30.10.2019 · IWW-Abrufnummer 211956
Finanzgericht München: Urteil vom 26.07.2019 – 6 K 3189/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München
vom 26.07.2019
Az.: 6 K 3189/17
In der Streitsache
KlägerBeklagter
wegen
Einkommensteuer 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2000 und 2001Vermögensteuer auf den 01.01.1996 (als Erbengemeinschaft nach )
hat der 6. Senat des Finanzgerichts München
ohne mündliche Verhandlung am 26. Juli 2019 für Recht erkannt:
Tenor:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
- Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klägerinnen sind die Erbinnen des am 2. Juni 2007 verstorbenen , dessen Witwe, sowie die beiden Töchter.
Die Ehegatten waren beim beklagten Finanzamt bestandskräftig zusammen zur Einkommensteuer und zur Vermögenssteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung für 1995 und die Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1996 reichten die Steuerpflichtigen am 10. März 1997 beim Finanzamt ein. Die Einkommensteuererklärungen der anderen Streitjahre gingen in späteren Jahren ein, zuletzt die Steuererklärung für 2001 am 23. Dezember 2002, unterhielt seit den 1980er Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Depots in Liechtenstein und in der Schweiz, die sie beide von ihrem verstorbenen Vater geerbt hatten. Diese Depots wurden später im Verhältnis 50:50 zwischen den Brüdern aufgeteilt, brachte seinen Anteil in zwei Stiftungen mit Sitz in Liechtenstein ein. Die daraus erzielten Kapitalerträge sowie das Kapitalvermögen wurden nicht in den Steuererklärungen angegeben und dadurch Steuern verkürzt.
Der Erblasser hat die Einkommensteuererklärung für 2005 selbst eingereicht. Die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2006 und 2007 gaben die Klägerinnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerinnen ab. Die ausländischen Kapitalerträge erklärten die Klägerinnen dabei nicht. Zunächst berichtigten die Klägerinnen ihre Angaben nicht. Auch die Auskehrungen der Stiftungen an sich selbst im Jahr 2007 deklarierten die Klägerinnen nicht.
Am 5. Februar 2015 erfolgte durch die Bußgeld- und Strafsachenstelle die Anordnung zur Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Am 30. Januar 2015 leitete die Steuerfahndung gegen die Erbinnen eine Steuerfahndungsprüfung wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Einkommensteuerverkürzungen für die Jahre 2006 bis 2012 ein. Inhalt dieser Verfügung war zudem die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen die Erbin wegen des Verdachtes auf Hinterziehung von Einkommensteuer nach für die Zeiträume 1995 bis 2005 sowie die Vermögenssteuer auf den 1. Januar 1996 jeweils als Einzeltaten, begangen durch die Nichtabgabe von Berichtigungen nach § 153 Abgabenordnung (AO).
In seinem Bericht vom 26. April 2016 stellte das Finanzamt die nicht erklärten Einkünfte fest. Dabei ging das Finanzamt davon aus, dass für die Jahre 1995 bis 2001 die steuerliche Festsetzungsfrist infolge der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO im Zeitpunkt der Selbstanzeige noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2000 und 2001 jeweils vom 23. Dezember 2016 erhöhte das Finanzamt die Einkommensteuerfestsetzungen um die aufgrund der Außenprüfung festgestellten Einkünfte aus ausländischem Kapitalvermögen.
Die gegen die geänderten Bescheide eingelegten Einsprüche mit der Begründung, die Festsetzungen könnten - selbst wenn man von einer Berichtigungspflicht der Erbinnen ausgehe - wegen der mittlerweile eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr geändert werden, wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2017 als unbegründet zurück.
Die Klägerinnen seien nach dem Tod des Erblassers nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet gewesen, dem Finanzamt für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht festsetzungsverjährten Zeiträume ab 1995 Berichtigungen vorzulegen. Dieser Verpflichtung seien die Klägerinnen nicht nachgekommen und hätten dadurch selbst eine Steuerhinterziehung begangen, die isoliert strafrechtlich zu beurteilen sei. Diese Unterlassungstat bewirke, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist aufgrund § 171 Abs. 7 AO gehemmt und eine Änderung der Steuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 2001 noch möglich sei.
Mit der hiergegen erhobenen Klage berufen sich die Klägerinnen darauf, dass die geänderten Steuerfestsetzungen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung rechtswidrig seien.
Unstreitig seien die Erbinnen nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet gewesen, die Unrichtigkeiten bzw. die Unvollständigkeit der Steuererklärungen für die im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge noch nicht verjährten Jahre unverzüglich anzuzeigen. Diese Berichtigungspflicht gelte aber nur für die noch nicht festsetzungsverjährten Jahre. Im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge laufen die Fristen, die für den Erblasser vor Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zu laufen begonnen haben, zu Gunsten und zu Lasten der Rechtsnachfolger weiter. Somit seien im Zeitpunkt der Selbstanzeige am 2. Dezember 2014 die Jahre 1995 bis 2001 - jeweils wegen Ablaufs der für den Erblasser, aber auch für die Klägerinnen als Erbinnen geltenden 10jährigen Verjährungsfrist - festsetzungsverjährt gewesen, nämlich das Jahr 2001 zum 31. Dezember 2013. Eine Berichtigung könne nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr verlangt werden. Der Steueranspruch sei in diesem Fall erloschen.
Im Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige am 2. Dezember 2014 habe für die Klägerinnen für die Jahre 1995 bis 2001 daher keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO bestanden.
Die für die Jahre 1995 bis 2001 wegen Steuerhinterziehung in großem Ausmaß geltende zehnjährige Verjährungsfrist werde nicht nach § 171 Abs. 7 AO verlängert.
Die "Verfolgung der Steuerstraftat" beziehe sich nach dem Wortlaut des § 171 Abs. 7 AO auf die hinterzogene Steuer, die zur zehnjährigen Festsetzungsfrist geführt habe. Dies sei die vom Erblasser hinterzogene Steuer. Die neue Steuerhinterziehung durch die Erben durch Unterlassen der Berichtigungspflicht sei von § 171 Abs. 7 AO nicht gemeint. Die Verfolgung dieser Straftat des Erblassers ende jedoch mit dessen Tod und damit bestehe auch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO nicht mehr. Der Gesetzeszweck des § 171 Abs. 7 AO mache deutlich, dass es Zweck der Vorschrift sei, einen Gleichlauf von Steuerrecht und Strafrecht herzustellen. Die steuerrechtliche Verjährung solle so lange gehemmt sein, so lange der Steuerhinterzieher noch verfolgt werden könne. So heiße es in der Bundestagsdrucksache (BTDrucks.) VI/1982, 152, dass es Sinn und Zweck der Vorschrift sei, eine Inkongruenz zwischen der steuerlichen Festsetzungsverjährung und der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung beim "Ursprungstäter" bzw. "lebenden Steuerpflichtigen" zu vermeiden. Dieser Ursprungstäter könne aber nur der Erblasser sein, der die zehnjährige Festsetzungsfrist ausgelöst und der im Todeszeitpunkt nicht mehr bestraft werden könne. Die zu verfolgende Straftat im Sinne des § 171 Abs. 7 AO könne nicht einfach ausgetauscht werden, indem man nunmehr auf die Straftat der Erbinnen abstelle. Insoweit lasse sich der Grundsatz, dass es für die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht darauf ankomme, wer die Steuerhinterziehung begangen habe, die zur Verlängerung der Festsetzungsfrist führe, nicht auf § 171 Abs. 7 AO übertragen. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO begründe sich damit, dass die Eigenschaft der Steuer, hinterzogen zu sein, der Steuer als solcher anhafte. § 171 Abs. 7 AO hingegen stelle auf die Strafbarkeit und damit auf die Person ab, die die Steuerverkürzung bewirkt habe.
Zudem sei es mit der Rechtsstellung als Erbe nicht zu vereinbaren, wenn die Verjährungsfrist aufgrund einer eigenständigen Steuerstraftat des Erben nochmals um zehn Jahre verlängert werde. Schließlich trete der Erbe in die Rechtsstellung des Erblassers ein. Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gingen unverändert auf die Erben über. Die Berichtigungspflicht des § 153 AO ergänze und berichtige lediglich die Besteuerungsgrundlagen für die Steuerfestsetzung, ohne eine eigenständige Steuerfestsetzung zu sein. Der Erbe müsse daher einerseits auch die verlängerte Festsetzungsfrist aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers gegen sich gelten lassen. Andererseits kommt der beim Erblasser abgelaufene Teil der verlängerten Festsetzungsfrist dem Erben zugute. Nichts Anderes ergebe sich auch aus der Entscheidung des BFH vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223. Auch in dieser Entscheidung musste der Erbe die Verjährungsfrist gegen sich gelten lassen. § 153 AO enthalte für die Gesamtrechtsnachfolger eine Anzeige- und Berichtigungspflicht aber keine Steuererklärungspflicht mit der Folge, dass hierfür eine eigenständige Festsetzungsfrist laufe.
Zum weiteren Vorbringen der Klägerinnen wird auf die Schriftsätze vom verwiesen.
Die Klägerinnen beantragen,
die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995 bis 2001 sowie den Bescheid über Vermögenssteuer auf den 1. Januar 1996, jeweils vom 23. Dezember 2016 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2017, aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt verweist im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und weist insbesondere darauf hin, dass mit Eintritt des Erbfalls für die Klägerinnen die Pflicht bestanden habe, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährten und unvollständigen Steuererklärungen des Erblassers zu berichtigten. Zu berichtigen seien daher alle am 3. Juni 2007 noch nicht festsetzungsverjährten Steuererklärungen des Erblassers.
Nach § 171 Abs. 7 AO ende die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat verjährt sei. Diese Steuerstraftat im Sinne des § 171 Abs. 7 AO sei die noch vor Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist durch die unterlassene Berichtigung nach § 153 AO begangene Steuerstraftat der Klägerinnen. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen sei nicht auf die Tat des Erblassers abzustellen. Mit Tatbeendigung, spätestens vor Ablauf des Dezember 2007, beginne die strafrechtliche Verjährung der Steuerstraftaten der Klägerinnen. Bei Erlass der Änderungsbescheide sei hierfür die strafrechtliche zehnjährige Verjährung noch nicht abgelaufen gewesen.
Zum weiteren Vorbringen des Beklagten wird auf den Schriftsatz vom verwiesen.
Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a FGO).
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die im Jahr 2014 bei der Selbstanzeige erklärten Kapitaleinkünfte bzw. das Kapitalvermögen sind nachträglich bekanntgewordene Tatsachen.
2. Die Änderungsbescheide sind zu Recht ergangen. Die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzungen 1995 bis 2001 war bei Erlass der Steuerbescheide am 23. Dezember 2016 noch nicht abgelaufen.
a) Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, gilt die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO für die Einkommen- wie für die Vermögenssteuer, wenn eine Steuererklärung eingereicht wird, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird.
Gesamtrechtsnachfolger treten sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223). Gegen den Erben laufen daher grundsätzlich die gegenüber dem Erblasser in Gang gesetzten Verjährungsfristen weiter. Das gilt auch für die zehnjährige Festsetzungsfrist nach einer Steuerhinterziehung des Erblassers (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359). Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre tritt auch dann ein, wenn der Erbe keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Miterben hat (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223).
Die angefochtenen Steuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 2001 betreffen hinterzogene Steuern. Die zehnjährige Festsetzungsfrist für das Jahr 1995 beginnt - da die Steuererklärung im Jahr 1997 eingereicht wurde - mit Ablauf des Jahres 1997. Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO endet die zehnjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2007. Die Steuerfestsetzung für 1995 ist das älteste Jahr; die Festsetzungsfristen für die übrigen Streitjahre 1996 bis 2001 enden entsprechend später.
b) Das Finanzamt hat zu Recht die Steuerbescheide für 1995 bis 2001 geändert, da die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.
(1) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt. Nach dieser Vorschrift endet im Fall der Steuerhinterziehung die Festsetzungsfrist nicht, "bevor die Verfolgung der Steuerstraftat ... verjährt ist". Zweck des Gesetzes ist es zu verhindern, dass die Steuerstraftat zwar noch verfolgt werden kann, aber die hinterzogenen Steuerbeträge wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr festgesetzt werden dürfen (BT-Drucks. VI/1982, 152). Der Gesetzgeber will auf die Steuer nicht verzichten, solange noch bestraft werden kann.
Stirbt der Steuerpflichtige, nachdem die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen war, so endet die Ablaufhemmung mit seinem Tod (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359). Die Erben als Gesamtrechtsnachfolger können für die nach Ablauf der Festsetzungsfrist festgestellten Mehrsteuern nicht mehr in Anspruch genommen werden (Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rz. 163).
(2) Steuerhinterziehung begeht, wer über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO). Steuerhinterziehung kann also auch durch pflichtwidriges Unterlassen begangen werden, etwa bei einer unterlassenen Berichtigung (vgl. etwa Bundesgerichtshof - BGH - Urteil vom 11. Juli 2008 5 StR 156/08, NStZ 2009, 273).
(3) Nach § 153 AO besteht eine Anzeigepflicht, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Diese Anzeigepflicht und die erforderliche Richtigstellung sind unverzüglich vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen. Der Gesamtrechtsnachfolger muss tätig werden, wenn er erkennt, dass Erklärungen des Rechtsvorgängers unrichtig waren (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 3, 17). Die Berichtigungspflicht ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gesamtrechtsnachfolger bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und den unrichtigen Steuererklärungen hatte, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzustellen ist (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223). Für den Fall, dass der Erbe bereits Mittäter oder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) der vorsätzlichen Straftat war, besteht keine Berichtigungspflicht (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 18 m.w.N.). Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist nicht, wer als Ehegatte lediglich die gemeinsame Einkommensteuererklärung unterschreibt, in der der andere Ehegatte unrichtige oder unvollständige Angaben zu seinen Einkünften macht (BFH-Urteil vom 16. April 2002 IX R 40/00, BStBl II 2002, 501).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 2001 nicht festsetzungsverjährt.
Die - aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers - zehnjährige Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer für 1995 (Erklärungseingang 1997) lief bis zum 31. Dezember 2007. In diese Frist traten die Klägerinnen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen aufgrund des Erbfalls vom 2. Juni 2007 ein. Zutreffend gehen die Klägerinnen davon aus, dass eine mögliche Strafverfolgung der Steuerhinterziehung durch den Erblasser mit dessen Tod endet. Hierauf kommt es indes nicht an, da für den Erblasser keine Frist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt war.
Die Klägerinnen traf mit dem Erbfall nach § 153 AO die Verpflichtung, die Steuererklärungen und Angaben des Erblassers zu berichtigen, soweit für die Festsetzungen noch nicht Festsetzungsverjährung eingetreten war. Das waren im Zeitpunkt des Erbfalles die Steuerfestsetzungen bis einschließlich 1995.
Die Anzeige und Berichtigungspflicht ist in angemessener Zeit zu erfüllen. Hierfür hatten die Klägerinnen jedenfalls das zweite Halbjahr 2007 als angemessene Zeit zur Verfügung. Eine Berichtigung im Laufe des Jahres 2007 war den Klägerinnen in jedem Falle zuzumuten. Schließlich haben die Klägerinnen nach ihrem eigenen Vortrag Auskehrungen aus den Stiftungen im Jahr 2007 selbst bezogen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihnen die Existenz und die Höhe der ausländischen Kapitalanlagen in jedem Fall bekannt.
Die Klägerinnen waren nicht Mittäter oder Teilnehmer an der Straftat des Erblassers. Dies gilt auch für die Klägerin zu 1), die die Steuererklärung, die nach den Angaben der Kläger vom Erblasser erstellt wurde, gemeinsam mit dem Erblasser abgegeben und diese Steuererklärungen unterschrieben hat. Die Berichtigungspflicht besteht nach der Rechtsprechung auch dann, wenn die Klägerinnen vor dem Erbfall von den ausländischen Kapitalanlagen wussten.
Die Klägerinnen haben die Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht erfüllt und hierdurch ihrerseits eine Steuerhinterziehung begangen. Die Steuerstraftat der Klägerinnen als schwere Steuerhinterziehung unterliegt einer zehnjährigen Strafverfolgungsverjährung (§ 376 und § 370 Abs. 3 AO). Folge dieser neuen und eigenständigen Straftat ist, dass die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerfestsetzung 1995 nach § 171 Abs. 7 AO so lange gehemmt ist, solange die Steuerstraftat nicht verjährt ist (a. A. Radermacher, Berichtigungspflichten des Erben unter Einfluss des § 171 Abs. 7 AO, StBW 2014 956M; Fromm, § 153 AO im Angesicht der strafbefreienden Selbstanzeige, DStR 2014, 1747; Sommer/Kauffmann, Verklammerung der Steuerhinterziehung (durch aktives Tun) des Erblassers und der Steuerhinterziehung (durch Unterlassen) des Erben - ein rein fiskalisches Konstrukt contra legem?, NZWiSt 2015, 63).
Die Klägerinnen berufen sich auf die Formulierung der Vorschrift, die auf die Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO Bezug nimmt und die "Verfolgung der Steuerstraftat". Die Formulierung "Verfolgung der Straftat" soll sich ausschließlich auf die Steuerhinterziehung beziehen, die zu der verlängerten Festsetzungsfrist geführt hat. Dies wäre die Steuerhinterziehung des Erblassers. Die Strafverfolgung im Sinne des § 171 Abs. 7 AO muss nach dem auslegungsfähigen Wortlaut der Norm indes nicht die Strafverfolgung des Steuerhinterziehers selbst sein.
d) Entscheidend bei der Auslegung der Norm ist der Normzweck.
Der Zweck der Norm rechtfertigt keine einschränkende Auslegung auf die Straftat des Erblassers. Nach dem Zweck des § 171 Abs. 7 AO soll keine Inkongruenz zwischen der Möglichkeit der Steuerfestsetzung und der Möglichkeit der Strafverfolgung entstehen. Eine Steuerfestsetzung soll so lange möglich sein, wie eine Strafverfolgung für eine hinterzogene Steuer möglich ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn während der aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers verlängerten Festsetzungsfrist die Gesamtrechtsnachfolger ihrerseits eine eigenständige Steuerhinterziehung begehen.
Die Klägerinnen traf vor dem 31. Dezember 2007 die Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO für alle Steuererklärungen der Jahre 1995 bis 2001. Die Steuerhinterziehung der Klägerinnen aufgrund der Unterlassung der Anzeige- und Berichtigungspflicht erfolgte als eigene Steuerhinterziehung. Für die Veranlagungszeiträume war die verlängerte Festsetzungsfrist aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers noch nicht abgelaufen.
Die verletzte Anzeige- und Berichtigungspflicht ist zwar nicht mit der Steuererklärungspflicht des Erblassers gleichzusetzen und es entsteht kein zusätzlicher Steueranspruch. Dennoch fallen die hinterzogenen Steuern in den Schutzbereich des § 171 Abs. 7 AO, da noch vor Ablauf der steuerlichen Verjährungsfristen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eine eigenständige Steuerhinterziehung begangen wird. Wäre unter der "Verfolgung der Straftat" nur die Straftat des Erblassers als Ursprungstäter erfasst, träte der vom Gesetzgeber nicht gewollte Fall ein, dass die Steuerhinterziehung durch unterlassene Anzeige- und Berichtigungspflicht für die Jahre 1995 bis 2001 noch bis zum Jahr 2017 strafverfolgt, die Steuer hingegen nicht mehr festgesetzt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
RechtsgebietAblaufhemmungVorschriften§ 171 AO