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  • 11.12.2014 · IWW-Abrufnummer 143456

    Finanzgericht München: Urteil vom 23.09.2014 – 2 K 3088/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht München

    Urt. v. 23.09.2014

    Az.: 2 K 3088/11

    In der Streitsache
    ... Klägerin
    vertreten durch
    prozessbevollmächtigt:
    ...
    gegen
    Finanzamt ... Beklagter
    wegen
    Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 2009
    hat der 2. Senat des Finanzgerichts München durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ... und
    die Richterin am Finanzgericht ...
    sowie den ehrenamtlichen Richter ... und die ehrenamtliche Richterin ...
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. September 2014
    für Recht erkannt:
    Tenor:

    1.

    Der Zinsbescheid vom 4. März 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2011 werden aufgehoben.
    2.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
    3.

    Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    Gründe

    I.

    Streitig ist, ob gegenüber der Klägerin zu Recht Hinterziehungszinsen festgesetzt worden sind.

    Mit der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 vom 3. Februar 2010 erklärte die Klägerin neben steuerfreien Umsätzen steuerpflichtige Umsätze zu 19 % in Höhe von 249.517 € sowie abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.914,17 €. Am 13. Januar 2011 ging beim Finanzamt eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 ein, mit der steuerpflichtige Umsätze in Höhe von insgesamt 602.517 € und abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von nur noch 736,32 € erklärt wurden.

    In der ursprünglichen Umsatzsteuervoranmeldung waren steuerpflichtige Umsätze der X-GmbH, einer Organgesellschaft der Klägerin, in Höhe von 353.000 € nicht berücksichtigt worden. Dies führte zu einer Umsatzsteuernachzahlung für den Veranlagungszeitraum Dezember 2009 in Höhe von 68.247 €, die sofort bezahlt wurde. Die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2009 wurde am 11. März 2011 übermittelt.

    In der Erläuterung vom 1. Februar 2011 zur berichtigten Anmeldung für Dezember 2009 machte die Klägerin geltend, dass die verspätete Anmeldung der Umsatzsteuer auf organisatorischen Umstrukturierungen sowie auf einer verstärkten Fluktuation beim Buchhaltungspersonal beruhe. Umsätze seien im Dezember bei der Organgesellschaft gebucht und versehentlich nicht rechtzeitig und vollständig in der Umsatzsteuervoranmeldung der Klägerin als Organträgerin angemeldet worden. Dies sei erst im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten der Klägerin aufgedeckt worden.

    Die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts ging davon aus, dass Umsatzsteuer zwar vorsätzlich hinterzogen worden sei, aber eine strafbefreiende Selbstanzeige vorliege und die Einleitung eines Strafverfahrens deshalb nicht veranlasst sei. Eine Verzinsung des hinterzogenen Betrages wurde jedoch angeregt.

    Mit Bescheid vom 4. März 2011 setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin für den Zeitraum vom 10. Februar 2010 bis 13. Januar 2011 aus einem Betrag von 68.200 € Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer Dezember 2009 in Höhe von 3.751 € fest.

    Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Mit der Klage wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

    Es liege zwar unstreitig eine objektive Steuerverkürzung vor. Es gebe aber keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Steuerhinterziehung. Wegen der geschilderten Umstrukturierungsprobleme könne nicht mehr festgestellt werden, woran es gelegen habe, dass die streitigen Umsätze bei der Organgesellschaft zwar gebucht, bei der Klägerin aber nicht für die Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2009 berücksichtigt worden seien. Der zuständige Buchhalter sei nicht mehr in der Unternehmensgruppe der Klägerin beschäftigt. Der neue Geschäftsführer der Klägerin (Herr S), der sein Amt erst am 22. Dezember 2009 angetreten habe, habe von den versehentlich innerhalb der Unternehmensgruppe nicht kommunizierten Organumsätzen nichts erfahren. Die vom Finanzamt angeführten Indizien, wie die Höhe der nachgemeldeten Umsätze, eine bereits für Dezember 2007 erfolgte Nachmeldung in erheblichem Umfang und die im Dezember im Vergleich zu den Vormonaten immer erhöhten Umsätze, seien kein ausreichender Nachweis für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes.

    Die Klägerin beantragt,

    den Zinsbescheid vom 4. März 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2011 aufzuheben.

    Das Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es bringt vor, dass der Geschäftsführer die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen habe. Es könne deshalb nicht Vorsatz ausschließend gewertet werden, wenn er seinen steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen sei. Zu den Aufgaben des Geschäftsführers gehöre auch, durch geeignete Kontrollmechanismen die Richtigkeit der erklärten und abzuführenden Steuerbeträge zu überprüfen. Die eklatante Abweichung der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 von den Vormonaten (ca. 7.800 € Erstattung anstatt 45.000 € Zahllast) in Verbindung mit den um 60 % erhöhten steuerpflichtigen Umsätzen im Dezember 2009 hätten im Rahmen der Überwachung durch den Geschäftsführer zwingend auffallen und überprüft werden müssen. Der Geschäftsführer hätte die Fehlerhaftigkeit der übermittelten Umsätze daher erkennen können und müssen. Daraus, dass zumindest eine grobe Überprüfung der Zahlen auf Plausibilität unterlassen worden sei, folge zwingend, dass auch unrichtige Zahlen billigend in Kauf genommen worden seien.

    Der Umzug entlaste die Klägerin nicht. Gerade weil bekannt gewesen sei, dass neues Personal erst eingearbeitet werden müsse und vermehrt von Fehlern habe ausgegangen werden müssen, hätte eine besonders sorgfältige Überprüfung durch den Geschäftsführer erfolgen müssen. Da sowohl in den vorangegangenen Jahren als auch im Folgejahr lediglich der Monat Dezember, der eine erhöhte Umsatzsteuerzahllast aufweise, berichtigt worden sei, sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin hierdurch Liquiditätsvorteile habe verschaffen wollen bzw. diese jedenfalls billigend in Kauf genommen habe.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamtsakte und die im Verfahren eingereichten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

    II.

    Die Klage ist begründet.

    Das Finanzamt hat gegenüber der Klägerin zu Unrecht Hinterziehungszinsen festgesetzt. Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht davon überzeugt, dass seitens der Klägerin eine Steuerhinterziehung begangen worden ist.

    1. Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) sind hinterzogenen Steuern zu verzinsen.

    a) Die Zinspflicht tritt nur ein, wenn der objektive und der subjektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt sind. Eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 1 AO reicht zur Begründung einer Zinspflicht nicht aus.

    Leichtfertig i.S. von § 378 AO handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist und dem sich danach aufdrängen muss, dass er dadurch Steuern verkürzt (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 2014 V R 44/13, DStR 2014, 1827).

    Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO begeht, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder sie pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Nach Abs. 4 Satz 1 dieser Vorschrift sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch für Steueranmeldungen. Ausreichend für den Tatbestand einer Steuerhinterziehung ist eine Steuerhinterziehung auf Zeit, also beispielsweise auf die Zeit zwischen dem regulären Zeitpunkt zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und der Jahreserklärung.

    Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist zwar grundsätzlich nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO), sondern nach den Vorschriften der AO und der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu überprüfen. Eine strafrechtliche Verurteilung des Täters ist nicht erforderlich. Aber auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren ist der strafverfahrensrechtliche Grundsatz in dubio pro reo zu beachten, weil die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Deshalb ist für die Feststellung einer Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, aber auch kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BStBl II 1979, 570; BFH-Urteil vom 14. August 1991, X R 86/88, BStBl. II 1992, 128).

    Es ist auch nicht erforderlich, dass der Straftäter bekannt ist; es reicht aus, dass nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 FGO) feststeht, dass von mehreren in Betracht kommenden Personen jedenfalls eine die Steuerhinterziehung begangen hat (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BStBl II 1998, 466).

    b) Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist zwar unstreitig erfüllt, weil die Klägerin die ihr nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG als Organträgerin zuzurechnenden Umsätze der Organgesellschaft in Höhe von netto 353.000 € nicht mit der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 als eigene Umsätze angemeldet und damit den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht hat und dadurch für den Zeitraum vom 10. Februar 2010 bis 13. Januar 2011 Umsatzsteuer verkürzt worden ist.

    c) Der Senat ist aber nicht zu der Überzeugung gelangt, dass auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist.

    Bei der Steuerhinterziehung gehört es zum Vorsatz, dass der Tatbeteiligte den angegriffenen Steueranspruch kennt und ihn trotz dieser Kenntnis verkürzen will (vgl. BGH-Urteil vom 19. Mai 1989, 3 StR 590/88, wistra 1989, 263). Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand verwirklicht und wer das billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz, vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 74/95, BStBl II 1997, 157; BGH-Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09, HFR 2010, 866).

    Im Streitfall hat der bei der Klägerin ab dem 22. Dezember 2009 tätige und somit auch für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 im Februar 2010 verantwortliche kaufmännische Geschäftsführer (S) zwar seine Pflicht verletzt, deren Richtigkeit zu überprüfen.

    Wäre er seinen Kontrollpflichten nachgekommen und hätte er die in der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 enthaltenen Zahlen auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft, hätte ihm auffallen müssen, dass die zunächst für Dezember 2009 erklärten steuerpflichtigen Umsätze nicht richtig sein können. Unterschiede in der vorliegenden Größenordnung sind im Rahmen der Kontrolle der Umsatzsteuervoranmeldung auf Richtigkeit und Vollständigkeit vor Einreichung beim Finanzamt nicht zu übersehen.

    Allein aus der unterlassenen Kontrolle kann jedoch noch nicht gefolgert werden, der Geschäftsführer habe die (zeitweise) Verkürzung von Umsatzsteuer auch gebilligt.

    Da er seine Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin erst am 22. Dezember 2009 aufgenommen hat, kann im Streitfall nicht zu Lasten des Geschäftsführers, und somit auch nicht zu Lasten der Klägerin, berücksichtigt werden, dass sie bereits einmal im Dezember 2007 Umsätze in erheblichem Umfang nachmelden musste und dass die steuerpflichtigen Umsätze im Monat Dezember bereits in den Vorjahren immer erheblich über den sonstigen monatlichen Umsätzen gelegen haben. Es ist weder ersichtlich noch vom Finanzamt dargelegt, dass dem (neuen) Geschäftsführer diese Umstände bekannt gewesen sind.

    Im Hinblick auf den kurzen Zeitraum zwischen Antritt als Geschäftsführer und Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2009 am 3. Februar 2010 sowie im Hinblick darauf, dass die streitgegenständliche Umsatzsteuervoranmeldung noch von dem schon seit längerer Zeit im Unternehmen der Klägerin tätigen und hierfür verantwortlichen Buchhalter erstellt worden ist, und dieser erst danach bei der Klägerin ausgeschieden ist, kann dem Geschäftsführer nicht in strafrechtlich relevanter Weise vorgeworfen werden, dass er sich auf die Richtigkeit der von diesem erstellten Umsatzsteuervoranmeldung verlassen hat. Bei dem gegebenen Sachverhalt muss dem Geschäftsführer auch eine gewisse Einarbeitungszeit zugebilligt werden.

    Da es für das Vorliegen eines bedingten Tatvorsatzes darauf ankommt, dass der Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Steuerhinterziehung für möglich gehalten und dies auch gebilligt hat (vgl. z. B. BGH-Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09, HFR 2010, 866), kann dem Geschäftsführer der Klägerin angesichts der ihm nach obigen Ausführungen bekannten Umstände nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass dem Finanzamt gegenüber mit der Umsatzsteuervoranmeldung für 2009 zu niedrige steuerpflichtige Umsätze erklärt worden sind und dadurch Umsatzsteuer hinterzogen wird. Vielmehr ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er trotz seines Pflichtverstoßes darauf vertraut hat, dass die Angaben in der Umsatzsteuervoranmeldung richtig sind und kein Verkürzungserfolg eintritt.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

    RechtsgebietAOVorschriften§ 370 Abs. 1 AO; § 378 Abs. 1 AO