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  • 18.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143855

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.10.2014 – 4 K 582/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    4 K 582/12

    Tenor:

    Die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 vom 17.02.2010 sowie die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 05.02.2010 werden geändert und die Umsatzsteuer 2004 auf 20.102,85 €, die Umsatzsteuer 2005 auf 26.452,08 €, die Umsatzsteuer 2006 auf 2.367,16 €, die Umsatzsteuer 2007 auf 13.130,55 € und die Umsatzsteuer 2008 auf 23.436,91 € herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 5/8 und dem Beklagten zu 3/8 auferlegt.

    Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand

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    Die Klägerin ist eine inländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihre Alleingesellschafterin ist die A TLC mit Sitz in B in Großbritannien.

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    Unternehmensgegenstand ist der Kauf unsortierter Bargeldbestände in Form von Münzen und Banknoten verschiedener Währungen, welche vorwiegend im Rahmen von Spenden- und Hilfsaktionen durch wohltätige Organisationen oder Fluggesellschaften gesammelt wurden und der Umtausch in Euro bei den jeweiligen Nationalbanken. Zudem werden unsortierte Bargeldbestände auch direkt von Nationalbanken gekauft, sortiert, gezählt und wieder an diese verkauft. Hierzu werden die Bargeldbestände in Transaktionsbehältern vom Kunden abgeholt, sortiert und gezählt sowie in Euro umgerechnet. Das Sortieren beinhaltet zugleich eine Prüfung auf Echtheit und das Aussortieren ggf. nicht als Zahlungsmittel verwendbarer Gegenstände wie z.B. Büroklammern und Einkaufschips. Der jeweilige Euro-Betrag bildet die Berechnungsgrundlage für die Vergütung (Provision) der vereinbarten Leistung. Von dem Umrechnungswert werden 10 % für Banknoten und 30 % für Münzen einbehalten und der Restbetrag dem Kunden als Kaufpreis in Euro überwiesen. Diese Rückführung kann mitunter mehrere Monate dauern, da ein Umtausch bei den entsprechenden Nationalbanken nur unter Einhaltung vorgeschriebener Verpackungs- und Zähleinheiten und ab bestimmten Grenzwerten möglich ist.

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    Die Klägerin hatte die durchgeführten Leistungen bisher ausschließlich als steuerfreie Geldverkehrsleistungen nach § 4 Nr. 8 b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) behandelt.

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    Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 2004 bis 2008 vertrat der Beklagte die Auffassung, dass die Klägerin zwei getrennt voneinander zu beurteilende Hauptleistungen erbringe, zum einen die sonstige Leistung „Sortierung“ (Zählen und Sortieren der Münzen und Banknoten) und zum anderen die sonstige Leistung „Umtausch“ (Umtausch der Münzen und Banknoten). Die sonstige Leistung „Sortierung“ und die Nebenleistung Transport zum Firmensitz sah er als eine steuerbare und mangels Befreiung mit dem Regelsteuersatz zu versteuernde steuerpflichtige Leistung an. Unter Zuordnung der Lohnkosten zu den sonstigen Leistungen „Sortierung“ und „Umtausch“ ermittelte er einen Aufteilungsmaßstab für die Provisionen von 80 zu 20. Danach entfielen 80 % auf die umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung „Sortierung“. Im Einzelnen wird auf Tz. 2.4 des Betriebsprüfungsberichts vom 6.11.2009 Bezug genommen.

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    Mit den nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden vom 5.2.2010 (Umsatzsteuer 2006, 2007, 2008) und den erstmaligen Festsetzungen vom 17.2.2010 (Umsatzsteuer 2004, 2005) hat der Beklagte 80 % des Gesamtumsatzes als steuerpflichtige sonstige Leistungen behandelt.

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    Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens fand am 29.6.2011 in den Räumen des Steuerberatungsbüros D & Partner eine Besprechung statt, in deren Verlauf eine einvernehmliche Regelung dergestalt getroffen wurde, dass das Entgelt „Provision“ für den Prüfungszeitraum und die nachfolgenden Zeiträume zu 50% auf sonstige steuerpflichtige Leistungen „Fundraising“ und „Sortieren“ und zu 50 % auf nach § 4 Nr. 8 b UStG sonstige steuerfreie Leistungen „Umtausch“ aufzuteilen sei. Zudem wurde in dieser Besprechung ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage aufgrund einer Außenprüfung gestellt und im Laufe der Besprechung erteilt. Darüber hinaus einigten sich die Beteiligten darauf, dass die Rechtsbehelfe entsprechend eingeschränkt werden und sich mit dem gefundenen Ergebnis die Rechtsbehelfsverfahren erledigen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarung und der an der Vereinbarung beteiligten Personen wird auf den Aktenvermerk über die Besprechung sowie den Vermerk über das Telefonat mit dem Steuerberater C vom 1.7.2011, in dem Details zur verfahrenstechnischen Abwicklung der Vereinbarung festgelegt wurden, Bezug genommen.

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    Aufgrund der Besprechung vom 29.6.2011 und des Telefonats vom 1.7.2011 erging am 8.7.2011 vereinbarungsgemäß ein geänderter Betriebsprüfungsbericht, in dem die Ergebnisse der Vereinbarung zusammengefasst worden sind und die verbindliche Zusage schriftlich bestätigt worden ist.

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    Am 23.11.2011 meldete sich der Steuerberater E von der Prozessbevollmächtigten beim Beklagten und teilte mit, dass die Prozessbevollmächtigte die steuerliche Beratung der Klägerin übernommen habe. Im Auftrag der Klägerin sei eine Anfrage an das Finanzministerium NRW hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung des Sortengeschäfts für die Vergangenheit und die Zukunft gestellt worden. Die im Rahmen der Besprechung vom 29.6.2011 getroffene Einigung über die umsatzsteuerliche Behandlung des Sortengeschäfts sei damit hinfällig geworden.

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    Nachdem das Finanzministerium NRW der Klägerin mit Schreiben vom 30.11.2011 mitgeteilt hat, dass es die Rechtsansicht nicht teile, dass die Leistung der Klägerin gegenüber ihren Kunden als einheitliche Leistung, die insgesamt gem. § 4 Nr. 8 b UStG von der Umsatzsteuer befreit ist, zu beurteilen sei, teilte die Prozessbevollmächtigte in einem Telefonat vom 2.1.2012 mit, dass sich die Klägerin nicht mehr an die anlässlich der Besprechung vom 29.6.2011 getroffene Vereinbarung gebunden fühle. Daran ändere auch die Stellungnahme des Finanzministeriums NRW vom 30.11.2011 nichts.

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    Mit Einspruchsentscheidung vom 24.1.2012 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück.

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    Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage. Aufgrund von Sprachschwierigkeiten und Missverständnissen bei der Übersetzung sei der Klägerin nicht bewusst gewesen, dass eine tatsächliche Verständigung stattgefunden habe. Darüber hinaus habe die einvernehmliche Einigung keine rechtliche Relevanz für das vorliegende Verfahren. Die von der Klägerin ausgeführten Aktivitäten seien als eine einheitliche Leistung zu betrachten. Aus der Sicht der Kunden der Klägerin werde nur ein Ziel vertraglich geschuldet. Die Kunden wollten die Fremdwährung in Euro umtauschen. Welche einzelnen Maßnahmen dafür von der Klägerin vorgenommen werden müssten, sei für die Kunden nicht von Interesse. Die Fremdwährungen seien für die Kunden zunächst wertlos, insbesondere da Münzen nicht und Banknoten nur eingeschränkt bei einer „normalen“ Bank umgetauscht werden könnten. Die Kunden hätten ferner kein Interesse nur an einer Transport-, Sortier- oder Zählleistung, da die Münzen dann immer noch wertlos seien. Der einzige wirtschaftliche Vorteil für die Kunden bestehe im Umtausch der Sorten. Die Abholung der Fremdwährung und deren Sortierung sowie Zählung – sofern von der Klägerin erbracht – seien notwendige Bestandteile des Umtausches. Denn erst nach dem Sortieren des Bargeldes könne dieses in die Herkunftsländer zurückgeführt werden. Die Zählung sei zwangsläufig erforderlich, um dem Kunden den Umrechnungsbetrag mitteilen und damit auch das Entgelt für die Klägerin ermitteln zu können. Die Transport-, Sortier- und Zählleistungen hätten für die Kunden also keinen eigenen Zweck, sie träten vielmehr hinter dem Ganzen – der Umtauschleistung – zurück und stellten daher nur unselbständige Nebenleistungen dar, die das Schicksal der Hauptleistung Fremdwährungsumtausch teilten. Außerdem verkenne der Beklagte bei der Gewichtung der steuerpflichtigen und steuerfreien Leistungen (80 : 20), dass 80 – 90 % sowohl des Zeitaufwandes (die Rückführung in die Ursprungsländer dauere mitunter mehrere Wochen) als auch der gesamten bei der Klägerin anfallenden Kosten allein für die Rückführung der Fremdwährung in die Herkunftsländer aufgewendet würden. Auch daran werde deutlich, dass der eigentliche Geldumtausch auch nach objektiv messbaren Größen klar im Vordergrund stehe. Der Beklagte habe dagegen lediglich auf die Lohnsummen abgestellt und diese im Schätzungswege aufgeteilt. Ferner werde bei der Aufteilung durch den Beklagten nicht berücksichtigt, dass einige Kunden Bargeldbestände selbst anlieferten bzw. die Sorten bereits vorsortiert übergäben. Diese Vorgehensweise führe letztlich dazu, dass – fälschlicherweise – der Eindruck entstehe, dass dem Transport, der Sortierung und Zählung ein großes Übergewicht zukomme. Selbst wenn man die von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht als eine einheitliche Leistung in der Form des Fremdwährungsumtausches ansehen könnte, sei zu überlegen, ob unter europarechtlichen Gesichtspunkten auch dieser Teil der Leistungen von der Umsatzsteuer freigestellt werden müsste. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Klagebegründung Bezug genommen.

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    Die Klägerin beantragt,

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    die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 vom 5.2.2010 und 17.2.2010 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.1.2012 aufzuheben.

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    Der Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen, soweit eine niedrigere Umsatzsteuerfestsetzung als 20.102,85 € für 2004, 26.452,08 € für 2005, 2.367,16 € für 2006, 13.130,55 € für 2007 und 23.436,91 € für 2008 beantragt wird.

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    Die Beteiligten hätten sich hinsichtlich der Aufteilung der Provisionen auf eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung „Sortierung“ (incl. Tätigkeiten des sog. Fundraising) und auf eine nach § 4 Nr. 8 b UStG umsatzsteuerfreie sonstige Leistung „Umtausch“ im Verhältnis 50:50 geeinigt. Die Klägerin erbringe zwei getrennt voneinander zu beurteilende Hauptleistungen. Zum einen handele es sich um die sonstige Leistung „Sortierung“ (Zählen und Sortieren der Münzen), zum anderen um die sonstige Leistung „Umtausch von ausländischen Münzen und Noten“. Die Klägerin erbringe damit gegenüber ihren Kunden keine einheitliche Leistung, die insgesamt gemäß § 4 Nr. 8 b UStG von der Umsatzsteuer befreit sei. Der Umtausch der verschiedenen Fremdwährungen in Euro könne erst erfolgen, wenn nach der Sortierung feststehe, welche Währungen und Mengen überhaupt vorhanden seien. Der Leistungsempfänger sei daher ohne Sortierung zunächst nur im Besitz eines wirtschaftlich nicht verwertbaren Bestandes an verschiedenen Münzen und Noten. Um diesen Bestand wirtschaftlich nutzen zu können, sei eine Sortierung unumgänglich. Der nachgelagerte Umtausch werde erst nach einer Sortierung möglich gemacht. Der Vorgang des Sortierens habe damit einen eigenen Zweck. Er führe dazu, dass die Münzen und Noten unterschiedlichster Währung umtauschfähig würden. Dies könne nicht, wie die Klägerin meine, als Nebenleistung zur Hauptleistung Umtausch gesehen werden. Eine einheitliche wirtschaftliche Dienstleistung liege nicht vor. Eine Aufspaltung der Leistungen in Sortierung und Umtausch sei auch nicht wirklichkeitsfremd. Der Umtausch könne nach der Sortierung und der dadurch eingetretenen erstmaligen Verkehrsgängigmachung der Münzen genauso gut vom Kunden selbst durchgeführt werden. Die von den Mitarbeitern der Klägerin vorgenommene Sortierung der Münzen sei auch nicht mit der Sortierung und Zählung des Geldes durch einen Bankangestellten vergleichbar. Kein Kreditinstitut in Deutschland nehme unsortierte Münzen, insbesondere Münzen ausländischer Währungen, an. Die Mitarbeiter der Klägerin erbrächten durch das Sortieren eine extrem zeit- und personalintensive Leistung. Diese Leistung gehe weit über das Zählen von Zahlungsmitteln durch die Mitarbeiter einer Bank oder einer Wechselstube hinaus. Das Sortieren stelle daher keine unselbständige Nebenleistung zur Hauptleistung des Umtausches dar. Eine einheitliche Leistung liege auch nicht allein deshalb vor, weil die Leistung der Klägerin auf Grund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werde. Die Klägerin biete schließlich einigen ihrer Kunden darüber hinaus auch noch Leistungen im Bereich des sog. Fundraising an, indem sie teilweise ganze Spendensammlungen organisiere und koordiniere, indem sie an vereinbarten Orten selbst produzierte Sammelboxen aufstelle und diese pflege, säubere und leere. Zur ergänzenden Sachverhaltsdarstellung und Begründung werde noch auf Tz. 2.41 und 2.42 des Betriebsprüfungsberichts vom 6.11.2009 verwiesen. Die andere rechtliche Behandlung der Umsätze in Großbritannien sei für die Besteuerung der inländischen Umsätze nicht relevant. Streitgegenstand sei auch nicht die Umsetzung der Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 135 Abs. 1 e MwStSystRL in nationales Recht, sondern die Beurteilung der erbrachten Leistungen als zwei getrennt voneinander zu beurteilende oder eine einheitliche sonstige Leistung. Ein Verstoß gegen die EuGH-Rechtsprechung sei daher nicht ersichtlich. Der Umstand, dass die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden der Klägerin bei einer Steuerpflicht der Umsätze einen geringeren Erlös erzielen würden, sei für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Leistung ebenfalls nicht relevant. Wenn die Steuer nicht entsprechend der Vereinbarung festgesetzt werden sollte, sei die Schätzung entsprechend der Tz. 2.43 des Betriebsprüfungsberichts vom 6.11.2009 nicht zu beanstanden. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass die vorgenommene Aufteilung der Kosten nach den einzelnen Beschäftigungsfeldern nicht zutreffend sein solle. Es sei nicht nachvollziehbar, dass 80 – 90 % der entstandenen Kosten auf die Rückführung der Fremdwährung in die Herkunftsländer entfallen solle.

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    Entscheidungsgründe

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    Die Klage ist teilweise begründet.

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    Die Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin eine Herabsetzung des umsatzsteuerpflichtigen Anteils der erhaltenen Provisionen von 80% auf 50% begehrt. Der darüber hinaus gehende Antrag auf vollständige Befreiung der Provision von der Umsatzsteuer ist dagegen unbegründet.

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    1. Zwischen den Beteiligten ist im Zuge des Einspruchsverfahrens bei der Besprechung vom 29.6.2011 eine bindende tatsächliche Verständigung über den steuerpflichtigen Anteil der Umsätze der Klägerin in Höhe von 50 % zustande gekommen, an die die Beteiligten gebunden sind.

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    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. September 2007 IV R 20/05, BFH/NV 2008, 532; vom 22. Juli 2008 IX R 74/06, BFH/NV 2008, 1908 und vom 8. Oktober 2008 I R 63/07, BStBl II 2009, 194 m.w.N.). Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es, zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuer notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 der Abgabenordnung (AO) einvernehmlich festzulegen. Die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung setzt voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen - nicht aber auf Rechtsfragen (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juni 2001 IV R 40/00, BStBl II 2001, 714 und vom 31. März 2004 I R 71/03, BStBl II 2004, 742; Tipke-Kruse, AO/FGO, Vor § 118 AO Tz. 11) - bezieht. Da jede Verständigung über steuerlich relevante Tatsachen zugleich auch die Höhe des Steueranspruchs beeinflusst und daher eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage nicht in allen Fällen nach abstrakten Maßstäben im Vorhinein möglich ist, ist allerdings eine Verständigung über sich aus Sachverhaltsfragen ergebende Rechtsfolgen nicht zu beanstanden, wenn diese in einem so engen Zusammenhang mit Tatsachen stehen, dass sie sachgerechterweise nicht auseinandergerissen werden können. Unzulässig bleibt nach Auffassung des BFH eine Verständigung über reine Rechtsfragen (anders für Sachverhalte mit Dauerwirkung oder Dauerwiederkehr: Tipke-Kruse, AO/FGO, Vor § 118 AO Tz. 13 f. m.w.N.). Der Sachverhalt muss zudem die Vergangenheit betreffen, die Sachverhaltsermittlung muss erschwert sein und auf Seiten der Finanzbehörde muss ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt sein. Einer besonderen Form bedürfen tatsächliche Verständigungen nicht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BStBl II 1996, 625).

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    Wie sich aus dem Protokoll über die Besprechung vom 29.6.2011 - und auch aus dem Telefonprotokoll vom 1.7.2011 und dem geänderten Betriebsprüfungsbericht vom 8.7.2011 - ergibt, wollten die Beteiligten im Anschluss an die bislang streitigen Feststellungen der Betriebsprüfung und nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage sowohl im Vorfeld der Besprechung als auch in der Besprechung selbst eine einvernehmliche Klärung und Festlegung des der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhaltes herbeiführen. Mit einer solchen Sachverhaltsklärung und -festlegung und der auf dieser Grundlage beruhenden Differenzierung zwischen umsatzsteuerpflichtigen (Fundraising und Sortieren) und umsatzsteuerbefreiten Leistungen (Umtausch) der Klägerin in den Streitjahren wollten die Beteiligten den Rechtsstreit um die steuerliche Behandlung beenden. Dass sie hierbei mit beiderseitigem Rechtsbindungswillen handelten (vgl. dazu Tipke-Kruse, AO/FGO, Vor § 118 AO Tz. 23, m-w.N.), ergibt sich ohne weiteres daraus, dass als Ergebnis der Besprechung der Beklagte eine steuerliche Behandlung entsprechend der einvernehmlichen Regelung und die Klägerin eine entsprechende Einschränkung ihrer anhängigen Einsprüche zugesagt haben. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer verbindlichen Zusage festgelegt, dass der gefundene Aufteilungsmaßstab auch für zukünftige Veranlagungszeiträume maßgebend sein sollte. Eine Verständigung über reine Rechtsfragen haben die Beteiligten nicht getroffen. Grundlage der Verständigung ist vielmehr die einverständliche tatsächliche Festlegung, dass 50 % auf die Leistungen „Fundraising“ und „Sortieren“ und weitere 50 % auf die Leistung “Umtausch“ entfallen. Die rechtliche Beurteilung der Leistungen „Fundraising“ und „Sortieren“ als steuerpflichtige Leistungen und der Leistung „Umtausch“ als steuerfreie Leistung beruht auf der von den Beteiligten unterstellten Trennbarkeit und Selbständigkeit dieser Leistungen. Auch wenn in diese Einordnung der Leistungen sowohl tatsächliche als auch rechtliche Aspekte eingeflossen sein mögen, so steht sie doch in einem so engen Zusammenhang mit dem komplexen Gesamtsachverhalt und auch seinen einzeln zu beurteilenden Teilsachverhalten, dass die tatsächliche und rechtliche Beurteilung sachgerechterweise nicht getrennt werden kann und die Einbeziehung rechtlicher Folgerungen in die tatsächliche Verständigung daher zulässig wäre.

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    Auf Seiten des Beklagten war mit Herrn F auch ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt.

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    2. Eine Ausnahme von der Bindungswirkung der getroffenen tatsächlichen Verständigung ist nicht gegeben, und zwar weder wegen ursprünglicher Unwirksamkeit noch aus einem später hinzugetretenen, die Bindung auflösenden Grund.

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    a. Die tatsächliche Verständigung beinhaltet kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis und ist daher nicht unwirksam.

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    aa. Unwirksam ist eine tatsächliche Verständigung, wenn ihr Inhalt zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt (vgl. BFH-Urteile vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, 556, BStBl II 1985, 354, 358 und vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, 105, BStBl II 1996, 625, 626, m.w.N.). Offensichtlich ist nur das, was für einen unvoreingenommenen, urteilsfähigen Betrachter ohne weiteres und unzweifelhaft evident ist. Offensichtlich unzutreffend kann ein Ergebnis deshalb dann sein, wenn es auf einem schweren Überlegungs- oder Systemfehler beruht oder wenn das Ergebnis eindeutig von dem abweicht, was mit der Verständigungsvereinbarung von allen Beteiligten gewollt war (vgl. z.B. Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 9. Juni 1999 2 K 292/97, EFG 1999, 932).

    28

    bb. Der erst im Klageverfahren erhobene Einwand der Klägerin, dass ein sog. Fundraising, d.h. ein umfassendes Spendenmarketing gar nicht stattgefunden hat, führt nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Da die anwesenden steuerlichen Berater, der Geschäftsführer der Klägerin und der gesetzliche Vertreter der Muttergesellschaft die Verhältnisse im Betrieb der Klägerin kannten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie zum Zeitpunkt der tatsächlichen Verständigung einem evident unmöglichen Ergebnis zugestimmt hätten. Da die Verständigung lediglich der Evidenzkontrolle aus der ex ante Perspektive der Beteiligten im Zeitpunkt des Vereinbarungsabschlusses unterliegt (vgl. hierzu Tipke-Kruse, AO/FGO, vor § 118 AO Tz. 30), ist es aber letztlich auch entscheidungsunerheblich, wenn die Beteiligten im Nachhinein neue Erkenntnisse zum Sachverhalt gewonnen hätten. Es ist zudem nicht ersichtlich oder von der Klägerin substantiiert angeführt worden, dass es zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, wenn der Unterhaltung, Leerung und Abholung der Spendensammelbehälter und dem Sortieren der Währungen einerseits ein Umsatzanteil von 50% und dem (Nach-) Zählen und dem Umtausch in € andererseits auch ein Umsatzanteil von 50% beigemessen wird.

    29

    cc. Wie bereits im Rahmen des vorgelagerten ADV-Verfahrens (Az.: 4 V 1129/12) ausgeführt, ist abhängig vom konkreten Sachverhalt sowohl die Annahme einer Gesamtleistung als auch die Annahme mehrerer einzelner, unterschiedlich zu beurteilender Leistungen möglich. Die Annahme mehrerer selbständiger Leistungen im Rahmen der tatsächlichen Verständigung ist daher nicht offensichtlich unzutreffend. Für die in der tatsächlichen Verständigung vorgenommene Trennung und gefundene Gewichtung der Anteile, die auf das Unterhalten der Spendenboxen, Abholen und Transportieren der Spendenbeträge und Sortieren der Spendenbeträge einerseits bzw. auf Zählen und Umtauschen der sortierten und gezählten Geldbeträge andererseits entfallen, spricht nach Auffassung des erkennenden Senates zusätzlich der Umstand, dass der Kunde bezüglich der in den unsortierten Geldsammlungen enthaltenen €-Beträge – und wohl auch hinsichtlich anderer gängiger Währungen wie z.B. US Dollar – bereits nach der Sortierung eine für ihn hinreichende Verwertungsmöglichkeit und damit seinen erstrebten Erfolg erreicht haben dürfte.

    30

    dd. Die Annahme, dass der Teil der Provision, der auf das Unterhalten der Spendenboxen, Abholen und Transportieren der Spendenbeträge und Sortieren der Spendenbeträge entfällt, ein nicht von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 8 b UStG bzw. Art 135 Abs. 1 e MwStSystRL umfasster Umsatz ist, kann schon deshalb nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen, weil in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht abschließend geklärt ist, was unter „Umsätzen von gesetzlichen Zahlungsmitteln“ (§ 4 Nr. 8 b UStG) bzw. „Umsätzen, die sich auf Devisen, Banknoten und Münzen beziehen, die gesetzliche Zahlungsmittel sind“ (Art. 135 Abs. 1 e MwStSystRL), zu verstehen ist. Bei der rechtlichen Beurteilung dieser Frage wäre weiterhin zu berücksichtigen, dass ein nicht unerheblicher Teil des abgeholten, transportierten und sortierten Geldes auf nicht mehr kursgültige Münzen und Banknoten entfällt (z.B. österreichische Schillinge, französische Francs, deutsche Mark etc., vgl. hierzu auch Philipowski in Rau/Dürrwächter, UStG-Kommentar, § 4 Nr. 8 Anm. 147 und Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG Kommentar, § 4 Nr. 8 Anm. 46).

    31

    b. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354), dass eine tatsächliche Verständigung grundsätzlich für beide Parteien bindend ist. Daraus ergibt sich eindeutig, dass sie grundsätzlich nicht einseitig widerrufen werden kann und zwar auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung nicht steuerlich beraten war (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juli 2001 XI B 23/01, juris). Im Streitfall war die Klägerin jedoch von zwei Prozessbevollmächtigten bei der tatsächlichen Verständigung beraten worden.

    32

    c. Die tatsächliche Verständigung ist auch nicht durch eine wirksame Anfechtung aufgehoben worden.

    33

    Die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB sind auf tatsächliche Verständigungen im Steuerverfahren grundsätzlich anwendbar (ebenso Klein, AO, 11. Aufl., § 162 Rz 33; Buciek, DStZ 1999, 389, 400). Die Klägerin hat jedoch keinen Anfechtungsgrund substantiiert dargelegt. Dass sich der Geschäftsführer der Klägerin aufgrund von Verständigungsproblemen möglicherweise über die Reichweite der tatsächlichen Verständigung geirrt haben mag, führt nicht zu einer Anfechtungsmöglichkeit wegen Irrtums nach § 119 BGB, denn die Klägerin wurde von steuerlich fachkundigen Beratern vertreten, so dass ein etwaiger Irrtum des Geschäftsführers der Klägerin nach § 166 Abs. 1 BGB unbeachtlich ist.

    34

    Zudem wäre eine Anfechtung zu spät erklärt worden. Bei entsprechender Anwendung der Anfechtungsnormen des BGB gelten folgerichtig auch die Anfechtungsfristen entsprechend. Die mit der tatsächlichen Verständigung verfolgten Zwecke (Beseitigung von Unsicherheiten und Rechtsfrieden) verlangen, dass das Verständigungsergebnis nicht durch eine länger währende Ungewissheit über eine mögliche Anfechtung gefährdet wird. Unterstellt man das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes aus § 119 BGB zugunsten der Klägerin und unterstellt man, dass Herr Steuerberater E bereits bei seinem Anruf beim Beklagten am 23.11.2011 die Anfechtung der tatsächlichen Verständigung ausgesprochen hat und die Gründe für die Anfechtung substantiiert dargelegt hat, war zu diesem Zeitpunkt die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB bereits verstrichen, denn spätestens mit der Übersendung des geänderten BP-Berichts am 8.7.2011 war der Klägerin ein etwaiger Anfechtungsgrund bekannt und sie hätte unverzüglich die Anfechtung erklären müssen. Dies hat sie allerdings nicht getan.

    35

    3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit § 709 ZPO.

    RechtsgebietUStGVorschriften§ 4 Nr. 8b UStG