12.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211124
Landgericht Freiburg: Urteil vom 07.05.2019 – 4/17 8 Ns 81 Js 1825/13
In der wirtschaftlichen Krise gehen die sich aus § 266 a Abs. 1 StGB ergebenden Zahlungspflichten anderen Zahlungspflichten vor; diese begründen daher keine Unzumutbarkeit oder rechtliche Unmöglichkeit der Zahlung. Im Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit wegen nicht mehr vorhandener Mittel ist zu prüfen, ob der Angeklagte zu einem früheren Zeitpunkt vorsätzlich die erforderliche und noch mögliche Vorratsbildung unterlassen hat (ommissio libera in causa).
LG Freiburg
Urteil vom 7.5.2019
4/17 8 Ns 81 Js 1825/13; 4/17 - 8 Ns 81 Js 1825/13
Tenor
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts-Schöffengerichts- X. vom 8.6.2017 im Schuld-und Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass beide Angeklagten wegen insgesamt 31 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen der anderen im erstinstanzlichen Urteil genannten Taten verurteilt werden,
nämlich der Angeklagte K. zu der
Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen à 50.- EUR
und der Angeklagte U. zu der
Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen à 50.- EUR
Im übrigen verbleibt es beim Freispruch wie im erstinstanzlichen Urteil.
Von den verhängten Gesamtgeldstrafen gelten bei beiden Angeklagten jeweils 15 Tagessätze zur Kompensation der Verfahrensverzögerung als vollstreckt.
Die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
angewandte Strafvorschriften:
- K.: § 15a Abs. 1, Abs. 5 InsO; §§ 266a Abs. 1, 283 Abs. 1 Nr. 7b, Abs. 4 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB
- U.: §§ 266a Abs. 1, 283 Abs. 1 Nr. 7b, Abs. 4 Nr. 1, 14 Abs. 2 Nr. 2, 53 StGB
Gründe
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I. Prozessgeschichte
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Das Amtsgericht - Schöffengericht – X. verurteilte am 08.06.2017 den Angeklagten K. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 11 Fällen, fahrlässiger Insolvenzverschleppung in 3 Fällen und fahrlässigen Bankrotts in 3 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 Euro, den Angeklagten U. wird wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 11 Fällen und fahrlässigen Bankrotts in 3 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50 Euro. Von sämtlichen weiteren Tatvorwürfen hat es die Angeklagten freigesprochen.
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Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft in zulässiger Weise Berufung ein, die sie vertikal auf die Freisprüche für die Tatvorwürfe gem. § 266 a Abs. 1 StGB für den Zeitraum von Februar bis Juli 2012 beschränkte. Insofern hatte das Amtsgericht die Freisprüche damit begründet, dass den Angeklagten in diesem Zeitraum die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich oder jedenfalls unzumutbar war.
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Im Übrigen wurde das amtsgerichtliche Urteil rechtskräftig.
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Bezüglich der somit zunächst rechtskräftigen Gesamtgeldstrafen des erstinstanzlichen Urteils hat die Staatsanwaltschaft bislang die Vollstreckung nicht eingeleitet; Zahlungen haben die Angeklagten darauf nicht geleistet.
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Die Berufung der Staatsanwaltschaft hatte im Wesentlichen Erfolg.
(...)
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III. Weitere Feststellungen zur Sache
(...)
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2. Feststellungen zu weiteren Tatvorwürfen:
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Für die Firma S. I. GmbH waren auch im Zeitraum von Januar 2012 bis Juli 2012 noch mehrere Arbeitnehmer in nicht geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig. Dies meldeten die Angeklagten zwar über ihre für die Buchhaltung zuständigen Mitarbeiter beim jeweiligen Sozialversicherungsträger mit so genannten Beitragsnachweisen an. Die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge zahlten sie aber nicht zum Fälligkeitszeitpunkt, sondern bis inklusive der Beiträge für den März 2012 jeweils mindestens einen Monat verspätet und ab den Beiträgen für den April 2012 gar nicht mehr, obwohl sie die Beiträge hätten zahlen können bzw. weil sie zuvor keine ausreichende Vorsorge getroffen hatten und es nur deshalb nicht mehr konnten. Dies war ihnen auch bereits zu dem Zeitpunkt bewusst, zu dem sie die entsprechenden Beträge nicht zurücklegten, sondern das Risiko eingingen, sie zu einem späteren Zeitpunkt mangels ausreichender Ressourcen nicht mehr zahlen zu können.
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Im Einzelnen handelte es sich um die nachfolgend aufgeführten Arbeitnehmer, Zeiträume und Krankenkassen:
(...)
2.
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Beide Angeklagte waren gleichermaßen verpflichtet, die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu leisten, der Angeklagte K. als Geschäftsführer der S. I. GmbH, der Angeklagte U. als hierfür Beauftragter gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
3.
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Die Zahlung war nicht objektiv unmöglich. Die Arbeitnehmer bekamen nämlich ihre Gehälter im Wesentlichen noch bis Juli 2012 ausgezahlt. Bereits daraus ergibt sich, dass noch Geldmittel vorhanden waren bzw. eingingen. Dass diese bei weitem nicht mehr ausreichten, um alle Verbindlichkeiten zu begleichen, ändert nichts daran, dass eine objektive Unmöglichkeit nicht vorlag (OLG Köln, wistra 1997, 231).
4.
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Die Zahlung war auch nicht unzumutbar.
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Es ist streitig, ob eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB entfällt, wenn der Arbeitgeber die noch vorhandenen Mittel zur Befriedigung anderer Gläubiger einsetzt, insbesondere zur Zahlung von Löhnen und Gehältern, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und eine angenommen oder tatsächlich positive Fortführungsprognose nicht zu gefährden. Das Amtsgericht begründete den Freispruch für die Monate ab Februar 2012 vorliegend mit der Auffassung, § 266a Abs. 1 StGB begründe keine strafrechtliche Risikohaftung für vertretbare unternehmerische Entscheidungen; die Zahlungspflicht für die Sozialversicherungsbeiträge sei nicht vorrangig gegenüber anderen Zahlungspflichten, eine Strafbarkeit beginne in der Krise erst, wenn pflichtwidrig andere Gläubiger bevorzugt würden. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
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Dies sieht die Strafkammer in Übereinstimmung mit den Zivil- und Strafsenaten des BGH anders:
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§ 266 a Abs. 6 StGB verdeutlicht den gesetzgeberischen Willen, dass die Strafvorschrift des § 266 a Abs. 1 StGB auch – und in der Praxis gerade – in der wirtschaftlichen Krise gelten soll. Dem Arbeitgeber soll es nicht erlaubt sein, Rettungsversuche seiner Firma auf Risiko und Kosten der Solidargemeinschaft zu unternehmen (vgl. Thul in Müller-Guggenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 38, Rn. 165, 170). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nichtabführung der Arbeitgeberbeiträge ohne Täuschungshandlung nicht strafbar ist, die Arbeitnehmer also vollen Versicherungsschutz genießen, auch wenn der Arbeitgeber in der Krise seine Beiträge nicht zahlt. Es besteht keine Veranlassung für die Annahme, dass der Gesetzgeber dem Arbeitgeber auch die – zum Gehalt der Arbeitnehmer gehörenden – Arbeitnehmerbeiträge zur Sanierung seines Unternehmens überlassen wollte, während die Sozialversicherungsträger vollen Versicherungsschutz gewähren müssen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 64 S. 1 GmbHG. Hiernach ist der Geschäftsführer der GmbH zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Eine Ausnahme gilt nach S. 2 nur für Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Die Strafsenate des BGH sind in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass die strafbewehrte Zahlungspflicht Vorrang vor dem Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GbmhG hat. Seit über 10 Jahren ist aber auch von der zivilrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (Urteil des 2. Zivilsenats vom 14.5.2007, BGH NJW 2007, 2118), dass die gem. § 266 a Abs. 1 StGB strafbewehrte Pflicht zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu den privilegierten Zahlungen des § 64 S. 2 GmbHG gehören. Anders geriete der Geschäftsführer in eine nicht auflösbare Pflichtenkollision („Haftungsfalle“). Zudem würde der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung verletzt (vgl. Ziemons/Jäger in BeckOK GmbHG, 36. E., Stand 1.8.2018, § 64, Rn. 58 f.). Diese Änderung der zivilrechtlichen und übrigens auch steuerrechtlichen (BFH, GmbHR 2007, 999) Rechtsprechung (vgl. zum Ganzen Radtke, GmbHR 2009, 673, 677) wird übersehen, wenn von Teilen der insolvenzrechtlichen Literatur und laut Verteidigung auch von den insolvenzrechtlichen Beratern weiter behauptet wird, eine „endgültige höchstrichterliche Klärung der Frage steht aus“ (Krause/Matzen, ZVI 2018, 45) bzw. der Geschäftsführer laufe Gefahr, die Arbeitnehmerbeiträge der GmbH aus der eigenen Tasche ersetzen zu müssen.
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Ein Zirkelschluss kann in der so begründeten Rangfolge ebenfalls nicht gesehen werden (a.A. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 266a, Rn. 16). Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass Strafvorschriften Strafbarkeit begründen.
5.
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Selbst wenn (wofür aber auch nichts spricht) die S. I. GmbH nach April 2012 nicht mehr über ausreichende liquide Mittel verfügt hätte, um – statt der letzten Gehälter – die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu zahlen, ändert dies an der Strafbarkeit der Angeklagten nichts. Selbst wenn insoweit ein Fall der objektiven Unmöglichkeit vorgelegen hätte, wären die Angeklagten nämlich aus dem Gesichtspunkt der omissio libera in causa strafbar.
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Die Angeklagten wussten seit dem 16.4.2012, dass der letzte Investor, die NR AG, ihr Engagement beenden würde. Neue Investoren waren zwar kontaktiert, hatten aber noch nicht zugesagt. Wenn die Angeklagten sich in dieser Situation dazu entschlossen, die Firma weiterzuführen, mussten sie vorsorgen, um die in den nächsten Monaten anfallenden Arbeitnehmerbeiträge vorrangig zahlen zu können. Dies haben sie bewusst nicht getan, sondern eine rechtlich nicht gebilligte andere Rangfolge der Zahlungspflichten gewählt. War für sie absehbar, dass sie bei entsprechender Vorratshaltung die Firma nicht weiterführen könnten, durften sie die Arbeitnehmer nicht mehr beitragspflichtig beschäftigen (Thul, a.a.O.).
6.
21
Beim Freispruch des amtsgerichtlichen Urteils konnte es auf die Berufung der Staatsanwaltschaft daher nur bleiben, soweit es sich um die Beiträge für den Monat April 2012 gehandelt hat. Hier ist in diesem Zusammenhang nämlich, wie dargestellt, zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass sie am 16.4.2012 die Insolvenzreife der S. I. GmbH erkannten und sie somit jetzt von der 3-wöchigen Bedenkfrist des § 15 a InsO Gebrauch machten, was nach einhelliger, wenn auch in der Begründung dogmatisch umstrittener Auffassung für diesen Zeitraum zur Straffreiheit führt. Daher waren die Angeklagten für den Monat April 2012 weiterhin aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.
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Ansonsten war das amtsgerichtliche Urteil insoweit abzuändern, als beide Angeklagten sich jeweils zusätzlich zu den bereits rechtskräftig abgeurteilten Taten wegen weiterer 20, insgesamt somit jeweils wegen 31 tatmehrheitlichen Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gem. § 266a Abs. 1 StGB (...) schuldig gemacht haben.
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Vergehen, strafbar für den Angeklagten K. gem. § 15a Abs. 1, Abs. 5 InsO; §§ 266a Abs. 1, 283 Abs. 1 Nr. 7b, Abs. 4 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB, für den Angeklagten U. gem. §§ 266a Abs. 1, 283 Abs. 1 Nr. 7b, Abs. 4 Nr. 1, 14 Abs. 2 Nr. 2, 53 StGB.