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  • 09.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234115

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 02.03.2023 – C-16/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

    2. März 2023(*)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung ‒ Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ‒ Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ‒ Richtlinie 2014/41/EU ‒ Europäische Ermittlungsanordnung ‒ Art. 1 Abs. 1 ‒ Begriff ‚Justizbehörde‘ ‒ Art. 2 Buchst. c ‒ Begriff ‚Anordnungsbehörde‘ ‒ Anordnung, die von einer Steuerbehörde erlassen und nicht von einem Richter oder einem Staatsanwalt validiert wird ‒ Steuerbehörde, die die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer steuerstrafrechtlichen Ermittlung wahrnimmt“

    In der Rechtssache C‑16/22

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Graz (Österreich) mit Entscheidung vom 21. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2022, in dem Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung betreffend

    MS,

    Beteiligte:

    Staatsanwaltschaft Graz,

    Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,

    Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    ‒        von MS, vertreten durch Rechtsanwalt J. Herbst,
    ‒        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und M.‑T. Rappersberger als Bevollmächtigte,
    ‒        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche, M. Hellmann und D. Klebs als Bevollmächtigte,
    ‒        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1
    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1).

    2
    Es ergeht im Rahmen eines Ersuchens um Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Österreich, die vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf) in Bezug auf MS erlassen wurde.

    Rechtlicher Rahmen
    Unionsrecht

    3
    In den Erwägungsgründen 5 bis 8 der Richtlinie 2014/41 heißt es:

    „(5)      [Es] ist deutlich geworden, dass der bestehende Rahmen für die Erhebung von Beweismitteln zu fragmentiert und zu kompliziert ist. Daher ist ein neuer Ansatz erforderlich.

    (6)      In dem vom Europäischen Rat vom 10./11. Dezember 2009 angenommenen Stockholmer Programm hat der Europäische Rat die Auffassung vertreten, dass die Einrichtung eines umfassenden Systems für die Beweiserhebung in Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen, das auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung basiert, weiter verfolgt werden sollte. Dem Europäischen Rat zufolge stellten die bestehenden Rechtsinstrumente auf diesem Gebiet eine lückenhafte Regelung dar und bedurfte es eines neuen Ansatzes, der auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht, aber auch der Flexibilität des traditionellen Systems der Rechtshilfe Rechnung trägt. Der Europäische Rat hat daher ein umfassendes System gefordert, das sämtliche bestehenden Instrumente in diesem Bereich ersetzen soll, unter anderem auch den Rahmenbeschluss 2008/978/JI [des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen (ABl. 2008, L 350, S. 72)], und das so weit wie möglich alle Arten von Beweismitteln erfasst, Vollstreckungsfristen enthält und das die Versagungsgründe so weit wie möglich beschränkt.

    (7)      Diesem neuen Ansatz liegt ein einheitliches Instrument zugrunde, das als Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) bezeichnet wird. Die EEA sollte zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahmen im Staat, in dem die EEA vollstreckt wird (im Folgenden ‚Vollstreckungsstaat‘) im Hinblick auf die Erhebung von Beweismitteln erlassen werden. Dies schließt auch die Erlangung von Beweismitteln ein, die sich bereits im Besitz der Vollstreckungsbehörde befinden.

    (8)      Die EEA sollte übergreifenden Charakter haben und sollte daher für alle Ermittlungsmaßnahmen gelten, die der Beweiserhebung dienen. …“

    4
    Art. 1 („Die Europäische Ermittlungsanordnung und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

    „Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (‚Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (‚Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.“

    5
    In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/41 heißt es:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:



    c)      ‚Anordnungsbehörde‘

    i)      einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

    ii)      jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden;

    …“

    6
    Art. 4 („Verfahren, für die die EEA erlassen werden kann“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „Eine EEA kann erlassen werden:

    a)      in Bezug auf Strafverfahren, die eine Justizbehörde wegen einer nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats strafbaren Handlung eingeleitet hat oder mit denen sie befasst werden kann;

    b)      bei Verfahren, die Verwaltungsbehörden wegen Handlungen eingeleitet haben, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften geahndet werden können, sofern gegen die Entscheidung ein insbesondere in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann;

    c)      bei Verfahren, die Justizbehörden wegen Handlungen eingeleitet haben, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften geahndet werden können, sofern gegen die Entscheidung ein insbesondere in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann, und

    d)      im Zusammenhang mit Verfahren gemäß den Buchstaben a, b und c, die sich auf Straftaten oder Zuwiderhandlungen beziehen, für die im Anordnungsstaat eine juristische Person zur Verantwortung gezogen oder bestraft werden kann.“

    7
    Art. 33 („Mitteilungen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/41 bestimmt:

    „(1)      Jeder Mitgliedstaat teilt der [Europäischen] Kommission bis zum 22. Mai 2017 Folgendes mit:

    a)      die Behörde oder die Behörden, die gemäß seinem nationalen Recht gemäß Artikel 2 Buchstaben c und d zuständig ist bzw. sind, wenn dieser Mitgliedstaat Anordnungsstaat oder Vollstreckungsstaat ist;



    (2)      Jeder Mitgliedstaat kann der Kommission ferner die Liste der notwendigen Schriftstücke übermitteln, die er im Rahmen des Artikels 22 Absatz 4 verlangen würde.“

    8
    Das Formblatt für die Europäische Ermittlungsanordnung in Anhang A dieser Richtlinie enthält u. a. einen Abschnitt K, in dem insbesondere die Art der Behörde anzugeben ist, die die Europäische Ermittlungsanordnung erlassen hat, d. h. eine Justizbehörde oder eine andere nach dem Recht des Anordnungsstaats zuständige Behörde. Dieses Formblatt enthält auch einen Abschnitt L, in dem erforderlichenfalls die Angaben zu der Justizbehörde einzutragen sind, die die Europäische Ermittlungsanordnung validiert hat.

    Deutsches Recht

    9
    Mit Notifizierungsschreiben der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union vom 14. März 2017 teilte dieser Mitgliedstaat gemäß Art. 33 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/41 mit:

    „Anordnungs- und Vollstreckungsbehörden können in … Deutschland ‒ je nach der im Einzelfall einschlägigen Zuständigkeitsregelung der Länder ‒ zum einen sämtliche Justizbehörden sein, also insbesondere der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof [(Deutschland)], die Staatsanwaltschaften, die Generalstaatsanwaltschaften und die Zentrale Stelle in Ludwigsburg [(Deutschland)], sowie alle für Strafsachen zuständigen Gerichte.

    Zum anderen können Anordnungs- und Vollstreckungsbehörden auch die Verwaltungsbehörden sein, die nach [deutschem] Recht … für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständig sind.

    Für Ersuchen, die deutsche Verwaltungsbehörden an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union richten, ist in Übereinstimmung mit Artikel 2 Buchstabe c der [Richtlinie 2014/41] vorgesehen, dass eine Bestätigung grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht erfolgen muss, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Die Länder können die Zuständigkeit für die Bestätigung abweichend hiervon einem Gericht zuweisen oder die örtliche Zuständigkeit der bestätigenden Staatsanwaltschaft abweichend regeln …

    Ersuchen von deutschen Finanzbehörden, die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung [in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I, S. 3866; BGBl. 2003 I, S. 61)] eigenständig führen, bedürfen keiner Bestätigung durch eine Justizbehörde oder durch ein Gericht. Die Finanzbehörden nehmen in diesem Fall gemäß § 399 Absatz 1 der [Abgabenordnung] in Verbindung mit § 77 Absatz 1 [des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1994 I, S. 1537)] die Rechte und Pflichten einer Staatsanwaltschaft wahr und handeln somit selbst als justizielle Behörde im Sinne vom Artikel 2 Buchstabe c der [Richtlinie 2014/41].“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    10
    Das Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf ermittelt wegen Steuerhinterziehung gegen MS. Diese wird als Geschäftsführerin einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung verdächtigt, im Zeitraum von 2015 bis Februar 2020 Umsätze aus einem Bordellbetrieb mit einer steuerlichen Auswirkung von etwa 1,6 Mio. Euro nicht erklärt zu haben.

    11
    Für die Zwecke dieser Ermittlungen erließ dieses Finanzamt eine Europäische Ermittlungsanordnung, die es am 23. Juli 2020 an die Staatsanwaltschaft Graz (Österreich) übermittelte. Mit dieser Anordnung ersuchte es die Staatsanwaltschaft Graz, bei einer Bank in Österreich Unterlagen zu zwei auf den Namen von MS eröffneten Bankkonten für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 28. Februar 2020 zu erheben.

    12
    Im Abschnitt K der Ermittlungsanordnung wurde angegeben, dass sie von einer „Justizbehörde“ erlassen worden sei. Folglich füllte das zuständige Finanzamt Abschnitt L dieser Anordnung nicht aus, in dem ‒ falls die Ermittlungsanordnung durch eine Justizbehörde validiert wird ‒ Angaben zu dieser Behörde zu machen sind.

    13
    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass eine Bank gemäß der österreichischen Strafprozessordnung nur durch eine Ermittlungsmaßnahme, die durch die Staatsanwaltschaft aufgrund gerichtlicher Bewilligung anzuordnen ist, zur Auskunft über Bankkonten und Übermittlung von Kontounterlagen verpflichtet werden kann.

    14
    Mit Beschluss vom 5. August 2020 bewilligte die Haft- und Rechtsschutzrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz (Österreich) die Vollstreckung der in Rn. 11 des vorliegenden Urteils genannten Europäischen Ermittlungsanordnung gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft Graz. Am 7. August 2020 ordnete die Staatsanwaltschaft Graz die Durchführung der beantragten Maßnahme an.

    15
    MS legte gegen den Beschluss vom 5. August 2020 Beschwerde beim Oberlandesgericht Graz (Österreich), dem vorlegenden Gericht, ein. Vor diesem Gericht macht MS geltend, dass das Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf weder eine „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 noch eine „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie sei. Dieses Finanzamt sei daher für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung nicht zuständig.

    16
    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es die Zulässigkeit der Vollstreckung der vom Finanzamt für Steuerstrafsachen Düsseldorf erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung zu beurteilen habe. Diese Anordnung sei nicht von einer Justizbehörde validiert worden, wie es in Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 vorgesehen sei, wenn es sich bei der Anordnungsbehörde um eine andere Behörde als einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt handele, der bzw. das in dem betreffenden Fall zuständig sei. Daher sei zu prüfen, ob die Steuerbehörde, die nach deutschem Recht ermächtigt sei, in Bezug auf bestimmte Straftaten die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen, einer ,,Justizbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie und einem ,,Staatsanwalt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie gleichgesetzt werden könne.

    17
    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts gibt es auf den Wortlaut und den Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, wie sie vom Gerichtshof im Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C‑584/19, EU:C:2020:1002), und von Generalanwalt Campos Sánchez‑Bordona in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster (C‑66/20, EU:C:2021:200) ausgelegt worden seien, gestützte Argumente, die einer solchen Gleichsetzung entgegenstünden.

    18
    In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich die institutionelle Stellung der Steuerverwaltung, die in der Liste der Justizbehörden in Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 nicht als Anordnungsbehörde aufgeführt sei, deutlich von jener der Staatsanwaltschaft unterscheide, die in dieser Liste aufgeführt sei.

    19
    So handele es sich bei der Steuerverwaltung im Unterschied zur Staatsanwaltschaft um eine zur Exekutive gehörige Verwaltungsbehörde, die für Steuerangelegenheiten zuständig und in den hierarchischen Behördenaufbau des deutschen Finanzministeriums ohne Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit eingebunden sei. Die Befugnis, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren selbständig zu führen, komme ihr nur bei bestimmten Straftaten und auch nur so lange zu, als sie eine solche Strafsache nicht selbst an die Staatsanwaltschaft abgebe oder die Staatsanwaltschaft diese Strafsache an sich ziehe; dies sei jederzeit möglich und bedürfe keines bestimmten Grundes. Wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren durchführe, habe die Steuerbehörde lediglich dieselben Rechte und Pflichten wie die Polizeibehörden. Wenn die Steuerbehörde das Ermittlungsverfahren selbständig durchführe, „nehme“ sie die Rechte und Pflichten, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zukämen, bloß „wahr“, ohne diese selbst zu besitzen.

    20
    Die institutionelle Stellung einer Staatsanwaltschaft werde hingegen dadurch charakterisiert, dass sie als Garant der Rechtmäßigkeit vor den Gerichten agiere, tatsächlich an der Rechtspflege mitwirke und dem allgemeinen Interesse an der Einhaltung der Gesetze diene.

    21
    Das vorlegende Gericht räumt jedoch ein, es lasse sich auch vertreten, dass die Steuerbehörde bei Wahrnehmung der Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft einer „Justizbehörde“ und einer „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 gleichzustellen sei.

    22
    Aus dem Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 51 und 56 bis 73), gehe nämlich hervor, dass, um eine von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 erfasste Behörde als „Anordnungsbehörde“ einzustufen, einzig erforderlich sei, dass sie in der betreffenden Rechtssache zuständig sei und dass die Europäische Ermittlungsanordnung unter Wahrung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien erlassen werde.

    23
    Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Graz beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 so auszulegen, dass als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Bestimmungen auch ein deutsches Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung anzusehen ist, das nach den nationalen Vorschriften ermächtigt ist, in Bezug auf bestimmte Straftaten die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen?

    Zur Vorlagefrage

    24
    Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die zwar zur Exekutive dieses Staates gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden kann.

    25
    Bei der Auslegung dieser Bestimmungen sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26
    Was als Erstes die wörtliche Auslegung betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Ermittlungsanordnung in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/41 als eine gerichtliche Entscheidung definiert wird, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.

    27
    Der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „Justizbehörde“ wird dort nicht definiert. Diese Bestimmung ist daher in Verbindung mit den anderen Bestimmungen der Richtlinie 2014/41, insbesondere deren Art. 2 Buchst. c, zu lesen.

    28
    In Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 wird definiert, was für die Zwecke dieser Richtlinie unter einer „Anordnungsbehörde“ zu verstehen ist. Gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie bezeichnet eine Anordnungsbehörde „einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist“. Gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie ist eine Anordnungsbehörde ferner „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“. Aus der letztgenannten Bestimmung geht außerdem hervor, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung, wenn sie von einer solchen „anderen Behörde“ erlassen wird, vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einer Justizbehörde, nämlich einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat, validiert werden muss.

    29
    Somit ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41, dass in dieser Bestimmung zwischen zwei Kategorien von Anordnungsbehörden unterschieden wird, die von Ziff. i bzw. Ziff. ii erfasst werden.

    30
    So werden in Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie Richter, Gerichte, Ermittlungsrichter oder Staatsanwälte ausdrücklich als „Anordnungsbehörde“ bezeichnet, und zwar unter der einzigen Voraussetzung, dass sie in der betreffenden Sache zuständig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 50 und 51).

    31
    Diesen vier Behörden ist gemein, dass sie alle an der Rechtspflege mitwirken können (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau], C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 60). Im Übrigen werden sie, wie sich aus Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 ergibt, entsprechend dieser Beurteilung als „Justizbehörden“ im Sinne dieser Richtlinie eingestuft.

    32
    Außerdem sind diese vier Behörden, wie sich aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 und insbesondere aus der Verwendung der nebenordnenden Konjunktion „oder“ ergibt, in dieser Bestimmung abschließend aufgezählt.

    33
    Diese Auslegung wird durch Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie gestützt, der vorsieht, dass eine zweite Kategorie von Behörden unter den Begriff der „Anordnungsbehörde“ fällt. Diese Kategorie erfasst jede „andere“ Behörde als die in Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie genannten, sofern eine solche Behörde in Strafverfahren befugt ist, als Ermittlungsbehörde tätig zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2021, Spetsializirana prokuratura [Verkehrs- und Standortdaten], C‑724/19, EU:C:2021:1020, Rn. 29). Eine von einer solchen Behörde erlassene Europäische Ermittlungsanordnung muss vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einer „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie validiert werden.

    34
    Folglich lässt der Verweis auf „jede andere Behörde“ in Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 eindeutig erkennen, dass jede Behörde, bei der es sich nicht um einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt nach Art. 2 Buchst. c Ziff. i dieser Richtlinie handelt, anhand von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie zu prüfen ist. Eine Behörde, die keine Justizbehörde ist, wie eine Verwaltungsbehörde, kann folglich unter den in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 fallen.

    35
    Daraus folgt, dass Art. 2 Buchst. c Ziff. i und ii dieser Richtlinie die Trennung von Judikative und Exekutive widerspiegelt, die dem einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung immanent ist. Unter den Justizbehörden werden nämlich herkömmlich die an der Rechtspflege mitwirkenden Behörden verstanden, im Unterschied insbesondere zu Verwaltungsbehörden, die zur Exekutive gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Poltorak, C‑452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35).

    36
    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 angesichts seines Wortlauts zwischen zwei Kategorien von Anordnungsbehörden unterscheidet, die einander ausschließen. Die Stellung jeder Behörde, die nicht ausdrücklich in Ziff. i dieser Bestimmung aufgezählt ist, ist gemäß Ziff. ii dieser Bestimmung zu prüfen.

    37
    Die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten gehören nicht zu den in Ziff. i dieser Bestimmung abschließend aufgezählten Behörden. Sie sind daher als Anordnungsbehörden im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie anzusehen, sofern die in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

    38
    Als Zweites stützen der Kontext, in den sich Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 einfügt, und das Ziel dieser Richtlinie ebenfalls die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils dargelegte wörtliche Auslegung dieser Bestimmung.

    39
    Was nämlich die kontextbezogene Auslegung betrifft, ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 4 der Richtlinie 2014/41, in dem festgelegt wird, für welche Verfahren eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen werden kann, sowohl Verfahren, die von einer „Justizbehörde“ eingeleitet werden, als auch Verfahren, die von „Verwaltungsbehörden“ eingeleitet werden, nennt. Dieser Artikel bestätigt somit die Bedeutung der Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Behörden in dem durch diese Richtlinie und insbesondere durch ihren Art. 2 Buchst. c geschaffenen rechtlichen Rahmen.

    40
    Zweitens ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41, dass der Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung, bei der es sich um eine gerichtliche Entscheidung handelt, jedenfalls das Tätigwerden einer Justizbehörde erfordert. Eine solche Anordnung muss nämlich entweder von einer Justizbehörde selbst erlassen oder von ihr validiert werden, wenn sie von einer „anderen Behörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie erlassen wurde.

    41
    Ebenso wie aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich aus ihrem Kontext eine klare Unterscheidung zwischen Justizbehörden und anderen Behörden, die eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen können.

    42
    Was das Ziel der Richtlinie 2014/41 angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 5 bis 8 ergibt, den fragmentierten und komplizierten Rahmen, der bis zum Erlass dieser Richtlinie für die Erhebung von Beweismitteln in Strafverfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen bestand, ersetzen und durch die Einführung eines vereinfachten und wirksameren Systems, das auf einem einheitlichen Instrument beruht, das als Europäische Ermittlungsanordnung bezeichnet wird, die justizielle Zusammenarbeit erleichtern und beschleunigen soll, um zur Verwirklichung des der Union gesteckten Ziels, zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu werden, beizutragen, wobei sie ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt (Urteil vom 16. Dezember 2021, Spetsializirana prokuratura [Verkehrs- und Standortdaten], C‑724/19, EU:C:2021:1020, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43
    Insoweit erfordert das Ziel einer vereinfachten und wirksamen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten eine einfache und eindeutige Identifizierung der Behörde, die eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen hat, um festzustellen, ob eine solche Ermittlungsanordnung gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 durch eine Justizbehörde zu validieren ist oder nicht. Die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung, gemäß der sich die beiden Kategorien von Anordnungsbehörden im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie gegenseitig ausschließen, ermöglicht es, dieses Ziel zu erreichen, da anhand dieser Auslegung eindeutig bestimmt werden kann, ob eine Anordnungsbehörde unter Ziff. i oder Ziff. ii dieser Bestimmung fällt.

    44
    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass sowohl der Wortlaut von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 als auch der Kontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, und das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der von der österreichischen Regierung und der deutschen Regierung geltend gemachten funktionalen Auslegung entgegenstehen, wonach eine Steuerbehörde, wenn sie nach nationalem Recht die Rechte und Pflichten wahrnehme, die der Staatsanwaltschaft zukämen, dieser gleichzustellen und folglich als „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie einzustufen sei.

    45
    Diese Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass eine Steuerbehörde je nach dem rechtlichen Rahmen, in dem sie ihre Befugnisse ausübt, als Anordnungsbehörde entweder nach Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 oder nach Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie anzusehen wäre. Außerdem würde durch diese Auslegung die in dieser Richtlinie vorgenommene klare Unterscheidung zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden verschwimmen. Sie hätte zudem zur Folge, dass eine Steuerbehörde, die zur Exekutive gehört, wenn diese Behörde unter die erste dieser Bestimmungen fällt, eine Europäische Ermittlungsanordnung ohne jede Beteiligung einer Justizbehörde erlassen könnte. Ein solcher Ansatz würde somit zu Rechtsunsicherheit führen und könnte das System der Vollstreckung der Europäischen Ermittlungsanordnung verkomplizieren und damit die Einführung eines vereinfachten und wirksamen Systems der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Strafsachen gefährden.

    46
    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass

    ‒        eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die zwar zur Exekutive dieses Staats gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, nicht als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden kann;

    ‒        eine solche Behörde hingegen unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie fallen kann, sofern die in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.

    Kosten

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    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

    Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen

    sind dahin auszulegen, dass

    ‒        eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die zwar zur Exekutive dieses Staats gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, nicht als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden kann;

    ‒        eine solche Behörde hingegen unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie fallen kann, sofern die in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.