06.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230092
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 15.02.2022 – 3 Ws 34/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt 3. Strafsenat
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Ermittlungsrichter - vom 5. Juni 2019 (Az. 7840 Js 247654/18 - 931 Gs) wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Angeschuldigten wird seit August 2018 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und der Steuerhinterziehung geführt. Der Angeschuldigte soll als Mitgesellschafter der faktisch als GbR geführten Firma A und als faktischer Geschäftsführer des seit Mai 2017 tätigen Nachfolgeunternehmens Firma A GmbH, deren offizieller alleiniger Geschäftsführer der Mitangeschuldigte B gewesen ist, gehandelt haben. Unternehmensgegenstand beider Unternehmen ist die Ausführung von Gebäudereinigungen im Innen- und Außenbereich. Dem Angeschuldigten wird in der Anklageschrift vom 16. April 2020 vorgeworfen, von November 2015 bis Dezember 2017 nicht angemeldete Arbeitnehmer in erheblichen Maße „schwarz“ beschäftigt und entlohnt bzw. angemeldete Arbeitnehmer in weit höherem Maße beschäftigt und entlohnt zu haben als angemeldet. Um dies zu kaschieren bzw. das erforderliche Bargeld für die „Schwarzlöhne“ zu gerieren, habe er durch den Erwerb von sog. „Abdeckrechnungen“ von nur scheinbar werbend tätigen „Servicefirmen“ gegenüber dem Finanzamt die Inanspruchnahme von Fremdleistungen vorgetäuscht. Aufgrund der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen hätten die Angeschuldigten Aufwendungen in sechsstelliger Höhe erspart und Lohnsteuer in fünfstelliger Höhe hinterzogen.
Bereits mit Beschluss vom 5. Juni 2019 (Az. 7840 Js 247654/18 - 931 Gs) hat das Amtsgericht Frankfurt am Main - Ermittlungsrichter - den dinglichen Arrest in Höhe des zunächst angenommenen Umfangs der von November 2015 bis Mai 2017 für die Fa. A nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 198.654,30 € in das Vermögen des Angeschuldigten angeordnet. Der lohnsteuerliche Schaden wurde bei der Arrestsumme nicht berücksichtigt. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen korrelierten Barabhebungen von dem Geschäftskonto in Höhe von 88.800,-- € unmittelbar mit Bareinzahlungen auf den Privatkonten des Angeschuldigten.
In Vollziehung dieses Arrestes wurden zunächst das Girokonto des Angeschuldigten bei der Bank1 Stadt1 gepfändet. Die Beschwerde gegen die Arrestanordnung wurde durch Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main (Az: …) verworfen. In der Folgezeit hinterlegte der Angeschuldigte einen Geldbetrag von 75.000,00 € bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Frankfurt am Main. Überdies wurden drei Sicherungshypotheken in Höhe von nominal jeweils 30.000,00 € zu Gunsten des Landes Hessen auf drei sich in seinem Eigentum Eigentumswohnungen in Stadt2 (Straße1) mit einem geschätzten belastungsfreien Wert von jeweils 10.000,00 € eingetragen. Die Staatsanwaltschaft hob im Gegenzug am 27. November 2019 die Pfändung der Konten auf, so dass er insoweit wieder frei über diese verfügen konnte. Am 30. April 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage vor der 26.gr. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Frankfurt am Main. Die Zustellung der Anklage wurde am 30. April 2020 verfügt. Eine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist bislang nicht ergangen. Nach einem Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom 1. Dezember 2020 konnte das Verfahren wegen vordringlicher Haftsachen und Altverfahren nicht gefördert werden (Bl. 1698 d.A.). An dieser Situation änderte sich auch in der Folgezeit nichts; siehe Vermerk des Vorsitzenden vom 22. April 2021 (Bl. 1724 d.A.) Mit einem an die Verfahrensbeteiligten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2021 teilte der Vorsitzende mit, dass die Kammer sich derzeit wegen vordringlich zu bearbeitender Haftsachen und einer noch älteren Wirtschaftsstrafsache nicht zur Verfahrensförderung in der Lage sieht. Den Antrag der Verteidigung, den Vermögensarrest wegen Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf eine nicht absehbare Verfahrensförderung aufzuheben, hat die Kammer mit Beschluss vom 25. November 2021 zurückgewiesen. Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat die Kammer nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte Beschwerde (§ 304 S.1 StPO) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Arrestbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2019 war aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben.
Vorliegend finden ungeachtet des Umstandes, dass der gegen den Angeschuldigten gerichtete Vorwurf auch vor dem 1. Juli 2017 begangene Taten (Tatzeit November 2015 bis Dezember 2017) betrifft, die Vorschriften des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 Anwendung, da erst nach dem Stichtag eine Entscheidung über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages zu treffen ist (Art. 316 h S.1 EGStGB, § 14 EGStPO).
Anders als dies die Kammer entschieden hat, ist die weitere Anspruchssicherung nach den vorliegenden Umständen des Einzelfalls nicht mehr verhältnismäßig, da sich der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens allein durch Umstände aus der Sphäre des Staates erheblich verzögert und in einem solchen Fall eine nicht mehr gebotene und damit nicht mehr hinnehmbare Belastung des Betroffenen besteht.
Anordnung und Aufrechterhaltung des Vermögensarrestes unterliegen auch weiterhin dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und in zeitlicher Hinsicht dem Übermaßverbot (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 111 e Rdnr. 8, 9). Nachdem die nach der früheren Gesetzeslage geltenden Fristen des § 111 b Abs.3 StPO a.F. ersatzlos gestrichen worden sind, gibt es zwar keine gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich einer zeitlichen Beschränkung mehr; allerdings bedeutet dies nicht, dass die vorläufig sichernde Maßnahme den Betroffenen zeitlich unbefristet belasten darf. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist vielmehr eine jeweils einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 GG vorzunehmen. Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme von Verfassung wegen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (vgl. hierzu (BVerfGE, Beschluss vom 7. Juni 2005, 2 BvR 1822/04, OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. September 2010, 2 Ws 81/10). Hierbei sind u.a. maßgeblich Art und Schwere des vorgeworfenen Delikts, die Anzahl der Geschädigten, die Kenntnis des Verantwortlichen, die Umstände der Tatbegehung, sowie der insgesamt verbundene Ermittlungsaufwand im konkreten Fall.
Dem Angeschuldigten werden vorliegend erhebliche Straftaten zu Lasten des Interesses der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung und zu Lasten des Steuerfiskus vorgeworfen. Der Angeschuldigte soll diese Taten in Serie über einen Zeitraum von zwei Jahren zur Gewinnmaximierung begangen haben, was auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen lässt. Nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen wurden von ihm auch bereits erhebliche Vermögenswerte ins Ausland (Türkei) transferiert. Der Senat verkennt auch nicht, dass das gegen den Angeschuldigten seit August 2018 geführte Ermittlungsverfahren inklusive der Ermittlungs- und Sicherungsmaßnahmen in tatsächlicher Hinsicht umfangreich und zeitaufwendig war, was längere Bearbeitungszeiten bedingt. So kann der Bearbeitungszeitraum durch die Staatsanwaltschaft nicht als überlang angesehen werden; insbesondere der Zeitraum zwischen der Arrestanordnung am 5. Juni 2019 und der Anklageerhebung am 16. April 2020 ist angesichts des Verfahrensumfangs nicht ungewöhnlich und sachgerecht.
Der Vermögensarrest und die in dessen Vollzug ausgebrachen Vollstreckungsmaßnahmen beschränken die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Angeschuldigten allerdings seit zwei Jahren und 8 Monaten in einschneidender Weise. Zwar wurde die Pfändung des Girokontos des Angeschuldigten im November 2019 aufgehoben, so dass der Angeschuldigte hierauf wieder uneingeschränkt zugreifen kann. Vorliegend besteht aber zum einen durch die Hinterlegung eines Barbetrages von 75.000,-- € eine erhebliche Kapitalbindung; zum anderen wird die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Angeschuldigten über das in seinem Eigentum stehende Wohnungseigentum auch durch die drei Sicherungshypotheken in Höhe von nominal jeweils 30.000,-- € erheblich eingeschränkt, worauf die Verteidigung zutreffend hinweist. Diese Belastungen wären bei Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls angesichts der Erheblichkeit der in Rede stehenden Straftaten sowie des Ermittlungs- und Bearbeitungsaufwandes bei ordnungsgemäßer Verfahrensförderung auch weiterhin hinnehmbar. Allerdings kann der Senat eine solche seit Dezember 2020, also über einen langen Zeitraum von 14 Monaten nicht mehr feststellen. Seitdem konnte das Verfahren wegen der Überlastung der Kammer mit vordringlicheren Haftsachen und Altverfahren, wie der Vorsitzende der Strafkammer selbst mehrfach vermerkt und den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht hat, nicht mehr gefördert werden, so dass bislang keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen ist. Es herrscht seitdem faktisch ein Verfahrensstillstand, der dem Angeschuldigten nicht angelastet werden kann (vgl. hierzu Senatsentscheidungen vom 11. Februar 2014 - 3 Ws 1086/13 und 7. Mai 2020 - 3 Ws 775/19). Auch solche zeitlichen Verzögerungen können nach Auffassung des Senats allerdings noch aufgefangen werden, wenn das Verfahren sodann intensiv gefördert, die Hauptverhandlung durchgeführt und das erstinstanzliche Verfahren in einem überschaubaren Zeitraum zum Abschluss gebracht werden kann (vgl. hierzu Senatsentscheidung Beschluss vom 16. Juli 2019 - 3 Ws 282 + 283/19). Dies ist vorliegend aber nicht gesichert.
Der Vorsitzende der 29. Strafkammer hat auf Anfrage des Senats zur Belastungssituation der Kammer mit einem Bestand von 14 Sachen und seiner persönlichen Belastungssituation folgendes mitgeteilt:
Das vorliegende Verfahren sei das zweitälteste der 29. Strafkammer. Noch älter sei ein Verfahren aus dem Jahr 2019, wobei es sich hierbei um ein umfangreiches Umsatzsteuerkarussell-Verfahren handele. Plangemäß hätten beide Verfahren im Jahr 2022 verhandelt werden sollen. Dies sei aber nun dadurch mit Unsicherheiten behaftet, weil er (wegen akuten Personalmangels!) ab dem 15. Februar 2020 mit einem Arbeitskraftanteil von 50 % den weiteren Vorsitz der 6.gr. Strafkammer zu übernehmen habe. Deren Bestand belaufe sich auf 31 (!) Sachen inklusive mehrerer Haftsachen; wobei die Sitzungstätigkeit des Vorsitzenden in der 6. Strafkammer der Sitzungstätigkeit in der 29. Strafkammer vorgehe. Mehrere Verfahren der 6. Strafkammer seien bereits terminiert, darunter ein Verfahren aus 2018.
Daraus ergebe sich in der Kombination folgende Terminsituation ab dem 21. Februar 2022, wobei ein Beisitzer der 29. Kammer sich aktuell bis zum 20. Februar 2022 in Elternzeit befindet und vom 11. April bis 22. April 2022 alle Lebenszeitrichter der 29. Strafkammer in Urlaub sind:
18. 2. 2022: Hauptverhandlungstermin (HVT) der 6. Strafkammer
21. 2. 2022 : HVT der 29. Strafkammer (jeweils Montag und Mittwoch)
23. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer und 29. Strafkammer
24. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer
25. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer
28. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer und 29.Strafkammer
1.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
2.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
7.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
9.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
14.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
18.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
21.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
23.3.2022: HVT der 20. Strafkammer
28.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
29.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
1.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
6.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
27.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
28.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
3.5.2022: HVT der 6. Strafkammer
4.5.2022: HVT der 6. Strafkammer.
Ab Juli 2022 soll die stellvertretende Vorsitzende der 6. Strafkammer in die Abordnungserprobung zum Oberlandesgericht; ein weiterer Beisitzer der 29. Strafkammer ist ab August 2020 für längere Zeit in Elternzeit. Bereits aus dieser nur beispielhaften Auflistung ergibt sich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich gerade in der Wirtschaftsstrafkammer i.d.R. um erhebliche Umfangsverfahren handelt, deren tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit zumeist weit über dem Durchschnitt liegen, und Hauptverhandlungstermine vor- und nachbereitet werden müssen, die erhebliche Überlastung der 29. gr. Strafkammer und ihres aufgrund akuten Personalmangels (!) lediglich dort noch mit einem Arbeitsanteil von 50 % (!) tätigen Vorsitzenden eindrucksvoll.
Soweit der Vorsitzende der 29. Strafkammer unter der Prämisse, dass „keine großen Haftsachen dazwischenkommen“ das vorliegende Verfahren im Jahr 2022 verhandeln und abschließen will, ist dies seiner trotz der erheblichen Arbeitsbelastung und damit einhergehenden Frustrationsbelastung immer noch vorbildlichen Arbeitsmotivation geschuldet. Der Senat teilt diese sehr optimistische Einschätzung indes nicht, gehen doch erfahrungsgemäß im Laufe des Jahres bei den großen Strafkammern eilbedürftige Haftsachen ein, die vorrangig bearbeitet werden müssen.
Die nur vage, durch die aktuelle Personalsituation nicht gestützte, Hoffnung, dass das Verfahren zum Jahresende, also nach mehr als 20 Monaten, wieder gefördert werden kann, reicht nicht aus, um die Verhältnismäßigkeit des Arrests zu bejahen.
15.02.2022
3 Ws 34/22
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Ermittlungsrichter - vom 5. Juni 2019 (Az. 7840 Js 247654/18 - 931 Gs) wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Angeschuldigten wird seit August 2018 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und der Steuerhinterziehung geführt. Der Angeschuldigte soll als Mitgesellschafter der faktisch als GbR geführten Firma A und als faktischer Geschäftsführer des seit Mai 2017 tätigen Nachfolgeunternehmens Firma A GmbH, deren offizieller alleiniger Geschäftsführer der Mitangeschuldigte B gewesen ist, gehandelt haben. Unternehmensgegenstand beider Unternehmen ist die Ausführung von Gebäudereinigungen im Innen- und Außenbereich. Dem Angeschuldigten wird in der Anklageschrift vom 16. April 2020 vorgeworfen, von November 2015 bis Dezember 2017 nicht angemeldete Arbeitnehmer in erheblichen Maße „schwarz“ beschäftigt und entlohnt bzw. angemeldete Arbeitnehmer in weit höherem Maße beschäftigt und entlohnt zu haben als angemeldet. Um dies zu kaschieren bzw. das erforderliche Bargeld für die „Schwarzlöhne“ zu gerieren, habe er durch den Erwerb von sog. „Abdeckrechnungen“ von nur scheinbar werbend tätigen „Servicefirmen“ gegenüber dem Finanzamt die Inanspruchnahme von Fremdleistungen vorgetäuscht. Aufgrund der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen hätten die Angeschuldigten Aufwendungen in sechsstelliger Höhe erspart und Lohnsteuer in fünfstelliger Höhe hinterzogen.
Bereits mit Beschluss vom 5. Juni 2019 (Az. 7840 Js 247654/18 - 931 Gs) hat das Amtsgericht Frankfurt am Main - Ermittlungsrichter - den dinglichen Arrest in Höhe des zunächst angenommenen Umfangs der von November 2015 bis Mai 2017 für die Fa. A nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 198.654,30 € in das Vermögen des Angeschuldigten angeordnet. Der lohnsteuerliche Schaden wurde bei der Arrestsumme nicht berücksichtigt. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen korrelierten Barabhebungen von dem Geschäftskonto in Höhe von 88.800,-- € unmittelbar mit Bareinzahlungen auf den Privatkonten des Angeschuldigten.
In Vollziehung dieses Arrestes wurden zunächst das Girokonto des Angeschuldigten bei der Bank1 Stadt1 gepfändet. Die Beschwerde gegen die Arrestanordnung wurde durch Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main (Az: …) verworfen. In der Folgezeit hinterlegte der Angeschuldigte einen Geldbetrag von 75.000,00 € bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Frankfurt am Main. Überdies wurden drei Sicherungshypotheken in Höhe von nominal jeweils 30.000,00 € zu Gunsten des Landes Hessen auf drei sich in seinem Eigentum Eigentumswohnungen in Stadt2 (Straße1) mit einem geschätzten belastungsfreien Wert von jeweils 10.000,00 € eingetragen. Die Staatsanwaltschaft hob im Gegenzug am 27. November 2019 die Pfändung der Konten auf, so dass er insoweit wieder frei über diese verfügen konnte. Am 30. April 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage vor der 26.gr. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Frankfurt am Main. Die Zustellung der Anklage wurde am 30. April 2020 verfügt. Eine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist bislang nicht ergangen. Nach einem Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom 1. Dezember 2020 konnte das Verfahren wegen vordringlicher Haftsachen und Altverfahren nicht gefördert werden (Bl. 1698 d.A.). An dieser Situation änderte sich auch in der Folgezeit nichts; siehe Vermerk des Vorsitzenden vom 22. April 2021 (Bl. 1724 d.A.) Mit einem an die Verfahrensbeteiligten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2021 teilte der Vorsitzende mit, dass die Kammer sich derzeit wegen vordringlich zu bearbeitender Haftsachen und einer noch älteren Wirtschaftsstrafsache nicht zur Verfahrensförderung in der Lage sieht. Den Antrag der Verteidigung, den Vermögensarrest wegen Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf eine nicht absehbare Verfahrensförderung aufzuheben, hat die Kammer mit Beschluss vom 25. November 2021 zurückgewiesen. Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat die Kammer nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte Beschwerde (§ 304 S.1 StPO) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Arrestbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2019 war aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben.
Vorliegend finden ungeachtet des Umstandes, dass der gegen den Angeschuldigten gerichtete Vorwurf auch vor dem 1. Juli 2017 begangene Taten (Tatzeit November 2015 bis Dezember 2017) betrifft, die Vorschriften des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 Anwendung, da erst nach dem Stichtag eine Entscheidung über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages zu treffen ist (Art. 316 h S.1 EGStGB, § 14 EGStPO).
Anders als dies die Kammer entschieden hat, ist die weitere Anspruchssicherung nach den vorliegenden Umständen des Einzelfalls nicht mehr verhältnismäßig, da sich der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens allein durch Umstände aus der Sphäre des Staates erheblich verzögert und in einem solchen Fall eine nicht mehr gebotene und damit nicht mehr hinnehmbare Belastung des Betroffenen besteht.
Anordnung und Aufrechterhaltung des Vermögensarrestes unterliegen auch weiterhin dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und in zeitlicher Hinsicht dem Übermaßverbot (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 111 e Rdnr. 8, 9). Nachdem die nach der früheren Gesetzeslage geltenden Fristen des § 111 b Abs.3 StPO a.F. ersatzlos gestrichen worden sind, gibt es zwar keine gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich einer zeitlichen Beschränkung mehr; allerdings bedeutet dies nicht, dass die vorläufig sichernde Maßnahme den Betroffenen zeitlich unbefristet belasten darf. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist vielmehr eine jeweils einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 GG vorzunehmen. Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme von Verfassung wegen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (vgl. hierzu (BVerfGE, Beschluss vom 7. Juni 2005, 2 BvR 1822/04, OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. September 2010, 2 Ws 81/10). Hierbei sind u.a. maßgeblich Art und Schwere des vorgeworfenen Delikts, die Anzahl der Geschädigten, die Kenntnis des Verantwortlichen, die Umstände der Tatbegehung, sowie der insgesamt verbundene Ermittlungsaufwand im konkreten Fall.
Dem Angeschuldigten werden vorliegend erhebliche Straftaten zu Lasten des Interesses der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung und zu Lasten des Steuerfiskus vorgeworfen. Der Angeschuldigte soll diese Taten in Serie über einen Zeitraum von zwei Jahren zur Gewinnmaximierung begangen haben, was auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen lässt. Nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen wurden von ihm auch bereits erhebliche Vermögenswerte ins Ausland (Türkei) transferiert. Der Senat verkennt auch nicht, dass das gegen den Angeschuldigten seit August 2018 geführte Ermittlungsverfahren inklusive der Ermittlungs- und Sicherungsmaßnahmen in tatsächlicher Hinsicht umfangreich und zeitaufwendig war, was längere Bearbeitungszeiten bedingt. So kann der Bearbeitungszeitraum durch die Staatsanwaltschaft nicht als überlang angesehen werden; insbesondere der Zeitraum zwischen der Arrestanordnung am 5. Juni 2019 und der Anklageerhebung am 16. April 2020 ist angesichts des Verfahrensumfangs nicht ungewöhnlich und sachgerecht.
Der Vermögensarrest und die in dessen Vollzug ausgebrachen Vollstreckungsmaßnahmen beschränken die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Angeschuldigten allerdings seit zwei Jahren und 8 Monaten in einschneidender Weise. Zwar wurde die Pfändung des Girokontos des Angeschuldigten im November 2019 aufgehoben, so dass der Angeschuldigte hierauf wieder uneingeschränkt zugreifen kann. Vorliegend besteht aber zum einen durch die Hinterlegung eines Barbetrages von 75.000,-- € eine erhebliche Kapitalbindung; zum anderen wird die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Angeschuldigten über das in seinem Eigentum stehende Wohnungseigentum auch durch die drei Sicherungshypotheken in Höhe von nominal jeweils 30.000,-- € erheblich eingeschränkt, worauf die Verteidigung zutreffend hinweist. Diese Belastungen wären bei Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls angesichts der Erheblichkeit der in Rede stehenden Straftaten sowie des Ermittlungs- und Bearbeitungsaufwandes bei ordnungsgemäßer Verfahrensförderung auch weiterhin hinnehmbar. Allerdings kann der Senat eine solche seit Dezember 2020, also über einen langen Zeitraum von 14 Monaten nicht mehr feststellen. Seitdem konnte das Verfahren wegen der Überlastung der Kammer mit vordringlicheren Haftsachen und Altverfahren, wie der Vorsitzende der Strafkammer selbst mehrfach vermerkt und den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht hat, nicht mehr gefördert werden, so dass bislang keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen ist. Es herrscht seitdem faktisch ein Verfahrensstillstand, der dem Angeschuldigten nicht angelastet werden kann (vgl. hierzu Senatsentscheidungen vom 11. Februar 2014 - 3 Ws 1086/13 und 7. Mai 2020 - 3 Ws 775/19). Auch solche zeitlichen Verzögerungen können nach Auffassung des Senats allerdings noch aufgefangen werden, wenn das Verfahren sodann intensiv gefördert, die Hauptverhandlung durchgeführt und das erstinstanzliche Verfahren in einem überschaubaren Zeitraum zum Abschluss gebracht werden kann (vgl. hierzu Senatsentscheidung Beschluss vom 16. Juli 2019 - 3 Ws 282 + 283/19). Dies ist vorliegend aber nicht gesichert.
Der Vorsitzende der 29. Strafkammer hat auf Anfrage des Senats zur Belastungssituation der Kammer mit einem Bestand von 14 Sachen und seiner persönlichen Belastungssituation folgendes mitgeteilt:
Das vorliegende Verfahren sei das zweitälteste der 29. Strafkammer. Noch älter sei ein Verfahren aus dem Jahr 2019, wobei es sich hierbei um ein umfangreiches Umsatzsteuerkarussell-Verfahren handele. Plangemäß hätten beide Verfahren im Jahr 2022 verhandelt werden sollen. Dies sei aber nun dadurch mit Unsicherheiten behaftet, weil er (wegen akuten Personalmangels!) ab dem 15. Februar 2020 mit einem Arbeitskraftanteil von 50 % den weiteren Vorsitz der 6.gr. Strafkammer zu übernehmen habe. Deren Bestand belaufe sich auf 31 (!) Sachen inklusive mehrerer Haftsachen; wobei die Sitzungstätigkeit des Vorsitzenden in der 6. Strafkammer der Sitzungstätigkeit in der 29. Strafkammer vorgehe. Mehrere Verfahren der 6. Strafkammer seien bereits terminiert, darunter ein Verfahren aus 2018.
Daraus ergebe sich in der Kombination folgende Terminsituation ab dem 21. Februar 2022, wobei ein Beisitzer der 29. Kammer sich aktuell bis zum 20. Februar 2022 in Elternzeit befindet und vom 11. April bis 22. April 2022 alle Lebenszeitrichter der 29. Strafkammer in Urlaub sind:
18. 2. 2022: Hauptverhandlungstermin (HVT) der 6. Strafkammer
21. 2. 2022 : HVT der 29. Strafkammer (jeweils Montag und Mittwoch)
23. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer und 29. Strafkammer
24. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer
25. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer
28. 2. 2022: HVT der 6. Strafkammer und 29.Strafkammer
1.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
2.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
7.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
9.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
14.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
18.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
21.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
23.3.2022: HVT der 20. Strafkammer
28.3.2022: HVT der 29. Strafkammer
29.3.2022: HVT der 6. Strafkammer
1.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
6.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
27.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
28.4.2022: HVT der 6. Strafkammer
3.5.2022: HVT der 6. Strafkammer
4.5.2022: HVT der 6. Strafkammer.
Ab Juli 2022 soll die stellvertretende Vorsitzende der 6. Strafkammer in die Abordnungserprobung zum Oberlandesgericht; ein weiterer Beisitzer der 29. Strafkammer ist ab August 2020 für längere Zeit in Elternzeit. Bereits aus dieser nur beispielhaften Auflistung ergibt sich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich gerade in der Wirtschaftsstrafkammer i.d.R. um erhebliche Umfangsverfahren handelt, deren tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit zumeist weit über dem Durchschnitt liegen, und Hauptverhandlungstermine vor- und nachbereitet werden müssen, die erhebliche Überlastung der 29. gr. Strafkammer und ihres aufgrund akuten Personalmangels (!) lediglich dort noch mit einem Arbeitsanteil von 50 % (!) tätigen Vorsitzenden eindrucksvoll.
Soweit der Vorsitzende der 29. Strafkammer unter der Prämisse, dass „keine großen Haftsachen dazwischenkommen“ das vorliegende Verfahren im Jahr 2022 verhandeln und abschließen will, ist dies seiner trotz der erheblichen Arbeitsbelastung und damit einhergehenden Frustrationsbelastung immer noch vorbildlichen Arbeitsmotivation geschuldet. Der Senat teilt diese sehr optimistische Einschätzung indes nicht, gehen doch erfahrungsgemäß im Laufe des Jahres bei den großen Strafkammern eilbedürftige Haftsachen ein, die vorrangig bearbeitet werden müssen.
Die nur vage, durch die aktuelle Personalsituation nicht gestützte, Hoffnung, dass das Verfahren zum Jahresende, also nach mehr als 20 Monaten, wieder gefördert werden kann, reicht nicht aus, um die Verhältnismäßigkeit des Arrests zu bejahen.