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  • 14.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145542

    Finanzgericht München: Urteil vom 27.07.2015 – 7 K 1718/14

    Keine Nichtigkeit eines Bescheides wegen zu weit gehender und gegen das Übermaßverbot verstoßender Ermittlungsmaßnahmen; keine Änderung wegen neuer Beweismittel nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, die erst nach Erlass des bestandskräftig gewordenen Bescheids entstanden sind.


    Finanzgericht München

    Urt. v. 27.07.2015

    Az.: 7 K 1718/14

    In der Streitsache
    XXX
    gegen
    XXX
    wegen
    Kindergeld
    hat der 7. Senat des Finanzgerichts München durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,
    die Richterin am Finanzgericht XXX und
    die Richterin am Finanzgericht XXX,
    sowie die ehrenamtlichen Richter XXX und
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2015 für Recht erkannt:
    Tenor:

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.
    2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und zog im März 2010 gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem Sohn S, geboren am 19.10.1997, nach Deutschland mit dem Wohnsitz .... Ihr Sohn D, geboren am 10.04.1995, zog im Juli 2010 in die gemeinsame Wohnung. Die Klägerin beantragte erstmals mit einem bei der Beklagten am 1. Februar 2011 eingegangenen Schreiben für ihre beiden Kinder Kindergeld. In der Folgezeit forderte die Beklagte von der Klägerin folgende Unterlagen an:

    1. Mit Schreiben vom 11. Februar 2011 forderte sie eine Schulbescheinigung für S und, falls bisher kein Kindergeld gezahlt wurde, eine schriftliche Begründung dafür, warum bisher keine Antragstellung erfolgte. Die Klägerin reichte die Schulbescheinigung nach und teilte mit, dass sie, seit sie in München wohnt, kein Kindergeld bezogen hat, weil sie keine Arbeitserlaubnis hatte. Da sie diese jetzt hat, stellte sie jetzt den Antrag.

    2. Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 forderte sie den Nachweis über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland (Bescheinigung des Arbeitgebers) bzw. bei Selbständigkeit eine Gewerbeanmeldung, eine Kopie des Mietvertrages mit Nachweisen über laufende Mietzahlungen seit 1.3.2010, Nachweise, bis wann und von wem für die Kinder in Bulgarien Kindergeld bezogen wurde und die Mitteilung, wer (die Klägerin oder ihr Ehegatte), wo, wann und bei welcher Firma außerhalb Deutschlands als Arbeitnehmer oder Selbstständiger tätig ist, da entsprechende Angaben im Kindergeldantrag gemacht worden sein sollen (die Frage im Kindergeldantrag lautete, ob der Antragsteller oder sein Ehegatte in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung außerhalb Deutschlands als Arbeitnehmer, Selbstständiger usw. tätig war). Die Klägerin teilte mit, dass in Bulgarien für die Kinder kein Kindergeld bezogen worden sei und weder sie noch ihr Ehegatte außerhalb Deutschlands gearbeitet hätten. Sie legte eine Arbeitgeberbescheinigung vom 4.3.2011 vor, dass sie seit 18.01.2011 im hiesigen Betrieb bis auf weiteres beschäftigt ist sowie einen Mietvertrag ab 1.1.2011 nebst Quittungen über Mietzahlungen.

    3. Mit Schreiben vom 18. Mai 2011 forderte die Familienkasse die Vorlage des Mietvertrags ab März 2010 bis Dezember 2010 und Nachweise über die Mietzahlungen, Beschäftigungsnachweise für den Zeitraum März 2010 bis Dezember 2010, die Einreichung des Formulars "Auskunftsersuchen E411", welches für die Klägerin und ihren Ehegatten in Bulgarien zu bestätigen ist, den Abmeldungsbescheid der bulgarischen Sozialversicherung, die Angabe seit wann die Klägerin verheiratet ist, die Angabe, bei welcher Person D vom 1.3.2010 bis 23.7.2010 gelebt hat sowie für das Kind D eine Schulbescheinigung ab Beginn des Schulbesuchs. Bei der Familienkasse ging nur das für die Klägerin von der bulgarischen Behörde ausgefüllte Formular E 411 ein.

    4. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 wurde an die Vorlage der mit Schreiben vom 18. Mai 2011 angeforderten Unterlagen erinnert und mitgeteilt, dass das von der bulgarischen Behörde ausgefüllte Auskunftsersuchen E 411 für den Ehegatten der Klägerin fehlt. Außerdem wurde die Klägerin aufgefordert, die beiliegende Schulbescheinigung für die Kinder D und S bestätigen zu lassen. Die angeforderten Unterlagen wurden nicht vorgelegt.

    Mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag ab mit der Begründung, dass die erforderlichen Unterlagen und Nachweise nicht vorgelegt wurden. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

    Am 6. März 2013 stellte die Klägerin erneut einen Kindergeldantrag und fügte eine Bestätigung der bulgarischen Behörde bei, dass in Bulgarien für die Kinder kein Kindergeld bezogen wurde. Erneut forderte die Familienkasse diverse Unterlagen und Bescheinigungen, darunter das Auskunftsersuchen mit dem Vordruck E411, an. Die Klägerin legte wiederum eine Vielzahl von Unterlagen und Nachweise vor, darunter ein Schreiben des .C-Zentrums vom 29. April 2013, bei dem sich die Klägerin in Migrationsberatung befand und das die Klägerin nach eigenen Angaben bei der Kindergeldantragstellung unterstützte. Darin teilte der Mitarbeiter des C-Zentrums mit, dass die Unterlagen komplett sein müssten, es fehle jedoch der Vordruck E411, da es trotz Bemühungen nicht gelungen sei, diesen von den bulgarischen Behörden zu bekommen. Statt dieses Vordrucks werde ein vergleichbares Dokument, das die entsprechende Behörde ausgestellt habe, vorgelegt.

    Mit Bescheid vom 8. Mai 2013 setzte die Familienkasse Kindergeld ab Januar 2012 fest. Eine Festsetzung für die Zeit vor Januar 2012 lehnte die Familienkasse ab, da dieser Festsetzung der bestandskräftige Kindergeldablehnungsbescheid vom 16. Dezember 2011 entgegenstehe. Eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus, weil der Klägerin ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der maßgebenden Tatsachen/Beweismittel treffe. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 2014).

    Dagegen erhob die Klägerin Klage. Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte habe von ihr, wenn sie die geforderten Unterlagen vorgelegt hat, immer wieder neue Unterlagen angefordert und sie somit einer Zermürbungstaktik unterzogen. Die angeforderten Unterlagen waren für die Frage der Kindergeldberechtigung überwiegend irrelevant, so dass nicht erkennbar war, aus welchen Gründen diese eingefordert wurden. Nachgewiesen wurde, dass die Kinder S ab März 2010 und D ab Juli 2010 sich in Deutschland mit der gesamten Familie befunden hatten, so dass ab diesen Zeitpunkten ein Kindergeldanspruch bestand. Ein grobes Verschulden kann ihr daher nicht vorgeworfen werden. Vielmehr sind der Familienkasse schwerwiegende Fehler unterlaufen, die die Nichtigkeit des Ablehnungsbescheides vom 16.12.2011 nach sich ziehen. So hat die Beklagte sie zunächst fehlerhaft informiert und ihr einen falschen Vordruck ausgehändigt. Denn es wurde nicht beachtet, dass sie als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU wie eine Inländerin zu behandeln ist und dementsprechend der Vordruck KG 1 ausgereicht hätte. Dieser Fehler wurde auch in späterer Zeit nicht korrigiert. Vielmehr ist sie mit immer neuen Aufforderungsschreiben konfrontiert worden, nach jeder Unterlageneinreichung wurden wiederum weitere unnötige Unterlagen eingefordert, dies stets mit dem Hinweis, andernfalls könne über den Kindergeldanspruch nicht entschieden werden und es müsse mit einer Ablehnung gerechnet werden. Allein die aufmerksame Durchsicht der Bescheinigung des Einwohnermeldeamts und die Heranziehung der allgemein bekannten Tatsache, dass Bulgarien ein Mitglied der EU ist, hätten schon genügt, um von weiteren Aufforderungsschreiben Abstand zu nehmen und das beantragte Kindergeld zu gewähren. Ihre Diskriminierung als EU-Bürgerin wäre auf diese Weise vermieden worden. Fehlerhaft gewesen war auch die Aufforderung, den Mietvertrag mitsamt des Nachweises der Mietzahlungen vorzulegen, ferner Beschäftigungsnachweise und die erneute Vorlage bereits vorgelegter Schulbescheinigungen. All diese Bescheinigungen sind für den Kindergeldanspruch irrelevant. Die Frage, ob in Bulgarien Kindergeld bezahlt wurde, hat sie wahrheitsgemäß mit nein beantwortet. Dennoch ist die Beklagte davon ausgegangen, dass in Bulgarien für Kinder Kindergeld bezahlt wird, auch wenn die Kinder und die Eltern keinen Wohnsitz mehr in Bulgarien haben. Die Beklagte hätte sich in den vom Bundeszentralamt für Steuern veröffentlichten Weisungen zu § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG informieren können, in welchem Mitgliedsstaat wann, wie lange und in welcher Höhe Leistungen bezahlt werden. Daher muss es ihr als bekannt zugerechnet werden, dass in Bulgarien kein Kindergeldanspruch besteht, wenn die Eltern und die Kinder ihren Wohnsitz außerhalb von Bulgarien haben. Auch das Verlangen, den Vordruck E411 für sich und den Ehemann auszufüllen und von der bulgarischen Behörde bestätigen zu lassen, hat nur dem Zweck gedient, sie zu zermürben. Denn der Vordruck E 411 betrifft eine Anfrage bezüglich eines Anspruchs auf Familienleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen. Hierfür hat jedoch der zuständige Träger selbst den Vordruck auszufüllen und an den Träger des Wohnortsstaates zu senden, nicht aber ist dies vom Antragsteller zu übernehmen. Zudem ist dieser Vordruck nur dann notwendig, wenn "der für die Gewährung der Familienleistungen im Mitgliedstaat der Erwerbstätigkeit zuständige Träger zu erfahren wünscht, ob im Wohnmitgliedstaats der Familienangehörigen ein Anspruch auf Familienleistungen besteht". Voraussetzung ist somit, dass der Antragsteller in Deutschland wohnt bzw. einer Erwerbstätigkeit nachgeht, während die Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU wohnhaft sind. Dieser Sachverhalt liegt im Streitfall jedoch nicht vor, da alle Familienangehörigen in dem Zeitraum, für den Kindergeld beantragt wird, ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Nachdem der Beklagten schließlich der - zu Unrecht angeforderte - Vordruck E411 der Klägerin vorlag, verlangte diese zusätzlich die Vorlage des Vordrucks des Ehemannes. Dies, obwohl sie wusste, dass in Bulgarien grundsätzlich die Mutter die Anspruchsinhaberin des Kindergelds ist, nicht der Vater. Auch war ihr bekannt, dass die beiden Söhne und auch der Ehemann ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Dass mit Bescheid vom 16.12.2011 der Antrag auf Kindergeld abgelehnt wurde, stellt in diesem Fall einen Akt reiner Willkür dar, was zur Folge hat, dass der Bescheid nach § 125 AO nichtig ist. Die Vorgehensweise der Beklagten weicht krass von den gesetzlichen Vorgaben und ihren eigenen Dienstanweisungen ab und steht mit tragenden Prinzipien der Rechtsordnung nicht in Einklang.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Mai 2013 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 2014, soweit darin die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum vor Januar 2012 abgelehnt wurde, die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für S von März 2010 bis Dezember 2011 und für D von März 2010 bis Dezember 2011 festzusetzen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie aus, dass die Klägerin, wenn sie bei der erstmaligen Beantragung des Kindergelds im Jahre 2011 Probleme bei der Beschaffung der Unterlagen gehabt hat, diese Hinderungsgründe spätestens im Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.12.2011 hätte vortragen können und müssen. Sie habe jedoch auf den Bescheid überhaupt nicht reagiert und in bestandskräftig werden lassen. Insoweit sei ihr sehr wohl grobes Verschulden vorzuwerfen.
    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet. Eine Änderung des bestandskräftigen Kindergeldablehnungsbescheids vom 16. Dezember 2011 ist mangels einer vorliegenden Änderungsnorm nicht möglich.

    1. Der Kindergeldablehnungsbescheid vom 16. Dezember 2011 ist in formelle Bestandskraft erwachsen, da er wirksam bekannt gegeben wurde und gegen ihn kein Einspruch eingelegt worden ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist er auch nicht nach § 125 Abgabenordnung (AO) nichtig. Nichtig ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er an einen besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381, m.w.N.).

    Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO darstellen. Willkürlich und damit nichtig i.S. von § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Wenn etwa ein Schätzungsbescheid trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und somit ein "objektiv willkürlicher" Hoheitsakt vorliegt, ist Nichtigkeit i.S. von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Es ist dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen (BFH in BStBl II 2001, 381 [BFH 20.12.2000 - I R 50/0]). Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten; "Strafschätzungen" eher enteignungsgleichen Charakters gilt es zu vermeiden (BFH-Urteil vom 15. Juli 2014 X R 42/12, BFH/NV 2015, 145).

    Eine vergleichbare Willkürmaßnahme stellt der Ablehnungsbescheid vom 16. Dezember 2011 nicht dar. Zwar trifft der Vorwurf der Klägerin zu, dass die Beklagte Bescheinigungen und Nachweise angefordert hat, die für den Kindergeldanspruch im konkreten Fall irrelevant waren. Insbesondere ist es nicht ohne weiteres erkennbar, warum die Vorlage des Vordrucks E411 verlangt wurde, obwohl dieser nur dann anzufordern ist, wenn der Antragsteller nicht in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen, den Kindergeldantrag stellt (Beschluss Nr. 201 vom 15. Dezember 2004 über die Muster der zur Durchführung der Verordnungen EWG Nr. 1408/71 und EWG Nr. 574/72 des Rates erforderlichen Vordrucke - Reihe E 400 - ). Im Streitfall wurde Kindergeld für den Zeitraum beantragt, in dem die Klägerin zusammen mit ihrer Familie ihren Wohnsitz in Deutschland hatte. Offenbar diente die Anforderung des Vordrucks, der von der Klägerin auch vorgelegt wurde, dem Zweck sicherzustellen, dass nicht zeitweise sowohl in Deutschland wie auch in Bulgarien Kindergeld beantragt wurde; dies hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Allerdings beträgt das bulgarische Kindergeld lediglich 35 BGN, umgerechnet rund 18 € monatlich, so dass die Ablehnung des vollen deutschen Kindergeldes wegen nicht auszuschließender Gewährung bulgarischen Kindergeldes in jedem Fall rechtswidrig war; angemessen wäre allenfalls eine Kürzung des deutschen Kindergeldes um das bulgarische Kindergeld gewesen. Auch für weitere im Schreiben vom 18. Mai 2011 angeforderte Unterlagen gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, wie etwa den Abmeldebescheid bei der bulgarischen Sozialversicherung oder die Angabe seit wann die Klägerin verheiratet ist. Trotz dieser teilweise offensichtlich zu weitgehenden und damit gegen das Übermaßverbot verstoßenden Ermittlungsmaßnahmen (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO, § 92 Rz. 7) hält das Gericht die Annahme für fernliegend dass die Beklagte damit bewusst zum Nachteil der Klägerin handeln wollte. Zwar ist es nachvollziehbar, dass für die Klägerin angesichts der immer neuen von der Beklagten geforderten Nachweise und Unterlagen der Eindruck entstehen musste, die Familienkasse beabsichtige sie zu zermürben, d.h. sie durch immer neue Anforderungen zur Aufgabe der Anspruchsstellung zu bewegen. Es fehlt jedoch jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte bewusst zum Nachteil der Klägerin gehandelt hat, d.h. in der Absicht, sie zur Aufgabe ihres Antrages zu bewegen und sie als Ausländerin zu diskriminieren. Zu weitgehende Ermittlungsmaßnahmen, die zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erforderlich sind, begründen einen einfachen Fehler im Verwaltungsverfahren, die den erlassenen Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig machen. Die Klägerin hätte den Ablehnungsbescheid daher fristgemäß anfechten und geltend machen müssen, dass sie die für die Kindergeldfestsetzung notwendigen Nachweise erbracht hat.

    b) Die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheides, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt wird, erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, Bundessteuerblatt - BStBl II - 2002, 88; BFH-Urteil vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BStBl II 2007, 530). Eine Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheids vom 16. Dezember 2011 ist nur möglich, wenn einer der in §§ 172 ff. AO normierten Änderungstatbestände eingreift.

    Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids zulässig, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer bzw. wie im Streitfall zur Festsetzung der Steuervergütung führen. Neue Tatsachen sind der Beklagten nach Erlass des Bescheids vom 16. Dezember 2011 jedoch nicht bekannt geworden. Alle erforderlichen Informationen lagen zu diesem Zeitpunkt bereits vor. Auf die Frage, ob für die Kinder in Bulgarien Kindergeld bezogen wurde, hat die Klägerin auch in ihrer Antwort vom 10.3.2011 geantwortet, dass dies nicht der Fall sei. Bei der mit den Kindergeldantrag vom Januar 2013 vorgelegten Bescheinigung der bulgarischen Behörde, dass die Klägerin für die Kinder in Bulgarien kein Kindergeld bezogen hat, handelt es sich zwar um ein Beweismittel, da es sich insoweit um ein Erkenntnismittel handelt, das der Aufklärung des Sachverhaltes dient und das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen beweisen soll (BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585). Beweismittel können jedoch nur zu einer Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO führen, wenn sie im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids bereits vorhanden und der Behörde nur nicht bekannt waren (BFH-Urteil vom 25. Februar 2003 VIII R 98/01, DStRE 2003, 949). Nachträglich entstandene Beweismittel fallen dagegen nicht unter § 173 AO und - anders als nachträglich entstandene Tatsachen - auch nicht unter § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO (vgl. Forchhammer in Leopold/Madle/Rader, AO, § 173 Rz. 14). Die vorgelegte Bescheinigung der bulgarischen Behörde trägt das Datum vom 13. August 2012 und wurde somit erst nach Erlass des bestandskräftigen Bescheides vom 16. Dezember 2011 ausgestellt. Sie kann daher nicht zu einer Änderung wegen eines nachträglich bekannt gewordenen Beweismittels führen.

    Auf die Frage, ob die Klägerin ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismittel trifft, kommt es somit nicht an.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.