13.05.2015 · IWW-Abrufnummer 144483
Finanzgericht Münster: Beschluss vom 07.01.2015 – 8 V 1774/14 G
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 2008 bis 2010, jeweils vom 25.11.2013, wird in Höhe von 18.365 EUR für 2008, 16.444 EUR für 2009 und 18.133 EUR für 2010 bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung mit der Maßgabe ausgesetzt, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung der jeweiligen Gewerbesteuerbescheide in Bezug auf einen Teilbetrag des Gewerbesteuermessbetrages in Höhe von 13.475 EUR für 2008, in Höhe von 14.120 EUR für 2009 und in Höhe von 13.391 EUR für 2010 ausgeschlossen wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 23 % und der Antragsgegner zu 77 %.
Gründe
I.
Streitig ist, ob bei der Aussetzung der Vollziehung von Gewerbesteuermessbescheiden eine Sicherheitsleistung auszuschließen ist.
Der Antragsteller betreibt ein italienisches Restaurant ("I- Restaurant"). Seinen Gewinn ermittelt er durch Betriebsvermögensvergleich.
Der Antragsgegner setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre 2008 bis 2010 zunächst auf der Grundlage der von dem Antragsteller erklärten Gewinne fest, wobei die Bescheide für 2009 und 2010 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.
Nachdem anonyme Strafanzeigen gegen den Antragsteller bei dem Antragsgegner und dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt eingegangen waren, wurde am 04.11.2011 ein Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung bezüglich der Jahre 2008 bis 2010 eingeleitet. Zudem ordnete der Antragsgegner mit Verfügung vom 03.02.2012 eine steuerliche Außenprüfung bei dem Antragsteller an. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt kam in seinem Bericht vom 27.12.2012 zu folgenden steuerlichen Feststellungen:
Der Antragsteller habe in seinem Restaurant eine Registrierkasse der Firma K eingesetzt. Dokumentationsunterlagen über die Kassenprogrammierung hätten sich nicht bei den Buchführungsunterlagen befunden und hätten auch bei der Durchsuchung der Wohnung sowie der Geschäftsräume des Antragstellers nicht sichergestellt werden können. Die eingesetzte Registrierkasse sei in der Weise programmiert, dass bei Bedienen der Taste "Tagesabschluss" ein so genannter Kettenbericht ausgedruckt werde. Dieser bestehe aus einem Finanzbericht (= Tagesendsummenbon), einem Bedienerbericht und einem Hauptgruppenbericht. Auf den Finanzberichten sei zwar das jeweilige Datum, nicht aber die Uhrzeit des Ausdrucks angegeben. Es seien nur die Barumsätze, nicht hingegen die Einnahmen mittels Scheck und Kreditkarte, welche ausweislich der Bankunterlagen ebenfalls erzielt worden seien, ausgewiesen worden. Angaben zu den aus der Kasse getätigten Entnahmen hätten in den Finanzberichten gefehlt. Da nach Abruf der Finanzberichte der Speicher gelöscht worden sei, hätten die Umsätze nachträglich nicht mehr sichtbar gemacht werden können. T äglich seien zudem die Bedienerberichte ausgedruckt worden. Im Prüfungszeitraum hätten sich allerdings nur wenige - das heißt insgesamt vier - Bedienerberichte in den aufbewahrten Unterlagen befunden. Nach Aussage zweier Angestellter seien diese Berichte vernichtet worden. In Anbetracht des Umstandes, dass sich in den Unterlagen für Februar 2011 ein "Finanzbericht monatlich" befunden habe, sei davon auszugehen, dass der Antragsteller diese Berichte monatlich abrufe. Aufbewahrt worden seien diese allerdings nicht. Vor dem Hintergrund, dass die laufende Nummer für den "Z-Zähler 2" (= Z-Zähler für Monatsberichte) nicht auf dem Finanzbericht aufgedruckt sei, sei davon auszugehen, dass die Kasse so programmiert worden sei, dass nur das Nötigste angezeigt werde.
Für den Veranlagungszeitraum 2008 habe der Antragsteller folgende Unterlagen nicht aufbewahrt:
- Buchführungsunterlagen für Mai
- 2 Finanzberichte (Z)
- 361 Bedienerberichte (Z)
- 362 Hauptgruppenberichte (Z)
- 10 Monatsberichte
Für das gesamte Jahr 2008 seien 32 Postenstorni, jedoch keine Nachstorni ausgewiesen worden.
Für den Veranlagungszeitraum 2009 hätten folgende Unterlagen gefehlt:
- 3 Finanzberichte (Z)
- 350 Bedienerberichte (Z)
- 350 Hauptgruppenberichte (Z)
- 7 Monatsberichte.
Für das gesamte Jahr 2009 seien 1 Postenstorno, jedoch keine Nachstorni ausgewiesen worden.
Für den Veranlagungszeitraum 2010 hätten folgende Unterlagen gefehlt:
- 5 Finanzberichte (Z)
- 362 Bedienerberichte (Z)
- 362 Hauptgruppenberichte (Z)
- 7 Monatsberichte.
Für das gesamte Jahr 2010 seien 17 Postenstorni, jedoch keine Nachstorni ausgewiesen worden.
Ferner seien in dem gesamten Prüfungszeitraum in den Kassenberichten weder Kassenbestände noch die Einlage von Geld ausgewiesen worden. Die täglichen Kassenberichte könnten daher nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, da ein gewisser Wechselgeldbestand in der Kasse hätte verbleiben müssen. Auch die vorgelegten Inventare entsprächen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Insbesondere seien die Unterlagen nicht nachvollziehbar und überprüfbar, da sie keine Angaben zu den aufgenommenen Mengen je Einzelware und den zugrundegelegten Werten enthielten. Durch die Verwendung von Sammelbezeichnungen (z.B. Kühlhaus, diverse Getränke, Wein in Regalen) sei gegen die Einzelaufzeichnungspflicht verstoßen worden. Die Aufzeichnung des Wareneingangs entspräche nicht den Anforderungen des § 143 der Abgabenordnung (AO). So hätten mehrfach die Rechnungsunterlagen zu einzelnen Wareneinkäufen vollständig gefehlt. Teilweise seien lediglich im Nachgang zugegangene Schreiben (Mahnungen, Zahlungserinnerungen) statt der Einkaufsrechnungen zu den Bankauszügen geheftet worden. Von einzelnen Eingangsrechnungen hätten nur eine Seite oder eine Ablichtung vorgelegen.
In der Gesamtschau seien die festgestellten Mängel nicht nur formeller Natur, sondern wesentlich; die Mängel würden das sachliche Ergebnis der Buchführung beeinflussen. Da der Antragsteller daher die Vermutung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung nach § 158 AO nicht in Anspruch nehmen könne, seien die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen. Dabei sei eine Schätzung nach Richtsätzen zulässig, da der Steuerpflichtige bei Fehlen aller oder wesentlicher Teile der Buchführungsunterlagen nicht verlangen könne, dass umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen und Berechnungen angestellt würden. Wegen der schwerwiegenden Mängel sei eine Zuschätzung am oberen Rahmen der Richtsätze vertretbar. Die amtlichen Richtsätze sähen beim Rohgewinnaufschlagsatz eine Bandbreite von
- 170 - 233 - 335 Prozent für die Jahre 2008 und 2009, sowie
- 186 - 257 - 400 Prozent ab dem Jahr 2010
vor. In Anbetracht der vorliegenden Mängel sei ein Rohgewinnaufschlagsatz von 335 % für die Jahre 2008 und 2009 sowie 350 % für die Jahre 2010 bis 2012 als angemessen anzusehen. Im Einzelnen ergäben sich für die Streitjahre folgende Schätzungen:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Wareneinsatz
265.555,57
280.141,96
278.490,49
Erklärte Erlöse
630.468,53
748.733,54
730.673,47
+ Sicherheitszuschläge
524.698,20
469.883,99
522.533,74
Erlöse neu
1.155.166,73
1.218.617,53
1.253.207,21
Rohgewinnaufschlagsatz (bisher)
137,41
167,27
162,37
Rohgewinnaufschlagsatz (neu)
335,00
335,00
350,00
Rohgewinnaufschlagsatz (Unterschiedsbetrag)
197,59
167,73
187,63
Auf dieser Grundlage ergäben sich folgende Gewinnänderungen:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Gewinn bisher
52.590,51
151.103,59
60.950,65
Sicherheitszuschläge
524.698,20
469.883,99
522.533,74
Gewinn laut Betriebsprüfung
577.288,71
620.987,58
583.484,39
Unter Berücksichtigung von erhöhten Gewerbesteuerrückstellungen betrügen demnach die steuerlichen Gewinne 568.196,75 EUR (2008), 620.987,77 EUR (2009) und 585.622,53 EUR (2010). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 27.12.2012 samt Anlagen Bezug genommen.
Der Antragsteller nahm hierzu mit Schriftsatz vom 22.04.2013 wie folgt Stellung: Die als Zeugen vernommenen Mitarbeiter Z1 und Z2 hätten überzeugend dargelegt, dass Manipulationen an der Registrierkasse oder eine Verheimlichung von Einnahmen ausgeschlossen werden könnten. Bei der Anschaffung der Kasse habe er, der Antragsteller, keine Organisationsunterlagen erhalten; vielmehr könnten die entsprechenden Unterlagen aus dem Internet heruntergeladen werden. Die Steuerfahndung habe die Unterlagen weder bei dem Kassenverkäufer beschlagnahmt noch aus dem Internet heruntergeladen. Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) seien erstellt wurden. Der Umstand, dass auf den Z-Bons die Uhrzeit nicht vermerkt sei, habe seinen Grund darin, dass im Gastronomiebereich der Geschäftsschluss regelmäßig nach 0:00 Uhr liege und der Z-Bon daher bei der Programmierung einer Uhrzeit das Datum des Folgetages trüge. Aus diesem Grund werde üblicherweise auf die Programmierung der Uhrzeit verzichtet. Unzutreffend sei, dass die Zahlungswege nicht angegeben worden seien. Vielmehr seien die Schecks oder Kreditkartenbelege direkt hinter die Z-Bons oder Kassenberichte geheftet worden. Auch im Übrigen lieferten die Z-Bons verbunden mit den täglichen Kassenberichten ein vollständiges und steuerlich korrektes Bild über die Einnahmen und Ausgaben. Kellner- und Bedienerberichte seien nicht "konsequent vernichtet", sondern nur sporadisch zu Kontrollzwecken ausgedruckt worden. Eine Aufbewahrungspflicht bestehe insoweit nicht. Die Löschung des Speichers nach dem Ausdruck des Z-Bons entspreche der standardmäßigen Programmierung und beruhe nicht auf einer Manipulation der Kasse. Die Hauptgruppenberichte seien nicht aufbewahrt worden, da sie rein betriebswirtschaftlicher Natur seien. Nicht richtig sei, dass es an Rechnungen fehle. Vielmehr würden mit der Registrierkasse grundsätzlich keine Rechnungen erstellt. Soweit darauf verwiesen werde, dass angeblich lediglich Postenstorni ausgewiesen worden seien, sei zu berücksichtigen, dass Nachstorni nicht angefallen seien. Die wenigen aufgefundenen Bedienerberichte seien generiert worden, um während des laufenden Tagesgeschäfts die Umsätze - und damit letztlich auch die Mitarbeiter - überprüfen zu können. Ansonsten seien die Bedienerberichte weder ausgedruckt noch archiviert worden. Eine "Vernichtungsanweisung" habe es nicht gegeben. Bei dem Vorwurf, dass der Z-Zähler 2 nicht auf den Finanzberichten aufgedruckt sei, handele es sich letztlich um eine Mutmaßung. Unzutreffend sei, dass die Z-Bons nicht vollständig vorhanden gewesen seien. Die Steuerberaterin S. könne jederzeit bestätigen, dass alle Unterlagen im Original vorgelegen hätten. Entsprechendes gelte für die - angeblich fehlenden - Buchführungsunterlagen für Mai 2008. Im Jahr 2008 sei es teilweise vermehrt zu Stornierungen gekommen, da das neu eingestellte Personal erst habe eingewiesen werden müssen. Die Kassenbestände seien korrekt angegeben worden. Wenn ein Kassenbestand von null Euro ausgewiesen worden sei, dann sei der gesamte Bargeldbestand zur Bank gebracht worden. Das Wechselgeld sei aus den Tageseinnahmen des Vortages bestritten worden; dies sei entsprechend im Finanzbericht vermerkt worden. Zudem habe er, der Antragsteller, stets privates Geld in einem Portemonnaie als Wechselgeld vorgehalten. Daraus entnommenes Wechselgeld sei regelmäßig aus Bareinnahmen wieder aufgefüllt worden. Die Inventarlisten seien nicht zu beanstanden. Die pauschale Feststellung durch die Fahndungsprüfung, dass Eingangsrechnungen gefehlt hätten, sei nicht einlassungsfähig.
In rechtlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine Buchführung bereits dann ordnungsgemäß sei, wenn die Kasseneinnahmen täglich in ein Kassenbuch eingetragen und dazu die Kassenberichte sowie die Z-Bons aufbewahrt würden. Zudem sei die Ordnungsgemäßheit der Buchführung für jeden Besteuerungszeitraum separat zu ermitteln. Darüber hinaus müsse die Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder zum Teil sachlich unrichtig sein. Die vom Antragsgegner vorgenommene Schätzung sei auch der Höhe nach nicht haltbar. Eine Schätzung sei nur dann zulässig, wenn das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln könne. Der Antragsgegner habe die ursprünglich beabsichtigte Kalkulation nicht durchgeführt. Ferner seien die zugrundegelegten Rohgewinnaufschlagsätze völlig lebensfremd. Für den Streitfall sei zu berücksichtigen, dass auch ein Mittagstisch mit knapp kalkulierten Preisen angeboten werde. Im Jahr 2008 habe er, der Antragsteller, vor dem Hintergrund, dass er das Restaurant gerade erst übernommen habe, Kundenbindung über die Ausgabe von Gratisgetränken betreiben müssen. Eine weitere Schmälerung des Rohgewinnaufschlagsatzes ergebe sich daraus, dass frisches Fleisch und frischer Fisch verkauft werde. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Betriebsprüfung bei dem vormaligen Inhaber des Restaurants eine Nachkalkulation mit einem Rohgewinnaufschlagsatz von lediglich 179 % vorgenommen habe. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages sei im Ergebnis ein Rohgewinnaufschlagsatz von 215 % angesetzt worden. Diese Zuschätzung, welche ebenfalls angefochten werde, zeige, wie überhöht die im Streitfall durchgeführte Zuschätzung ausgefallen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 22.04.2013 Bezug genommen.
Der Antragsgegner folgte den Feststellungen aus dem Bericht vom 27.12.2012 und erließ am 03.12.2013 Änderungsbescheide bezüglich der Umsatzsteuer, am 05.11.2013 Änderungsbescheide bezüglich der Einkommensteuer sowie am 25.11.2013 Änderungsbescheide bezüglich der Gewerbesteuermessbeträge, wobei der Gewerbesteuermessbescheid für 2008 auf der Grundlage des § 35b Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes und die Gewerbesteuermessbescheide für 2009 sowie 2010 auf der Grundlage des § 164 Abs. 2 AO erlassen wurden.
Der Antragsgegner legte gegen die Gewerbesteuermessbescheide Einspruch ein und beantragte, die Vollziehung dieser Bescheide auszusetzen. Der Antragsgegner setzte daraufhin mit Verfügung vom 13.12.2013 die Vollziehung der angefochtenen Bescheide bezüglich der Gewerbesteuermessbeträge i.H.v. 18.365 EUR (2008), 16.444 EUR (2009) und 18.133 EUR (2010) bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über die eingelegten Einsprüche aus. Eine Sicherheitsleistung wurde weder angeordnet noch ausdrücklich ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 13.12.2013 teilte der Antragsgegner der Stadt N-Stadt mit, dass die angefochtenen Bescheide von der Vollziehung ausgesetzt worden seien.
Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt verfasste unter dem 18.12.2013 einen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht, in dem ergänzend Folgendes ausgeführt wurde: Der Antragsteller habe das Restaurant "I- Restaurant" zum 01.01.2008 übernommen. Zum Beginn seiner Selbstständigkeit habe der Kassenaufsteller K. (K. Kassensysteme) eine Registrierkasse Typ K, Modell K1 installiert. Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume des Kassenaufstellers seien drei Kassenprogrammierungen der im Restaurant des Antragstellers eingesetzten Registrierkasse vorgefunden worden. Der Kassenprogrammierung vom 09.09.2008 lasse sich entnehmen, dass nicht mehr benötigte Journalzeilen beim Rotieren gelöscht würden, während nach der Standardeinstellung mindestens 50 % der Journalzeilen nach dem Rotieren erhalten blieben. Die Finanzberichte seien in der Weise programmiert worden, dass nur Postenstorni, nicht hingegen Nachstorni ausgewiesen würden. Ebenfalls nicht angezeigt würden die Anzahl der abgerufenen Monatsberichte. Die Zeugen Z1 und Z2 hätten ausgesagt, dass die Abrechnung durch den Antragsteller persönlich und nur dann durch sie, die Zeugen, gemacht werde, wenn der Antragsteller nicht im Restaurant anwesend sei. Nach Aussage der Zeugen sei der Tagesabschluss mit dem "Z-Schlüssel" gemacht worden. Im Z-Modus würden nach dem Ausdrucken der Berichte die Speicher auf "o" gestellt. Hierbei werde ein Kettenbericht abgerufen, welcher aus einem Bediener-, einem Finanz- und einem Hauptgruppenbericht bestehe. Die Zeugen hätten hierzu erläutert, dass hiervon nur die Finanzberichte aufbewahrt worden seien. Auch die Monatsberichte seien nicht aufbewahrt worden. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass durch konsequente Vernichtung wichtiger, aufbewahrungspflichten Unterlagen die Überprüfung der tatsächlichen Einnahmen nicht möglich sei. Im Einzelnen seien folgende Unterlagen betroffen:
- Einzelaufzeichnungen (laufende Löschung elektronischen Journals),
- Protokolle zur Kassenprogrammierung,
- Bedienerberichte, aus denen die durchgeführten Nachstorni hätten erkannt werden können,
- Hauptgruppenberichte, aus denen das Verhältnis der verkauften Speisen zu den verkauften Getränken für eine Kalkulation hätte ermittelt werden können,
- Monatsberichte, mit deren Hilfe die Vollständigkeit der Einnahmen hätte überprüft werden können,
- Inventuren,
- Speisekarten über täglich wechselnde Menüs.
Die Stadt N-Stadt setzte die auf der Grundlage der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide erlassenen Gewerbesteuerbescheide gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 269.094,40 EUR von der Vollziehung aus. Das Verwaltungsgericht N-Stadt lehnte den Antrag des Antragstellers, die Stadt N-Stadt im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollziehung der Gewerbesteuerbescheide ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, mit Beschluss vom 05.03.2014 (9 L x/x) ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23.04.2014 zurück.
Der Antragsteller beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 07.05.2014 beim Antragsgegner, bei der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide auf eine Sicherheitsleistung ausdrücklich zu verzichten. Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Schriftsatz vom 20.05.2014 unter Hinweis darauf, dass die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide nicht mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig seien, ab.
Der Antragsteller hat daraufhin beim Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide unter Verzicht auf eine Sicherheitsleistung gestellt. Zur Begründung macht er geltend, die eingelegten Einsprüche hätten aufgrund der mit Schriftsatz vom 22.04.2013 erhobenen Einwendungen mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hätten - zumindest im Hinblick auf den gesamten Besteuerungszeitraum - nicht vorgelegen. Die vorgenommenen Schätzungen seien grob fehlerhaft. Der zugrunde gelegte Rohgewinnaufschlagsatz von 350 % liege jenseits der Richtsätze, die für die hier in Rede stehenden Zeiträume aus den Richtlinien der Finanzverwaltung entnommen werden könnten, und könne von seinem Unternehmen nicht erzielt werden. Hierin liege ein evidenter und klarer Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es sei unzutreffend, dass er, der Antragsteller, eine Registrierkasse in der Weise programmiert habe, dass Nachstorni nicht ausgewiesen worden seien; vielmehr habe er ein Kassensystem mit einer Standard-Programmierung erworben. Eine Verpflichtung zur Aufbewahrung der Kettenberichte habe nicht bestanden. Die entsprechenden Regelungen in dem BMF-Schreiben vom 26.11.2010 seien als bloße Verwaltungsanweisung nicht bindend. Ferner hätte eine Schätzung allenfalls auf der Grundlage einer Kalkulation und nicht nach Rohgewinnaufschlagsätzen durchgeführt werden dürfen. Wegen der Einzelheiten nimmt der Antragsteller Bezug auf den Schriftsatz vom 22.04.2013.
Der Antragsteller macht ferner geltend, dass sein Unternehmen durch die Hinzuschätzungen in existenzielle Schwierigkeiten getrieben werde. Der Antragsgegner habe bei der Ablehnung des Antrags, auf eine Sicherheitsleistung zu verzichten, sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. In dem Schriftsatz vom 20.05.2014 heiße es lediglich ohne weitere Begründung, dass die Grundlagenbescheide nicht mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig seien. Im Hinblick auf die umfassenden Einwendungen im Schriftsatz vom 22.04.2013 sei eine ausführlichere Begründung erforderlich gewesen.
Schließlich sei es nach der Systematik der Abgabenordnung nicht haltbar, dass die Aussetzung der Vollziehung nur im Hinblick auf die Gewerbesteuer ohne Sicherheitsleistung gewährt werde, wenn auf eine solche Sicherheitsleistung ausdrücklich verzichtet werde. Dies sei im besonderen Maße bedenklich, wenn der Verzicht nur unter der Voraussetzung erklärt werden könne, dass der Rechtsbehelf mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sei. In diesem Fall würde dem Steuerpflichtigen von der Gemeinde mehr abverlangt als die Finanzverwaltung ihm aufgebürdet habe. Eine solche Regelung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 2008 bis 2010, jeweils vom 25.11.2013, in Höhe von 18.365 EUR für 2008, 16.444 EUR für 2009 und 18.133 EUR für 2010 bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung mit der Maßgabe auszusetzen, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung der jeweiligen Gewerbesteuerbescheide ausgeschlossen wird,
hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antrag, die Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 2008 bis 2010, jeweils vom 25.11.2013, in Höhe von 18.365 EUR für 2008, 16.444 EUR für 2009 und 18.133 EUR für 2010 bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung mit der Maßgabe auszusetzen, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung der jeweiligen Gewerbesteuerbescheide ausgeschlossen wird, erneut zu bescheiden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner führt an, die gegen die Gewerbesteuermessbescheide gerichteten Einsprüche seien nicht mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich. Zur Begründung nimmt er auf den Bericht über die steuerlichen Feststellungen vom 27.12.2012 sowie den steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 18.12.2013 Bezug. Ergänzend führt er an, der Antragsteller habe die Registrierkasse nachweislich derart programmiert, dass vorgenommene Nach-Storni nicht in den täglichen Finanzberichten ausgewiesen worden seien. Maschinell erzeugte Kassenberichte, aus denen die Höhe der Umsatzlöschungen ersichtlich gewesen wäre (Bedienerberichte) bzw. mithilfe derer die stornierten Differenzen hätten errechnet werden können (Monatsbedienerberichte), seien konsequent vernichtet worden. Ebenfalls gelöscht worden seien Unterlagen und Daten (wie z.B. das elektronische Journal, die Warengruppenberichte und die Hauptgruppenberichte), die ihm, dem Antragsgegner, als Kalkulationsgrundlage hätten dienen können. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen seien vernichtete Kassenausdrucke im Büro der A-Gastronomie GmbH, deren Geschäftsführer der Antragsteller gewesen sei, sowie in der privaten Wohnung des Antragstellers gefunden worden. Diese Kassenausdrucke würden die umsatzmindernden Manipulationen beweisen sowie die Höhe des Schätzungsrahmens untermauern - so hätten acht von zehn der im Müll vorgefundenen Kassenausdrucke einen stornierten Gesamtumsatz in Höhe von rund 12.500 EUR ausgewiesen. Die Schätzungen seien auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung erfolgt. Dabei sei für alle Veranlagungszeiträume ein Rohgewinnaufschlagsatz von 350 % angewandt worden. Die Rohgewinnaufschlagsätze für Gast- und Speisewirtschaften lauteten für die Jahre 2007-2009 auf 170 % - 233 % - 335 % sowie für 2010 auf 186 % - 257 % - 400 %. Angesichts dessen, dass durch die Kassenprogrammierung und die nachfolgende Vernichtung relevanter Kassenunterlagen die Möglichkeit bestanden habe, Umsätze in willkürlicher Höhe nachträglich zu löschen und eine Kalkulation der Umsätze zu vereiteln, seien Schätzungen an der oberen Grenze des Richtsatzrahmens angezeigt gewesen. Auch die Überschreitung des Richtsatzrahmens in den Veranlagungszeiträumen 2008 und 2009 sei angesichts des festgestellten Fehlverhaltens des Antragstellers zulässig.
II.
Der zulässige Hauptantrag ist nur teilweise begründet. Bei summarischer Prüfung sind die eingelegten Einsprüche nur insoweit mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich, als die vom Antragsgegner vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu hoch ausgefallen ist. Der Hilfsantrag ist unzulässig.
Gemäß § 69 Abs. 3, Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kommt ein ausdrücklicher Ausschluss der Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung nur in Betracht, wenn der gegen den Grundlagenbescheid gerichtete Rechtsbehelf mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (BFH Beschlüsse vom 29.07.1997 VIII S 1/97, BFH/NV 1998, 186 und vom 04.07.2002 VIII B 72/02, BFH/NV 2002, 1445).
Dieser Prüfungsmaßstab verstößt nach Auffassung des Senats nicht gegen das Grundgesetz. Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Eine Ungleichbehandlung ist nicht gegeben, da der verschärfte Prüfungsmaßstab nur für die Frage, ob eine Sicherheitsleistung auszuschließen ist, und nicht für die Frage, ob Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist, gilt. Auch bei anderen Steuerarten entspricht es allgemeinen Grundsätzen, dass eine Sicherheitsleistung dann ausgeschlossen ist, wenn der angefochtene Verwaltungsakt mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist (vgl. BFH Beschluss vom 25.11.2005 V B 75/05, BStBl II 2006, 484). Bei Rechtsbehelfen gegen Gewerbesteuermessbescheide besteht lediglich in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Besonderheit, dass das Finanzamt bzw. das Finanzgericht für die Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zuständig ist, während die Gemeinde bzw. das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsleistung im Übrigen zu überprüfen hat. Eine Ungleichbandlung in der Sache ist damit nicht verbunden. Hierin liegt auch kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG, da gegen die Entscheidung des Finanzamtes der Finanzrechtsweg und gegen die Entscheidung der Gemeinde der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.
Bei der im Rahmen des § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung ist im Streitfall nicht mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsgegner bereits dem Grunde nach nicht zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt war. Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Eine formell ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der sachlichen Richtigkeit für sich. Für die Prüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend. Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln. Insbesondere wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel in der Kassenbuchführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Auch wenn eine Buchführung ganz oder teilweise nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen ist, scheidet eine Schätzung aus, wenn die durch die Fehler der Buchführung verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden können (BFH Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 m.w.N.).
Buchungen und sonst erforderliche Aufzeichnungen sind vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Kassenaufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen. Die Einnahmeermittlung - z.B. bei Einsatz von Registrierkassen durch Erstellung und Aufbewahrung der Kassenendsummenbons - muss nachvollziehbar dokumentiert und überprüfbar sein. Die Aufbewahrung aller Belege ist im Regelfall notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass die Betriebseinnahmen vollständig erfasst sind (BFH Urteil vom 24.06.2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501). Bei dem Einsatz von elektronischen Registrierkassen sind neben den allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung spezielle Grundsätze ordnungsgemäßer Speicherbuchführung zu beachten. Bei elektronischer Erfassung und Speicherung der Betriebseinnahmen handelt es sich um ein der Buchführung vorgelagertes System, mit dem Grundaufzeichnungen generiert werden. Mit der EDV-Registrierkasse lässt sich eine ordnungsgemäße wie auch eine nur scheinbar ordnungsgemäße Kasse erstellen. Aus diesem Grunde sind nicht nur die Tagesendsummenbons, sondern auch alle Dokumentationsunterlagen über die Kasseneinstellungen, Bedienerprogrammierung, Artikel- und Warengruppeneinstellungen und vor allem auch Bedienerberichte aus der Abrechnung mit dem kassierberechtigten Personal vorzulegen. Fehlen diese Unterlagen, ist nicht gewährleistet, dass die erfassten Umsätze vollständig sind. Wird zudem festgestellt, dass Z-Nummern auf den Tagesendsummenbons nicht fortlaufen, dass Storni oder Rücknahmebuchungen unterdrückt werden, so kann dies sogar auf bewusste Manipulationen der Kasse hindeuten (FG Münster Urteil vom 16.05.2013 2 K 3030/11 E, U, EFG 2014, 86; Hessisches Finanzgericht Urteil vom 24.03.2014 4 K 2340/12, bei [...]).
Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass die Buchführung des Antragstellers in sämtlichen Streitjahren formelle Mängel aufweist. Nach den - insoweit unbestrittenen - Feststellungen des Antragsgegners hat der Antragsteller die Dokumentationsunterlagen über die Kassenprogrammierung nicht vorgelegt. Der Antragsgegner konnte nicht überprüfen, ob bei der Programmierung manipulierende Einstellungen gewählt wurden. Der Antragsgegner geht weiterhin - aufgrund der bei dem Kassenaufsteller gefundenen Unterlagen - davon aus, dass die eingesetzte Registrierkasse in der Weise programmiert worden sei, dass beim Erstellen des Tagesabschlusses ein Finanzbericht (= Tagesendsummenbon), ein Bedienerbericht sowie ein Hauptgruppenbericht ausgedruckt worden seien. Nachstorni seien nur auf den Bedienerberichten, nicht hingegen auf den Finanzberichten ausgewiesen worden. Da sich die Bedienerberichte überwiegend nicht in den Buchführungsunterlagen befunden haben, konnte der Antragsgegner auch insoweit nicht überprüfen, ob die Umsätze durch Nachstorni manipuliert worden sind. In Anbetracht der in dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht wiedergegebenen Aussage der Zeugin Z1 kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller seine Mitarbeiter dazu aufgefordert hat, lediglich den Finanzbericht aufzubewahren.
Die vorstehend genannten Mängel dürften auch die sachliche Richtigkeit der Buchführung in sämtlichen Streitjahren infrage stellen. Nach der Rechtsprechung des BFH muss eine formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig sein (BFH Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51). In bargeldintensiven Betrieben kann allerdings bereits eine nicht ordnungsgemäße Kassenaufzeichnung den Schluss zulassen, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH Urteil vom 24.06.2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501). Nach diesen Grundsätzen ist es im Streitfall jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass nicht sämtliche Umsätze erfasst wurden. Vor dem Hintergrund, dass Nachstorni nur in den überwiegend nicht aufbewahrten Bedienerberichten ausgewiesen wurden, war es ohne weiteres möglich, die Umsätze durch die Tätigung von Nachstorni zu manipulieren.
Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung ist nicht mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die aufgrund der mangelhaften Buchführung bestehenden Unklarheiten durch anderweitige zumutbare Ermittlungen des Antragsgegners beseitigt werden konnten. Ausweislich der Betriebsprüfungsakten wurde zwar mit solchen Kalkulationen begonnen. Es spricht aber einiges dafür, dass anhand der vorgelegten Unterlagen eine verlässliche Kalkulation nicht möglich war. So hat der Antragsteller nach dem Vortrag des Antragsgegners Unterlagen und Daten wie z.B. das elektronische Journal, die Warengruppenberichte und die Hauptgruppenberichte, die als Kalkulationsgrundlage hätten dienen können, nicht vorgelegt. Ferner standen dem Antragsgegner nach seinem - insoweit nicht substantiiert bestrittenen - Vortrag keine ordnungsgemäße Inventarlisten und keine Speisekarten über die täglich wechselnden Menüs zur Verfügung.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist allerdings davon auszugehen, dass die vom Antragsgegner vorgenommenen Schätzungen der Höhe nach rechtswidrig sind. Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH Urteil vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618). Eine Schätzung auf der Grundlage eines äußeren Betriebsvergleichs ist grundsätzlich zulässig (BFH Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Eine Überschreitung der höchsten Reingewinnsätze nach der Richtsatzsammlung ist allerdings nur dann zulässig, soweit plausible Gründe dafür bestehen (BFH Urteile vom 25.01.1989 I R 289/83, BStBl. II 1989, 620 und vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618; FG Münster Urteile vom 23.06.2010 12 K 2714/06 E,U, bei [...] und vom 16.05.2013 2 K 3030/11 E,U, EFG 2014, 86).
Im Streitfall hat der Antragsgegner Rohgewinnaufschlagsätze von 335 (2008), 335 (2009) und 350 (2010) und damit Richtsätze innerhalb des Rahmens der amtlichen Richtsatzsammlungen (Höchstsätze für 2008 und 2009 335 und für 2010 400) angewandt. Eine Überschreitung der amtlichen Rohgewinnaufschlagsätze ist damit - entgegen der Auffassung der Beteiligten - nicht gegeben. Unter Zugrundelegung der von dem Antragsgegner ermittelten Erlöse und Gewinne werden allerdings die amtlichen Reingewinnsätze deutlich überschritten:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Erlöse nach Betriebsprüfung (= wirtschaftlicher Umsatz)
1.155.166,73
1.218.617,53
1.253.207,21
Gewinne nach Betriebsprüfung
577.288,71
620.987,58
583.484,39
Reingewinnsätze nach Schätzung
49,97
50,96
46,56
Reingewinnsätze nach der amtlichen Sammlung
6 - 15 - 25
6 - 15 - 25
8 - 20 - 35
Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung sind auch keine plausiblen Gründe ersichtlich, die eine solche Überschreitung der höchsten amtlichen Reingewinnsätze rechtfertigen würden. Dem Antragsgegner ist zwar darin zuzustimmen, dass in Fällen, in denen der Verdacht besteht, dass der Steuerpflichtige Einnahmen verheimlichen will, eine Schätzung an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens angezeigt sein kann (BFH Urteil vom 29.03.2001 IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484). Da das Schätzungsergebnis jedoch wirtschaftlich möglich sein muss, kann die Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht ohne Weiteres die Überschreitung der höchsten amtlichen Reingewinnsätze um bis zu 100 % rechtfertigen. Auch der Einwand des Antragsgegners, im Büro und in der privaten Wohnung des Antragstellers seien Kassenausdrucke mit stornierten Umsätzen in nicht unerheblicher Höhe (stornierter Gesamtumsatz von rund 12.500 EUR bei 80 % der Belege) gefunden worden, führt bei der hier gebotenen summarischen Prüfung zu keinem anderen Ergebnis. Denn ausweislich des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsberichtes (Blatt 26 ff. und 41 ff.) bezogen sich diese Ausdrucke auf das von der A-Gastronomie GmbH betriebene Restaurant "I- Restaurant B" und nicht auf das von dem Antragsteller betriebene Einzelunternehmen "I- Restaurant".
Der Senat macht von seiner ihm zustehenden Schätzungsbefugnis (BFH Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921) Gebrauch und orientiert sich dabei an den von dem Antragsgegner herangezogenen amtlichen Richtsätzen. Dabei erweisen sich Zuschätzungen auf der Grundlage von Rohgewinnaufschlagsätzen als angemessen, welche die höchsten amtlichen Reingewinnsätze für die jeweiligen Veranlagungszeiträume nicht überschreiten. Da bei summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsteller Einnahmen verheimlichen wollte, werden die höchsten Reingewinnsätze für die Jahre 2008 und 2009 ausgeschöpft. Da keine wirtschaftlichen Gründe dafür ersichtlich sind, dass der Gewinn für 2010 deutlich über den Gewinnen aus den Jahren 2008 und 2009 liegt - sowohl der von dem Antragsteller erklärte als auch der von dem Antragsgegner geschätzte Gewinn für 2010 liegt unter dem erklärten bzw. geschätzten Gewinn für 2009 -, erscheint es angemessen, für 2010 einen ähnlichen Gewinn wie für 2008 und 2009 anzusetzen. Die für 2010 erhöhten amtlichen Reingewinnsätze werden insoweit nicht vollständig ausgeschöpft:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Wareneinsatz
265.555,57
280.141,96
278.490,49
Erklärte Erlöse
630.468,53
748.733,54
730.673,47
Sicherheitszuschläge (Gewinnzuschätzungen)
139.642,62
46.869,63
135.431,95
Erlöse nach Schätzung
770.111,15
795.603,17
866.105,42
Erklärter Gewinn
52.590,51
151.103,59
60.950,65
Sicherheitszuschläge (Gewinnzuschätzungen)
139.642,62
46.869,63
135.431,95
Gewinn nach Schätzung
192.233,13
197.973,22
196.382,60
Rohgewinnaufschlagsatz nach Schätzung
190
184
211
Rohgewinnaufschlagsatz nach amtlicher Sammlung
170 - 233 - 335
171 - 233 - 335
186 - 257 - 400
Reingewinnsatz nach Schätzung
24,96
24,88
22,67
Reingewinnsatz nach amtlicher Sammlung
6 - 15 - 25
7 - 15 - 25
8 - 20 - 35
Die vom Senat geschätzten Gewinne betragen demnach 192.233,13 EUR (2008), 197.973,22 EUR (2009) und 196.382,60 EUR (2010). Bei summarischer Prüfung ergeben sich hieraus - unter Zugrundelegung der Angaben im Bericht vom 27.12.2012 (dort insbesondere Anlage 5) - für die Gewerbesteuermessbescheide folgende Gewinne aus Gewerbebetrieb:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Gewinn nach Schätzung
192.233,13
197.973,22
196.382,60
+ im erklärten Gewinn berücksichtigter Gewerbesteueraufwand
+ 2.908
+ 19.497
+ 6.622
Sonstige Zu- und Abrechnungen
./. 12.000
+ 100
-
Gewinn aus Gewerbebetrieb
183.141,13
217.570,22
203.004,60
Auf dieser Grundlage ergeben sich Gewerbesteuermessbeträge von 5.551 EUR für 2008, 6.755 EUR für 2009 und 6.247 EUR für 2010. Indem hiervon die Gewerbesteuermessbeträge, welche bereits aufgrund der Steuererklärung festgesetzt worden sind (661 EUR für 2008, 4.431 EUR für 2009 und 1.505 EUR für 2010), abgezogen werden, ergeben sich die Gewerbesteuermessbeträge, hinsichtlich derer die Aussetzung der Vollziehung der jeweiligen Gewerbesteuerbescheide von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden darf (4.890 EUR für 2008, 2.324 EUR für 2009 und 4.742 EUR für 2010). In Höhe der Differenz aus den insgesamt von der Vollziehung ausgesetzten Gewerbesteuermessbeträgen und den vorstehend ermittelten Teilbeträgen ist die Anordnung einer Sicherheitsleistung dagegen ausgeschlossen:
2008 (in EUR)
2009 (in EUR)
2010 (in EUR)
Von der Vollziehung ausgesetzter Gewerbesteuermessbetrag insgesamt
18.365
16.444
18.133
./. Teilbetrag des Gewerbesteuermessbetrages, auf dessen Grundlage die Aussetzung der Vollziehung des jeweiligen Gewerbesteuerbescheides von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden darf
4.890
2.324
4.742
Teilbetrag des Gewerbesteuermessbetrages, auf dessen Grundlage die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung des jeweiligen Gewerbesteuerbescheides ausgeschlossen ist
13.475
14.120
13.391
Der Hilfsantrag ist unzulässig. Im Rahmen des § 69 Abs. 3 FGO fehlt einem Antrag, die Finanzbehörde zu verpflichten, über die Aussetzung der Vollziehung erneut zu entscheiden, das Rechtsschutzbedürfnis, da das Finanzgericht selber eine Ermessensentscheidung trifft und daher die Entscheidung des Finanzamtes vollumfänglich - d.h. ohne die Einschränkungen nach § 102 FGO - überprüfen kann. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO wäre ebenfalls unzulässig, da ein solcher Antrag gegenüber einem Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO subsidiär ist (§ 114 Abs. 5 FGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.