13.03.2014 · IWW-Abrufnummer 140763
Bundesgerichtshof: Urteil vom 14.01.2014 – II ZR 192/13
Der Tatrichter darf sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.
Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.01.2014
Az.: II ZR 192/13
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart sowie den Richter Sunder
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 29. April 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Der Beklagte war von Juni bis August 2008 Geschäftsführer der R. GmbH. In diesem Zeitraum führte er Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 789,98 € nicht an die für den Einzug zuständige Klägerin ab. Mit ihrer am 2. September 2010 zugestellten Klage verlangt die Klägerin vom Beklagten Zahlung von 789,98 € und die Feststellung, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe.
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Über das Vermögen des Beklagten war in England am 22. Februar 2010 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Klägerin meldete ihre Forderung als "claim in tort" an. Am 22. Februar 2011 erlangte der Beklagte eine Restschuldbefreiung.
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Die Klägerin ist der Auffassung, nach sec. 281 (3) des englischen Insolvency Act 1986 (im Folgenden: IA 1986) werde der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.
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Sec. 281 (3) IA 1986 lautet (zitiert nach www.legislation.gov.uk):
"Discharge does not release the bankrupt from any bankruptcy debt which he incurred in respect of, or forbearance in respect of which was secured by means of, any fraud or fraudulent breach of trust to which he was a party."
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Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat beim Max-Planck-Institut für ausländisches Recht die Kosten eines Gutachtens zum englischen Recht erfragt (ca. 3.500 - 4.000 €), sich dann aber darauf beschränkt, nach dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl 1974 II S. 937 ff., sog. Londoner Übereinkommen) eine Auskunft des Foreign & Commonwealth Office, handelnd durch das Department for Business Innovation & Skills, London, einzuholen. Sodann hat es die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zahlungsklage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen werde. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die Zahlungsklage sei zwar zulässig. Der geltend gemachte Ersatzanspruch wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung falle jedoch nicht unter sec. 281 (3) IA 1986, eine Vorschrift, die nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. k EuInsVO hier anzuwenden sei. Derartige Forderungen erfüllten nicht ausnahmslos die Voraussetzungen der sec. 281 (3) IA 1986. Es müsse vielmehr eine betrügerische Absicht oder eine untreueähnliche Handlung hinzukommen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Der Anspruch der Klägerin werde daher von der Restschuldbefreiung erfasst.
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Die Feststellungsklage sei unzulässig. Für die begehrte Feststellung stehe zwar das normale Klageverfahren zur Verfügung. Es fehle aber angesichts der Restschuldbefreiung am Rechtsschutzbedürfnis.
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II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
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1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Klage zulässig ist. Das englische Insolvenzverfahren ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts mittlerweile beendet. Damit war der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 - XII ZR 181/08, BGHZ 187, 10 Rn. 7) prozessführungsbefugt.
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2. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass sich aus dem Vortrag der Klägerin ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf Schadensersatz wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung ergeben kann, dass dieser Anspruch aber nicht durchsetzbar ist, wenn die Klageforderung von der zugunsten des Beklagten in England eingetretenen Restschuldbefreiung erfasst wird. Diese Frage ist, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend gesehen hat, von den deutschen Gerichten nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. k EuInsVO unter Anwendung des englischen Rechts zu beantworten (vgl. Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1252 f.; Priebe, ZInsO 2012, 2074, 2081; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., Art. 4 EuInsVO Rn. 59).
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3. Das Berufungsgericht hat aber bei der Feststellung des englischen Rechts die dafür einschlägige Rechtsnorm des § 293 ZPO verletzt. Danach ist das Gericht bei der Ermittlung ausländischen Rechts befugt, aber auch verpflichtet, geeignete Erkenntnisquellen unabhängig von den Beweisantritten der Parteien zu nutzen und zu diesem Zweck das Erforderliche anzuordnen. Diesem Gebot ist das Berufungsgericht nicht in ausreichendem Maß nachgekommen, was die Revision zu Recht rügt.
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a) Ausländisches Recht ist zwar auch nach der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO durch das FGG-Reformgesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S. 2585) nicht revisibel (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZB 197/12, ZIP 2013, 2173 Rn. 15 ff.; offen gelassen noch von BGH, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 14; Urteil vom 12. November 2009 - Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 Rn. 21; anders BAG, Urteil vom 10. April 1975, WM 1976, 194, [...] Rn. 38 f. für § 73 Satz 1 ArbGG). Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber nicht in erster Linie darum, ob die Auslegung von sec. 281 (3) IA 1986 durch das Berufungsgericht zutreffend ist. Das Verfahren des Berufungsgerichts leidet vielmehr an dem Mangel, dass sich das Berufungsgericht keine ausreichenden Informationen über das englische Recht verschafft hat, um dieses Recht auslegen und anwenden zu können.
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b) Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686 mwN). Vom Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat (BGH, Beschluss vom 30. April 2013 - VII ZB 22/12, WM 2013, 1225 Rn. 39).
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Danach durfte sich das Berufungsgericht nicht mit der Auskunft des Foreign & Commonwealth Office vom 9. August 2012 zufriedengeben. Denn diese Auskunft beantwortet die gestellte Frage nicht erschöpfend, und es ist nicht auszuschließen, dass eine umfassendere Auskunft aufgrund einer Nachfrage bei der englischen Behörde oder auf anderem Wege hätte herbeigeführt werden können.
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Auf die Frage, ob Forderungen wegen vorsätzlicher Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen der Vorschrift in sec. 281 (3) IA 1986 unterfallen, hat das Foreign & Commonwealth Office folgende Antwort gegeben:
"If the debtor has committed fraud in relation to social insurance contributions then this may fall under section 281 (3) IA 1986. A fraudulently intention not to pay social insurance may fall within section 281 (3) but this would depend on the circumstances. The fraudulent element would need to (be) proved."
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Die vom Berufungsgericht veranlasste Übersetzung lautet wie folgt:
"Hat der Konkursschuldner Sozialversicherungsbeiträge unterschlagen, so kann das unter sec. 281 (3) IA fallen. In betrügerischer Absicht nicht gezahlte Sozialversicherung kann unter sec. 281 (3) IA fallen, das hängt jedoch von den Umständen ab. Die betrügerische Absicht muss nachgewiesen werden."
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Damit soll sich der Anwendungsbereich von sec. 281 (3) IA 1986 danach richten, ob der Insolvenzschuldner mit der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen einen "fraud" begangen hat oder ob er dabei eine "fraudulently intention" hatte. Diese Begriffe sind aber ihrerseits auslegungsbedürftig. Weiter kann für die Anwendbarkeit der Norm auch der Begriff "fraudulent breach of trust" in sec. 281 (3) IA 1986 von Bedeutung sein. Angesichts dessen wäre die erteilte Auskunft nur dann ausreichend, wenn auch der Sinn dieser Begriffe nach dem englischen Rechtsverständnis erklärt und insbesondere erl äutert worden wäre, von welchen Umständen ("circumstances") die Anwendbarkeit von sec. 281 (3) IA 1986 darüber hinaus abhängt.
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c) Das Berufungsgericht konnte von einer ausreichenden Ermittlung des ausländischen Rechts auch nicht deshalb ausgehen, weil die Klägerin selbst angeregt hatte, ein Vorgehen nach dem Londoner Übereinkommen zu prüfen, und weil sie nach Vorlage der Auskunft nicht eine Ergänzung oder ein Sachverständigengutachten beantragt hat, wie die Revisionserwiderung unter Bezugnahme auf § 295 ZPO geltend macht. Nicht das Vorgehen nach dem Londoner Übereinkommen war fehlerhaft, sondern allein der Umstand, dass sich das Berufungsgericht mit der erteilten Auskunft zufriedengegeben hat. Dieser Verfahrensfehler ergab sich aber erst aus dem Urteil.
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III. Damit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Das Berufungsgericht wird bei der Feststellung und Anwendung des englischen Rechts zu berücksichtigen haben, dass nach § 266a Abs. 1 StGB das Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung - anders als die Einbehaltung sonstiger Teile des Arbeitsentgelts unter den Voraussetzungen des § 266a Abs. 2 StGB - kein untreueähnliches Verhalten des Arbeitgebers voraussetzt, sondern die Strafbarkeit allein der finanziellen Sicherung der Sozialversicherung dient, und dass in diesem Zusammenhang die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen besonders verwerflich ist, weil der Arbeitgeber insoweit die Möglichkeit zum Lohnabzug gegenüber dem Arbeitnehmer hat, der Arbeitgeber also wirtschaftlich letztlich nicht belastet wird (BGH, Urteil vom 16. Mai 2000 - VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311, 317 ff.).
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2. Das Berufungsgericht kann wegen der Unklarheit der Auskunft beim Foreign & Commonwealth Office nachfragen. Wenn die Nachfrage nicht erschöpfend beantwortet werden sollte, kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht. Dass ein Gutachten ein Vielfaches des Streitwerts kosten wird, ist allein noch kein Grund, davon Abstand zu nehmen.
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3. Gegebenenfalls wird sich das Berufungsgericht erneut mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine Befreiung des Insolvenzschuldners von etwaigen Ansprüchen wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nach sec. 281 (3) IA 1986 wegen Verstoßes gegen den deutschen Ordre public nach Art. 26 EuInsVO unwirksam ist. Dabei wird es zu beachten haben, dass insoweit Zurückhaltung geboten ist. Die deutsche öffentliche Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass dies nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365, 367; EuGH, ZIP 2006, 907 Rn. 63 f. [EuGH 02.05.2006 - C 341/04] - Eurofood). Dieser Grundsatz erstreckt sich auch auf die Fälle der erleichterten Restschuldbefreiung im Ausland (MünchKommInsO/Reinhart, 4. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 1, 16; Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012, S. 210 ff.; Koch, in: Festschrift Jayme, 2004, S. 437, 443; Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1251).