01.03.2005 · IWW-Abrufnummer 050578
Bundesgerichtshof: Urteil vom 03.02.2005 – III ZR 271/04
Die Rückgabe einer in einem Strafverfahren beschlagnahmten Sache hat an dem Ort zu erfolgen, an welchem diese aufzubewahren war; die zuständigen Justizbehörden sind nicht verpflichtet, die Sache dem Berechtigten an dessen Wohnsitz zu bringen.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 271/04
Verkündet am:
3. Februar 2005
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 31. Dezember 2004 eingereichten Schriftsätze
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 20. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
In der Kanzlei des Klägers, eines seinerzeit in Hamburg praktizierenden Rechtsanwalts, wurden im Zuge eines gegen ihn geführten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in den Jahren 1984 und 1989 durch die dortige Staatsanwaltschaft Unterlagen aus Mandantenakten beschlagnahmt. Das Strafverfahren selbst wurde sp äter vom Landgericht Hamburg gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldbuße von 12.000 DM eingestellt; eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) wurde dem Kläger versagt. Die in mehreren Kartons aufbewahrten beschlagnahmten Unterlagen wurden daraufhin von der Staatsanwaltschaft zur Abholung bereitgestellt.
Der Kläger, der zwischenzeitlich seinen Wohn- und Kanzleisitz nach Ibiza verlegt hat, begehrt mit der vorliegenden Klage die Verurteilung der beklagten Freien und Hansestadt Hamburg (Justizbehörde - Justizamt), die beschlagnahmten Unterlagen an seinen neuen Wohnsitz zu übersenden. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landgericht (NJW 2004, 2455) hat sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Beide Vorinstanzen haben die Zulässigkeit der vorliegenden zivilgerichtlichen Klage mit Recht bejaht. Es geht hier um einen vermögensrechtlichen Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung, der gemäß § 40 Abs. 2 VwGO den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Die Parteien streiten nicht über die Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung - die Beschlagnahme ist durch den rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens ohne weiteres erloschen (allgemeine Meinung; vgl. KK/Nack, StPO 5. Aufl. 2003 § 98 Rn. 33; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. 2004 § 98 Rn. 29 m.w.N.) -, die den zuständigen Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Gericht) vorbehalten ist (Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461, 463; KK/Nack aaO Rn. 34; Meyer-Goßner aaO Rn. 30), sondern ausschließlich über die Modalitäten der Rückgabe. Diese Frage kann von den Zivilgerichten nach allgemeinen materiell- und verfahrensrechtlichen Grundsätzen entschieden werden, ohne daß ein Kompetenzkonflikt mit der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht entsteht. Entgegen Hoffmann/Knierim (aaO), die insoweit "im Wege der Annexkompetenz" § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO für anwendbar und deshalb eine Zivilklage für unzulässig halten, hat auch das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 25. April 1984 (wistra 1984, 240) die dortige Herausgabeklage nicht etwa als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen, weil den dort geltend gemachten Herausgabeansprüchen nach § 985 BGB und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung mit der wirksamen Beschlagnahme ein materiell-rechtliches Hindernis entgegengestanden hatte.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat vielmehr mit Recht auf das hier in Rede stehende öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis die Vorschrift des § 697 BGB entsprechend angewandt. Danach hat die Rückgabe der hinterlegten (hier: der durch Beschlagnahme in öffentlich-rechtliche Verwahrung genommenen) Sache an dem Ort zu erfolgen, an welchem die Sache aufzubewahren war; der Verwahrer (die beklagte Justizbehörde) ist nicht verpflichtet, die Sache dem Hinterleger (hier dem Kläger an dessen Wohnort) zu bringen.
a) In diesem Sinne hat sich das Oberlandesgericht Hamburg bereits in einer frühen Entscheidung (Urteil vom 13. Juli 1916 = SeuffArch 72 [1917] Nr. 4 S. 7, 8 geäußert. Diese Entscheidung ist unverändert aktuell; ihr hat sich ein Großteil der Kommentarliteratur zum Bürgerlichen Gesetzbuch angeschlossen (Staudinger/Reuter, BGB 13. Bearb. 1995 § 697 Rn. 5; Erman/Herrmann, BGB 11. Aufl. 2004 § 697 Rn. 1; MünchKomm/Hüffer, BGB 4. Aufl. 2005 § 697 Rn. 3 i.V.m. Fn. 4). Auch in Teilen der strafprozessualen Literatur wird § 697 BGB für anwendbar gehalten (H. Schäfer, wistra 1984, 136, 137).
b) Demgegenüber wird in der strafprozessualen Literatur wohl überwiegend die Auffassung vertreten, § 697 BGB sei bei beschlagnahmten oder formlos für Zwecke der Strafverfolgung sichergestellten Sachen nach Beendigung des hoheitlichen Zugriffs nicht analog anwendbar. Dies habe die Konsequenz, daß die beschlagnahmten Sachen dem Betroffenen dort zur ückzugeben seien, wo sie von der Behörde beschlagnahmt oder wo sie dieser zur Abwendung der Beschlagnahme freiwillig übergeben worden waren (Damrau, NStZ 2003, 408, 410). Noch weitergehend nehmen G. Schäfer (in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Stand: 1. Oktober 2003 § 98 Rn. 64) und Hoffmann/Knierim (aaO) an, die Gegenstände seien dem Berechtigten auf Verlangen zurückzubringen. Dies könnte die weitere Folge haben, daß die Behörde die beschlagnahmten Sachen auf eigene Kosten und Gefahr auch an einen etwaigen neuen, möglicherweise - wie hier - sogar im Ausland befindlichen Wohnsitz des Berechtigten zu verbringen hätte.
c) Das zentrale Argument für die Begründung einer derartigen weitergehenden Verpflichtung, die beschlagnahmten Sachen zurückzubringen, besteht darin, daß sie - anders als beim normalen privatrechtlichen Verwahrungsvertrag - nicht aufgrund eines vertraglichen Einverständnisses des Hinterlegers, sondern - oftmals gegen dessen Willen - durch den hoheitlichen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden in die öffentlich-rechtliche Verwahrung überführt worden seien. Mit der Verpflichtung des Betroffenen, diese zwangsweise Entziehung zu dulden, korrespondiere eine Rechtspflicht der Strafverfolgungsbehörden, die Sachen nach dem Wegfall der öffentlich-rechtlichen Verstrickung - gleichsam im Wege der "Wiedergutmachung" - zum Berechtigten zurückzuschaffen.
d) Diese Betrachtungsweise vermag der erkennende Senat indessen nicht zu teilen. Vielmehr erhält - wie schon das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat - der hier zu beurteilende Sachverhalt sein Gepräge dadurch, daß die Beschlagnahme rechtmäßig gewesen war und ihre gesetzliche Grundlage in § 94 StPO gefunden hatte. Diese Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Zugriffs begründet eine sachliche Rechtfertigung für das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis, die in ihrem Gewicht dem vertraglichen Konsens bei einem privatrechtlichen Verwahrungsvertrag mindestens gleichkommt. Dies rechtfertigt es, die gesetzlichen Regelungen für die Abwicklung eines beendeten Verwahrungsverhältnisses auch auf die Beendigung einer Beschlagnahme anzuwenden, und zu diesen gehört auch die gesetzliche Wertung, die der Rückgaberegelung des § 697 BGB zugrunde liegt.
e) Nichts anderes ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung, den Staudinger/Reuter (aaO) zur ausnahmsweisen Begründung einer Rückschaffungspflicht der Behörde anführt. Der Folgenbeseitigungsanspruch betrifft Fälle, in denen durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der noch andauert. Der ursprünglichen Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts steht es gleich, wenn ein von einer Behörde geschaffener Zustand nachträglich rechtswidrig wird (Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 2 6. Aufl. [2000] § 52 II Rn. 13 und 17 m.w.N.). An dieser entscheidenden Voraussetzung fehlt es hier. Weder war durch die rechtmäßige Beschlagnahme ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, noch war der ursprünglich rechtmäßige Zustand nachträglich rechtswidrig geworden, nachdem die Beschlagnahme geendet und die Staatsanwaltschaft die Gegenstände zur Abholung bereit gestellt hatte.
f) Wegen dieser Rechtmäßigkeit scheidet auch ein auf Ersatz der für den Rücktransport erforderlichen Aufwendungen gerichteter Amtshaftungsanspruch des Klägers (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) von vornherein aus. Ob diese Aufwendungen gegebenenfalls zu den nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG ersatzfähigen Schadensposition gehören könnten, ist hier nicht zu entscheiden.