12.11.2014 · IWW-Abrufnummer 143211
Finanzgericht Köln: Urteil vom 26.02.2014 – 12 K 1957/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
12 K 1957/13
Tenor:
Die Bescheide vom 21. Dezember 2012 und 10. Januar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2013 werden in Bezug auf die Monate August 1997 bis Dezember 2001 teilweise aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 76 %
und die Beklagte zu 24 %.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
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Strittig ist die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum ab August 1997 bis einschließlich September 2012 in Höhe von insgesamt 55.118,43 € wegen Doppelzahlung.
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Die Klägerin ist verheiratet und hat zwei Kinder, A, geboren im August 1994 und B, geboren im April 1996.
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Die Klägerin wohnte zunächst mit ihrer Familie in C und sie war bei der C ... GmbH nichtselbständig tätig (Bl. 14 KG-Akte).
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Auf ihren Antrag vom 22. August 1994 an das seinerzeit noch zuständige Arbeitsamt C -Kindergeldkasse- wurde ihr zunächst für die Tochter A Kindergeld bewilligt (Bl. 5 KG-Akte).
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Anlässlich der Systemumstellung des Kindergeldes zum 1. Januar 1996, der zufolge das Kindergeld fortan als Steuervergütung nach §§ 31, 62 ff Einkommensteuergesetz (EStG) und nicht mehr als Sozialleistung nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKKG) gezahlt wurde, teilte sie dem Arbeitsamt mit, das Kindergeld werde voraussichtlich ab dem 1. Januar 1996 von ihrem Arbeitgeber ausgezahlt.
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Die Familienkasse des Arbeitsamts C übersandte ihr daraufhin eine sog. Kindergeldbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. (Fassung bis zum Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999 am 1. Januar 2000), die ab April 1996 auch den Sohn B erfasste (Bl. 12, 15 KG-Akte). Für den Sohn B hatte die Klägerin unter Vorlage einer Geburtsbescheinigung mit Schreiben vom 31. Juli 1996, gerichtet an das Arbeitsamt C, Kindergeld beantragt (Bl. 10 KG-Akte).
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Die Arbeitgeberin der Klägerin (C ... GmbH) teilte der Familienkasse im Juli 1997 mit, die Klägerin sei mit Ablauf des Monats Juli 1997 aus deren Diensten ausgeschieden und das Kindergeld sei letztmals für den Monat Juli 1997 an die Klägerin ausgezahlt worden (Bl. 15 KG-Akte). Daraufhin zahlte die Familienkasse des Arbeitsamtes C ab August 1997 das Kindergeld an die Klägerin aus (Leistungsdaten Bl. 24 KG-Akte).
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Im Dezember 1997 erfolgte ein Zahlungsrücklauf, weil das von der Klägerin angegebene Konto erloschen war (Bl. 17 KG-Akte mit anhängendem Bankbeleg). Unter dem Datum des 30. Dezember 1997 richtete die Familienkasse des Arbeitsamts C daraufhin folgendes Schreiben an die Klägerin (Bl. 19 KG-Akte):
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„Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG)
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Sehr geehrte Frau D,
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die Auszahlung konnte nicht wie gewünscht erfolgen, weil das bisherige Konto nach Angaben des Geldinstituts erloschen ist.
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Die Zahlung wird daher zur Vermeidung von Fehlleistungen zunächst durch Zahlungsanweisung zur Verrechnung überwiesen.
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Ich bitte Sie, mir baldmöglich Ihre neue Anschrift bzw. die richtige und vollständige Kontonummer und das Geldinstitut aufzugeben, damit Verzögerungen oder Rücküberweisungen vermieden werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich an Ihre Verpflichtung, der Familienkasse alle für Ihren Anspruch bedeutsamen Veränderungen ohne Aufforderung unverzüglich mitzuteilen.“
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Mit Telefax vom 14. Januar 1998, gerichtet an „Arbeitsamt C Familienkasse“ gab die Klägerin daraufhin eine neue Bankverbindung bei der E Bank AG an (Bl. 20 KG-Akte). Auf diese wurde das Kindergeld fortan bis November 2004 ausgezahlt (Kindergeldänderungsverfügung und Kassenanordnung Bl. 21 KG-Akte, sowie ab Januar 2001 Zahlungsdaten Bl. 25 KG-Akte).
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Im Dezember 2004 teilte die Klägerin der Familienkasse C mit, sie sei nach F verzogen (Bl. 22 KG-Akte). Tatsächlich war sie nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bereits im Juli 1997 von C nach F umgezogen. Die Kindergeldakte wurde an die Familienkasse der Arbeitsagentur F abgegeben (Bl. 26 KG-Akte) und der Zuständigkeitswechsel wurde der Klägerin mit Schreiben der „Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit F – Familienkasse“ (im Folgenden die Beklagte) vom 17. Dezember 2004 mitgeteilt, verbunden mit der Ank ündigung, dass ab Dezember 2004 das Kindergeld von der jetzt zuständigen Familienkasse der Arbeitsagentur F ausgezahlt werde. In diesem Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 2004 heißt es weiter (Bl. 28 KG-Akte):
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„Bei dieser Gelegenheit werden Sie daran erinnert, dass alle Veränderungen in den Verhältnissen, die für den Kindergeldanspruch von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse angezeigt werden müssen. Das gilt insbesondere auch für Veränderungen, die im Zusammenhang mit der Verlegung des Wohnsitzes eingetreten sind (z.B. wenn Sie oder Ihr Ehegatte nunmehr eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst aufgenommen haben oder wenn eines Ihrer Kinder nicht mehr Ihrem Haushalt angehört).“
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Das Kindergeld für den Monat Dezember 2004 ging allerdings an die Beklagte zurück, weil das Konto der Klägerin erloschen war (Bl. 30 KG-Akte mit anhängendem Bankbeleg). Auf Nachfrage teilte die Klägerin der Beklagten („Familienkasse F - Agentur für Arbeit") im Januar 2005 eine neue Bankverbindung bei der Bank F mit (Bl. 33 KG-Akte). In der Folgezeit wurde das Kindergeld von der Beklagten auf dieses Konto ausgezahlt (Wiederbewilligungsverfügung und Kassenanordnung Bl. 34 KG-Akte), und zwar für die Tochter A bis einschließlich August 2012 (Vollendung des 18. Lebensjahres) und für den Sohn B bis einschließlich September 2012 (Zahlungsaufstellung Bl. 39 KG-Akte).
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Im September 2012 erfuhr die Beklagte, dass die Klägerin bereits seit dem 1. August 1997 bei dem Theater der Stadt F beschäftigt ist und seit dem 1. August 1997 in Anwendung des § 72 Abs. 1 EStG (auch) von der Familienkasse der Stadt F (öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber) Kindergeld erhalten hat. Die Klägerin hatte am 25. August 1997 an die „Stadt F (Personalamt – Familienkasse-)“ einen „Antrag auf Zahlung von Kindergeld an Angehörige des öffentlichen Dienstes“ gerichtet (siehe Anlage zum Protokoll vom 26. Februar 2014). Darin hatte sie unter Punkt 8 des Vordruckes die Frage „Haben Sie oder Ihr Ehegatte oder eine andere Person für die eingetragenen Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten?“ mit „nein“ beantwortet. Die Frage unter Punkt 10 des Vordrucks „Sind oder waren Sie, Ihr Ehegatte oder eine andere Person, zu der die eingetragenen Kinder in einem Kindschaftsverhältnis stehen, in den letzten sieben Monaten im öffentlichen Dienst tätig?“ hatte die Klägerin mit „ja“ beantwortet und weiter ausgeführt, sie selbst sei von 1991 bis 31. Juli 1997 bei der „... C“ beschäftigt gewesen.
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Die Familienkasse der Stadt F hatte daraufhin mit Bescheid vom 12. September 1997 (Bl. 45 KG-Akte) der Klägerin gegenüber das Kindergeld für die beiden Kinder festgesetzt und mitgeteilt, das Kindergeld werde fortan zusammen mit den Gehaltsbezügen monatlich an sie ausgezahlt. Dieser Festsetzungsbescheid der Stadt F vom 12. September 1997 war der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt worden und sie hatte den Erhalt des Bescheides am 16. September 1997 mit ihrer Unterschrift bestätigt (Bl. 45 R KG-Akte).
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Die Doppelzahlung von Kindergeld war im September 2012 aufgefallen, weil die Klägerin sowohl bei der Stadt F (Bl. 35-37 KG-Akte), als auch bei der Beklagten (Bl. 47-48 KG-Akte) die Weiterbewilligung von Kindergeld für die inzwischen (seit August 2012) volljährige Tochter beantragt hatte unter Hinweis darauf, dass diese ein Gymnasium besucht. Dabei hatte sie bei ihrem Antrag an die Stadt F die Kindergeld-Nummer der Beklagten verwendet (KG-Nr. 323FK09788, Bl. 36,37 KG-Akte).
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Die Beklagte wies die Klägerin auf den unberechtigten doppelten Bezug von Kindergeld für die beiden Kinder A und B hin, kündigte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum August 1997 bis September 2012 im Gesamtbetrag von 55.118,43 € an und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme (Anhörungsschreiben vom 6. Dezember 2012, Bl. 50 KG-Akte).
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Die Klägerin trug vor, es sei ihr bis zum Erhalt des Anhörungsschreibens nicht bewusst gewesen, dass sie für jedes Kind zweimal Kindergeld erhalten haben soll. Dies könne sie „zum jetzigen Zeitpunkt“ auch nicht beurteilen, weil aufgrund eines Brandes vor ca. drei Jahren sämtliche Unterlagen vernichtet worden seien. Mithin würde sie von der Beklagten den Nachweis der Zahlung benötigen. Sollte sie tatsächlich für den Zeitraum ab August 1997 Kindergeld zu viel erhalten haben, mache sie die Einrede der Verjährung gemäß §§ 228 ff AO geltend.
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Mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend ab August 1997 bis einschließlich August 2012 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 b Abgabenordnung (AO) auf und forderte -wie angekündigt- Kindergeld im Gesamtbetrag von 55.118,43 € zurück (Bl. 53 KG-Akte). Dabei unterlief der Beklagten allerdings ein Fehler dergestalt, dass im Hinblick auf die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung namentlich nur die Tochter A genannt wurde. Bei der Berechnung des Rückforderungsbetrages erfasste die Beklagte allerdings auch -wie bereits im Anhörungsschreiben angekündigt- das im Zeitraum von August 1997 bis einschließlich September 2012 für den Sohn B ausgezahltes Kindergeld.
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Als sie diesen Irrtum bemerkte, erließ die Beklagte am 10. Januar 2013 einen nach § 129 AO berichtigten Bescheid und hob mit diesem die Festsetzung des Kindergeldes nun für beide namentlich genannten Kinder, also auch für den Sohn B rückwirkend ab August 1997 auf (Bl. 68 KG-Akte).
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Die Klägerin erhob gegen beide Bescheide Einspruch und trug vor, sie habe bei ihrem Arbeitgeber nicht bewusst Kindergeld beantragt. Mithin habe sie nicht gewusst, dass sie Kindergeld „über das Gehalt“ bezogen habe. Sie sei über den gesamten Leistungszeitraum davon ausgegangen, nur einmal Kindergeld zu beziehen. Ihr seien die Besonderheiten eines öffentlich rechtlichen Arbeitsverhältnisses nicht bekannt und sie sei hierüber auch zu keinem Zeitpunkt aufgeklärt worden. Außerdem mache sie erneut die Einrede der Verjährung geltend. Es sei Zahlungsverjährung nach den §§ 228 ff AO eingetreten. Die Vorschriften der Festsetzungsverjährung seien in Bezug auf die Rückforderung nicht anwendbar. Daher komme es auch nicht auf eine eventuell vorliegende unterlassene Mitwirkung ihrerseits und auf die Frage der Steuerhinterziehung an. Insoweit berufe sie sich auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 6. Oktober 2009 – 12 K 113/09. In Bezug auf den Erstbescheid vom 21. Dezember 2012 sei die Rückforderung für das Kind A im Übrigen falsch berechnet.
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Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Familienkasse der Stadt F folgendes mit: Nach Einsicht in die alten Gehaltsabrechnungen könne verbindlich mitgeteilt werden, dass im Abrechnungsprogramm von 1997 bis ca. 1999 neben dem Gehalt das Kindergeld zwar in einer Summe (also nicht getrennt für jedes Kind) ausgewiesen wurde, aber zusätzlich in einem gesonderten Kinderfeld Name, Geburtsdatum und Zeitraum ausgewiesen waren. Eine Gehaltsabrechnung für die Klägerin könne insoweit leider nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
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Ab Umstellung des Abrechnungsprogramms sei neben dem Gehalt das Kindergeld nur noch in einer Summe ausgewiesen worden; ein weiterer Hinweis, für welche Kinder und für welchen Zeitraum die Zahlung erfolgte, sei nicht erfolgt. Beispielhaft werde auf die Gehaltsabrechnung der Klägerin für den Monat Dezember 2002 verwiesen. Dort sind jeweils getrennt ausgewiesen: Das Bruttogehalt, der Nettoverdienst, verschiedene weitere Positionen bei denen auch das Kindergeld gesondert erscheint, sowie abschließend der an die Klägerin zu überweisende Auszahlungsbetrag (Bl. 84 R KG-Akte).
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Ab Januar 2012 werde das Abrechnungsprogramm LOGA verwendet. Dort werde das Kindergeld namentlich pro Kind aufgeführt, wie sich aus der Gehaltsabrechnung der Klägerin für Januar 2013 ergibt; hierauf wird Bezug genommen (Bl. 84 KG-Akte).
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Die Beklagte (jetzt aufgrund Organisationsakts Familienkasse G) wies daraufhin den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2013 zurück mit folgender Begründung: Für die Zahlung des Kindergeldes sei seit August 1997 nach § 72 Abs. 1 EStG die Stadt F als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber zuständig. Von dort habe die Klägerin seit August 1997 auch tatsächlich Kindergeld erhalten. Der entsprechende Festsetzungsbescheid der Stadt F vom 16. September 1997 sei ihr zugegangen, wie sich aus ihrem Empfangsbekenntnis ergebe. Aus den Gehaltsabrechnungen sei die Zahlung von Kindergeld ersichtlich gewesen.
31
Die Klägerin sei mit Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 2004 auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen worden und explizit darauf, dass sie die Aufnahme einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst der Familienkasse der Bundesagentur anzeigen müsse. Dies habe sie jedoch nicht getan.
32
In Unkenntnis der von der Stadt F geleisteten Kindergeldzahlungen habe die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit ebenfalls Kindergeld gezahlt. Die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit sei jedoch für die Festsetzung und Zahlung von Kindergeld sachlich nicht zuständig gewesen. Daher sei sie jetzt berechtigt, ihre fehlerhaften Kindergeldfestsetzungen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 b AO rückwirkend aufzuheben und das Kindergeld zurückzufordern.
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Verjährung sei nicht eingetreten. Die Festsetzungsfrist richte sich nach § 169 AO. Unter Berücksichtigung des § 171 Abs. 7 AO sei in Fällen der Steuerhinterziehung bzw. leichtfertigen Steuerverkürzung im Sinne der §§ 370 und 378 AO eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 171 Abs. 7 AO i.V.m. § 78 a Satz 2 StGB bzw. § 384 AO bis zur ersten kausalen Zahlung möglich und somit auch die Rückforderung des überzahlten Kindergeldes seit August 1997.
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Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin beruft sich erneut auf den Eintritt der Zahlungsverjährung im Sinne der §§ 228 ff AO und ist der Auffassung, alle Ansprüche, die älter als fünf Jahre sind (gerechnet ab Januar 2013), seien durch Verjährung erloschen.
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Im Übrigen werde der geltend gemachte Anspruch der Höhe nach bestritten. Wie bereits vorgetragen, seien die persönlichen Unterlagen der Klägerin bei einem Feuer zerstört worden. Mithin sei es der Klägerin nicht möglich, den geltend gemachten Anspruch auf seine Richtigkeit zu prüfen. Die Beklagte habe trotz Aufforderung ihren Anspruch nicht nachweisen können.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide vom 21. Dezember 2012 und vom 10. Januar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2013 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die Einspruchsentscheidung.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2014 Bezug genommen, ebenso auf den von der Beklagten überreichten Kindergeldantrag der Klägerin vom 25. August 1997, gerichtet an die Stadt F.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist teilweise begründet.
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Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum ab August 1997 bis einschließlich Dezember 2001 ist wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtswidrig.
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Für den Zeitraum ab Januar 2002 bis einschließlich September 2012 ist die Klage unbegründet.
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1. Die Beklagte durfte die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b Abgabenordnung (AO) rückwirkend aufheben, denn sie war für die Festsetzung von Kindergeld sachlich nicht zuständig.
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a) Seit der Systemumstellung des Kindergeldrechts und dessen Übernahme in das Einkommensteuerrecht durch das Jahressteuergesetz 1996 (vom 11. Oktober 1995, BStBl I 1995, 438 -JStG 1996-) wird das Kindergeld im Sinne der §§ 62 ff Einkommensteuergesetz (EStG) als Steuervergütung gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Die Familienkassen sind Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 Nr. Abgabenordnung -AO-). Das Verfahrensrecht richtet sich nach der Abgabenordnung (§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 AO). Gemäß § 155 Abs. 4 AO sind für Steuervergütungen sinngemäß die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (also auch die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO sowie die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 ff AO) anzuwenden (vgl. BFH-Beschluss vom 14.07.1999 VI B 89/99, BFH/NV 1999, 1597).
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Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG wird das Kindergeld durch Bescheid der Familienkasse festgesetzt und monatlich ausgezahlt. Es handelt sich dabei um einen begünstigenden teilbaren Dauerverwaltungsakt, der jeweils Einzelregelungen für jeden Monat enthält (vgl. BFH-Urteil vom 21.04.2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910 und vom 21.03.2005 III B 189/04, BFH/NV 2005, 1305).
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Kindergeld, dass bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes gewährt wurde, gilt ab dem 1. Januar 1996 als nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes festgesetzt (§ 78 EStG a.F.).
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Zwar sind gemäß § 157 Abs. 1 AO Steuer- und Steuervergütungsbescheide grundsätzlich schriftlich zu erteilen. Hiervon sah jedoch die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG a.F. (Fassung des JStG 1996) eine Ausnahme vor. Danach konnte die Behörde auf einen schriftlichen Bescheid verzichten, wenn dem Kindergeldantrag entsprochen wurde. Diese Vorschrift ist erst durch das Einkommensteueränderungsgesetz vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2915) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2007 aufgehoben worden.
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In dem Verzicht auf einen schriftlichen Kindergeldbescheid lag jedoch kein Absehen von der Kindergeldfestsetzung. Für die Festsetzung galten vielmehr statt der für Steuerbescheide maßbeglichen Vorschrift des § 157 AO die allgemeinen Regeln der §§ 118 ff AO. Nach § 119 Abs. 2 Satz 1 AO kann ein Verwaltungsakt auch in sonstiger Weise erlassen werden. Sah die Familienkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab, so setzte sie das Kindergeld in anderer Weise, d.h. formlos fest. Die Festsetzung lag in der ersten Auszahlung und der Bekanntgabe des Auszahlungsbetrages an den Kindergeldberechtigten. Der Verwaltungsakt erging durch konkludentes Verhalten, indem Festsetzung und Auszahlung zusammenfielen (vgl. BFH-Urteil vom 18.05.2006 III R 80/04, BStBl II 2008, 371). Die in dieser Weise erfolgte formlose Kindergeldfestsetzung wirkt auch nach dem 1. Januar 2007 fort.
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Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. oblag die Auszahlung des von der Familienkasse festgesetzten Kindergeldes allerdings zunächst dem (privaten) Arbeitgeber des Kindergeldberechtigten, soweit ein solcher vorhanden war. Diese Vorschrift wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3379) mit Wirkung ab 1. Januar 2000 aufgehoben. Für die Jahre 1996 bis einschließlich 1999 war das Verfahren wie folgt geregelt: Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. setzte die Familienkasse das monatlich auszuzahlende Kindergeld fest und erteilte dem Arbeitnehmer darüber eine Bescheinigung, die er seinem Arbeitgeber vorzulegen hatte. Die Eintragungen auf der Kindergeldbescheinigung galten nach § 1 Abs. 1 Satz 3 der KAV (Kindergeldauszahlungs-Verordnung vom 10.November 1995, BGBl I 1510) als gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 179 Abs. 1 AO.
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Von dieser Verfahrensweise gab und gibt es seit 1996 eine Ausnahme: Handelt es sich bei dem Arbeitnehmer um einen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, so war und ist nach § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG die öffentlich-rechtliche Körperschaft, zu der ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis besteht, sowohl für die Festsetzung des Kindergeldes als auch für dessen Auszahlung zuständig. Die genannte juristische Person des öffentlichen Rechts war und ist insoweit die sachlich zuständige Familienkasse (§ 72 Abs. 1 Satz 2 EStG).
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b) Im Streitfall hat die Klägerin von der Familienkasse des Arbeitsamts C zunächst eine Kindergeldbescheinigung zur Vorlage bei der damaligen (privaten) Arbeitgeberin (C ... GmbH) erhalten. Hiermit wurde das Kindergeld festgesetzt. Nach dem Ausscheiden der Klägerin aus den Diensten der C ... GmbH zahlte die Familienkasse des Arbeitsamtes C ab August 1997 selbst monatlich das Kindergeld an die Klägerin aus. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Leistungsdaten (Bl. 24 KG-Akte) sowie aus der Tatsache, dass für den Monat Dezember 1997 ein Zahlungsrücklauf an die Familienkasse des Arbeitsamtes C erfolgte, weil das Bankkonto der Klägerin erloschen war (Bl. 17 KG-Akte mit anhängendem Bankbeleg). Mit der Überweisung des Kindergeldes ab Beginn des Streitzeitraumes (August 1997) durch die Familienkasse des Arbeitsamtes C wurde in Verbindung mit der zuvor erteilten Kindergeldbescheinigung ein (zumindest) formloser Verwaltungsakt (Festsetzung von Kindergeld) erlassen und bekannt gegeben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zahlungsempfänger -hier die Klägerin- von dem Eingang auf ihrem Bankkonto tatsächlich Kenntnis genommen hat. Denn es genügt die Möglichkeit der jederzeitigen Kenntnisnahme.
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Der erlassene und wirksam gewordene Verwaltungsakt war auch hinreichend bestimmt. Gemäß der in § 124 Abs. 1 Satz 2 AO zum Ausdruck kommenden Erklärungstheorie kommt es darauf an, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung nach Treu und Glauben verstehen konnte. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin im Januar 1998 der Familienkasse des Arbeitsamtes C ihre neue Bankverbindung mitteilte, konnte sie zumindest ab Januar 1998 die Überweisung des Kindergeldes in der gesetzlichen Höhe nur so verstehen, dass ihrem Kindergeldantrag vom 22. August 1994 für die Tochter A und vom 31. Juli 1996 für den Sohn B weiterhin entsprochen wurde.
56
Nach Überzeugung des Senats erfolgte die Überweisung von Kindergeld durch die Familienkasse des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) C bis einschließlich November 2004. Dies ergibt sich aus der Kindergeldänderungsverfügung/ Kassenanordnung vom 21. Januar 1998 (Bl. 21 KG-Akte) sowie ab Januar 2001 aus den Zahlungsdaten vom 8. Dezember 2004 über den Zeitraum vom 22. Januar 2001 bis 19. November 2004 (Bl. 25 KG-Akte). Hiervon hatte die Klägerin auch Kenntnis, denn sie teilte der Familienkasse des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) im Dezember 2004 unaufgefordert ihren Umzug nach F mit (Bl. 22 KG-Akte). Hierzu hätte keine Veranlassung bestanden, wenn zwischen der Klägerin und der Familienkasse in C keinerlei Verbindungen mehr bestanden.
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Nach Mitteilung der Klägerin über den erfolgten Umzug erhielt sie von der Familienkasse der Agentur für Arbeit in F weiterhin Kindergeld ausgezahlt. Dies beruhte auf der zuvor durch das Arbeitsamt C erfolgten Festsetzung des Kindergeldes. Die tatsächliche Auszahlung von Kindergeld ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Aufstellung Bl. 39 KG-Akte.
58
Die Familienkassen des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) C und F waren jedoch für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes sachlich nicht zuständig. Denn seit August 1997 stand die Klägerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt F, so dass die Festsetzung von Kindergeld (und nicht nur die Auszahlung desselben) nach § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG von der Körperschaft des öffentlichen Rechts, hier die Stadt F, vorzunehmen war. Die Stadt F fungierte insoweit gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 EStG als Familienkasse. Sie hat das Kindergeld auch tatsächlich ab August 1997 festgesetzt und zusammen mit den Gehaltsbezügen an die Klägerin ausgezahlt. Hierüber erhielt die Klägerin Kenntnis durch den Festsetzungsbescheid der Stadt F vom 12. September 1997, deren Empfang sie mit ihrer Unterschrift am 16. September 1997 bestätigte. Für den Senat bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin tatsächlich ab August 1997 von der Stadt F zusammen mit ihren Gehaltsbezügen das Kindergeld erhalten hat. Zwar liegen insoweit bis einschließlich 1999 keine Gehaltsabrechnungen mehr vor. Aufgrund der Festsetzung mit Bescheid vom 12. September 1997 in Verbindung mit dem behördlichen Abrechnungsprogramm über die Gehaltsabrechnungen, in denen nach der Auskunft der Stadt F seit dem 1. August 1997 neben dem Gehalt auch das Kindergeld ausgewiesen wurde (Bl. 35 und 83,84 KG-Akte), steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin das Kindergeld tatsächlich erhalten hat. Für die Kindergeldmonate ab Januar 2000 ergibt sich dies zusätzlich aus den Gehaltsabrechnungen Bl. 84 und 84 R KG-Akte.
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Unabhängig von der Frage des Zahlungszuflusses steht jedenfalls fest, dass seit August 1997 zwei Kindergeldfestsetzungen von zwei verschiedenen Familienkassen vorlagen. Daher durfte und musste die sachlich unzuständige Familienkasse, hier die Beklagte, ihre Festsetzung aufheben. Dies durfte auch rückwirkend geschehen, denn § 172 Abs. 1 AO sieht die Aufhebung bestandskräftiger Festsetzungen ausdrücklich vor.
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2. Bei der rückwirkenden Aufhebung bestandskräftiger Bescheide sind allerdings die Vorschriften der §§ 169 ff AO über die Festsetzungsverjährung zu beachten. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Aufhebung einer Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt in der Regel vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie verlängert sich allerdings auf fünf Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung im Sinne des § 378 Abs. 1 AO und auf zehn Jahre bei Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO.
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a) Die Festsetzungsfrist für das Kindergeld beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Da der Anspruch auf Kindergeld für jeden Monat entsteht, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben (§ 66 Abs. 2 EStG), beginnt die Festsetzungsfrist für das in den Monaten Januar bis Dezember eines Jahres zu zahlende Kindergeld mit Ablauf dieses Jahres und endet regulär mit Ablauf des vierten darauffolgenden Jahres (vgl. BFH-Urteil vom 20.6.2012 V R 56/10, BFH/NV 2012, 1775).
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b) Im Streitfall endete sonach die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist für die Kindergeldmonate ab Januar 2008 mit Ablauf des 31. Dezember 2012. Da der Aufhebungsbescheid der Beklagten am 21. Dezember 2012 noch rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wurde, unterliegen die Kindergeldmonate ab Januar 2008 bis September 2012 keiner Festsetzungsverjährung. Dies gilt nicht nur für die Kindergeldansprüche für die Tochter A, sondern auch für die Kindergeldansprüche betreffend den Sohn B. Zwar erfasst der Wortlaut des Aufhebungsbescheids der Beklagten von 21. Dezember 2012 nur die Tochter A. Dies beruhte jedoch auf einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 AO, nämlich auf einem Schreibfehler der Behörde. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Tatsache, dass der Klägerin bereits mit Anhörungsschreiben vom 6. Dezember 2012 die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes für beide Kinder angekündigt und dabei der Rückforderungsbetrag für beide Kinder auf insgesamt 55.118,43 € errechnet und mitgeteilt wurde (Bl. 50 KG-Akte). Dieser Betrag in Höhe von insgesamt 55.118,43 € wird dann auch in dem Aufhebungsbescheid vom 21. Dezember 2012 aufgeführt. Daher kann es nach Auffassung des Senats nur auf einem Versehen beruhen, wenn der Name des Sohnes B in dem Aufhebungsbescheid nicht erscheint. Die Beklagte durfte insoweit den Aufhebungsbescheid vom 21. Dezember 2012 nach § 129 Satz 1 AO berichtigen, was mit dem Berichtigungsbescheid vom 10. Januar 2013 geschehen ist. Die Festsetzungsfrist war insoweit nicht abgelaufen. Denn nach § 171 Abs. 2 AO endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe eines fehlerhaften Bescheides, soweit eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt.
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3. Im Streitfall ist der Klägerin nach Auffassung des Senats überdies Steuerhinterziehung vorzuwerfen, so dass sich die Festsetzungsfrist, und damit die Frist, innerhalb der eine vorangegangene Festsetzung aufgehoben werden darf, auf zehn Jahre verlängert. Diese zehnjährige Festsetzungsfrist umfasst die Kindergeldmonate ab Januar 2002.
64
a) Nach § 370 Abs. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden vorsätzlich über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) bzw. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) und dadurch Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO).
65
b) Der objektive Tatbestand des § 370 AO ist erfüllt. Die Klägerin hat durch den zweifachen Bezug von Kindergeld nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Dies beruht auf unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben der Klägerin im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Denn sie hat in ihrem an die Stadt F gerichteten Kindergeldantrag vom 25. August 1997 die Frage unter Punkt 8 des Vordrucks, ob sie anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe, mit „nein“ beantwortet. Dies war unzutreffend, denn in Wahrheit hatte sie ab August 1997 Kindergeld von der Arbeitsagentur C erhalten.
66
Zum anderen hat die Klägerin im Januar 1998 dem Arbeitsamt C gegenüber ihre Kontoverbindung zur Auszahlung von Kindergeld mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt erhielt sie jedoch bereits von der Stadt F Kindergeld zusammen mit ihren Gehaltsbezügen ausgezahlt. Dies ergab sich aus dem Kindergeldfestsetzungsbescheid der Stadt F vom 12. September 1997 und den Gehaltsmitteilungen. Insoweit ist der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt. Denn die Klägerin hat die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG war sie verpflichtet, die Änderung in den für den Kindergeldbezug erheblichen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen.
67
Durch ihr Schreiben an die Agentur für Arbeit F vom 12. Januar 2005 (Mitteilung über geänderte Kontoverbindung) hat sie weitere Veranlassung für die fortdauernde Zahlung des Kindergeldes durch die sachlich nicht zuständige Behörde gegeben und dabei weiterhin verschwiegen, dass sie bereits seit August 1997 von der Stadt F Kindergeld erhielt.
68
c) Die Klägerin hat nach Überzeugung des erkennenden Senats auch den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Denn sie hat den unberechtigten doppelten Bezug von Kindergeld zumindest billigend in Kauf genommen.
69
Die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes erfordert, dass der Steuerpflichtige seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten kennt und ihre Verletzung will oder zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. u.a BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 125/00, BStBl II 2002, 296). Hierfür genügt es, wenn der Steuerpflichtige es für möglich hält und zugleich billigend in Kauf nimmt, dass er durch sein Verhalten Steuern verkürzt oder Steuervorteile zu Unrecht erlangt. Die eine Steuerhinterziehung ausfüllenden Tatbestandsmerkmale muss er dabei im Rahmen einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zutreffend erfassen. Dies bedeutet, dass er es zumindest für möglich halten muss, auf die Gewährung oder Belassung einer Steuervergünstigung keinen Rechtsanspruch zu haben (vgl. Urteil des Finanzgerichts -FG- Düsseldorf vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519 und Urteil des FG Köln vom 17. September 2009 10 K 4058/08, EFG 2010, 380).
70
Der erkennende Senat ist davon überzeugt, dass der Klägerin bekannt war, dass Kindergeld für jedes Kind nur einmal gewährt wird. Dies liegt auf der Hand und leuchtet auch jedem steuerlichen Laien unmittelbar ein. Die Klägerin kannte auch ihre Erklärungs- und Mitwirkungspflichten. Unter Punkt 8 des Vordrucks „Antrag auf Zahlung von Kindergeld an Angehörige des öffentlichen Dienstes“ wurde ausdrücklich abgefragt, ob Kindergeld bei anderen Stellen beantragt oder von anderen Stellen ausgezahlt wurde. Diese Frage hat die Klägerin ohne erkennbaren Entschuldigungsgrund unzutreffend verneint. Im Schreiben der Familienkasse des Arbeitsamts C vom 30. Dezember 1997 wurde die Klägerin an ihre Verpflichtung erinnert, alle bedeutsamen Veränderungen unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen. Gleichwohl hat sie in ihrem hierauf gerichteten Antwortschreiben im Januar 1998 den Kindergeldbezug von der Stadt F ohne nachvollziehbaren Grund nicht mitgeteilt. Im Dezember 2004 wurde die Klägerin mit Schreiben der Arbeitsagentur F erneut auf ihre Mitteilungspflichten bei bedeutsamen Veränderungen hingewiesen, ohne dass sie dem nachgekommen ist.
71
Der erkennende Senat ist gleichfalls davon überzeugt, dass der Klägerin bekannt war, dass ihr das Kindergeld für beide Kinder tatsächlich zweifach zugeflossen ist. Es wurde ihr von der Familienkasse der Arbeitsagentur unmittelbar auf ihr Konto überwiesen und noch einmal von der Stadt F zusammen mit den Gehaltsbezügen an sie ausgezahlt. Dies kann ihr nicht verborgen geblieben sein. Ihre Einlassung, sie habe das Kindergeld der Stadt F als „Gehaltsbestandteil“ angesehen, überzeugt nicht. Denn in den Gehaltsabrechnungen wird das Kindergeld ausdrücklich außerhalb des Brutto- bzw. Nettoverdienstes ausgewiesen. Außerdem nimmt der Festsetzungsbescheid der Stadt F vom 12. September 1997 ausdrücklich auf das „Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG)“ Bezug. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, wie ein Geldbezug nach steuerlichen Vorschriften mit dem Bezug von Gehalt aus arbeitsrechtlichen Verträgen in Verbindung gebracht werden kann.
72
Die Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie habe sich um das Thema nicht richtig gekümmert, entlastet sie nicht. Denn damit hat sie den ungerechtfertigten doppelten Bezug von Kindergeld zumindest billigend in Kauf genommen. Auch ihr Vortrag, sie habe alles ihrem Steuerberater überlassen, vermag nicht zu überzeugen. Denn Steuerberater erhalten in der Regel nur den Auftrag, die Einkommensteuererklärung zu fertigen und nicht, den Kindergeldbezug zu prüfen. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, ihrem Steuerberater einen diesbezüglichen Auftrag erteilt zu haben.
73
Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe gedacht „die“ wissen schon, dass sie im öffentlichen Dienst beschäftigt war, also brauche sie nichts zu unternehmen, ist dies nicht recht verständlich. Wenn sie damit meint, sie sei davon ausgegangen, die Familienkasse der Arbeitsagentur C sei über ihre Tätigkeit im öffentlichen Dienst in F unterrichtet, wird nicht klar, woher die Familienkasse die Information erhalten haben soll. Denn die Klägerin selbst hat hierüber keine Informationen geliefert. Sie hat sogar die Verlegung ihres Wohnsitzes nach F, die bereits im Juli 1997 stattfand, erst im Dezember 2004 der Familienkasse C mitgeteilt.
74
d) Hieraus folgt, dass die Kindergeldfestsetzung für die Kindergeldzeiträume ab Januar 2002 bis September 2012 zu Recht aufgehoben wurde und von der Klägerin das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 41.928 € nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO zu Recht zurückgefordert wird.
75
4. Für eine weitergehende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab August 1997 bis einschließlich Dezember 2001 sieht der Senat dagegen keinen Raum. Die Beklagte beruft sich insoweit zu Unrecht auf die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO.
76
a) Gemäß § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung nicht, bevor die Verfolgung der Straftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Strafverfolgungsverjährung richtet sich gemäß § 369 Abs. 2 AO nach den Vorschriften der §§ 78 ff des Strafgesetzbuches (StGB), ergänzt ab 2009 durch § 376 AO für schwere Straftaten im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AO.
77
Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist, innerhalb der eine Straftat verfolgt werden darf, grundsätzlich fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind. Dies ist bei Straftaten nach § 370 Abs. 1 AO der Fall.
78
Die Verjährung beginnt gemäß § 78 a StGB, sobald die Tat beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt.
79
Nach Auffassung der Beklagten gehört zum Taterfolg die Auszahlung des Kindergeldes. Da die letzte Auszahlung im September 2012 erfolgte, würde die Strafverfolgungsverjährung erst im September 2012 beginnen und sämtliche zu Unrecht erhaltenen Kindergeldzahlungen ab August 1997 bis einschließlich September 2012 umfassen. Danach wäre die Festsetzungsfrist bis heute nicht abgelaufen (so auch Dienstanweisung des Bundeszentralamtes für Steuern vom 18. Dezember 2013 ‑St II 2-S700-PB/13/00001- zur Durchführung von Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren im Zusammenhang mit dem steuerlichen Familienleistungsausgleich nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes -DA-FamBuStra 2013, Abschnitt 4.1).
80
Dieser Auffassung, die auch der 10. Senat des Finanzgerichts München in seinem Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 K 1438/10, EFG 2013, 910 vertritt, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Er folgt vielmehr der Auffassung des 9. Senats des Finanzgerichts München in seinem Urteil vom 16. Oktober 2012 – 9 K 1226/12, EFG 2013, 135 (Revisionsverfahren anhängig unter dem Aktenzeichen des BFH III R 21/13).
81
b) Nach Auffassung des Senats stellt jede monatliche Auszahlung von Kindergeld für sich eine beendete Tat dar.
82
Das Kindergeld wird beherrscht vom sog. Monatsprinzip. Gemäß § 31 Satz 3 EStG wird das Kindergeld als Steuervergütung monatlich gezahlt und zwar gemäß § 66 Abs. 2 EStG vom Beginn des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erf üllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben (BFH-Urteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BStBl II 2008, 371). Die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld gemäß den §§ 62, 63 EStG sind also nach Maßgabe jeden einzelnen Monats zu prüfen.
83
Entsprechend dieser gesetzlichen Konzeption ist eine positive Kindergeldfestsetzung ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft. Die einmal erfolgte Festsetzung ist Rechtsgrundlage für die fortlaufende monatliche Auszahlung des Kindergeldes. Nach dem BFH-Urteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BStBl II 2008, 371 liegt in der monatlichen Auszahlung des Kindergelds die konkludente Festsetzung des Kindergelds, die nur unter den in § 70 Abs. 2 bis 4 EStG und in §§ 172 ff AO geregelten Voraussetzungen geändert oder aufgehoben werden darf. Gemäß den BFH-Urteilen vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BStBl II 2002, 174 und vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004,910 werden mit der monatlichen Auszahlung zwar nicht jeweils monatlich neue Festsetzungen vorgenommen, jedoch wird die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung jeweils konkludent bestätigt. Das bedeutet auch und insbesondere, dass der Kindergeldbescheid ein teilbarer Verwaltungsakt ist; er kann ungeachtet der Festsetzung durch nur einen Bescheid nachfolgend -unter den Voraussetzungen der §§ 70 Abs. 2-4 EStG oder 172 ff AO- für jeden einzelnen Monat geändert oder aufgehoben werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben (BFH-Urteil vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910). Die Behörde kann eine einmal vorgenommene positive Kindergeldfestsetzung mehrfach und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Weise ändern, dass für die verschiedenen Monate durch verschiedene Bescheide jeweils neue Regelungen getroffen werden (BFH-Urteil vom 26.7.2001 VI R 163/00, BStBl II 2002, 174).
84
Aus diesem dem Kindergeld eigenen Monatsprinzip folgt nach Auffassung des Senats, dass der tatbestandsmäßige Erfolg im Sinne des § 78 a StGB nach jedem einzelnen Auszahlungsmonat eintritt und damit die Strafverfolgungsverjährung mit Ablauf jedes einzelnen Monats beginnt und nicht erst nach der Auszahlung für den allerletzten Kindergeldmonat. Zumindest aber muss der Beginn der Strafverfolgungsverjährung nach § 78 a StGB mit dem Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO, also mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, gleichgesetzt werden.
85
c) Hierfür spricht auch Folgendes: Bei der Strafverfolgungsverjährung ist zwischen der Vollendung und der Beendigung der Straftat zu unterscheiden. Die Strafverfolgungsverjährung beginnt erst mit der Beendigung.
86
Die Steuerhinterziehung ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Der Erfolg in Gestalt der Steuerverkürzung bzw. der unberechtigten Erlangung eines Steuervorteils gehört zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 370 Abs. 1 AO. Die Steuerhinterziehung ist mit der Erlangung des ungerechtfertigten Steuervorteils vollendet. Sie ist damit aber auch beendet, wenn der Täter nichts mehr zur Vertiefung oder Wiederholung dieses Erfolgs unternimmt.
87
So beginnt bei Veranlagungssteuern die Verfolgungsverjährung mit der Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheides. Bei Fälligkeitssteuern, z.B. Lohnsteuern, ist auf den Fälligkeitstermin abzustellen (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 376 AO Rz. 71 und 81).
88
Bei laufenden Veranlagungssteuern, für die jährlich Steuererklärungen abzugeben sind (z.B. Einkommensteuer), eine solche aber pflichtwidrig nicht abgegeben wurde, ist die Tat beendet, wenn die Veranlagungsarbeiten des zuständigen Finanzamts im Großen und Ganzen abgeschlossen sind (BGH-Urteil vom 18.5.2011 – 1 StR 209/11, wistra 2011, 346).
89
Bei anderen, nicht periodisch wiederkehrenden Veranlagungssteuern (z.B. Schenkungsteuer) ist für den Beginn der Strafverfolgungsverjährung maßgeblich, wann die Veranlagung bei rechtzeitiger Anzeige des steuerpflichtigen Vorgangs frühestens bekanntgegeben worden wäre (BGH-Urteil vom 25. Juli 2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298).
90
Bei Steuern, die nicht veranlagt, sondern vom Unternehmer selbst zu berechnen sind (z.B. Umsatzsteuer), ist auf den Ablauf der Frist für die Jahresanmeldung abzustellen. Damit werden Begehungs- und Unterlassungsdelikte annähernd gleich behandelt. Dass steuerrechtliche Erklärungsfristen nach Ablauf der Anmeldefristen fortdauern, steht der Beendigung der Steuerhinterziehung nicht entgegen (BGH-Urteil vom 11. Dezember 1990 - 5 StR 519/90, wistra 1991, 215, NJW 1991, 1315).
91
Bei Steuerverkürzungen durch pflichtwidriges Unterlassen einer gebotenen Mitteilung an die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen handelt es sich um ein unechtes Unterlassungsdelikt, bei dem der Zeitpunkt der Vollendung und der Beendigung zusammenfallen (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 376 AO Rz. 88 m.w.N.).
92
Das Kindergeld ist eine Steuervergütung, die auf Antrag (§ 67 EStG) durch Bescheid (§ 70 Abs. 1 EStG) festgesetzt wird. Bei positiver Kindergeldfestsetzung wird sodann die Leistung des Fiskus in jedem einzelnen Monat fällig. Damit ist das Kindergeld einer Fälligkeitssteuer vergleichbar, bei der Vollendung und Beendigung im Sinne des § 78 a StGB zusammenfallen.
93
Werden bereits im Kindergeldantrag der Behörde gegenüber unrichtige Angaben gemacht, tritt der Erfolg der Tat mit der Festsetzung ein und damit ist die Tat beendet und die Strafverfolgungsverjährung beginnt. Ändern sich im Laufe der Zeit die für die Kindergeldfestsetzung erheblichen Verh ältnisse, ist der Kindergeldempfänger nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Tut er dies nicht, tritt der Erfolg der Unterlassungstat in jedem einzelnen Monat ein, in dem das Kindergeld zu Unrecht ausgezahlt wird. Damit ist die Tat beendet und die Strafverfolgungsverjährung beginnt. Es handelt sich um ein unechtes Unterlassungsdelikt, bei dem ebenfalls Vollendung (Taterfolg) und Beendigung im Sinne des § 78 a StGB zusammenfallen, und zwar für jeden einzelnen Monat der Kindergeldgewährung.
94
Zwar wirkt der positive Festsetzungsbescheid als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in die Zukunft fort bis zu seiner Aufhebung. Jedoch enthält er Regelungen für jeden einzelnen Monat. Eine Verklammerung der einzelnen Monate zu einer Gesamttat mit der Folge, dass der Erfolg der Tat erst mit der letzten Auszahlung des Kindergeldes eintritt, ist hiermit nicht vereinbar. Dies würde der Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs gleichkommen. Das Institut des Fortsetzungszusammenhangs ist jedoch von der Rechtsprechung aufgegeben worden (vgl. BGH Großer Senat, Beschluss vom 3. Mai 1994 GSSt 2/93, BGHSt 40, 138; BGH-Beschluss vom 20. Juni 1994- 5 StR 595/93, BGHSt 40, 195 und BFH-Urteil vom 22. Juni 1995 IV R 26/94, BStBl II 1995, 575).
95
Da es sich bei Unterlassungstaten im Steuerrecht um unechte Unterlassungsdelikte handelt, weil zur Tatvollendung auch der Erfolg gehört, ist die zu echten Unterlassungsdelikten ergangene Rechtsprechung nicht anwendbar, derzufolge die Beendigung der Tat erst eintritt, wenn die Handlungspflicht nachträglich erfüllt wird, oder wegfällt, oder ihre Erfüllung gegenstandslos geworden ist, etwa weil die Tat entdeckt wurde (vgl. zum Kindergeld nach dem BKGG und Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I Bayerisches OLG vom 28.8.1990 RReg 4 St 103/90, NJW 1991, 711 und vom 30.7.1993-3 ObOwi 63/93, NJW 1993, 3339 sowie OLG Hamm vom 15.12.1995- 2 Ss OWi 1396/95, juris, und OLG Oldenburg vom 20.3.1975- 1 Ss (OWi) 74/75, juris).
96
Darüber hinaus liegt bei der Unterlassung einer Mitteilung im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG über die Änderung der Verhältnisse eine dem § 153 Abs. 1 und 2 AO vergleichbare Situation vor. Nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Steuerpflichtige aber nur bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung verpflichtet anzuzeigen, wenn die Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung nachträglich weggefallen sind. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine Anzeige- bzw. Mitteilungspflicht nur solange besteht, wie hieraus steuerliche Folgerungen gezogen werden können, was nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr möglich ist. Es wäre aber widersinnig, die Strafverfolgungsverjährung erst mit der Anzeige bzw. Mitteilung des Steuerpflichtigen bzw. Entdeckung der Tat beginnen zu lassen und damit zugleich den Ablauf der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 7 AO in Verbindung mit § 78 a StGB hinauszuschieben.
97
Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Kindergeldempfänger der Familienkasse Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern mitzuteilen. Insoweit unterliegt auch die Anzeige- und Mitteilungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG einer Frist, ähnlich wie Steuererklärungspflichten nach § 149 Abs. 2 AO in Verbindung mit den jeweiligen Steuergesetzen. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn ist daher auch hier der Ablauf der Frist zur Richtigstellung (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 376 Rz. 100 zu § 153 AO). Da diese Frist im Gesetz nicht näher bestimmt wird, ist der Zeitpunkt zu ermitteln, zu dem die fiktive Änderung des unrichtigen Bescheids bei unverzüglicher Mitteilung über die Änderung der Verhältnisse erfolgt wäre (vgl. Franzen/Gast/Joeks, Steuerstrafrecht, 6. Auflage 2005, § 376 Rz. 30 zu § 153 AO). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die Familienkassen der Arbeitsagentur C und F bei pflichtgemäßer Mitteilung der Klägerin über den Kindergeldbezug von der Stadt F ihre Kindergeldzahlungen sogleich, spätestens im Folgemonat eingestellt hätten. Da im Bereich der Steuern -wie dargelegt- bei der Bestimmung des Beginns der Strafverfolgungsverjährung auf fiktive Fristen abgestellt wird (Abschluss der Veranlagungsarbeiten pp), ist es gerechtfertigt, dies auch im Bereich des Kindergeldrechts so zu handhaben und auch hier Begehungs- und Unterlassungsdelikte gleich zu behandeln.
98
5. Danach endete im Streitfall die Strafverfolgungsverjährung für die Kindergeldmonate des Jahres 2001 mit Ablauf des 31. Dezember 2006 und für die Kindergeldmonate der Jahre 1997 bis 2000 entsprechend früher. Der Ablauf der Festsetzungsfrist konnte demnach nicht über § 171 Abs. 7 AO bis in das Jahr 2012 hinein gehemmt werden. Weitere, den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmende Tatbestände des § 171 AO liegen nicht vor.
99
Im übrigen sind auch keine Tatbestände gegeben, die eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO hätten bewirken können. Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Klägerin unterlassene Mitteilung gemäß § 68 Satz 1 EStG oder § 153 Abs. 1 und 2 AO, weil die Anlaufhemmung nach ihrer Konzeption nur Fälle betrifft, in denen eine Steuer bzw. Steuervergütung noch nicht festgesetzt ist und weil eine Mitteilung über die Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG keine Anzeige im Sinne des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO darstellt (BFH-Urteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BStBl II 2008, 371).
100
Da die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Kindergeldmonate ab August 1997 bis einschließlich Dezember 2001 zu Unrecht erfolgte, ist der Rückforderungsbetrag um 13.150,43 € zu ermäßigen.
101
6. Auf die von der Klägerin herangezogene fünfjährige Zahlungsverjährung kommt es nicht an. Das Steuerrecht unterscheidet zwischen dem Festsetzungsverfahren (§§ 155 ff AO) einerseits und dem Erhebungsverfahren (§§ 218 ff AO) andererseits. Das Festsetzungsverfahren geht regelmäßig dem Erhebungsverfahren voraus. So bestimmt § 218 Abs. 1 AO, dass Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis die Steuerbescheide oder Steuervergütungsbescheide sind. Die Bescheide (Festsetzungen) sind regelmäßig der Rechtsgrund im Sinne des § 37 Abs. 2 AO für Zahlungsvorgänge im Erhebungsverfahren. Wird ein Festsetzungsbescheid rückwirkend aufgehoben, so entfällt der Rechtsgrund für die Zahlung und es entsteht gemäß § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO ein Rückforderungsanspruch der Behörde gegen den Leistungsempfänger (BFH-Beschluss vom 12. August 2011 III B 57/11, BFH/NV 2011, 2004). Dieser Rückforderungsanspruch ist Bestandteil des Erhebungsverfahrens. Da er erst mit der rückwirkenden Aufhebung des Festsetzungsbescheids entsteht, beginnt auch erst mit diesem Zeitpunkt die Zahlungsverjährung nach den §§ 228 ff AO. Das von der Klägerin herangezogene Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 6. Oktober 2009 12 K 113/09, EFG 2010, 382, ist im Streitfall nicht einschlägig, weil es dort um einen isolierten Rückforderungsbescheid ging, dem eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht vorausgegangen war.
102
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
103
8. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
104
9. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.