ergibt sich vorliegend aus den Akten nicht ohne weiteres, insbesondere fehlt ein die Eilbedürftigkeit begründender Vermerk der Ermittlungsrichterin (oder wenigstens der Ermittlungsbehörden). Der Beschuldigte wurde gegen 13:18 Uhr kontrolliert und das aufgebrochene Schloss auch zu diesem Zeitpunkt bereits aufgefunden. Seine Verhaftung erfolgte um 13:35 Uhr. Um 15:00 Uhr erging die mündliche Durchsuchungsanordnung. Den Akten ist bereits nicht zu entnehmen, wann die Ermittlungsrichterin über den Sachverhalt und den Antrag der Staatsanwaltschaft informiert wurde bzw. ggf. warum ein entsprechender Antrag nicht bereits nach der Festnahme des Beschuldigten gestellt wurde. Aus den Akten ergibt sich auch nicht, weshalb sich die Ermittlungsrichterin zeitlich gehindert hätte sehen können, den Beschluss - bei dem einfach gelagerten Sachverhalt - vor der Durchsuchung schriftlich abzufassen und der Polizei per Telefax zu übermitteln, zumal die Durchsuchung erst um 16:30 Uhr erfolgt ist. Immerhin sah sich die Ermittlungsrichterin um 15:00 Uhr zum Erlass eines mündlichen Beschlusses in der Lage. Weshalb für die schriftliche Ausformulierung des Beschlusses in Hinblick auf einen drohenden Beweismittelverlust eine "längerfristige Festnahme" des Beschuldigten erforderlich gewesen sein sollte, erschließt sich ebenfalls nicht, zumal er erst um 17:35 Uhr, und damit mehr als zweieinhalb Stunden nach dem mündlichen Beschluss, aus dem Gewahrsam entlassen worden ist.

    2. Darüber hinaus ist die mündliche Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungsrichterin auch überhaupt nicht und durch die Ermittlungsbehörden - soweit dies ausnahmsweise ausreichend sein könnte (BVerfG, 2 BvR 2267/06; BGH, NStZ 2005, 392) - nur unzureichend dokumentiert. Dies macht die Anordnung zwar nicht unwirksam (BGH, NStZ 2005, 392 [BGH 13.01.2005 - 1 StR 531/04]), aber aus Sicht der Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem gerade eine schriftliche Anordnung erforderlich gewesen wäre, in Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG rechtswidrig.

    Für die Kammer ist anhand der Aktenlage mangels einer Dokumentation der Anordnungsentscheidung nicht nachvollziehbar, von welchem Sachverhalt und welchem Vorwurf gegen den Beschuldigten die Ermittlungsrichterin zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchungausgegangen ist und welche Räume nach welchen Gegenständen durchsucht werden sollten und durften, zumal vorliegend Maßnahmen in Hinblick auf das E-Bike, ein anderes Fahrrad oder auch Betäubungsmittel in Betracht kamen. Auch die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Eilfalls ist der Kammer hierdurch letztlich versagt. Die Möglichkeit einer solchen umfassenden Überprüfung soll jedoch gerade die schriftliche Anordnung, jedenfalls aber die schriftliche Dokumentation der Entscheidung des Gerichts sicherstellen.

    Die nachträgliche Dokumentation im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung, vorliegend ca. 7 Wochen nach der Anordnung, vermag vorliegend die Rechtswidrigkeit nicht mehr zu beseitigen. Nach Auffassung der Kammer birgt die verspätete Dokumentation nicht nur hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs (BVerfG, NJW 2015, 2787; BVErfG, 2 BvR 1444/00) die Gefahr von Ungenauigkeiten und Erinnerungsfehlern oder gar einer Umgehung, so dass eine Überprüfung nicht mehr gleichermaßen effektiv ist wie bei einer zeitnahen schriftlichen Darlegung (so auch LG Tübingen, 1 Qs 38/07), sondern auch etwa hinsichtlich des zum Zeitpunkt der Anordnung dem Ermittlungsrichter bekannten Sachverhalts. Gerade der Ermittlungsrichter bei einem Amtsgericht hat zudem oft in kurzer Zeit über mehrere Durchsuchungsanordnungen zu entscheiden, so dass die Erinnerung an einzelne Entscheidungen nach mehreren Tagen oder gar Wochen eingeschränkt sein dürfte. Zudem führt die Pflicht zur Dokumentation - wie auch das Abfassen einer schriftlichen Entscheidung - dazu, dass sich der Anordnende in besonderem Maße der Rechtmäßigkeit der Maßnahme vergewissert (BVErfG, 2 BvR 1444/00). Auch ist nicht sichergestellt, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch der Ermittlungsrichter zuständig ist, der die Anordnung auch erlassen hatte. All dies gebietet eine Dokumentation - je nach Einzelfall - vor, bei oder jedenfalls unmittelbar nach einer mündlichen Anordnung, sofern deren Voraussetzungen überhaupt vorliegen.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.