13.06.2017 · IWW-Abrufnummer 194433
Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 10.05.2017 – 9 U 3/17
Auch ein Geschäftsführer, der als Strohmann fungiert, die Wahrnehmung seiner Kompetenzen Dritten überlässt und sich um die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeiter der Gestaltung nicht kümmert, haftet wegen der Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und nimmt die Nichtabführung (im Sinne bedingten Vorsatzes) zumindest in Kauf.
Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 10.05.2017
Az.: 9 U 3/17
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des wegen der Verzinsung weitergehenden Rechtsmittels - das am 9. Dezember 2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.513,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.460,69 € für die Zeit vom 28. September 2011 bis zum 26. Januar 2017 und aus dem Gesamtbetrag für die Zeit ab dem 27. Januar 2017 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die genannte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt.
Die (wegen der Zinsen) weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die im ersten Rechtszug entstandenen Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren:
38.846,69 € bis zum 19. April 2017;
19.513,38 € für die Zeit danach.
Gründe
Gründe (§§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO):
Die Berufung der Klägerin erweist sich (mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Verzugszinsen) im nunmehr noch gestellten Umfang als begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haftet die Beklagte der Klägerin wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a, 14 StGB. Die Beklagte ist als ehemalige Geschäftsführerin der M. GmbH, die ein Callcenter für Telefondienstleistungen verschiedener Art betrieben hat, der Klägerin als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge betreffend zwei Arbeitnehmerinnen der GmbH verantwortlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entfällt eine Haftung der Beklagten nicht deswegen, weil diese, wie sie geltend macht, lediglich als Strohfrau fungiert habe und die Kontrolle über die Gesellschaft allein bei wirtschaftlich interessierten Hintermännern gelegen habe. Anders als die Beklagte meint, hat es sich bei den im Callcenter als Telefonistinnen arbeitenden Mitarbeiterinnen nicht um Selbstständige, sondern um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt. Auch hat die Beklagte (zumindest bedingt) vorsätzlich gehandelt. Entsprechend der Berechnung im Schriftsatz der Klägerin vom 19. April 2017 (Bd. III, Bl. 451 ff. d. A.), mit dem die im zweiten Rechtszug zunächst in zeitlicher Hinsicht erweiterte Klage - auf Hinweis des Senats - im Wege einer Teilrücknahme auf die Arbeitnehmeranteile betreffend den Gesamtzeitraum beschränkt worden ist, schuldet die Beklagte Schadensersatz in der zuletzt geltend gemachten Höhe von rund 19.500 €.
Im Einzelnen ist Folgendes festzuhalten:
1. Die Beklagte haftet wegen der Vorenthaltung der Arbeitnehmeranteile durch die M. GmbH (deren alleinige eingetragene Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin sie war) ungeachtet der Frage, ob sie insoweit als "bloße Strohfrau" fungiert haben mag. Dass sie die ihr als Geschäftsführerin kraft Gesetzes zustehenden Kompetenzen nicht genutzt, sondern diese anderen überlassen haben will, vermag sie nicht zu entlasten; die vom Landgericht in Bezug genommene gegenteilige Auffassung (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Februar 2000, 1 Ss 1337/99 = BeckRS 9998, 25494) trifft nicht zu (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016, 3 StR 352/16; vgl. zur Haftung des Strohmann-Geschäftsführers auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., Rn. 96 zu § 43 m. w. N.). Die letztgenannte Entscheidung betrifft entgegen der Annahme der Beklagten weder eine andere Fallgestaltung, noch stellen die (sogar im Leitsatz der Entscheidung herausgestellten) Grundsätze bloße obiter dicta dar. Vielmehr "begründet allein die Stellung als formeller Geschäftsführer, mit der von Gesetzes wegen stets alle rechtlichen und damit auch tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten einhergehen, nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB dessen Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach außen. Dies gilt auch dann, wenn ihm - als "Strohmann" - rechtsgeschäftlich im Innenverhältnis keine bedeutsamen Kompetenzen übertragen wurden und für die Gesellschaft eine andere Person mit so weitreichenden Handlungskompetenzen auftritt, dass sie ihrerseits als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist".
2. Zutreffend nimmt die Klägerin an, dass es sich bei den bei der M. GmbH angestellten Telefonistinnen W. und M. nicht um Selbstständige, sondern um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt hat. Auf die formale Vertragsgestaltung, mit der die von der Beklagten vertretene Gesellschaft als Arbeitgeberin den Schein einer Selbstständigkeit herbeiführen wollte, kommt es nicht an. Selbst wenn, wie die Beklagte einzuwenden sucht, für die Telefonistinnen die Möglichkeit bestanden hätte, von Zuhause aus zu arbeiten, liegt die Annahme, die Mitarbeiterinnen seien deswegen selbstständig gewesen, gänzlich fern: Diese hatten vielmehr keine eigenen Betriebsmittel, durften ihre Arbeit nicht delegieren, mussten sich bei Erkrankung abmelden, Dienstpläne einhalten und unterlagen der Überwachung durch sogenannte Supervisoren. Die Beschäftigten wurden also überwacht und angewiesen und trugen kein unternehmerisches Risiko. Aus zutreffenden Gründen, auf die im Einzelnen verwiesen wird, sind daher die Deutsche Rentenversicherung, das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen davon ausgegangen, dass es sich bei den fraglichen Mitarbeiterinnen um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt hat (vgl. Anlagen K 6, K 7 und K 8, Bd. I, Bl. 45 ff. d. A.).
3. Die Beklagte handelte entgegen ihrer Auffassung zumindest bedingt vorsätzlich, selbst wenn sie sich, wie sie geltend macht, um die Einzelheiten der Beschäftigungsverhältnisse nicht gekümmert haben will, weil sie keine Veranlassung gesehen habe, "in irgendeiner Art und Weise Zweifel an der Korrektheit des Vorgehens bei der M. GmbH zu entwickeln". Soweit die Beklagte (vgl. den - allerdings nicht nachgelassenen - Schriftsatz vom 3. Mai 2017) vertiefend ausführt, sie sei davon ausgegangen, dass die fraglichen Mitarbeiterinnen "auch tatsächlich in der Lage wären, ihre Arbeitszeiten frei zu bestimmen", sind greifbare Anhaltspunkte für eine solche Annahme nicht im Ansatz ersichtlich. Die Mitarbeiterinnen hatten Kunden, die bspw. über eine "Telefonsex-Hotline" anriefen, an entsprechende Anbieterinnen weiterzuvermitteln. Eine frei und eigenverantwortlich mögliche Zeiteinteilung ist für eine derartige, situativ gebundene Tätigkeit undenkbar.
Das hat die Beklagte gewusst oder aber, wenn sie sich um nichts gekümmert haben will, billigend in Kauf genommen. Wer sich, wie es für ein Strohmannverhältnis typisch ist, nicht in eigener Person um seine Pflichten als Geschäftsführer kümmert, sondern sich auf etwaige, im Streitfall aber nicht näher benannte Hinterleute verlässt, handelt bedingt vorsätzlich.
Soweit die Beklagte - trotz der Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse oder in Ermangelung einer Kenntnis von diesen - davon ausgegangen wäre, bei den Beschäftigten handele es sich gleichwohl um selbstständig Tätige, würde es sich insoweit um einen (die Strafbarkeit und damit die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB nicht ausschließenden) vermeidbaren Verbotsirrtum handeln. Dass und in welcher Form die Beklagte eine belastbare gegenteilige rechtliche Auskunft erhalten habe, ist weder ersichtlich, noch auch nur im Ansatz konkret vorgetragen. Zudem wäre es insoweit erforderlich gewesen, dass die Beklagte zum Zweck der Einholung entsprechenden Rechtsrats dem befragten Fachmann die konkreten Umstände der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse detailliert geschildert hätte. Das ist vorliegend schon deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte geltend macht, diese selber nicht gekannt zu haben.
4. Die Höhe des Anspruchs der Klägerin ergibt sich aus der zutreffenden Berechnung im Schriftsatz vom 19. April 2017, in dem die Klägerin ihr Begehren auf die Arbeitnehmerbeiträge (ohne Säumniszuschläge oder Umlagen) betreffend die genannten Mitarbeiterinnen für den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Mai 2010 beschränkt hat.
Soweit die Beklagte im ersten Rechtszug geltend gemacht hat, die Mitarbeiterin W. sei Studentin gewesen, für die andere Regeln für Renten- und Arbeitslosenversicherung zu gelten hätten, hat sie konkrete Einwendungen gegen die auf die Berechnung der Deutschen Rentenversicherung aufsetzende Klagforderung, insbesondere wie sie sich bei der Anwendung des richtigen Beitragssatzes hätten darstellen sollen, nicht erhoben. Zudem ist sie dem Vortrag der Klägerin, dass und warum die Mitarbeiterin W. nicht als Werkstudentin, sondern als Arbeitnehmerin anzusehen ist (vgl. Bd. I, Bl. 250 ff. d. A.), nicht im Einzelnen entgegengetreten. Dass die Mitarbeiterin W., die im Durchschnitt ein recht beachtliches Monatseinkommen von ca. 1.000 € erzielt hat (und nebenher noch anderweit Parfüm-Promotion gemacht hat, vgl. die von der Beklagten vorgelegte und in Bezug genommene Anlage B 6, dort Seite 3, Bd. I, Bl. 246 d. A.), in dem fraglichen Zeitraum vorwiegend ihr Studium betrieben hätte, liegt zudem nicht nahe.
5. Die Nebenforderungen der Klägerin gründen sich auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Allerdings hat sich die Beklagte infolge des Schreibens der P. vom 6. September 2011 (Anlage K 5 im gesonderten Hefter), auf welches sich die Klägerin zur Verzugsbegründung bezieht, nur hinsichtlich eines Betrags von 9.460,69 € in Verzug befunden. Im Übrigen ist erst die klagerweiternde Berufungsbegründung verzugsbegründend gewesen. Wegen der teilweise darüber hinausgehend geltend gemachten Zinsforderung waren die Klage abzuweisen und die Berufung entsprechend zurückzuweisen.
6. Entsprechend dem Antrag der Klägerin war festzustellen, dass die Klageforderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (nämlich der Straftat des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen) beruht.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren entspricht der Höhe der jeweils verfolgten Zahlungsforderung.
Dem Feststellungsantrag kommt keine streitwerterhöhende Wirkung zu, da er mit dem Leistungsantrag wirtschaftlich identisch ist (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013, II ZR 46/13, NJW-RR 2013, 1022).
Urt. v. 10.05.2017
Az.: 9 U 3/17
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des wegen der Verzinsung weitergehenden Rechtsmittels - das am 9. Dezember 2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.513,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.460,69 € für die Zeit vom 28. September 2011 bis zum 26. Januar 2017 und aus dem Gesamtbetrag für die Zeit ab dem 27. Januar 2017 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die genannte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt.
Die (wegen der Zinsen) weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die im ersten Rechtszug entstandenen Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren:
38.846,69 € bis zum 19. April 2017;
19.513,38 € für die Zeit danach.
Gründe
Gründe (§§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO):
Die Berufung der Klägerin erweist sich (mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Verzugszinsen) im nunmehr noch gestellten Umfang als begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haftet die Beklagte der Klägerin wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a, 14 StGB. Die Beklagte ist als ehemalige Geschäftsführerin der M. GmbH, die ein Callcenter für Telefondienstleistungen verschiedener Art betrieben hat, der Klägerin als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge betreffend zwei Arbeitnehmerinnen der GmbH verantwortlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entfällt eine Haftung der Beklagten nicht deswegen, weil diese, wie sie geltend macht, lediglich als Strohfrau fungiert habe und die Kontrolle über die Gesellschaft allein bei wirtschaftlich interessierten Hintermännern gelegen habe. Anders als die Beklagte meint, hat es sich bei den im Callcenter als Telefonistinnen arbeitenden Mitarbeiterinnen nicht um Selbstständige, sondern um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt. Auch hat die Beklagte (zumindest bedingt) vorsätzlich gehandelt. Entsprechend der Berechnung im Schriftsatz der Klägerin vom 19. April 2017 (Bd. III, Bl. 451 ff. d. A.), mit dem die im zweiten Rechtszug zunächst in zeitlicher Hinsicht erweiterte Klage - auf Hinweis des Senats - im Wege einer Teilrücknahme auf die Arbeitnehmeranteile betreffend den Gesamtzeitraum beschränkt worden ist, schuldet die Beklagte Schadensersatz in der zuletzt geltend gemachten Höhe von rund 19.500 €.
Im Einzelnen ist Folgendes festzuhalten:
1. Die Beklagte haftet wegen der Vorenthaltung der Arbeitnehmeranteile durch die M. GmbH (deren alleinige eingetragene Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin sie war) ungeachtet der Frage, ob sie insoweit als "bloße Strohfrau" fungiert haben mag. Dass sie die ihr als Geschäftsführerin kraft Gesetzes zustehenden Kompetenzen nicht genutzt, sondern diese anderen überlassen haben will, vermag sie nicht zu entlasten; die vom Landgericht in Bezug genommene gegenteilige Auffassung (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Februar 2000, 1 Ss 1337/99 = BeckRS 9998, 25494) trifft nicht zu (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016, 3 StR 352/16; vgl. zur Haftung des Strohmann-Geschäftsführers auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., Rn. 96 zu § 43 m. w. N.). Die letztgenannte Entscheidung betrifft entgegen der Annahme der Beklagten weder eine andere Fallgestaltung, noch stellen die (sogar im Leitsatz der Entscheidung herausgestellten) Grundsätze bloße obiter dicta dar. Vielmehr "begründet allein die Stellung als formeller Geschäftsführer, mit der von Gesetzes wegen stets alle rechtlichen und damit auch tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten einhergehen, nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB dessen Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach außen. Dies gilt auch dann, wenn ihm - als "Strohmann" - rechtsgeschäftlich im Innenverhältnis keine bedeutsamen Kompetenzen übertragen wurden und für die Gesellschaft eine andere Person mit so weitreichenden Handlungskompetenzen auftritt, dass sie ihrerseits als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist".
2. Zutreffend nimmt die Klägerin an, dass es sich bei den bei der M. GmbH angestellten Telefonistinnen W. und M. nicht um Selbstständige, sondern um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt hat. Auf die formale Vertragsgestaltung, mit der die von der Beklagten vertretene Gesellschaft als Arbeitgeberin den Schein einer Selbstständigkeit herbeiführen wollte, kommt es nicht an. Selbst wenn, wie die Beklagte einzuwenden sucht, für die Telefonistinnen die Möglichkeit bestanden hätte, von Zuhause aus zu arbeiten, liegt die Annahme, die Mitarbeiterinnen seien deswegen selbstständig gewesen, gänzlich fern: Diese hatten vielmehr keine eigenen Betriebsmittel, durften ihre Arbeit nicht delegieren, mussten sich bei Erkrankung abmelden, Dienstpläne einhalten und unterlagen der Überwachung durch sogenannte Supervisoren. Die Beschäftigten wurden also überwacht und angewiesen und trugen kein unternehmerisches Risiko. Aus zutreffenden Gründen, auf die im Einzelnen verwiesen wird, sind daher die Deutsche Rentenversicherung, das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen davon ausgegangen, dass es sich bei den fraglichen Mitarbeiterinnen um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt hat (vgl. Anlagen K 6, K 7 und K 8, Bd. I, Bl. 45 ff. d. A.).
3. Die Beklagte handelte entgegen ihrer Auffassung zumindest bedingt vorsätzlich, selbst wenn sie sich, wie sie geltend macht, um die Einzelheiten der Beschäftigungsverhältnisse nicht gekümmert haben will, weil sie keine Veranlassung gesehen habe, "in irgendeiner Art und Weise Zweifel an der Korrektheit des Vorgehens bei der M. GmbH zu entwickeln". Soweit die Beklagte (vgl. den - allerdings nicht nachgelassenen - Schriftsatz vom 3. Mai 2017) vertiefend ausführt, sie sei davon ausgegangen, dass die fraglichen Mitarbeiterinnen "auch tatsächlich in der Lage wären, ihre Arbeitszeiten frei zu bestimmen", sind greifbare Anhaltspunkte für eine solche Annahme nicht im Ansatz ersichtlich. Die Mitarbeiterinnen hatten Kunden, die bspw. über eine "Telefonsex-Hotline" anriefen, an entsprechende Anbieterinnen weiterzuvermitteln. Eine frei und eigenverantwortlich mögliche Zeiteinteilung ist für eine derartige, situativ gebundene Tätigkeit undenkbar.
Das hat die Beklagte gewusst oder aber, wenn sie sich um nichts gekümmert haben will, billigend in Kauf genommen. Wer sich, wie es für ein Strohmannverhältnis typisch ist, nicht in eigener Person um seine Pflichten als Geschäftsführer kümmert, sondern sich auf etwaige, im Streitfall aber nicht näher benannte Hinterleute verlässt, handelt bedingt vorsätzlich.
Soweit die Beklagte - trotz der Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse oder in Ermangelung einer Kenntnis von diesen - davon ausgegangen wäre, bei den Beschäftigten handele es sich gleichwohl um selbstständig Tätige, würde es sich insoweit um einen (die Strafbarkeit und damit die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB nicht ausschließenden) vermeidbaren Verbotsirrtum handeln. Dass und in welcher Form die Beklagte eine belastbare gegenteilige rechtliche Auskunft erhalten habe, ist weder ersichtlich, noch auch nur im Ansatz konkret vorgetragen. Zudem wäre es insoweit erforderlich gewesen, dass die Beklagte zum Zweck der Einholung entsprechenden Rechtsrats dem befragten Fachmann die konkreten Umstände der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse detailliert geschildert hätte. Das ist vorliegend schon deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte geltend macht, diese selber nicht gekannt zu haben.
4. Die Höhe des Anspruchs der Klägerin ergibt sich aus der zutreffenden Berechnung im Schriftsatz vom 19. April 2017, in dem die Klägerin ihr Begehren auf die Arbeitnehmerbeiträge (ohne Säumniszuschläge oder Umlagen) betreffend die genannten Mitarbeiterinnen für den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Mai 2010 beschränkt hat.
Soweit die Beklagte im ersten Rechtszug geltend gemacht hat, die Mitarbeiterin W. sei Studentin gewesen, für die andere Regeln für Renten- und Arbeitslosenversicherung zu gelten hätten, hat sie konkrete Einwendungen gegen die auf die Berechnung der Deutschen Rentenversicherung aufsetzende Klagforderung, insbesondere wie sie sich bei der Anwendung des richtigen Beitragssatzes hätten darstellen sollen, nicht erhoben. Zudem ist sie dem Vortrag der Klägerin, dass und warum die Mitarbeiterin W. nicht als Werkstudentin, sondern als Arbeitnehmerin anzusehen ist (vgl. Bd. I, Bl. 250 ff. d. A.), nicht im Einzelnen entgegengetreten. Dass die Mitarbeiterin W., die im Durchschnitt ein recht beachtliches Monatseinkommen von ca. 1.000 € erzielt hat (und nebenher noch anderweit Parfüm-Promotion gemacht hat, vgl. die von der Beklagten vorgelegte und in Bezug genommene Anlage B 6, dort Seite 3, Bd. I, Bl. 246 d. A.), in dem fraglichen Zeitraum vorwiegend ihr Studium betrieben hätte, liegt zudem nicht nahe.
5. Die Nebenforderungen der Klägerin gründen sich auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Allerdings hat sich die Beklagte infolge des Schreibens der P. vom 6. September 2011 (Anlage K 5 im gesonderten Hefter), auf welches sich die Klägerin zur Verzugsbegründung bezieht, nur hinsichtlich eines Betrags von 9.460,69 € in Verzug befunden. Im Übrigen ist erst die klagerweiternde Berufungsbegründung verzugsbegründend gewesen. Wegen der teilweise darüber hinausgehend geltend gemachten Zinsforderung waren die Klage abzuweisen und die Berufung entsprechend zurückzuweisen.
6. Entsprechend dem Antrag der Klägerin war festzustellen, dass die Klageforderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (nämlich der Straftat des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen) beruht.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren entspricht der Höhe der jeweils verfolgten Zahlungsforderung.
Dem Feststellungsantrag kommt keine streitwerterhöhende Wirkung zu, da er mit dem Leistungsantrag wirtschaftlich identisch ist (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013, II ZR 46/13, NJW-RR 2013, 1022).