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  • 17.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142685

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 13.06.2014 – 6 V 76/14

    1. Ermessensfehlgebrauch liegt nicht bereits deswegen vor, weil die Vollstreckungsrückstände noch nicht bestandskräftig sind, auch dann nicht, wenn es sich hierbei um Schätzungsbescheide handelt.
    2. Ein sehr zügig, d. h. bereits drei Monate nach Fälligkeit der Steuerschulden, gestellter Antrag Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nicht zwangsläufig rechtsmissbräuchlich. Entscheidend ist, ob noch erfolgversprechende Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen.


    FINANZGERICHT HAMBURG
    Aktz: 6 V 76/14
    Entschdatum: 13.06.2014
    Dokumententyp: Beschluss - Einzelrichter

    Gründe
    I.

    Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegner (das Finanzamt -FA) zur Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verpflichten.

    Der Antragsteller arbeitete bis zu seiner Abmeldung am ... 2012 als selbstständiger Fuhrunternehmer. Er hatte keine Angestellten.

    Am 31.07.2013 übersandte der Antragsgegner eine Prüfungsanordnung. Anschließend führte er eine Betriebsprüfung durch.

    Der Antragsteller hatte in den Jahren 2009 bis 2012 keine Einkommensteuererklärungen abgegeben. Am 29.11.2013 erließ das FA für 2009 bis 2012 gem. § 162 AO Einkommensteuerbescheide und schätzte hierbei jährliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... €. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2012 wurden gem. § 164 Abs. 2 AO geändert. Das FA versagte die Berücksichtigung von Vorsteuerabzugsbeträgen, da der Antragsteller keine diesbezüglichen Rechnungen vorgelegt hatte.

    Der Antragsteller legte gegen die Bescheide Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 20.02.2014 lehnte das FA den AdV-Antrag ab. Die Einsprüche wurden durch Einspruchsentscheidung vom 16.06.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 13.06.2014 zugefaxt worden.

    Der Antragsgegner leitete Vollstreckungsmaßnahmen ein. Insbesondere erließ er am ... 2014 für die ihm bekannten Bankverbindungen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen. Diese waren erfolglos. Ein Vollziehungsbeamter versuchte am ... 2014, am ... 2014 und am ... 2014 beim Antragsteller zu vollstrecken. Am ... 2014 erstellte der Vollziehungsbeamte ein fruchtloses Pfändungsprotokoll. Dabei stellt er fest, dass der Antragsteller in einem kleinen Zimmer ... wohnte und von der Unterstützung ... lebte. Die dem Antragsgegner bekannten Kraftfahrzeuge konnten nicht aufgefunden werden.

    Am ... 2014 beantragte der Antragsgegner beim Amtsgericht A unter der Geschäftsnummer ... die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In diesem Zusammenhang berief sich der Antragsgegner auf Abgabenrückstände in Höhe von 87.476,85 €.

    Das Insolvenzgericht forderte den Antragsteller am 16.04.2014 (zugestellt am 23.04.2014) auf binnen 14 Tagen zur Stellungnahme auf.

    Durch den Beschluss des Amtsgerichts A vom ... 2014 wurde zur Aufklärung des Sachverhalts die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Der beauftragte Sachverständige meldete sich durch sein Schreiben vom 20.05.2014 beim Antragsteller und forderte ihn auf, diverse Unterlagen einzureichen. Am 02.06.2014 erinnerte der Sachverständige den Antragsteller an seine Verpflichtung zur Mitwirkung.

    Am 05.05.2014 beantragte der Antragsteller eine einstweilige Anordnung beim Finanzgericht.

    Zwischen den Beteiligten haben nach Antragstellung beim Finanzgericht diverse Verhandlungen stattgefunden. Der Antragsteller bat deshalb um Fristverlängerung, um eine einvernehmliche Lösung mit dem FA zu finden. Am ... 2014 fand ein Gespräch an Amtsstelle statt. Bei diesem Gespräch wurde eine tatsächliche Verständigung über die streitigen Besteuerungsgrundlagen erzielt. Diese Verständigung wurde durch die Änderungsbescheide vom 16.06.2014 umgesetzt. Die entsprechenden Bescheide sind dem Prozessbevollmächtigten am 13.06.2014 zugefaxt worden. Hiernach ergaben sich Rückstände von insgesamt 46.575,39 €.

    Die ebenfalls am ... 2014 besprochene Ratenzahlungsvereinbarung kam nicht zustande, weil sich anschließend ergab, dass die Steuerrückstände wegen bereits zurückgezahlter Vorsteuern in Höhe von 22.777,99 € wesentlich höher waren. Dieser Umstand war von keinem der anwesenden Beteiligten im Gespräch berücksichtigt worden. Außerdem stellte sich nach dem Gespräch heraus, dass das vom Antragsteller als Sicherheit angebotene Fahrzeug-1 bereits veräußert gewesen war.

    Mit Schreiben vom 02.06.2014 lehnte der Antragsgegner den AdV-Antrag, den Stundungsantrag und den Antrag auf Vollstreckungsaufschub ab.

    Am 05.06.2014 teilte der Antragsteller mit, dass er nunmehr doch um eine gerichtliche Entscheidung bitte.

    Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller vor, dass das Stellen des Insolvenzantrags ermessensfehlerhaft gewesen sei, denn das FA habe sein Ermessen nicht ausgeübt. Dies sei insbesondere daran ersichtlich, dass der Sachbearbeiter des Antragstellers, Herr B seinem Prozessbevollmächtigten telefonisch mitgeteilt habe, dass ihn der Sachverhalt nicht interessiere und für ihn ausschließlich entscheidend sei, dass die festgesetzten Steuer nicht bezahlt worden seien.

    Das FA sei verpflichtet, die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend zu würdigen. Hierbei sei einzubeziehen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht über die Einsprüche oder den AdV-Antrag entschieden worden sei. Auch sei es nicht möglich, dass sich die Rückstände erhöhten, da er, der Antragsteller, seinem Gewerbe zurzeit nicht nachgehen könne.

    Es sei auch mit dem FA eine Vereinbarung getroffen worden, die das FA binde. Hierbei seien die Beteiligten übereinstimmend von Steuerschulden in Höhe von 19.000 € ausgegangen. Auch deshalb sei die Aufrechterhaltung des Insolvenzantrages ermessenswidrig.

    Das FA sei auch nicht an der Beitreibung der Steuerrückstände interessiert, sondern wolle ihn nur in ein Insolvenzverfahren treiben. Auch verhindere das FA bewusst die Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit, denn die Wiederanmeldung seiner gewerblichen Tätigkeit scheitere an dem Fehlen der Unbedenklichkeitsbescheinigung, die ihm das FA verweigere.

    Der Antragsgegner habe bereits kurz nach Bekanntgabe der Steuerbescheide angefangen zu vollstrecken. Der Vollziehungsbeamte habe nicht bezweckt bei ihm zu vollstrecken, sondern er habe von Anfang an nur das fruchtlose Pfändungsprotokoll erstellen wollen. Der Insolvenzantrag sei deswegen auch unverzüglich nur zwei Arbeitstage nach dem Vollstreckungsversuch gestellt worden.

    Das FA habe auch die ihm angebotenen Zahlungen abgelehnt.

    Zudem sei er Eigentümer eines Fahrzeug-1 nebst ... Auch verfüge er über weitere Vermögensgegenstände.

    Durch den Schriftsatz vom 05.06.2014 teilte der Antragsteller mit, dass er auch nach der Veräußerung des Fahrzeug-1 noch über ausreichende Sicherheiten verfüge, da er einen Trailer im Werte von ca. 6.500 € und einen Pkw im Wert von ca. 13.575 € habe.

    Die Prüfungsanordnung sei rechtswidrig, da sie nicht an ihn, den Antragsteller, sondern an seine Empfangsbevollmächtigten habe ergehen müssen. Zwar sei diese Empfangsvollmacht von der C Unternehmensberatung widerrufen worden, dieser Widerruf sei aber nicht beim FA angekommen.

    Er sei davon ausgegangen, dass die C Unternehmensberatung sich um die Betriebsprüfung kümmern werde und habe sich deshalb nicht um diese Angelegenheit gekümmert. Anfang November habe er dann seine Buchhaltungsunterlagen zu seinem Steuerberater bringen wollen. Nachdem er die Unterlagen in seinem Fahrzeug-1 deponiert habe, sei das Fahrzeug-1 gestohlen worden. In diesem Zusammenhang legt der Antragsteller die Kopie der Diebstahlsanzeige vor.

    Die Schätzungsbescheide bzw. die Änderungsbescheide vom 29.11.2013 seien rechtswidrig, denn ihm sei vor Erlass kein rechtliches Gehör gewährt worden. Zudem habe das FA nicht seinen Amtsermittlungspflichten entsprochen. Er, der Antragsteller könne nichts dafür, dass ihm die Buchhaltungsunterlagen gestohlen worden seien. Insbesondere hätte ihm die Gelegenheit gewährt werden müssen, Zweitbelege anzufordern. Die Höhe der Schätzung sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Er wohne ... und bräuchte daher nicht viel Geld zum Leben.

    Die Entscheidung des Insolvenzgerichtes stehe unmittelbar bevor. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das Insolvenzverfahren durchgeführt werde und im Rahmen des Insolvenzverfahrens die Fahrzeuge veräußert und sein Unternehmen aufgelöst werde. Er könne keinen Eigenantrag stellen, da die Steuerschulden zu Unrecht beständen, so dass er auch nicht die Möglichkeit habe, eine Restschuldbefreiung zu erlangen.

    Der Antragsteller beantragt,
    den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Insolvenzantrag an das Amtsgericht A vom ... 2014 - Geschäftsnummer ... - zurückzunehmen.

    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzuweisen.

    Der Antragsgegner trägt vor, der Antrag auf Insolvenzeröffnung sei ermessensgerecht gewesen. Der Antragsteller sei überschuldet. In den Jahren 2003 bis 2012 habe der Antragsteller insgesamt Verluste in Höhe von 163.156 € generiert. Nach der Umsetzung der tatsächlichen Verständigung beständen immer noch erhebliche Steuerschulden des Antragstellers. Seit dem 02.01.2014 habe der Antragsteller keine Zahlungen geleistet. Ausreichendes pfändbares Vermögen sei nicht vorhanden. Das zunächst als Sicherheit angebotene Fahrzeug-1 sei bereits veräußert worden. Diesen Umstand habe der Antragsteller bei der Besprechung am ... 2014 verschwiegen. Auch habe der Antragsgegner aus dieser Veräußerung keine Zahlungen erhalten. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass noch weitere Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern bestehen.

    Die vom Antragsteller angebotenen Ratenzahlungen und sein vorhandenes Vermögen seien nicht ausreichend, um einen Vollstreckungsaufschub gewähren zu können.

    Die Behauptung des Antragstellers, ihm seien die Buchhaltungsunterlagen gestohlen worden, sei nicht glaubhaft, denn in der vorgelegten Diebstahlsanzeige seien die Buchhaltungsunterlagen gerade nicht erwähnt.

    Dem Gericht liegen die Vollstreckungsakten Bd. I zur Steuernummer .../.../... vor.

    II.

    Die Entscheidung ergeht wegen der besonderen Eilbedürftigkeit gem. § 114 Abs. 2 Satz 3 FGO durch die Vorsitzende.

    1. Der Antrag ist zulässig.

    a) Insbesondere ist der Finanzrechtsweg gegeben. Unabhängig davon, dass gegen den Eröffnungsbeschluss und gegen die Abweisung des Insolvenzantrags Rechtsmittel zu den ordentlichen Gerichten gegeben sind (§ 34 Abs. 2, §§ 6 und 7 InsO), gehört die Rechtsfrage, ob das Finanzamt im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit eine fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen hat, in die Zuständigkeit der Finanzgerichte (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris unter Hinweis auf BFH Urteile vom 19.12.1989 VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710; vom 11.12.1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787; Beschluss vom 25.02.2011 VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017).

    b) Da das Begehren des Antragstellers auf ein schlichtes Verwaltungshandeln (Rücknahme eines Antrags) gerichtet ist (vgl. BFH Beschluss vom 28.02.2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763), ist im Hauptsacheverfahren die sonstige Leistungsklage in der Form einer Unterlassungsklage gegeben (vgl. BFH Urteil vom 04.04.1984 I R 269/81, BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563) und folglich im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ein Antrag nach § 114 FGO (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris).

    c) Im Streitfall liegt auch das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf einstweilige Anordnung mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des Finanzamtes vor. Dieses ist für die Anrufung des Finanzgericht jedenfalls solange gegeben, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des Finanzamts mangels kostendeckender Masse rechtskräftig abgelehnt hat und mit dieser Entscheidung des Insolvenzgerichts der Insolvenzantrag des Finanzamts seine Erledigung gefunden hat, vgl. § 13 Abs. 2 InsO; danach kann der Antrag nicht mehr zurückgenommen werden (BFH Beschluss vom 25.02.2011 VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017). Im Streitfall hat das Amtsgericht A das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers noch nicht eröffnet.

    2. Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Gestalt der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO ist jedoch unbegründet.

    Eine einstweilige Anordnung kann nur unter besonderen, eng umschriebenen Voraussetzungen ergehen. Diese gehen über die Anforderungen hinaus, die für die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts gestellt werden; dies ist verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich (BVerfG Beschluss vom 02.03.1984 1 BvR 255/84, HFR 1984, 239; BFH Beschluss vom 14.12.1987 IV B 97/87, BFH/NV 1988, 716).

    Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

    Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), und einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) schlüssig darlegt und deren tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft macht. Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung; BFH Beschlüsse vom 25.02.1997 VII B 231/96, BFH/NV 1997, 428; vom 07.01.1999 VII B 170/98, BFH/NV 1999, 818).

    Im Streitfall hat der Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

    aa) Dazu hätte der Antragsteller substantiiert vortragen müssen, dass die Stellung des Insolvenzantrags als eine in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellte Vollstreckungsmaßnahme (vgl. § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 AO) ermessensfehlerhaft (§ 102 FGO) erfolgt sei (BFH Beschluss vom 25.02.2011 VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017). Ermessensfehler liegen insbesondere vor, wenn für den Antrag die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde (vgl. BFH Beschluss vom 11.12.1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Ein solcher Ermessensfehler kann im Streitfall bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden.

    Dabei ist die Entscheidung des Antragsgegners gemäß § 102 FGO gerichtlich nur darauf überprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

    Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann gestellt werden, wenn dem Finanzamt ein Anspruch zusteht, der ihm im Insolvenzverfahren die Stellung eines Insolvenzgläubigers vermittelt, und wenn ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 14 Abs. 1 InsO). Ein solcher Antrag darf nicht rechtsmissbräuchlich und aus sachfremden Erwägungen gestellt werden.

    bb) Im vorliegenden Fall ist nach summarischer Prüfung ein Ermessensfehler nicht anzunehmen.

    Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, dass ein Ermessensnichtgebrauch bzw. -fehlgebrauch vorliegt. Hiervon ist das Gericht jedoch nicht überzeugt.

    aaa) Das Gericht geht nicht davon aus, dass ein Ermessensnichtgebrauch stattgefunden hat, denn der Antragsgegner hat zuerst die alternativen und vorrangigen Vollstreckungsmöglichkeiten ausgeschöpft.

    bbb) Der Antragsgegner hat auch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Insolvenzantrags verkannt. Er konnte im Streitfall von der Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers ausgehen. Soweit sich der Antragsgegner in seinem letzten Schriftsatz zusätzlich auf eine mögliche Überschuldung beruft, ist dieses unschädlich.

    Nach §§ 16, 17 InsO kann das Insolvenzverfahren bei Zahlungsunfähigkeit eröffnet werden. Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, und ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Danach stellt sich die Zahlungsunfähigkeit als ein auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhendes dauerndes Unvermögen des Schuldners dar, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden zu berichtigen (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris unter Hinweis auf BFH Beschluss vom 23.07.1985 VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41, 43).

    Der Antragsgegner betreibt das Insolvenzverfahren wegen vollziehbarer Steuerforderungen. Bei Antragstellung betrugen diese 87.476,85 €. Dabei ist es unerheblich, dass es sich hierbei um Schätzungsbescheide handelte.

    Mittlerweile haben sich die Beteiligten auf abweichende Besteuerungsgrundlagen verständigt. Nach den Änderungsbescheiden vom 16.06.2014 sind immer noch Rückstände von über 40.000 € verblieben. Anders als der Antragsteller meint, konnte diese Verständigung nicht über die Steuern, sondern nur über die Besteuerungsgrundlagen erfolgen. D. h. aus dem Umstand, dass am ... 2014 keiner der Beteiligten einbezogen hat, dass eine erhebliche Auszahlung von Vorsteuern stattgefunden hatte, kann nicht gefolgert werden, dass dieser Umstand unberücksichtigt bleiben muss, denn ein Vergleich über die Steuer ist unzulässig. Möglich ist nur die Verständigung über den Tatbestand, hier also über die Besteuerungsgrundlagen.

    Vollstreckungsversuche blieben ohne Erfolg. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber den dem FA bekannten Banken verliefen fruchtlos. Auch der Pfändungsversuch des Vollziehungsbeamten gegenüber dem Antragsteller führte nicht zum Erfolg. Sofern der Antragsteller vorträgt, der Vollziehungsbeamte habe gar nicht versucht zu vollstrecken, kann er hiermit nicht überzeugen, denn der Antragsteller hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, die Rückstände zu begleichen, entweder durch Zahlung oder durch Übereignung von Gegenständen. Dieses hat er aber nicht getan.

    ccc) Entgegen der Ansicht des Antragstellers stellt es auch keinen Ermessensfehler dar, dass der Antragsgegner das Insolvenzverfahren aufgrund noch nicht bestandskräftiger, aber vollstreckbarer Steuerforderungen betreibt.

    Unter welchen Voraussetzungen das Finanzamt aufgrund von Steuerforderungen im Rahmen der Vollstreckung einen Insolvenzantrag stellen darf, richtet sich zunächst nach den Vorschriften der Abgabenordnung (§ 251 Abs. 1 AO); unberührt bleiben dabei die Vorschriften der Insolvenzordnung für die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung sowie im Rahmen einer eröffneten Insolvenz (§ 251 Abs. 2 AO). Soweit es sich bei der Stellung eines Insolvenzantrags um eine Maßnahme der Verwaltung im Rahmen der Vollstreckung eines Verwaltungsakts handelt, setzt auch diese Art der Vollstreckung grundsätzlich nur voraus, dass vollziehbare Bescheide vorliegen, d. h. dass die Vollziehung dieser Steuerverwaltungsakte nicht ausgesetzt ist (§ 361 AO, § 69 FGO). Der Schutz des Steuerpflichtigen vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme im Wege der Vollstreckung wird dadurch erreicht, dass der Steuerpflichtige bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen oder bei unbilliger Härte die Aussetzung der Vollziehung herbeiführen kann, entweder durch Antrag beim Finanzamt gemäß § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 2 FGO oder beim Finanzgericht gemäß § 69 Abs. 3 FGO. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage kann die Beantragung eines Insolvenzverfahrens aufgrund vollziehbarer, aber noch nicht bestandskräftiger Steuerforderungen nicht als ermessensfehlerhaft beanstandet werden (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris). Erst wenn die Vollziehung ausgesetzt worden ist, könnte sich ergeben, dass ein gleichwohl gestellter Insolvenzantrag unter Ermessensgesichtspunkten zu beanstanden ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht gegeben, denn der Antragsgegner hat die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung durch den Antragsgegner waren die angefochtenen Bescheide nicht ausgesetzt und somit gemäß § 251 Abs. 1 AO vollstreckbar.

    ddd) Im Gegensatz zum Antragsteller ist das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass der Antragsgegner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der Existenzvernichtung rechtsmissbräuchlich gestellt hat.

    Zwar beruft sich der Antragsteller auf ein Telefonat mit Herrn B vom FA, in dem dieser erklärt haben soll, dass ihn der Sachverhalt nicht interessiere. Dieser Vortrag ist jedoch nicht glaubhaft gemacht worden. Auch widerspricht er dem Aktenvermerk, der sich auf Bl. 62 und 63 der Vollstreckungsakte befindet.

    Auch die extrem zügige Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits drei Monate nach Fälligkeit der Steuerschulden, führt nicht zur Rechtsmissbräuchlichkeit. Denn der Antragsgegner hatte bereits zu diesem Zeitpunkt alle ersichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Zudem hat der Antragsgegner auch nach Stellung des Insolvenzantrags mit dem Antragsteller versucht, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Auch hierbei zeigte sich, dass der Antragsteller nicht in der Lage ist, die rückständigen Steuern zu begleichen.

    Bei der Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit ist zu berücksichtigen, dass das primäre Ziel eines Insolvenzverfahrens nicht die Zerschlagung von Vermögenswerten ist, sondern die Schuldenbereinigung zur Fortsetzung unternehmerischer Betätigung. Die zuverlässige Feststellung des Vermögens des Schuldners obliegt dem Insolvenzgericht (vgl. BFH Beschluss vom 12.12.2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900).

    cc) Da bereits wegen des Fehlens eines Anordnungsanspruchs der Antrag des Antragstellers keinen Erfolg hat, kann es dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.

    RechtsgebietFGOVorschriftenFGO § 114

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