18.07.2018 · IWW-Abrufnummer 202391
Finanzgericht Münster: Urteil vom 08.06.2018 – 1 K 1085/17 L
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.03.2017 die Lohnsteueranmeldungen der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2014 nach Maßgabe der Entscheidungsgründe zu ändern.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand:
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Nachdem die Klägerin ihr Klagebegehren zwischenzeitlich eingeschränkt hat, ist nunmehr noch streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis einschließlich Juni 2014 (Streitzeitraum) hat.
3
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus den Gesellschaftern Dr.1, Dr.2 und Dr.3. Sie betreibt in A eine kardiologische Fachpraxis. Während des Streitzeitraums erwirtschaftete sie einen Umsatz in Höhe von ca. 1,5 Mio. EUR pro Jahr und beschäftigte zwischen 15 und 23 Mitarbeiter. Eine der Mitarbeiterinnen der Klägerin war eine Frau B, die auf der Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses seit dem 01.01.2006 für die Klägerin tätig war und überwiegend Buchhaltungsaufgaben wahrnahm. Das nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsentgelt, das die Klägerin bis einschließlich Juni 2010 mit 2 % pauschal versteuerte, belief sich auf 400 EUR. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 10 Stunden, die an zwei Tagen zu erbringen waren.
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Im Juni 2010 legte Frau B einem der Gesellschafter der Klägerin – Herrn Dr.3– den Text für einen weiteren bzw. geänderten Arbeitsvertrag zwischen ihr als Arbeitnehmerin und der Klägerin als Arbeitgeberin vor. Nach diesem Vertragstext sollten die regelmäßige Arbeitszeit von Frau B nunmehr 38,5 Stunden wöchentlich und das Bruttomonatsgehalt 1.700 EUR betragen. Des Weiteren sollte Frau B eine der Höhe nach nicht bezifferte jährliche Weihnachtsgratifikation erhalten. Der Arbeitsvertrag wurde von Herrn Dr.3 und Frau B unterzeichnet und sollte am 01.07.2010 beginnen.
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Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass Herr Dr.3 den Arbeitsvertrag in Unkenntnis seines Inhalts und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch Frau B unterzeichnet hat.
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In der Folgezeit veranlasste Frau B die Überweisung der nachfolgend dargestellten Jahresbruttoarbeitslöhne und führte die hierauf entfallenden Lohn- und Annexsteuern an den Beklagten ab:
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Zeitraum
Bruttoarbeitslohn
Lohnsteuer
Solidaritätszuschlag
Kirchensteuer
01.07.-31.12.2010
10.162,60 EUR
2.093,47 EUR
115,09 EUR
188,37 EUR
01.01.-31.12.2011
21.933,68 EUR
4.668,31 EUR
256,72 EUR
420,11 EUR
01.01.-31.12.2012
22.140,00 EUR
4.722,00 EUR
259,68 EUR
424,92 EUR
01.01.-31.12.2013
23.940,00 EUR
5.277,96 EUR
290,28 EUR
474,96 EUR
01.01.-31.12.2014
29.340,00 EUR
6.961,92 EUR
382,80 EUR
626,52 EUR
01.01.-31.12.2015
30.540,00 EUR
7.341,43 EUR
403,72 EUR
660,63 EUR
Summen:
138.056,28 EUR
31.065,09 EUR
1.708,29 EUR
2.795,51 EUR
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Wegen der im Einzelnen pro Lohnsteueranmeldezeitraum (Monat) angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge wird auf die Auszüge aus den entsprechenden Lohnkonten der Klägerin Bezug genommen.
9
Die Beteiligten stimmen darin überein, dass Frau B auf die vorstehend genannten Arbeitsentgelte keinen Anspruch hatte (vgl. Bl. 67 d. GA). Die Auszahlung der überhöhten Arbeitsentgelte und die hiermit im Zusammenhang stehenden Lohnsteueranmeldungen erfolgten ohne bzw. gegen den Willen der Klägerin und wurden von dieser zunächst auch nicht bemerkt.
10
Frau B wurde in den Jahren 2010 bis 2015 mit ihrem Ehemann von dem Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei legte der Beklagte unter anderem die vorstehend dargestellten Bruttoarbeitslöhne der Besteuerung zugrunde und rechnete die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohn- und Annexsteuern an.
11
In der Zeit vom 23. bis 24.04.07.2014 führte der Beklagte eine Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin durch, die im Wesentlichen von Frau B begleitet wurde. Die Prüfung führte zu keinen Beanstandungen. Infolgedessen hob der Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2014 den Vorbehalt der Nachprüfung für die von der Klägerin abgegebenen Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2014 auf.
12
Im Dezember 2015 erkannte die Klägerin die von Frau B veranlassten überhöhten Lohnzahlungen. Es wurde ferner festgestellt, dass Frau B weitere erhebliche finanzielle Mittel durch diverse Überweisungen veruntreut hatte. Frau B nahm sich am 18.12.2015 das Leben.
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Am 29.01.2016 vereinbarte die Klägerin mit dem Ehemann der verstorbenen Frau B, dass der Ehemann als Erbe der Verstorbenen zur Schadenskompensation einen Betrag in Höhe von 140.000 EUR aus dem Nachlass der Verstorbenen und seinem Privatvermögen an die Klägerin zahlt.
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Mit Schreiben vom 11.03.2016 (Eingang beim Finanzamt am selben Tag) beantragte die Klägerin – vertreten durch ihren derzeitigen Prozessbevollmächtigten – eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Juli 2010 bis Dezember 2015. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei den von Frau B an sich selbst veranlassten Zahlungen nicht um Arbeitslohn im Sinne des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handele und die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohnsteuerbeträge daher zu erstatten seien.
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Mit Bescheid vom 16.03.2016 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass keine Änderungsmöglichkeit bestünde.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 14.04.2016 (Eingang beim Finanzamt am selben Tag) Einspruch ein und führte unter anderem aus, dass das Finanzamt den entscheidungserheblichen Sachverhalt noch nicht zutreffend erfasst habe.
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Im Nachgang zu einer Besprechung an Amtsstelle am 07.06.2016 erließ der Beklagte am 22.06.2016 einen Teilabhilfebescheid und änderte die Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Dezember 2011 und Juli 2014 bis Dezember 2015 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) dahingehend, dass die für diese Zeiträume für Frau B angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge aus den Anmeldungen herausgenommen wurden.
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Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 30.03.2017 als unbegründet zurück.
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Zur Begründung wird angeführt, dass eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Zeiträume Juli 2010 bis November 2011 bereits deshalb nicht in Betracht komme, weil für diese Zeiträume im Zeitpunkt des Eingangs des Änderungsantrags (11.03.2016) Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Für die übrigen noch streitigen Lohnsteueranmeldezeiträume (Januar 2012 bis Juni 2014) sei zwar noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Änderung im Sinne der Klägerin komme aber deshalb nicht in Betracht, da die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift nicht gegeben seien. Denkbar wäre allenfalls eine Änderung nach § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG. Hierbei handele es sich um eine spezialgesetzliche Ausnahmeregelung zu § 164 Abs. 2 AO. Danach sei eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer nach § 164 Abs. 2 AO nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft habe, für die Lohnsteuer einbehalten worden sei. Ein vergleichbarer Sachverhalt sei vorliegend zwar gegeben. Allerdings seien die Nachprüfungsvorbehalte bereits mit Bescheid vom 29.07.2014 aufgehoben worden, so dass die in dieser Spezialnorm vorgesehene Änderungsvorschrift nicht mehr anwendbar sei. Eine andere Änderung als die nach § 164 AO sehe das Gesetz nicht vor.
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Die Neuregelung des § 41c EStG sei erstmals für den gesamten Veranlagungszeitraum 2014 anzuwenden. Betroffen seien daher alle Änderungsanträge nach § 164 Abs. 2 AO, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden sei und zwar auch dann, wenn sie – die Änderungsanträge – Lohnsteueranmeldungen für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen. Die darin liegende Rückwirkung sei wegen der zunächst unklaren Rechtslage und mit Blick darauf, dass sich ein Vertrauen des Arbeitgebers in die anderslautende Rechtsprechung des BFH nicht habe bilden können, auch verfassungsrechtlich zulässig.
21
Die Klägerin hat am 06.04.2017 die vorliegende Klage erhoben.
22
Sie hat zunächst die Änderung der Lohnsteueranmeldungen sowohl für die Zeiträume Juli 2010 bis November 2011 als auch für Januar 2012 bis Juni 2014 geltend gemacht. Die angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge seien für diese Zeiträume um insgesamt 21.614,49 EUR zu reduzieren.
23
Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens hat sie die Klage für die Lohnsteueranmeldezeiträume Juli 2010 bis November 2011 zurückgenommen (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 08.06.2018).
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Zur Begründung des danach verbleibenden Klagebegehrens führt sie an, dass der BFH in seiner Entscheidung vom 13.11.2012 (Az. VI R 38/11) ausgeführt habe, dass veruntreute Beträge keinen Arbeitslohn darstellten und die hiermit einhergehenden Lohnsteueranmeldungen auch nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nach Maßgabe der „allgemeinen Korrekturvorschriften“ änderbar seien. Zwar seien die „allgemeinen Korrekturvorschriften“ im Einzelnen in dem Urteil nicht benannt, da in dem entschiedenen Fall eine Änderungsmöglichkeit nach § 164 Abs. 2 AO bestanden habe. Gleichwohl bedeute dies nicht, dass die allgemeinen Korrekturvorschriften für entsprechend gelagerte Sachverhalte nicht heranzuziehen seien. Der Beklagte beschränke sich demgegenüber auf die „Spezialregelung“ des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG i. V. m. § 164 Abs. 2 AO und lasse die durch den BFH ausdrücklich angeführten allgemeinen Korrekturvorschriften nicht zu. § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG sei nur in den Fällen einschlägig, in denen die Steueranmeldung nach § 164 Abs. 2 AO noch änderbar sei. Hierdurch werde die Anwendung anderer Korrekturvorschriften aber nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Änderung der noch streitgegenständlichen Lohnsteueranmeldungen komme daher insbesondere aufgrund der Regelungen der § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 und § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, die Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 dahin gehend zu ändern, dass die angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge um 15.435,42 EUR reduziert werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung vom 30.03.2017.
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In der Sache hat am 14.07.2017 ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Auf das Protokoll (Bl. 63 ff. d. GA) wird Bezug genommen.
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Der Senat hat am 08.06.2018 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.
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I. Der Ablehnungsbescheid vom 16.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.03.2017 ist rechtswidrig, soweit es der Beklagte abgelehnt hat, die Lohnsteueranmeldungen der Klägerin für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis einschließlich Juni 2014 um die für Frau B angemeldeten und abgeführten Lohn- und Annexsteuerbeträge zu ändern. Insoweit ist die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Reduzierung der Lohn- und Annexsteuern für den Streitzeitraum in Höhe von insgesamt 15.435,42 EUR.
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Dieser Anspruch folgt – entgegen der Auffassung der Klägerin – allerdings nicht aus§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Offen bleiben kann, ob § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO der Klägerin einen Anspruch auf Änderung vermittelt. Der Beklagte ist jedenfalls verpflichtet, die Lohnsteueranmeldungen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO zu ändern (dazu 1.). Die Regelung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schließt eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht aus (dazu 2.).
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1. Lohnsteueranmeldungen sind Steuererklärungen im Sinne des § 150 Abs. 1 Satz 3 AO, bei denen der Arbeitgeber die an das Finanzamt abzuführende Steuer selbst zu berechnen hat. Kraft gesetzlicher Anordnung steht die Lohnsteueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§§ 167, 168 AO) und kann – ohne weitere Voraussetzungen – grundsätzlich jederzeit bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist. Darüber hinaus sind auf (formell bestandskräftige) Lohnsteueranmeldungen die allgemeinen Korrekturvorschriften der Abgabenordnung (§§ 172 ff. AO) anwendbar (siehe BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, BFHE 239, 403, BStBl. II 2013, 929; BFH-Beschluss vom 14.07.1999 I B 151/98, BFHE 190, 1, BStBl. II 2001, 556 zur Kapitalertragsteuer).
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a) Eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen nach Maßgabe des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist vorliegend ausgeschlossen. Die erst nach Abgabe der betreffenden Lohnsteueranmeldungen erlangte Kenntnis hinsichtlich der Vorgehensweise der Frau B stellt kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Ob vorliegend – wie die Klägerin meint – (auch) eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht kommt, ist zumindest zweifelhaft.
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Zwar stellt der Umstand, dass sich Frau B unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Arbeitsentgelte überwiesen hat, ohne hierauf – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – einen Anspruch zu haben, eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen könnte allerdings nach § 173 Abs. 2 AO ausgeschlossen sein. Nach dieser Vorschrift können Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, abweichend von § 173 Abs. 1 AO nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerhinterziehung vorliegt. Diese Rechtsfolge gilt auch in den Fällen, in denen dem Steuerpflichtigen von der Finanzbehörde schriftlich mitgeteilt wird, dass die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat (vgl. § 173 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO).
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Da die bei der Klägerin für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 durchgeführte Lohnsteueraußenprüfung zu keinen Beanstandungen geführt hat und die Klägerin hierauf am 29.07.2014 schriftlich im Zusammenhang mit der Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts hingewiesen worden ist, greift die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO ihrem Wortlaut nach ein. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Außenprüfung auf Seiten der Klägerin im Wesentlichen von der Arbeitnehmerin begleitet worden ist, die die inhaltlich falschen Lohnsteueranmeldungen durch unlautere Mittel selbst veranlasst hat. Es dürfte nahe liegen, dass die Aufklärung des wahren lohnsteuerrechtlich relevanten Sachverhalts im Rahmen der Prüfung dadurch erschwert worden ist. Ob auch in solchen Fällen, die dem Rechtsfrieden dienende Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO anzuwenden ist, muss der Senat abschließend nicht entscheiden, da die Lohnsteueranmeldungen vorliegend auch dann zu ändern sind, wenn eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen § 173 Abs. 2 AO ausgeschlossen sein sollte.
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b) Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis einschließlich Juni 2014 nämlich auf die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO stützen.
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Nach diesem Korrekturtatbestand darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erfordert die Norm darüber hinaus, dass der zu ändernde Steuerbescheid rechtswidrig ist. Auf Rechtfolgenseite räumt die Vorschrift den Finanzbehörden ein Ermessen ein. Ein gebundener Anspruch des Steuerpflichtigen auf Änderung des betreffenden Steuerbescheides setzt demnach neben der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes voraus, dass das Ermessen der Finanzbehörde in dem konkreten Einzelfall zugunsten eine Änderung des Bescheides auf null reduziert ist.
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
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aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO liegen im Streitfall vor.
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(1) Die streitgegenständlichen Lohnsteueranmeldungen der Klägerin für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 sind rechtswidrig, soweit Lohn- und Annexsteuerbeträge für die (vermeintlichen) Arbeitsentgelte angemeldet worden sind, die sich Frau B ohne Wissen und Wollen der Klägerin selbst überwiesen hat. Denn insoweit stellen die Zahlungen keinen Arbeitslohn im Sinne des § 19 EStG dar, für den gemäß § 38 Abs. 1 EStG Lohnsteuer anzumelden und abzuführen ist.
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Zum Arbeitslohn gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 2 Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) alle Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach Satz 2 der zuletzt genannten Vorschrift ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht. Unerheblich ist auch, ob Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können. Zum Arbeitslohn gehören daher auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern kann. Überweist sich ein Arbeitnehmer – wie im Streitfall – jedoch Geldbeträge eigenmächtig unter Überschreitung seiner Befugnisse fehlt es an dem Merkmal der „Gewährung“ von Vorteilen. Arbeitslohn liegt in diesem Fall nicht vor, so dass hierauf auch keine Lohnsteuer anzumelden und abzuführen ist (vgl. BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, a. a. O.).
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(2) Die betreffenden Lohnsteueranmeldungen sind auch durch unlautere Mittel – nämlich durch eine Täuschung der bei der Klägerin angestellten Frau B – erwirkt worden.
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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass Frau B die Unterzeichnung des (geänderten) Arbeitsvertrages durch eine Täuschung des Herrn Dr. veranlasst hat. Die Beteiligten stimmen ferner darin überein, dass die ab dem 01.07.2010 vorgenommenen Überweisungen und die hierauf angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge ohne bzw. gegen den Willen der Klägerin vorgenommen worden sind, mithin also ein eigenmächtiges Vorgehen der Arbeitnehmerin gegeben ist. Unbeachtlich ist dabei, dass die unlauteren Mittel vorliegend nicht durch eine am Steuerrechtsverhältnis Beteiligte Person eingesetzt worden sind. Der Änderungstatbestand des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO setzt lediglich das Erwirken des Steuerbescheids durch unlautere Mittel voraus, ohne den Kreis derjenigen Personen zu benennen, die die unlauteren Mittel einsetzen müssen. Daher ist die Änderungsnorm auch dann anwendbar, wenn sich ein Dritter – wie vorliegend eine Arbeitnehmerin des Lohnsteuerentrichtungsschuldners – der unlauteren Mittel bedient (siehe BFH-Urteil vom 14.12.1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl. II 1995, 293).
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(3) Der Anwendbarkeit des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO steht die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nicht entgegen. Diese ist – wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt („Abweichend von Abs. 1…“) – erkennbar nur auf die Fälle des § 173 Abs. 1 AO beschränkt und greift auch dann im Rahmen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO nicht ein, wenn dessen tatbestandliche Voraussetzungen zugleich neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.1994 XI R 80/92, a. a. O.).
51
bb) Aus der Formulierung „Ein Steuerbescheid darf […] geändert werden“ ergibt sich nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass die Änderung von Steuerbescheiden auf der Grundlage des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist. (siehe BFH-Urteil vom 12.10.1994 XI R 75/93, BFHE 176, 208, BStBl. II 1995, 289 m. w. N.). Ein gebundener Anspruch der Klägerin auf Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 besteht daher nur dann, wenn allein die Änderung der Lohnsteueranmeldungen rechtmäßig ist. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Ermessenausübung durch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO), nach dem die Finanzbehörde die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben haben, vorbestimmt ist (siehe zuletzt BFH-Urteil vom 11.10.2017 IX R 2/17 BFH/NV 2018, 322). In der Regel wird die Finanzbehörde daher verpflichtet sein, zugunsten der materiellen Richtigkeit Steuerbescheide zu ändern, sofern die Voraussetzungen der jeweiligen Änderungsnorm gegeben sind. Ausnahmsweise kann bei Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen desselben einer Änderung entgegenstehen. Vorliegend sind Anhaltspunkte, nach denen der Beklagte von einer Änderung absehen könnte, nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb einen gebundenen Anspruch auf die Änderung der Lohnsteueranmeldungen.
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2. Der Senat kann offen lassen, ob § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG auf die Lohnsteueranmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 in zeitlicher Hinsicht überhaupt anwendbar ist (Übersicht über den Meinungsstand bei Heuermann in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 41c EStG, Rz. 25). Die Vorschrift steht einer Änderung der streitgegenständlichen Lohnsteueranmeldungen jedenfalls nicht entgegen.
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a) Nach der genannten Vorschrift ist eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde.
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Die Regelungen der § 41c Abs. 3 Sätze 4 und 6 EStG sind durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatien zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (KroatienAnpG) vom 25.07.2014 (BGBl. I 2012, 1266, BStBl. I 2014, 1126) eingeführt worden. Der Beklagte versteht die Vorschrift des § 41c Abs. 3 Satz 4 dahingehend, dass die Änderung einer Lohnsteueranmeldung per se ausgeschlossen ist, wenn der den Lohnsteueranmeldungen innewohnende Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde oder aus anderen Gründen nicht (mehr) wirksam ist. Lohnsteueranmeldungen seien nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann änderbar, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft habe und der Nachprüfungsvorbehalt noch wirksam ist, so dass eine Änderung nach Maßgabe des § 164 Abs. 2 AO noch möglich ist. Änderungen nach den allgemeinen Korrekturvorschriften lasse die Norm demgegenüber nicht zu.
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b) Diese Sichtweise vermag den Senat nicht zu überzeugen. Die Auslegung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG ergibt vielmehr, dass die Vorschrift einer Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften (§§ 172 ff. AO) jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn sich ein Arbeitnehmer – wie im vorliegenden Fall – Beträge ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers verschafft hat.
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aa) Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Beschränkung der Änderbarkeit von Lohnsteueranmeldungen nicht zu. In ihrer Rechtsfolge schließt die Vorschrift lediglich die Änderung von Lohnsteueranmeldungen auf der Grundlage des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO aus, wenn die dort beschriebene Sachverhaltskonstellation – Verschaffung von Beträgen gegen den Willen des Arbeitgebers und Fehlen eines Anspruchs des Arbeitnehmers – nicht gegeben ist und die betreffende Lohnsteuerbescheinigung bereits übermittelt oder ausgeschrieben worden ist. § 41c Abs. 3 Satz 4 drückt dies positiv aus, indem die Änderung von Lohnsteueranmeldungen gemäß § 164 Abs. 2 AO nach Ausschreibung oder Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung nur im Falle der dort beschriebenen Sachverhaltskonstellation zulässig ist.
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Für den Fall, dass die in § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG beschriebene Sachverhaltskonstellation – wie im Streitfall – gegeben ist, die unzutreffenden Lohnsteueranmeldungen aber mangels wirksamen Vorbehalts nicht mehr nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden können, enthält die Vorschrift indessen keine (ausdrückliche) Rechtsfolge. Daher lässt sich ihrem bloßen Wortlaut auch nicht der Rechtssatz entnehmen, dass Lohnsteueranmeldungen – abweichend von den für Steueranmeldungen im Allgemeinen geltenden Änderungsnormen – generell nur nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden können.
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bb) Eine generelle Beschränkung der Änderung von Lohnsteueranmeldungen lässt sich auch unter systematischen Gesichtspunkte nicht herleiten. Zwar geht § 41c Abs. 3 Satz 4 AO als spezielle verfahrensrechtliche Regelung für Lohnsteueranmeldungen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungen der Abgabenordnung für Steuerfestsetzungen vor. Wie vorstehend ausgeführt, enthält § 41c Abs. 3 Satz 4 AO jedoch ausschließlich eine Beschränkung für die Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach Maßgabe des § 164 Abs. 2 AO. Insoweit schränkt die Norm die ansonsten ohne weitere Voraussetzungen mögliche Änderung von Vorbehaltsfestsetzungen ein. Eine darüber hinausgehende Einschränkung, welche die allgemeinen Regelungen der AO verdrängen könnte, enthält die Norm indessen nicht.
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cc) Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist einer Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach den allgemeinen Korrekturnormen nicht ausgeschlossen.
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Vorbehaltsfestsetzungen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie – solange der Vorbehalt wirksam ist – jederzeit (bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung) ohne weitere Voraussetzungen geändert werden können. Bei der Änderung von Lohnsteueranmeldungen besteht das Problem, dass hierdurch die Lohnsteuerbescheinigungen unrichtig werden und es zu Überschneidungen zwischen dem Änderungsverfahren und dem Veranlagungsverfahren des steuerpflichtigen Arbeitnehmers nach § 46 EStG kommen kann. Dies kann deshalb geschehen, weil der Arbeitgeber gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO auch noch nach Ablauf des Kalenderjahres und Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung berechtigt ist, von der Finanzverwaltung die Änderung der Lohnsteuerfestsetzung zu verlangen, solange der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben worden ist. Die Regelung des § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG steht einer solchen Änderung nicht entgegen, weil sie sich nur auf den (tatsächlichen) Lohnsteuerabzug bezieht, der wiederum im Zusammenhang mit einer Lohnsteueranmeldung nicht von Bedeutung ist (siehe hierzu BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, a. a. O.).
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Der Sinn und Zweck des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG besteht vor diesem Hintergrund darin, die nach der Rechtsprechung des BFH ansonsten ohne weiteres mögliche Änderung von Lohnsteueranmeldungen einzuschränken, um eine Abweichung zwischen Lohnsteueranmeldung und Lohnsteuerbescheinigung, die zu einer Rückzahlung bereits abgeführter Steuerbeträge führt, zu verhindern. Allerdings ist der Gesetzgeber nicht so weit gegangen und hat die Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung generell untersagt. Vielmehr soll eine Änderung auch nach diesem Zeitpunkt noch möglich sein, wenn der Arbeitnehmer sich gegen den Willen des Arbeitgebers und ohne vertraglichen Anspruch Beträge verschafft hat und hierauf Lohnsteuer angemeldet und abgeführt wurde. Grund für diese Ausnahme ist, dass das eigenmächtige Verschaffen von Gelbeträgen durch den Arbeitnehmer nicht zu Arbeitslohn im Sinne des § 19 EStG führt und daher insoweit schon keine Lohnsteuerpflicht besteht (siehe hierzu Fissenwert in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 41c EStG Rz. 18).
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Eine derartige Konstellation ist im Streitfall gegeben. Gleichwohl kommt vorliegend eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht in Betracht, weil der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung für die Lohnsteueranmeldezeiträume Januar 2012 bis Juni 2014 aufgehoben hat. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nach Sinn und Zweck des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG – über den ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift hinaus (s. o.) – jedwede Änderung von Lohnsteueranmeldungen ausgeschlossen sein soll, wenn zwar das dort beschriebene pflichtwidrige Verhalten eines Arbeitnehmers gegeben ist, aber kein wirksamer Vorbehalt mehr vorliegt und § 164 Abs. 2 AO deshalb als Änderungsvorschrift ausscheidet.
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Ein solches Verständnis ist nach Auffassung des Senats nicht mehr durch den Zweck der Vorschrift gedeckt. Denn diese Sichtweise liefe darauf hinaus, dass Lohnsteueranmeldungen nach ihrer Übermittlung oder Ausschreibung ausschließlich nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden können und ein Rückgriff auf die allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO per se ausgeschlossen ist. Dies leuchtet nicht ein, da Änderungen nach § 164 Abs. 2 AO – im Unterschied zu Änderungen auf der Grundlage der §§ 172 ff. AO – an keine weiteren Voraussetzungen gebunden sind. Der Gesetzgeber würde damit einerseits voraussetzungslose Änderungen zulassen, andererseits aber die Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach solchen Vorschriften ausschließen, die für eine Änderung besondere Voraussetzungen und damit höhere Anforderungen vorsehen und die deshalb den Bestand von Steuerfestsetzungen in höherem Maße gewährleisten als dies bei einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO der Fall ist. Zudem hätte es das Finanzamt einseitig „in der Hand“, durch Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung – die gemäß § 164 Abs. 3 Satz 1 AO an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist – eine Änderung der Lohnsteueranmeldung auch für den Fall eines pflichtwidrigen Verhaltens eines Arbeitnehmers auszuschließen.
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dd) Auch der gesetzgeberische Wille spricht für die Änderbarkeit von Lohnsteueranmeldungen nach den allgemeinen Korrekturvorschriften und damit gegen die seitens des Beklagten vertretene Rechtsauffassung.
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In der Gesetzesbegründung zum KroatienAnpG (BT-Drucksache 18/1995, S. 105) heißt es zu § 41c Abs. 3 Satz 4 und 6 EStG, dass die Änderungen eine Prüfbitte des Bundesrates aufgriffen. Der Bundesrat habe eine Änderung der Lohnsteuerfestsetzung nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur in Fällen zulassen wollen, die mit dem vom BFH am 13.11.2012 VI R 38/11 (BStBl. II 2013, 929) entschiedenen Sachverhalt vergleichbar seien. Im Urteilsfall habe sich ein Arbeitnehmer ohne einen vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge überwiesen und diese dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Da solche Überzahlungen kein Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG seien und der Arbeitgeber in der Lohnsteueranmeldung die einzubehaltende Lohnsteuer (Sollbetrag) anzugeben habe, halte der BFH eine geänderte Festsetzung der zu entrichtenden Lohnsteuer für zulässig. Der Bundesrat möchte in anderen Fallgestaltungen keine Änderung der Lohnsteuerfestsetzung zulassen, weil dann nach der Übermittlung und Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung die festgesetzten und bescheinigten Beträge voneinander abwichen und damit falsche Anrechnungen im Rahmen der Steuerveranlagung des Arbeitnehmers erfolgten.
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Aus diesen Ausführungen schließt der Senat, dass der Gesetzgeber die Änderung von Lohnsteueranmeldungen nach Übermittlung und Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zwar grundsätzlich ausschließen will. Hiervon ausgenommen sein soll aber eine bestimmte Fallgruppe, nämlich die Fälle, in denen sich – wie vorliegend – ein Arbeitnehmer ohne Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge auszahlt. In derartigen Sachverhaltskonstellationen nimmt der Gesetzgeber das Problem der Abweichung zwischen Lohnsteueranmeldung und Lohnsteuerbescheinigung bewusst in Kauf. Der Gesetzesbegründung ist nicht zu entnehmen, dass eine Änderung von Lohnsteueranmeldungen dabei nur nach Maßgabe des § 164 Abs. 2 AO zulässig sein soll. Vielmehr wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass eine Änderung nur in Sachverhalten, die mit dem zitierten BFH-Fall vergleichbar sind, zulässig sein soll. Der BFH hat eine Änderbarkeit der Lohnsteueranmeldung nach den allgemeinen Korrekturvorschriften im Entscheidungsfall aber ausdrücklich bejaht. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass Lohnsteueranmeldungen ausschließlich nach Maßgabe des § 164 Abs. 2 AO änderbar sind, hätte er dies in der Gesetzesformulierung bzw. zumindest in der Gesetzesbegründung ausdrücklich zum Ausdruck bringen müssen, zumal es sich bei § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG um eine Ausnahmeregelung handelt, die eng auszulegen ist.
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Der Gesetzgeber wollte also mit dem neu eingeführten § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG eine bestimmte Sachverhaltskonstellation (Fallgruppe) regeln, nicht dagegen die Anwendung einzelner Korrekturvorschriften handhaben bzw. sogar beschränken. Die Regelung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG ist daher nach Auffassung des Senats so zu verstehen, dass im Falle des dort beschriebenen pflichtwidrigen Verhaltens eines Arbeitnehmers die Änderung einer Lohnsteueranmeldung stets zulässig ist, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsnorm gegeben sind. Sofern eine Änderung nach§ 164 Abs. 2 AO mangels wirksamen Vorbehalts nicht mehr in Betracht kommt, kann auch dann auf die allgemeinen Korrekturvorschriften zurückgegriffen werden, wenn die Lohnsteuerbescheinigung für den betreffenden Zeitraum bereits übermittelt oder ausgeschrieben worden ist.
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3. Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen sind die in den Lohnsteueranmeldungen der Klägerin für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis einschließlich Juni 2014 angegebenen Beträge im Einzelnen wie folgt zu reduzieren:
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Anmeldezeitraum
Lohnsteuer
Kirchensteuer
Solidaritätszuschlag
Januar 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Februar 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
März 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
April 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Mai 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Juni 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Juli 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
August 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
September 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Oktober 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
November 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Dezember 2012
393,50 EUR
35,41 EUR
21,64 EUR
Januar 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
Februar 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
März 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
April 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
Mai 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
Juni 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
Juli 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
August 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
September 2013
391,83 EUR
35,26 EUR
21,55 EUR
Oktober 2013
583,83 EUR
52,54 EUR
32,11 EUR
November 2013
583,83 EUR
52,54 EUR
32,11 EUR
Dezember 2013
583,83 EUR
52,54 EUR
32,11 EUR
Januar 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
Februar 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
März 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
April 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
Mai 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
Juni 2014
580,16 EUR
52,21 EUR
31,90 EUR
Summe
13.480,92 EUR
1.213,14 EUR
741,36 EUR
70
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Revision war wegen Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.
72
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).