13.07.2017 · IWW-Abrufnummer 195111
Finanzgericht Münster: Beschluss vom 06.02.2017 – 7 V 3973/16 U
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner die Antragsteller zu Recht als Haftungsschuldner für Umsatzsteuerrückstände in Anspruch genommen hat.
4Die Antragsteller sind Geschäftsführer der Firma X. GmbH, welche wiederum Komplementärin der Firma X. GmbH & Co. KG (X. KG) ist.
5Mit Schreiben vom 08.12.2014 stellte die X. KG, vertreten durch die X. GmbH und diese wiederum vertreten durch ihre Geschäftsführer, die Antragsteller, einen Insolvenzantrag verbunden mit einem Antrag auf Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung.
6Durch Beschluss des Amtsgerichts Q. vom 08.12.2014 wurde die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet und als vorläufiger Sachwalter Herr Rechtsanwalt N1. bestellt.
7Mit Bescheiden vom 18.12.2014 wurden die rückständigen Umsatzsteuern für die Veranlagungszeiträume 2008-2011 der X. KG aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung festgesetzt. Die Umsatzsteuerrückstände für 2013 und die Voranmeldungsbeträge Oktober und November 2014 wurden erklärungsgemäß festgesetzt. Diese Rückstände wurden nicht bzw. nicht vollständig bezahlt, durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg. Das Insolvenzverfahren wurde am 27.04.2015 eröffnet.
8Mit Datum vom 16.11.2016 erließ der Antragsgegner jeweils einen Haftungsbescheid nach §§ 191 Abs. 1 i.V.m. §§ 69, 34 AO über 8.625,53 € gegenüber den Antragstellern für Umsatzsteuerrückstände der X. KG. Insgesamt belaufen sich die Umsatzsteuerrückstände auf 648.937,19 € zzgl. 30.347,00 € Säumniszuschläge, wegen der Zusammensetzung der Rückstände wird auf die Anlage 1 zum Haftungsbescheid verwiesen. Der Antragsgegner ging bei der Berechnung des Haftungsbetrages von einer Haftungsquote in Höhe von 5,88% aus, wegen der Berechnung der Haftungsquote und des Haftungsbetrages im Einzelnen wird auf die Anlage 2 zum Haftungsbescheid (Bl. 36 der Gerichtsakte) verwiesen. Als Beginn des Haftungszeitraums legte der Antragsgegner den 10.11.2014 fest, wobei er davon ausging, dass in der nicht rechtzeitigen Zahlung der Umsatzsteuervoranmeldung Oktober 2014 die erste Pflichtverletzung zu sehen sei.
9Gegen den Haftungsbescheid legten die Antragsteller mit Schreiben vom 01.12.2016 Einspruch ein, zugleich beantragten sie dessen Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung trugen sie vor, dass mit Insolvenzantragstellung ein geändertes insolvenzrechtliches Pflichtenprogramm entstehe, wonach der Geschäftsführer Forderungen von ungesicherten Insolvenzgläubigern nur noch quotal bedienen dürfe. Steuerschulden dürften nicht vorrangig gegenüber sonstigen Verbindlichkeiten befriedigt werden, da diese keine betriebsnotwendigen Zahlungen darstellten.
10Mit Schreiben vom 16.12.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
11Mit ihrem am 20.12.2016 beim Finanzgericht eingegangenen Antrag verfolgen die Antragsteller ihr auf Aussetzung der Vollziehung gerichtetes Begehren gerichtlich weiter.
12Sie sind der Auffassung, dass die Haftung der Geschäftsführer mit Stellung des Insolvenzantrags bzw. der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung am 08.12.2014 ende. Zur Begründung dieses Standpunkts führen sie aus, dass für den Geschäftsführer bei bestehender Eigenverwaltung eine Pflichtenkollision bestehe, da der Geschäftsführer im Interesse aller Gläubiger auch zur Massesicherung verpflichtet sei und bei Verstößen nach § 64 Satz 1 GmbHG hafte. Zudem hafte ein Geschäftsführer nicht nach §§ 34, 69 AO, wenn – wie im Streitfall – eine widersprüchliche Rechtslage vorliege und von einer unverschuldeten Unkenntnis des Geschäftsführers über die zutreffende Rechtslage auszugehen sei.
13Die Antragsteller beantragen,
141. die Vollziehung der Haftungsbescheide des Antragsgegners vom 16.11.2016 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
152. soweit die Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, die Verwirklichung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben.
163. im Unterliegensfall die Beschwerde zuzulassen.
17Der Antragsgegner beantragt,
18den Antrag abzulehnen.
19Er ist der Auffassung, dass die Pflichten des Geschäftsführers wegen der noch fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch während des Eigenverwaltungsverfahrens noch erfüllt werden müssten und erst mit der tatsächlichen Insolvenzeröffnung am 27.04.2015 geendet hätten. Die Haftung nach der AO sei gegenüber der Pflicht zur Massesicherung vorrangig. Eine Haftung nach § 64 GmbHG drohe nicht, da im Falle einer Befolgung steuerrechtlicher Vorschriften das Verhalten des Geschäftsleiters als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar angesehen werden müsse. Die im Urteil des BFH vom 23.09.2008 (Az: VII R 27/07) aufgestellten Grundsätze seien auf den Streitfall übertragbar. Gegen die Haftungsquote seien keine eigenständigen Einwände erhoben worden, diese sei aufgrund der von den Antragstellern selbst eingereichten Unterlagen ermittelt worden.
20II.
21Der Antrag hat keinen Erfolg.
22Gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag den Verwaltungsakt aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
23I. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO liegen vor, wenn bei Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung, Beschluss des BFH vom 23.08.2007 – VI B 42/07, BStBl II 2007, 799). Die Aussetzung der Vollziehung setzt jedoch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso auszuschließen ist wie der Misserfolg (BFH, Beschluss vom 23.08.2007 – VI B 42/07, BStBl II 2007, 799). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (BFH, Beschluss vom 11.06.1968 – VI B 94/67, BStBl II 1968, 657). Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere die Akten der Behörde oder andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH, Beschluss vom 14.02.1989 – IV B 33/88, BStBl. II 1989, 516).
24Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Haftungsbescheide, der Antragsgegner dürfte die Antragsteller zu Recht im Rahmen der sog. Geschäftsführerhaftung gem. §§ 191, 69, 34 AO in Anspruch genommen haben.
25Gem. § 191 Abs.1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist zweigliedrig. Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen möchte, die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob es einen Haftungsschuldner (Entschließungsermessen) oder welchen von mehreren Verantwortlichen es als Haftenden in Anspruch nimmt (Auswahlermessen). Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 191 Rdn. 29).
261. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor.
27Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Nach § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
28a) Die Antragsteller waren als Geschäftsführer der X. GmbH zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten der X. KG verpflichtet. Die X. KG ist eine nicht rechtsfähige Personenvereinigung im Sinne des § 34 AO. Geschäftsführerin der X. KG war im Streitfall die X. GmbH als deren einzige persönlich haftende Gesellschafterin (§ 164 HGB). Die Antragsteller als gesetzliche Vertreter der X. GmbH (§ 35 GmbHG) waren mithin auch zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten der X. KG verpflichtet (vgl. BFH, Urt. vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100).
29b) Die Antragsteller haben ihre Pflichten als Geschäftsführer grob fahrlässig verletzt und es ist hierdurch zu Steuerausfällen gekommen.
30aa) Die Antragsteller haben im Streitfall Pflichtverletzungen im Rahmen ihrer Geschäftsführertätigkeit begangen.
31Reichen die finanziellen Mittel der Gesellschaft nicht zur Befriedigung aller Gläubiger aus, so begeht der gesetzliche Vertreter eine Pflichtverletzung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO, wenn er es versäumt, die Steuerschulden der Gesellschaft in etwa in dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Forderungen der anderen Gläubiger, sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776; BFH, Urt. vom 16.09.1987 – X R 3/81, BFH/NV 1988, 283).
32Im Streitfall haben die Antragsteller im Haftungszeitraum Forderungen anderer Gläubiger in größerem Umfang getilgt als die Steuerschulden beim Antragsgegner.
33Die Antragsteller waren entgegen ihrer Auffassung auch trotz der Stellung des Insolvenzantrags und der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung als Geschäftsführer zur Zahlung der Steuerrückstände unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung verpflichtet.
34Nach der Rechtsprechung des BFH befreit allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Haftung wegen Nichtabführung von Lohnsteuer. Denn der Geschäftsführer ist nach der Rechtsprechung des BFH solange verpflichtet, die Steuerverbindlichkeiten des Steuerschuldners zu zahlen, bis diesem durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird (BFH, Urt. vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BStBl II 2009, 129; FG Köln, Urt. vom 25.02.2014 – 10 K 2954/10, EFG 2014, 1350; Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 69 Rdn. 43a). Die Rechtsposition des Geschäftsführers als gesetzlicher Vertreter des (Steuer-)Schuldners und dessen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Außenverhältnis wird auch durch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht beschränkt (Sonnleitner/Winkelhog, BB 2015, 88, 95; Thole, DB 2015, 662 unter III. 1. a); Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 240. Lieferung 11.2016, § 69 AO Rdn. 41e).
35Die von der Antragstellerin dargelegte Pflichtenkollision und das Risiko einer Haftung des Geschäftsführers wegen Verletzung der Massesicherungspflicht bestehen nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, auch in den Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung nicht. Der BFH hat ausgeführt, dass die Haftung §§ 69, 34 AO auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist falle, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 a.F. GmbHG (nunmehr geregelt in § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) eingeräumt ist. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, dass es dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden könne, die Massesicherungspflicht zu erfüllen und fällige Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch einer persönlichen Haftung nach §§ 69, 34 AO ausgesetzt sehe. Ein solches Verhalten müsse vielmehr mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gem. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (nunmehr § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) als vereinbar angesehen werden (BFH, Urt. vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BStBl II 2009, 129). Nach Auffassung des Senates kann für die im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung ebenfalls geltende Massesicherungsplicht nichts anderes gelten. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 64 Satz 1, 2 GmbHG könnte vielmehr allenfalls dann vorliegen, wenn der Geschäftsführer „überproportional“ auf die Umsatzsteuer leisten würde (so Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1410).
36Nach Auffassung des Senates führt die (drohende) Geschäftsführerhaftung nach §§ 69, 34 AO für Umsatzsteuerschulden auch nicht dazu, dass die Insolvenzforderungen des Fiskus vorrangig gegenüber den Forderungen der anderen Insolvenzgläubiger befriedigt werden und es somit zu einer Verletzung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes kommt (so aber Sonnleitner/Winkelhog, BB 2015, 88 (96); Thole, DB 2015, 662 unter III. 1. a); Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2549; Frind, GmbHR 2015, 128, 131; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 240. Lieferung 11.2016, § 69 AO Rdn. 41e). Vielmehr greift die Geschäftsführerhaftung nur dann ein, wenn ein Geschäftsführer – wie im Streitfall – trotz bestehender Massesicherungspflicht andere Gläubiger (unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes) bevorzugt gegenüber dem Fiskus befriedigt hat. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung führt auch nicht zu einer vollständigen Befriedigung der Forderungen des Fiskus, sondern lediglich zu einer Gleichbehandlung mit dem Durchschnitt der übrigen Gläubiger und verhindert so eine Benachteiligung des Fiskus durch die Geschäftsführer in der Eigenverwaltung. Durch die Haftung nach §§ 69, 34 AO wird keine vorrangige, sondern lediglich die gleichmäßige Befriedigung des Fiskus sichergestellt (Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 69 Rdn. 58 ff.). Es soll verhindert werden, dass Sanierungsbemühungen auf Kosten der staatlichen Solidargemeinschaft erkauft werden (Haas/Kolmann/Pauw, in: Gottwald Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015, § 92 Rdn. 224; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rdn. 363). Der Fiskus hat lediglich gegenüber anderen ungleich behandelten Gläubigern den Vorteil, dass er aus §§ 34, 69 AO einen direkten Haftungsanspruch gegen die Geschäftsführer hat und nicht auf den Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG beschränkt ist. Diese Besserstellung des Fiskus in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist aber nach Auffassung des Senates in Anbetracht des Umstands, dass das Interesse der Geschäftsleitung an der Befriedigung des Fiskus oftmals geringer ist, sachlich gerechtfertigt.
37bb) Die Antragsteller haben ihre Pflichten auch grob fahrlässig verletzt.
38Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Handelnde gesetzliche Vorschriften nicht beachtet, deren Beachtung von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden muss (vgl. BFH, Beschluss vom 07.03.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 ff. m.w.N.). Die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers im Sinne des § 69 AO zu stellen sind, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falles (BFH, Beschluss vom 05.03.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.).
39Verfügte die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Steuerfälligkeit oder danach nicht über ausreichende Finanzmittel, um sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten einschließlich der Steuerschulden tilgen zu können, so handelt der Geschäftsführer grob fahrlässig im Sinne der Haftungsnorm des § 69 Satz 1 AO, wenn er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa gleichmäßigen Befriedigung der (Umsatz-)Steuerschulden und der sonstigen Gesellschaftsverbindlichkeiten einsetzt, sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung (BFH, Urt. vom 26.03.1985 – VII R 139/81, BStBl II 1985, 539; FG Saarland, Urt. vom 27.09.1990 – 2 K 14/86, EFG 1991, 293).
40Im Streitfall haben die Antragsteller unstreitig die Umsatzsteuerschulden im Haftungszeitraum nicht im gleichen Umfang wie die sonstigen Gesellschaftsverbindlichkeiten getilgt.
41Soweit die Antragsteller vortragen, dass im Hinblick auf Pflicht zur Zahlung von Steuerverbindlichkeiten in der Eigenverwaltung wegen der bestehenden Pflichtenkollision zwischen Masseerhaltungspflicht und Steuerzahlungspflicht eine ungeklärte Rechtslage vorliege und die Annahme einer groben Fahrlässigkeit deshalb ausgeschlossen sei, so folgt der Senat dem nicht. Denn nach der Rechtsprechung des BFH konnte es im Streitzeitraum als geklärt angesehen werden, dass eine zivilrechtliche Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG nicht droht, wenn und soweit die Zahlungen von Steuerverbindlichkeiten zur Abwendung der Haftung nach §§ 69, 34 AO erfolgten (BFH, Urt. vom 23.09.2008 - VII R 27/07, BStBl II 2009, 129; FG Köln, Urt. vom 25.03.2014 – 10 K 2954/10, EFG 2014, 1350).
42cc) Die grob fahrlässige Pflichtverletzung war auch kausal für den Steuerausfall.
43Eine Pflichtverletzung ist dann ursächlich für den Haftungsschaden, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776). Verwendet der Geschäftsführer Mittel der Gesellschaft, ohne auf künftig fällige Steuerschulden Rücksicht zu nehmen, so ist das nur dann eine für den Schaden ursächliche Pflichtverletzung, wenn feststeht, dass der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten bei Fälligkeit der Steuerschulden befriedigt worden wäre (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776).
44Dabei ist der oben genannte Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten. Der Geschäftsführer hat rückständige Steuerschulden in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, sofern die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht ausreichen (ständige Rechtsprechung vgl. BFH, Beschluss vom 31.03.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322 m.w.N.). Bei dieser Berechnung sind einerseits die gegenüber dem Fiskus und anderen Gläubigern bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, diesen sind die gegenüber dem Fiskus während des Haftungszeitraums auf die gesamten rückständigen Steuerverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen (bspw. Teilzahlungen und Vorauszahlungen) sowie Zahlungen gegenüber anderen Gläubigern gegenüberzustellen. Ergibt sich hiernach eine Benachteiligung des Fiskus, so liegt im Umfang des durch die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat, sog. Haftungssumme (FG Köln, Urt. vom 06.11.2014 – 13 K 1065/13, EFG 2015, 612).
45Nach diesen Grundsätzen ist die vom Antragsgegner auf der Basis der von den Antragstellern eingereichten Unterlagen ermittelte Tilgungsquote und der hieraus errechnete Haftungsschaden nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben auch keine Einwände gegen die Ermittlung der Haftungsquote/des Haftungsschadens vorgetragen. Der Vortrag der Antragsteller zur Haftungsquote richtet sich vielmehr allein gegen die Haftung dem Grunde nach.
46dd) Die Haftung der Antragsteller als Geschäftsführer entfällt auch nicht infolge einer möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO.
47Denn nach der Rechtsprechung des BFH hindert die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung von Steuern eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen. Die Kausalität der Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden kann nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden. Die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers entfällt deshalb nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (BFH, Urt. vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BStBl II 2009, 129; BFH, Urt. Vom 26.01.2016 – VII R 3/15, BFH/NV 2016, 893; FG Köln, Urt. vom 25.02.2014 – 10 K 2954/10, EFG 2014, 1350 m.w.N.).
482. Der Antragsgegner hat das ihm gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
49a) Der Antragsgegner hat sein Entschließungsermessen im Streitfall fehlerfrei ausgeübt.
50Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass Vollstreckungsversuche in das Vermögen der Gesellschaft im Hinblick auf die fruchtlose Pfändung ohne Erfolg geblieben seien, so dass eine vollständige Tilgung der Steuern und sonstigen Rückstände in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Ein solcher Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung rückständiger Steuern durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner stellt nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig eine ausreichende Begründung des Entschließungsermessens dar (BFH, Urt. vom 13.06.1997 – VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; BFH, Urt. vom 29.09.1987 – VII R 54/84, BStBl II 1988, 176; FG Köln, Urt. vom 06.11.2014 – 13 K 1065/13, EFG 2015, 612).
51b) Der Antragsgegner hat auch sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.
52Der Antragsgegner hat die Antragstellerin und den Antragsteller als alleinige (mittelbare) Vertreter und damit alle potentiellen Haftungsschuldner als Gesamtschuldner in Anspruch genommen. Eine Verantwortlichkeit weiterer Personen ist weder von den Antragstellern behauptet worden noch nach Aktenlage ersichtlich.
53II. Die Vollziehung hätte für die Antragsteller auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge.
54Eine unbillige Härte ist dann anzunehmen, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH, Beschluss vom 08.01.2007 – XI S 2/06, BFH/NV 2007, 868; BFH, Beschluss vom 02.04.2009 – II B 157/08, BFH/NV 2009, 1146). Die für eine unbillige Härte sprechenden Umstände können jedoch nur insoweit berücksichtigt werden, als diese bis zur Entscheidung substantiiert vorgetragen und – ggf. durch präsente Beweismittel – glaubhaft gemacht worden sind. Allgemeine Floskeln genügen nicht, vielmehr müssen gerade die wirtschaftlichen Verhältnisse des Einzelfalles dargelegt werden (BFH, Beschluss vom 03.06.2009 – IV B 48/09, BFH/NV 2009, 1641).
55Auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte kommt eine Aussetzung der Vollziehung jedoch nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen (Steuer-)Bescheides nicht ausgeschlossen werden können (BFH, Beschluss vom 02.11.2004 – XI S 15/04, BFH/NV 2005, 490 und BFH, Beschluss vom 02.04.2009 – II B 157/08, BFH/NV 2009, 1146).
56Im Streitfall haben die Antragsteller schon nicht dargelegt, dass ihnen aufgrund der Vollziehung des Haftungsbescheides existenzgefährdende Nachteile drohen. Im Übrigen bestehen nach den unter Ziff. I dargestellten Grundsätzen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
58Die Beschwerde war nicht gem. § 128 Abs. 3 Satz 1, 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, da der Senat den vom BFH im Urteil vom 23.09.2008 (Az: VII R 27/07) aufgestellten Grundsätzen folgt.