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  • 05.12.2019 · IWW-Abrufnummer 212646

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 13.09.2018 – 4 K 122/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FINANZGERICHT HAMBURG

    4 K 122/17

    13.09.2018

    Urteil - Senat

    Tatbestand

    Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Zinsen auf Zoll.

    Nach den polizeilichen Ermittlungen hätten am 26.05.2014 zwei Zeugen beobachtet, wie der gesondert verfolgte A auf einem näher bezeichneten Parkplatz an der Autobahnabfahrt B an den Fahrer eines Kleintransporters Ford Transit, dessen Halterin die Mutter des Klägers ist, Zigaretten gegen eine größere Menge an Geldscheinen ausgetauscht habe. Noch am selben Tag sei die Anschrift der Halterin des Ford Transit aufgesucht worden. Dort sei der Kläger als Nutzer des Fahrzeugs festgestellt worden. Das Haus des Klägers sei anschließend mit seiner Einwilligung in Augenschein genommen worden. Keinen Zutritt habe er jedoch zu einem Heizungsraum seiner Mutter gewährt. Es sei nichts Relevantes festgestellt worden.

    Im Zuge der sich daran anschließenden steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger und den A ordnete das AG B auf Antrag der Staatsanwaltschaft B mit Beschluss vom 25.03.2015 die Überwachung der Telekommunikation des A an.

    Bei der Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 17.02.2016 wurden insgesamt elf Schachteln XX mit weißrussischer Steuerbanderole gefunden. Bei der sich anschließenden Vernehmung des Klägers räumte dieser ein, von dem A XX zum Preis von 25 € pro Stange für den Eigenverbrauch angekauft zu haben. Es sei ihm bekannt, dass der Ankauf von unversteuerten Zigaretten strafbar sei.

    Das Steuerstrafverfahren der Staatsanwaltschaft B gegen den Kläger (YY-1) wegen des Verdachts der Steuerhehlerei vom 26.05.2014 wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 800 € gem. § 153a StPO eingestellt.

    Neben dem Einfuhrabgabenbescheid vom 15.06.2016, mit dem der Beklagte insbesondere Zoll in Höhe von 898,56 € festsetzte und der Gegenstand des Urteils des Senats vom 13.09.2018 (4 K 124/17) ist, setzte der Beklagte mit Zinsbescheid für hinterzogene Einfuhrabgaben vom 15.06.2016 (...) Zinsen in Höhe von 56 € auf den mit festgesetzten Zoll fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vorliege. Durch das vorschriftswidrige Verbringen bzw. die Einfuhr der Zigaretten seien die Einfuhrabgaben entstanden, nicht rechtzeitig festgesetzt und deshalb hinterzogen worden. Der Zinslauf beginne mit dem Eintritt der Steuerverkürzung (12.04. bzw. 19.05.2015) und ende am Tag der Fälligkeit der Einfuhrabgaben (30.06.2016). Die Zinsen betrügen für jeden vollendeten Monat 0,5 %. Der Kläger hafte gesamtschuldnerisch mit dem A.

    Die ebenfalls mit dem Zinsbescheid festgesetzten Zinsen auf die Einfuhrumsatzsteuer wurden mit Änderungsbescheid vom 01.07.2016 aufgehoben.

    Mit Schreiben vom 27.06.2016 legte der Kläger Einspruch gegen den Zinsbescheid ein. Zur Begründung bezog er sich auf die Begründung seines Einspruchs gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 15.06.2016, mit dem Zoll und Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt wurden (4 K 124/17).

    Mit Einspruchsentscheidung vom 08.06.2017 (ZZ-1) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei Zollschuldner. Hieraus resultiere seine Inanspruchnahme als Zinsschuldner gemäß § 235 AO. Zinsschuldner sei die Person, die einen Vorteil aus der Steuerhinterziehung habe. Der Kläger sei auch Nutznießer der Steuerhinterziehung.

    Mit der am 27.06.2017 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ihm werde vorgeworfen, am 26.05.2014 im Austausch gegen ein Bündel Geldscheine einen augenscheinlich mit Zigaretten befüllten Müllsack erhalten zu haben. Zehn Monate später seien bei der Durchsuchung seiner Wohnung elf Schachteln XX gefunden worden. Dies lasse den Beklagten schließen, dass er im April 2015 30 Stangen und im Mai 2015 100 Stangen von dem A geordert und empfangen habe. Dieser Schluss sei falsch. Es gebe keine Beweise für diese Taten. Die Ortung seines Mobiltelefons allein belege keinesfalls, dass es zur Übergabe der Zigaretten gekommen sei. Es gebe keinen Erfahrungssatz, nach dem immer von Stangen gesprochen werde, wenn unverzollte und unversteuerte Zigaretten bestellt würden.

    Auch die Akte des angeblichen Lieferanten des Klägers enthalte keine Beweise für die dem Kläger vorgeworfenen Taten. Insbesondere habe der A am 19.05.2015 nicht 100 Stangen an den Kläger liefern können, da er - der A - von seinen Lieferanten keine ausreichende Menge erhalten habe.

    Der Kläger habe stets nur XX gekauft und geraucht.

    Der Kläger beantragt,
    den Zinsbescheid für hinterzogene Einfuhrabgaben vom 15.06.2016 (...) in der Fassung des Änderungsbescheids vom 01.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2017 (ZZ-1) aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

    Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt er vor, dass es beim Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten üblich sei, bei fernmündlichen Gesprächen mit verdeckter Sprechweise zu agieren. Die Erfahrungswerte sowie die Gesamtumstände des Falls zeigten, dass im vorliegenden Fall 30 und 100 Stangen Zigaretten gehandelt worden seien. Außerdem habe der Kläger bei seiner Vernehmung eingeräumt, dass er Stangen zum Preis von 25 € erworben habe. Wenn er Zigaretten dagegen schachtelweise erworben hätte, hätte er den Preis für eine Schachtel genannt.

    Bei der Entscheidung haben die Sachakten des Beklagten ZZ-2 und ZZ-1 sowie die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft B YY-2 (A), YY-3 (C) sowie YY-4 (D) vorgelegen.

    Entscheidungsgründe

    I.

    Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Zinsbescheid für hinterzogene Einfuhrabgaben vom 15.06.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 01.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

    Die Voraussetzungen von § 235 Abs. 1 AO, auf den der Beklagte die Zinserhebung gestützt hat, liegen nicht vor. Zwar wurden Steuern hinterzogen (dazu 1.). Der Kläger ist jedoch nicht Zinsschuldner (dazu 2.). Dass er eine Steuerhehlerei begangen hat, führt nicht zu seiner Inanspruchnahme nach § 235 AO (dazu 3.).

    1. Die Voraussetzungen von § 235 Abs. 1 S. 1 AO liegen vor. Danach sind hinterzogene Steuern, zu denen auch der Zoll gehört (§ 3 Abs. 2 AO), zu verzinsen.

    Im Hinblick auf die 26.000 Zigaretten, um die es hier geht, wurde Zoll hinterzogen. Dies ist der Fall, wenn die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und hierdurch Steuern verkürzt worden sind (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Eine steuerlich erhebliche Tatsache ist der Umstand, dass sich Waren unter Verstoß gegen die Beförderungspflichten (Art. 38 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG L 302/1; Zollkodex - ZK) und die Gestellungspflicht (Art. 40 ZK) im EU-Zollgebiet befinden und damit nicht der zollamtlichen Überwachung unterliegen (FG Hamburg, Urteil vom 29.05.2008, 4 K 395/07, juris, Rn. 17; FG München, Urteil vom 30.05.2006, 14 K 2469/03, juris, Rn. 28). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Unbekannte Dritte haben die Zigaretten, die aus Weißrussland stammen, unter Verstoß gegen die Beförderungs- und Gestellungspflicht ins EU-Zollgebiet verbracht, so dass der Zoll verkürzt worden ist. Insoweit wird auf die Ausführung des Senats im Urteil vom 13.09.2018 (4 K 124/17, Ziff. 1.1) verwiesen.

    Der Kläger dagegen beging beim Ankauf der Zigaretten keine Steuerhinterziehung. Er hatte - ungeachtet der Zollschuldentstehung nach Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK, der auf den Besitz abstellt - keine zollschuldrechtlichen Erklärungspflichten. Insbesondere war er nicht gestellungspflichtig gemäß Art. 40 S. 1 ZK. Er hat nämlich die Zigaretten weder ins Zollgebiet verbracht, noch hat er die Verantwortung für ihre Weiterbeförderung übernommen.

    2. Der Kläger ist nicht Schuldner der Zinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AO). Vorteil ist nur der unmittelbar aus der Hinterziehung erwachsende Steuervorteil (BFH, Urteil vom 11.05.1982, VII R 97/81, BFHE 136, 182, juris, Rn. 15). Zu wessen Gunsten Steuern hinterzogen worden sind, richtet sich danach, wer die Steuern schuldet (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 235 AO, Stand August 2015, Rn. 29; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO, Stand Januar 2016, Rn. 13). Zugunsten des Klägers wurde der Zoll nicht hinterzogen. Wie oben (1.) dargelegt, hat der Kläger keine Steuerhinterziehung begangen. Aus der von unbekannten Personen durch die Verbringung begangenen Steuerhinterziehung hat er keinen unmittelbaren Steuervorteil. Beim vorschriftswidrigen Verbringen der Zigaretten war der Kläger nämlich noch nicht Zollschuldner, weil er an der Verbringung selbst nicht mitgewirkt hat. Zollschuldner wurde er erst durch Inbesitznahme der Zigaretten (siehe das Urteil des Senats vom 13.09.2018, 4 K 124/17, Ziff. 1.3). Der einzige Vorteil, den der Kläger aus der Hinterziehung hatte, war die Möglichkeit, die geschmuggelten Zigaretten zu erwerben. Dies ist jedoch nur ein tatsächlicher Vorteil, der steuerschuldrechtlich nicht relevant ist.

    3. Der Umstand, dass der Kläger durch den Erwerb der Zigaretten eine Steuerhehlerei im Sinne von § 374 Abs. 1 AO begangen hat (siehe hinsichtlich der Tabaksteuer das Senatsurteil vom 13.09.2018, 4 K 121/17), ist für die Inanspruchnahme nach § 235 Abs. 1 AO nicht relevant. Alle nicht in § 235 Abs. 1 S. 1 AO genannten Straftatbestände, insbesondere Steuerhehlerei, lösen keine Zinspflicht aus (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO, Stand Januar 2016, Rn. 3; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 235 AO, Stand August 2015, Rn. 13). Wäre es anders, würde also der Steuerhehler über § 235 AO die Hinterziehungszinsen schulden, wäre § 71 AO überflüssig (so bereits BFH, Urteil vom 11.05.1982, VII R 97/81, BFHE 136, 182, juris, Rn. 15). Nach dieser Vorschrift haftet nämlich der Steuerhehler für die Zinsen nach § 235 AO. Der Kläger könnte mithin über § 71 AO i. V. m. § 235 AO in Anspruch genommen werden. Die Frage nach der Exklusivität von Schuld und Haftung (siehe hierzu das Senatsurteil vom 13.09.2018, 4 K 121/17) würde sich nicht stellen, da - wie dargelegt - der Kläger gerade nicht Zinsschuldner gemäß § 235 Abs. 1 S. 2 AO ist.

    II.

    Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO). Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).