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  • 14.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145546

    Finanzgericht Münster: Beschluss vom 23.06.2015 – 1 V 1012/15 L

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    1 V 1012/15 L

    Tenor:

    Der Antrag wird abgelehnt.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe:

    2

    I.

    3

    Die Antragstellerin begehrt im finanzgerichtlichen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz gegen einen vom Antragsgegner erlassenen Lohnsteuerhaftungsbescheid (§ 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO).

    4

    Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in I, die durch Gesellschaftsvertrag vom 25.11.2004 gegründet wurde. Alleiniger Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war zunächst Herr L. Mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 01.04.2010 übertrug Herr L die Gesellschaftsanteile auf Herrn M. Ab dem 21.04.2010 war Herr M dann auch alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Antragstellerin. Nach den Erkenntnissen des Hauptzollamtes C und des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N (Ermittlungsbehörden) ist Herr L während seiner Zeit als Gesellschafter-Geschäftsführer lediglich als „Strohmann“ eingesetzt worden. De facto soll Herr L als Arbeitnehmer für die Antragstellerin tätig gewesen sein. Die kaufmännische, verwaltungstechnische sowie organisatorische Leitung und damit die faktische Geschäftsführung der Antragstellerin soll seit dem Beginn der gewerblichen Tätigkeit schon immer in den Händen von Herrn M gelegen haben.

    5

    Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist nach der Eintragung im Handelsregister die Vermittlung von Arbeiten jeglicher Art sowie Dienstleistungen, Arbeitnehmerüberlassung, Ausführung von Landschaftsbauarbeiten, Industriemontagen und Einbau von genormten Fertigteilen, Bewehrungsarbeiten sowie Trocken- und Akustikbau. Der Schwerpunkt der tatsächlich ausgeführten Arbeiten lag im Streitzeitraum von Januar 2006 bis Oktober 2011 in der Erbringung von Bauleistungen. Die auftragsausführende Antragstellerin war hauptsächlich als Subunternehmer für andere Unternehmen des Bausektors tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit ausschließlich Umsätze im Sinne des § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG), bei denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet (die Umsätze aus dieser Tätigkeit beliefen sich in den Streitjahren 2006 bis 2011 auf 7.373.055,59 EUR und machten damit über 90% der Gesamtumsätze dieses Zeitraums aus).

    6

    In der Vergangenheit fand bei der Antragstellerin ein gemeinsames Ermittlungsverfahren durch das Hauptzollamt C / Finanzkontrolle Schwarzarbeit und das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRAFA-FA) N statt. Die Prüfungsfeststellungen sind in dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamts C vom 06.11.2014, in dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 14.11.2014 sowie in dem steuerlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 28.11.2014 zusammengefasst.

    7

    Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen konnten die erzielten gewerblichen Umsätze der auftragsausführenden Antragstellerin weder mit den zur Sozialversicherung gemeldeten Arbeitnehmern noch mit dem zur Lohnsteuer angemeldeten Personal erwirtschaftet werden. Die Ermittlungsbehörden gehen vielmehr davon aus, dass die Antragstellerin im Rahmen der von ihr erbrachten Bauleistungen zusätzlich zum offiziell erklärten / gemeldeten Personal umfangreich sog. Schwarzarbeiter (in Gestalt von namentlich nicht bekannten, ganz oder teilweise illegal arbeitenden Personen) eingesetzt hat, um sich den aus einem vollständig ordnungsgemäß erklärten / gemeldeten Arbeitnehmereinsatz resultierenden Verpflichtungen (Leistung von Sozialversicherungsabgaben, Lohnsteuern nebst Annexabgaben, Beiträgen zur Berufsgenossenschaft etc.) zu entziehen. Zur Generierung von Schwarzgeldern und zur Verschleierung der tatsächlich mit illegal beschäftigtem Personal erbrachten Leistungen soll die Antragstellerin in erheblichem Umfang sog. Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) inaktiver Servicefirmen in ihrer Finanzbuchhaltung ausgewiesen haben. Insofern wird der Antragstellerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, neben der Verkürzung von Sozialabgaben vor allem vorgeworfen, unrichtige Lohnsteueranmeldungen i.S. des § 41a Einkommensteuergesetz (EStG) abgegeben zu haben, indem von den an ihr Personal tatsächlich ausgezahlten Löhnen gar keine oder zu geringe Lohnsteuern einbehalten und abgeführt worden sind. Hierdurch soll es zu Steuerverkürzungen zugunsten der Antragstellerin i.S. des § 370 Abs. 4 S. 1 Abgabenordnung (AO) gekommen sein.

    8

    Den Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin im Streitzeitraum begründeten die Ermittlungsbehörden u.a. mit folgenden (Einzel-)Feststellungen:

    9

    - Feststellung einer „Bruttolohnquote (a)“ für den Betrieb der Antragstellerin von im Streitzeitraum durchschnittlich 48,18 % bei einer branchenüblichen Bruttolohnquote von mindestens 66,67 % bezogen auf die Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG (vgl. zur Mindest-Bruttolohnquote die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form von Schwarzarbeit, insbesondere Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris). Die „Bruttolohnquote (a)“ ergibt sich aus dem Verhältnis der von der Antragstellerin selbst verbuchten Bruttolöhne gewerblicher Arbeitnehmer zum selbst erklärten Umsatz durch Arbeitsleistung eigener Arbeitnehmer unter Zugrundlegung des Nettoumsatzes aus betrieblicher Tätigkeit und bereinigt um den eigenen Wareneinsatz sowie den Einsatz von Subunternehmern.

    10

    - Feststellung einer „Bruttolohnquote (b)“ für den Betrieb der Antragstellerin von im Streitzeitraum durchschnittlich 22,39 % bei einer branchenüblichen Bruttolohnquote von mindestens 66,67 % bezogen auf die Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG. Die „Bruttolohnquote (b)“ ergibt sich aus dem Verhältnis der von der Antragstellerin selbst verbuchten Bruttolöhne gewerblicher Arbeitnehmer zum selbst erklärten Umsatz durch Arbeitsleistung eigener Arbeitnehmer unter Zugrundlegung des Nettoumsatzes aus betrieblicher Tätigkeit und bereinigt um den eigenen Wareneinsatz, allerdings ohne die Anerkennung von in der Finanzbuchhaltung verbuchten Abdeckrechnungen diverser Servicefirmen als Fremdleistungen.

    11

    - Die Antragstellerin soll im Streitzeitraum auf erster Nachunternehmerebene mit den Firmen

    12

    H GmbH,

    13

    B GmbH (vormals A GmbH),

    14

    X Transport B.V./NL,

    15

    Y und

    16

    T Bau Expert GmbH

    17

    inaktive Servicefirmen als vermeintliche Subunternehmer eingeschaltet haben, die ausschließlich dem Zweck dienten, Abdeckrechnungen zu erstellen, um im Rahmen eines allgemeinen Systems des Kettenbetrugs den Einsatz von Schwarzarbeit zu vertuschen. Die Servicefirmen besäßen regelmäßig das juristische Gerüst eines am Markt tätigen Unternehmens, seien aber tatsächlich wirtschaftlich nicht aktiv. Die durch sie erteilten Abdeckrechnungen sollen jeweils nicht leistungshinterlegt gewesen sein. Die in den Abdeckrechnungen ausgewiesenen Beträge sollen in der Finanzbuchhaltung der Antragstellerin als Subunternehmeraufwand erfasst und zumeist per Überweisung, in Einzelfällen auch per Barzahlung an die jeweiligen Serviceunternehmen geleistet worden seien. Von dort aus sollen sie durch zeitnahe Barabhebungen unter Einbehaltung einer Provision (i.d.R. 6 % der Rechnungsbeträge als Entgelt für die Rechnungserteilung und die damit verbundenen Dienstleistungen) an die Antragstellerin in bar zurückgeflossen seien (sog. Kick-Back-Zahlungen), um auf diese Weise Mittel zur Zahlung von Schwarzlöhnen zu generieren. Die Verschleierung des Einsatzes von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin mittels der genannten Servicefirmen soll nach den Ermittlungsergebnissen der Zoll- und Steuerfahndungsbehörden immer nach dem gleichen Muster (modus operandi) erfolgt sein. Auf diese Weise soll die Antragstellerin im Streitzeitraum insgesamt Schwarzlohnzahlungen i.H. von 2.870.818,04 EUR verschleiert haben. Die genannten Servicefirmen der ersten Nachunternehmerebene sollen ihrerseits durch Verbuchung nicht leistungshinterlegter Unter-Abdeckrechnungen weiterer inaktiver Serviceunternehmen, nämlich der Firmen X Transport B.V./NL, I AV A/DK sowie A/DK, die gegenüber der Antragstellerin fingierten Subunternehmerleistungen verschleiert haben, allerdings ohne dass es dabei noch zu realen Geldflüssen gekommen sei (zweite Nachunternehmerebene). Die Servicefirmen der zweiten Nachunternehmerebene wiederum sollen ihre vermeintlichen Subunternehmerleistungen durch Unter-Unter-Abdeckrechnungen ausländischer Serviceunternehmen einer dritten Nachunternehmerebene finanzbuchhalterisch verschleiert haben (quasi im Sinne einer „Totabdeckung“). Betroffen hiervon seien die Firmen D (Serbien), F (Slowenien) sowie O (Polen).

    18

    - Unter Einbeziehung des durch Abdeckrechnungen generierten Schwarzgeldes (Kapital aus nicht erbrachten Fremdleistungen) als zum offiziell verbuchten Lohnaufwand zusätzlicher Lohnanteil soll sich für die Antragstellerin in den Streitjahren eine Bruttolohnquote von durchschnittlich 79,68 % ergeben („Bruttolohnquote (c)“). Diese Lohnquote liege über der vom BGH für den lohnintensiven Baubereich angenommenen Mindest-Lohnquote von 66,67% und indiziere damit die Verwendung des mittels der Servicefirmen / Abdeckrechnungen generierten Schwarzgeldes für illegale Lohnzahlungen.

    19

    - Der Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin soll darüber hinaus durch im Rahmen der Ermittlungen beschlagnahmte Unterlagen (z.B. in Form fragmentarischer Stundenaufzeichnungen) dokumentiert sein. In 74 Einzelfällen sei tatsächlich nachgewiesen, dass die Antragstellerin für von ihr eingesetzte Arbeitnehmer gar keine oder zu geringe Lohnsteuern und Sozialversicherungsabgaben abgeführt habe. In ungefähr der Hälfte dieser Fälle habe die Antragstellerin pro forma ausgestellte Gewerbeanmeldungen für die Arbeitnehmer bereit gehalten, um bei Zollkontrollen bzw. anderen Behördenprüfungen ein tatsächlich bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis als gewerbliche Subunternehmertätigkeit zu verdecken.

    20

    - Im Rahmen der Ermittlungen sind bei der Antragstellerin Kalkulationsberechnungen vorgefunden und beschlagnahmt worden, aus denen sich exemplarisch der systematische Einsatz von Schwarzarbeit und die Zahlung von Schwarzlöhnen ergeben soll.

    21

    - Der (faktische) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr M, soll gemeinsam mit Herrn J als „Hintermann“ im Streitfall und in gleichgelagerten Kettenbetrugsfällen eine Vielzahl der inaktiven Serviceunternehmen betrieben bzw. jedenfalls gesteuert haben (etwa die H GmbH, die B GmbH, die I AV A/DK, die A.. A/DK und die V.. GmbH/,). Die Firmen hätten damit nicht nur der Generierung von Schwarzgeld für Schwarzlohnzahlungen der Antragstellerin gedient, sondern seien darüber hinaus von M auch als quasi „zweite Einkommensquelle“ genutzt worden (Vereinnahmung von Provisionen für den systematischen „Verkauf“ von Abdeckrechnungen an Dritte).

    22

    Die Ermittlungsbehörden kamen aufgrund der getroffenen Feststellungen (insbesondere zum Einsatz inaktiver Scheinfirmen) zu dem Ergebnis, dass die von der Antragstellerin im Rahmen ihres Gewerbebetriebs tatsächlich geleisteten Arbeiten gegenüber den Auftraggebern in keiner Weise mit dem zur Sozialversicherung und dem zur Lohnsteuer angemeldeten (eigenen) Personal hätten erbracht werden können. Angesichts der konkreten Nachweise für den Einsatz von Schwarzarbeit in Einzelfällen und unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse zum strukturellen Nachweis von Schwarzarbeit anhand von Lohnquotenberechnungen zogen die Ermittlungsbehörden den Schluss, dass die Antragstellerin jedenfalls die an die jeweiligen Servicefirmen tatsächlich geleisteten Beträge abzüglich einer bei den Rechnungsschreibern verbliebenen Provision i.H. von 6 bzw. 20 % zum Einsatz von Schwarzarbeit (Zahlung von Schwarzlöhnen) genutzt haben muss. Da faktisch weder die Identität der jeweiligen illegal eingesetzten Arbeitnehmer noch ihre individuellen persönlichen Verhältnisse im Nachhinein hätten festgestellt werden können und folgerichtig auch keine vollständigen Informationen über tatsächliche Beschäftigungszeiten und Lohnzahlungen im Einzelfall vorlägen, seien die von der Antragstellerin im Streitzeitraum gezahlten Schwarzlöhne im Schätzungswege ermittelt worden (§ 162 AO). Die Berechnung der darauf entfallenden Lohnsteuer sei im Wege der Pauschalierung unter Ansatz des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI vorgenommen worden.

    23

    Auf der Grundlage der vorgenannten Prüfungsfeststellungen erließ der Antragsgegner am 03.02.2015 den streitgegenständlichen Haftungsbescheid und nahm die Antragstellerin wegen rückständiger Lohnsteuern und Annexsteuern i.H. von insgesamt 479.431,15 EUR in Anspruch. Der Haftungsbetrag sollte bis zum 06.03.2015 gezahlt werden. Zur Begründung des Haftungstatbestandes und zur Berechnung der Haftungsschuld verwies der Antragsgegner auf die Feststellungen des STRAFA-FA N im Bericht vom 28.11.2014, der dem Haftungsbescheid als Anlage beigefügt war. Gemeinsam mit dem Haftungsbescheid (in derselben Urkunde) hob der Antragsgegner ferner den Vorbehalt der Nachprüfung in Bezug auf die von der Antragsgegnerin für den Streitzeitraum bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen auf.

    24

    Gegen den Haftungsbescheid legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.02.2015 Einspruch ein, den sie im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens mit Schriftsatz vom 07.04.2015 näher begründete. Auch gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.03.2015 Einspruch ein. Über beide außergerichtlichen Rechtsbehelfe ist bislang noch nicht entschieden.

    25

    Am 05.03.2015 beantragte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner unter Hinweis auf den von ihr eingelegten Einspruch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides. Mit Schreiben vom 16.03.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung führte er aus, dass nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestünden. Mit Schreiben vom 24.03.2015 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ein. Auch über diesen Rechtsbehelf ist bislang nicht entschieden.

    26

    Am 27.03.2015 hat die Antragstellerin den vorliegenden gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides gestellt.

    27

    Die Antragstellerin hält den streitgegenständlichen Haftungsbescheid vom 03.02.2015 für nichtig bzw. für rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides lägen jedenfalls vor, denn insofern reichten bereits ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes. Die Antragstellerin begründet ihre außergerichtlichen Rechtsbehelfe gegen den Haftungsbescheid sowie den vorliegenden gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Wesentlichen übereinstimmend wie folgt:

    28

    Nach Ansicht der Antragstellerin ist der Haftungsbescheid bereits wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig. Mit der Festsetzung der Haftungsschuld sei gleichzeitig (in einer einheitlichen Urkunde) der Vorbehalt der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen aufgehoben worden. Beide Bescheide stünden in einem Widerspruch zueinander. Voraussetzung für die Haftung sei grundsätzlich eine bestehende Steuerschuld (im Falle der Lohnsteuer eine bestehende Steuerentrichtungsschuld). Die Höhe dieser Schuld sei aus dem streitbefangenen Bescheid aber nicht hinreichend erkennbar. Mit der Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts sei die ursprünglich angemeldete Lohnsteuer erneut (in gleicher Höhe), nun aber endgültig festgesetzt worden (§ 164 Abs. 3 S. 1 AO). Nach der Auffassung des Antragsgegners im Haftungsbescheid habe sich die Lohnsteuer aber durch die Feststellungen der Ermittlungsbehörden gerade geändert. Insofern bestünde ein Widerspruch zwischen der Steuerentrichtungsschuld und der Haftungsschuld, der wegen der strengen Akzessorietät nicht zulässig sei. Sie – die Antragstellerin – könne nicht erkennen, was eigentlich gemeint sei. Vor allem sei unklar, ob die ursprüngliche Steuerentrichtungsschuld erneut festgesetzt werden soll oder ob doch eine neue Steuerentrichtungsschuld gelten soll. Im Übrigen sei eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für Lohnsteueranmeldungszeiträume in 2006 schon gar nicht möglich gewesen, weil der Nachprüfungsvorbehalt insofern über die Regelung des § 164 Abs. 4 AO bereits kraft Gesetzes entfallen sei.

    29

    Darüber hinaus weist die Antragstellerin in formeller Hinsicht darauf hin, dass vor Erlass des Haftungsbescheides keine Anhörung stattgefunden habe. Auch sei ihr – der Antragstellerin – bisher keine Einsicht in die Steuerakten gewährt worden. Im Übrigen hätten die den Ermittlungsberichten zugehörigen 30 Beweisordner aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Abschluss der Ermittlungen und dem Erlass des Haftungsbescheides bisher von ihren Verantwortlichen / Prozessbevollmächtigten allenfalls rudimentär gesichtet werden können.

    30

    In materieller Hinsicht trägt die Antragstellerin zunächst vor, dass der Haftungsbescheid nicht auf Tatsachen, sondern größtenteils auf Vermutungen, Verdachtsmomenten, Pauschalbehauptungen und bloßen Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhe. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe und vermeintlichen Beweismittel seien nicht von entsprechender Qualität, um eine Schwarzarbeit und eine Nichtabführung von Lohnsteuer ausreichend zu begründen, jedenfalls nicht in dem dargestellten Umfang. Die seitens der Ermittlungsbehörden geschätzten Lohnzahlungen auf der Grundlage behaupteter Abdeckrechnungen seien unrealistisch und de facto nicht erfolgt. Sie – die Antragstellerin – habe Arbeitnehmer in dem vom Hauptzollamt C bzw. vom STRAFA-FA N behaupteten (geschätzten) Umfang niemals beschäftigt. Die Feststellungen der Ermittlungsbehörden beruhten auf bloßen Indizien. Der Sachverhalt sei insofern weder ausermittelt noch entsprächen die Ermittlungsergebnisse der Wahrheit. Ein Nachweis von tatsächlicher Schwarzbeschäftigung in Gestalt des Strengbeweises sei nicht erfolgt. Lediglich in wenigen Einzelfällen mit einer insgesamt geringfügigen Auswirkung gäbe es eine Beweisführung durch Zeugenaussagen. Ob und inwieweit diese Aussagen allerdings glaubhaft seien, habe bisher nicht überprüft werden können. Wenn es in dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes heiße, dass Unterlagen (etwa Stunden– bzw. Einzelaufzeichnungen) für eingesetzte Schwarzarbeiter lediglich fragmentarisch aufgefunden worden seien, dann werde damit selbst eingestanden, dass ausreichende Nachweise (Strengbeweise bzw. Vollbeweise) für den Einsatz illegal beschäftigter Arbeitnehmer gerade nicht vorliegen. Der Haftungstatbestand werde also überwiegend mit indiziellen / strukturellen Erwägungen begründet, was angesichts der Höhe der Haftungsschuld nicht ausreichen dürfte.

    31

    Als Beispiel für die Unrichtigkeit der Sachverhaltsermittlung verweist die Antragstellerin auf die Berichte des STRAFA-FA N vom 14.11./28.11.2014. Dort werde ausgeführt, dass sie – die Antragstellerin – fast ausschließlich Personalleistungen im Bausektor erbringe und dass es sich bei den Tätigkeiten um reine Lohnarbeiten ohne nennenswerten Einsatz von eigenen Maschinen und Materialien handele. Schon diese grundlegenden Feststellungen seien unzutreffend. Aus den Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 2008 bis 2010 sei ersichtlich, dass erhebliche Aufwendungen für Material angefallen seien (Hinweis auf die Verhältnisse im Jahr 2008: Umsatzerlöse: 1.527.000,- EUR, Materialeinsatz: 382.000,- EUR und sonstige Kosten: 179.000,- EUR). Angesichts dieses Beispiels müsse davon ausgegangen werden, dass die Ermittlungsbehörden die Buchhaltungsunterlagen nicht oder jedenfalls nicht hinreichend ausgewertet haben.

    32

    In Bezug auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur „Bruttolohnquote“ (behauptete Abweichungen von einer in der Rechtsprechung des BGH anerkannten Mindestlohnquote im Baugewerbe i.H. von 66,67 %) trägt die Antragstellerin vor, dass ein derartiger Vergleichsmaßstab die Besonderheiten ihres Betriebes außer Acht lasse. Ihr Betrieb zeichne sich dadurch aus, dass größtenteils im Akkord und unter Einsatz eigener Materialgestellung bzw. eigenen Materialverkaufs gearbeitet worden sei. Die dem Vergleich mit der Mindestlohnquote zugrunde liegende strukturelle Annahme, zwei Drittel der Umsatzerlöse müssten auf reine Personalkosten entfallen, sei insofern schon grundsätzlich nicht mit ihren spezifischen betrieblichen Verhältnisse kompatibel. Derartige strukturelle Erwägungen mögen Geltung bei einem typisierten Bauunternehmen ohne Akkordarbeit und ohne Materialeinsatz finden, träfen jedoch auf ihr Geschäft gerade nicht zu. Im Hinblick auf die Modalitäten der Lohnquotenberechnung reklamiert die Antragstellerin, dass das Vorgehen nicht den Vorgaben aus der Rechtsprechung des BGH entspräche. Während die Ermittlungsbehörden mit einer „Bruttolohnquote“ argumentierten, rekurriere der BGH in seinem Beschluss vom 11.09.2009 (1 StR 283/09) eindeutig auf eine „Nettolohnquote“.

    33

    Was die von den Ermittlungsbehörden vermeintlich vorgefundenen Kalkulationsberechnungen unter Einbeziehung von Schwarzlohnzahlungen anbelangt, so weist die Antragstellerin darauf hin, dass in der Kalkulation ein „Schwarzlohn“ i.H. von 3.510,- EUR ausgewiesen sei. Es sei daher äußerst fraglich, ob dieser (Einzel-)Beleg insofern zur Beweisführung geeignet sei, als es im Ergebnis darum gehe, einen Haftungsbetrag über Lohnsteuer und Annexabgaben i.H. von 480.000,- EUR zu rechtfertigen.

    34

    Die Antragstellerin bestreitet ausdrücklich die Annahme der Ermittlungsbehörden, bei den von ihr als Subunternehmer eingesetzten Firmen habe es sich lediglich um inaktive Scheinfirmen gehandelt. Sie behauptet stattdessen, die von den Subunternehmern in Rechnung gestellten Leistungen seien auch tatsächlich erbracht worden. Insofern führt die Antragstellerin in Bezug auf ihre grundlegende Kalkulations- und Arbeitsweise erläuternd aus: Ihre Leistungen, insbesondere im Bereich des Trocken- und Pflasterbaus, würden von renommierten großen und mittelständischen Firmen in Anspruch genommen (etwa der H Solutions AG oder der B Hochbau GmbH). Viele ihrer Auftraggeber wüssten aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit, dass sie Aufträge gerade im Bereich der (Akkord-)Arbeit zeit- und sachgerecht auszuführen in der Lage sei. Vor diesem Hintergrund würden Auftraggeber häufig von selbst ein Projekt an sie herantragen. Sie – die Antragstellerin – würde dann regelmäßig nur den Projektleiter und bei Bedarf noch einen weiteren Mitarbeiter stellen. In der Regel würde der Projektleiter mit dem Auftraggeber zunächst das jeweilige Leistungsverzeichnis sowie die zeitlichen Vorgaben absprechen. Die eigentlichen Bauarbeiten würden ganz überwiegend von Subunternehmer erledigt, etwa der B GmbH. Die dazu notwendigen Bauhelfer würden von den Subunternehmern in Kolonnenstärke (drei bis sechs Arbeiter) gestellt. Der von ihr – der Antragstellerin – eingesetzte Projektleiter würde regelmäßig stichprobenartig die ordnungsgemäße Meldung der Bauhelfer zur Sozialversicherung (insbesondere die sog. A1-Bescheinigungen bei ausländischen Kräften) kontrollieren (Glaubhaftmachung: Zeugnis des Herr T1. T2.). Im Übrigen gehe sie davon aus, dass die Subunternehmen ihre Arbeitskräfte ordnungsgemäß versichern bzw. anmelden. Eine vollständige Überprüfung durch ihre Geschäftsleitung sei insofern jedoch nicht möglich. Ob – wie von den Ermittlungsbehörden angenommen – einzelne Arbeitnehmer durch die Subunternehmen nicht ordnungsgemäß eingesetzt worden seien, könne von ihr – der Antragstellerin – nicht abschließend beurteilt werden. Diese Frage entziehe sich sowohl ihrer Kenntnis als auch ihrer Verantwortung. Der Einsatz von Subunternehmern an sich sei in der Baubranche absolut üblich und zulässig. Die in Auftrag gegebenen Arbeiten seien durch die jeweiligen Subunternehmer ganz überwiegend zufriedenstellend ausgeführt worden (aus der Sicht der Antragstellerin und ihrer Auftraggeber). Die Abrechnung ihrerseits mit den Subunternehmern erfolge häufig über qm-Preise oder Festpreise. Die von ihr eingesetzten Subunternehmer würden regelmäßige geringere qm-Preise bzw. Festpreise aufrufen. Sie gehe aber davon aus, dass auch die Subunternehmer noch eine „gute Gewinnmarge“ erzielten (möglicherweise auch aufgrund des Einsatzes ausländischer Arbeiter mit niedrigeren Stundenlöhnen). Im Ergebnis bleibe nach alledem festzuhalten, dass die von den Ermittlungsbehörden im Schätzungswege vorgenommene Zurechnung von Bauarbeitskräften der Nachunternehmer als „Schwarzarbeiter“ bei ihr (der Antragstellerin) jedweder Grundlage entbehre.

    35

    Im Übrigen weist die Antragstellerin darauf hin, dass sie auf zahlreichen Großbaustellen in ganz Deutschland tätig gewesen sei und dabei regelmäßig Kontrollen durch die Hauptzollämter durchgeführt worden seien. Bei keiner dieser Kontrollen sei sie in irgendeiner Form aufgefallen. Die von ihr eingesetzten Arbeitnehmer verfügten über die notwendigen Sozialversicherungsausweise, was regelmäßig von der Geschäftsführung überwacht werde. Auch der Umstand, dass einige ihrer Arbeitnehmer Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen hätten, zeige, dass das von ihr eingesetzte Personal legal beschäftigt worden sei. Dieser Umstand sei den Ermittlungsbehörden auch bekannt, werde in den jeweiligen Ermittlungsberichten jedoch nicht erwähnt.

    36

    Darüber hinaus sei der Erlass des Haftungsbescheides auch ermessenswidrig erfolgt. Der Bescheid enthalte keinerlei Ausführungen zu einer Ausübung des Auswahlermessens durch den Antragsgegner.

    37

    Abschließend weist die Antragstellerin darauf hin, dass im Falle der Ablehnung des Aussetzungsantrags wahrscheinlich ein Insolvenzantrag zu stellen sei. Damit würde ein irreparabler Schaden bei ihr und ihren Gesellschaftern eintreten. Auch zur Erbringung einer Sicherheitsleistung sei sie – die Antragstellerin – wirtschaftlich nicht in der Lage.

    38

    Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Antragstellerin wird auf die im gerichtlichen Verfahren ergangenen Schriftsätze vom 27.03. und 22.05.2015 verwiesen.

    39

    Die Antragstellerin beantragt,

    40

    die Vollziehung des Haftungsbescheides über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Bergmannsprämie vom 03.02.2015 i.H. von 479.431,15 EUR einschließlich des Leistungsgebotes ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszusetzen.

    41

    Der Antragsgegner beantragt,

    42

    den Antrag abzulehnen.

    43

    In seiner Gegenäußerung vom 14.04.2015 weist der Antragsgegner zunächst den Einwand der Nichtigkeit des Haftungsbescheides zurück. Er habe zulässiger Weise mehrere (zusammengefasste) Bescheide in einer Urkunde erlassen, nämlich den Haftungsbescheid einerseits (nebst Leistungsgebot) sowie den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die von der Antragstellerin für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen andererseits. Der jeweilige Inhalt dieser Verwaltungsakte sei aus Empfängersicht (Antragstellerin) klar und deutlich erkennbar. Insbesondere an der Bestimmtheit des Haftungsbescheides, des Leistungsgebotes und der darauf bezogenen Zahlungsaufforderung bestünden keinerlei Zweifel. Der Bescheid über die Vorbehaltsaufhebung sei mit dem Einspruch angefochten worden. Eine Entscheidung darüber sei einem gesonderten Verwaltungsverfahren vorbehalten.

    44

    Auch ansonsten hält der Antragsgegner den streitgegenständlichen Haftungsbescheid für rechtmäßig. Zur Begründung des Haftungstatbestandes führt er aus, dass die Ermittlungsbehörden den konkreten Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin in mehreren Fällen haben führen können, und verweist insofern auf den Bericht des Hauptzollamtes C und die dazu vorgehaltenen Sachbeweisordner. Die sichergestellten Unterlagen belegten, dass die Antragstellerin Löhne für von ihr auf konkreten Baustellen eingesetzte Arbeitnehmer entweder gar nicht oder nur zum Teil in ihrer Lohnbuchführung ausgewiesen und damit versteuert habe. Auch die bei ihr aufgefundene Kalkulationsberechnung zeige beispielhaft, dass und auf welche Art und Weise die Antragstellerin im Rahmen der Ausführungen von Bauleistungen illegal beschäftigte Mitarbeiter eingesetzt habe.

    45

    Darüber hinaus geht der Antragsgegner davon aus, dass der Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit zusätzlich durch die indiziellen / strukturellen Ermittlungen zur „Bruttolohnquote“ geführt worden sei. Auch insoweit verweist er auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden. Der im steuerstrafrechtlichen Bericht vom 28.11.2014 befindliche Passus, die Antragstellerin habe ausschließlich reine Lohnarbeiten ohne nennenswerten Einsatz von Maschinen und Material ausgeführt, sei dort lediglich versehentlich aufgenommen worden. In den Berechnungen des Hauptzollamtes C zur Ermittlung der „Bruttolohnquote“ würden die Aufwendungen für Material-/Wareneinsatz von den Umsatzerlösen zum Abzug gebracht und damit rechnerisch zutreffend berücksichtigt.

    46

    Darüber hinaus macht der Antragsgegner geltend, dass die Ermittlungsbehörden aus seiner Sicht eindeutige und belegbare Feststellungen zum Servicecharakter der von der Antragstellerin vermeintlich beauftragten Subunternehmer getroffen haben. Aufgrund der detaillierten Prüfung der einzelnen Nachunternehmen stünde fest, dass die in Rechnung gestellten Subunternehmerleistungen tatsächlich nicht erbracht worden seien. Vor diesem Hintergrund sei – im Zusammenspiel mit den konkreten und den strukturellen Nachweisen zum Einsatz von Schwarzarbeit – die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die Einschaltung inaktiver Servicefirmen aus der Sicht der Antragstellerin dem Zweck geschuldet sei, Schwarzgeld für die Zahlung von Schwarzlöhnen an eigene Arbeitnehmer zu generieren und diese tatsächlichen Verhältnisse durch Abdeckrechnungen buchhalterisch zu verschleiern.

    47

    Schließlich weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Ermittlungen durch das Hauptzollamt C darüber hinaus zweifelsfrei ergeben hätten, dass der (faktische) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr M, neben Herrn J als Drahtzieher bzw. Hintermann einer Reihe von Servicefirmen fungiert und zu seinen Gunsten ein umfangreiches Provisionssystem in gleichgelagerten Kettenbetrugsfällen initiiert und aufgebaut habe.

    48

    Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Lohnsteueraußenprüfungs- und Rechtsbehelfsakte, Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 und die dazu übermittelten vier Sachbeweisordner VIII, Band II sowie IX, Bände I bis III) verwiesen.
    49

    II.

    50

    Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

    51

    1.

    52

    Gemäß § 69 Abs. 3 i.V. mit Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung auf Antrag ganz oder zum Teil aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne bestehen, soweit eine summarische (d.h. überschlägige und nur präsente Beweismittel berücksichtigende) Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse v. 15.01.1998, IX B 25/97; v. 23.07.1999, VI B 116/99, juris; 27.10.2009, IX B 171/09, juris; v. 22.06.2011 VII S 1/11, juris; v. 23.01.2015, IX S 25/14, juris).

    53

    Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen (vorläufigen) Würdigung des Sachverhaltes nach Aktenlage und auf der Basis präsenter Beweismittel bestehen zur Überzeugung des erkennenden Senats keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit dem Einspruch angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheides.

    54

    2.

    55

    Das Gericht geht zunächst von der Wirksamkeit des Lohnsteuerhaftungsbescheides aus. Dem Vortrag der Antragstellerin, der Bescheid sei unbestimmt bzw. widersprüchlich und damit bereits nichtig, vermag der Senat nicht zu folgen.

    56

    Ein Verwaltungsakt ist nach der Generalklausel des § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakts ferner nichtig, wenn er einen der Tatbestände des in § 125 Abs. 2 AO normierten Positivkatalogs erfüllt, so u.a. wenn den Verwaltungsakt aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann.

    57

    Im Streitfall sind jedoch weder die Nichtigkeits-Generalklausel noch ein Tatbestand des Positivkatalogs erfüllt. Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist schriftlich ergangen und lässt die erlassende Behörde erkennen (§ 119 Abs. 2 u. 3, § 191 Abs. 1 S. 1 u. 3 AO). Dass der Antragsgegner den Lohnsteuerhaftungsbescheid mit weiteren Verwaltungsakten, nämlich mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum von der Antragstellerin bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen sowie mit einem Leistungsgebot, zusammengefasst hat, führt für sich betrachtet nicht zur Nichtigkeit einer dieser Verwaltungsakte. Die äußerliche Zusammenfassung von Verwaltungsakten in einer Urkunde ist grundsätzlich zulässig, solange die einzelnen Regelungen nach Tenor und Begründung deutlich getrennt werden (vgl. etwa zur äußerlichen Zusammenfassung von Steuer- und Haftungsbescheiden: Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 87). Dies ist vorliegend geschehen. Bereits aus der Überschrift der Urkunde ergibt sich, dass der Antragsgegner mehrere Verwaltungsakte äußerlich zusammengefasst hat (Angekreuzt ist „Haftungsbescheid“ und „Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung“). Auch der weitere Aufbau der Urkunde trennt in Bezug auf die Tenorierung hinreichend zwischen den Regelungsbereichen „Haftungsbescheid“ (Gliederungspunkt I.), „Zahlungsaufforderung“ (Gliederungspunkt II.) und „Vorbehaltsaufhebung“ (Gliederungspunkte III.). Die Begründung des Haftungsbescheides wiederum erfolgt davon räumlich abgesetzt unter den Gliederungspunkten V. bis VII. Trotz der Zusammenfassung der Verwaltungsakte in einer Urkunde sind die Inhalte der einzelnen Regelungen also hinreichend und auch für den steuerlichen Laien verständlich zu unterscheiden.

    58

    Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO). Aus ihm ergibt sich, wer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (Antragstellerin als Arbeitgeberin), dass die Inanspruchnahme als Haftungs- und nicht als Steuerschuldner erfolgt, aufgrund welcher Vorschrift gehaftet wird (§ 42d EStG), welche Steuern und Steuerzeiträume im Einzelnen von der Haftung umfasst sind (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 01.01.2006 bis 31.10.2011) und wie hoch der zu zahlenden Gesamtbetrag ist (Haftungssumme = 479.431,15 EUR).

    59

    Es besteht aus der Sicht des Gerichts auch kein inhaltlicher Widerspruch zwischen der Steuerentrichtungsschuld einerseits und der Haftungsschuld andererseits. Mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für die im Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen ist die darin enthaltene Lohnsteuer für den jeweiligen Anmeldungszeitraum erneut und zwar endgültig festgesetzt worden (§ 164 Abs. 3 S. 2 AO). Von dieser Festsetzung sind ausschließlich die durch die Antragstellerin bereits bisher angemeldeten Lohnsteuern (für legal beschäftigte Arbeitnehmer) betroffen. Diese Lohnsteuern dürften in der Vergangenheit von der Antragstellerin auch bereits entrichtet worden sein (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 EStG).

    60

    Der Haftungsbescheid dagegen betrifft die Lohnsteuer, die darüber hinaus nach den aktuellen Feststellungen der Ermittlungsbehörden auf dem illegalen Einsatz von Arbeitnehmern beruht. Diese Lohnsteuer ist – die Ermittlungsergebnisse als wahr unterstellt – bereits entstanden (§ 38 Abs. 2 EStG), aber bisher weder angemeldet noch festgesetzt worden. Sie hätte von der Antragstellerin zeitnah einbehalten und abgeführt werden müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Gerade aus eben diesem Grund ist der Haftungstatbestand des § 42d EStG überhaupt einschlägig. Eine Haftungsinanspruchnahme der Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin nach dieser Vorschrift setzt lediglich voraus, dass die Lohnsteuer entstanden, nicht aber darüber hinaus, dass sie auch festgesetzt worden ist (etwa durch einen Lohnsteuernachforderungsbescheid, vgl. Krüger in T3., EStG34, § 42d EStG Rz. 2 u. 59). Auch im Allgemeinen ist der Grundsatz der Akzessorietät zwischen Steuer- und Haftungsschuld nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Haftungsinanspruchnahme erst erfolgen kann, nachdem die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist (arg. ex § 191 Abs. 3 S. 4 AO, vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 11 ff., 15).

    61

    Dem Einwand der Antragstellerin, im Streitfall bestünde ein unauflösbarer Antagonismus zwischen der Steuerentrichtungsschuld und der Haftungsschuld, vermag der Senat daher nicht zu folgen. Die Steuerentrichtungsschuld setzt sich zusammen aus der bisher durch die Antragstellerin selbst angemeldeten Lohnsteuer und der durch die Ermittlungsbehörden nunmehr zusätzlich im Schätzungswege ermittelten (bisher nicht festgesetzten) Lohnsteuer. Der Haftungsbescheid bezieht sich dagegen offensichtlich nur auf einen Teil dieser Steuerentrichtungsschuld, nämlich auf die bisher nicht angemeldete Lohnsteuer aus dem nunmehr festgestellten Einsatz illegaler Beschäftigung.

    62

    Ob die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Zusammenhang mit den bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen mit Blick auf die Regelung des § 164 Abs. 4 AO für alle Lohnsteueranmeldungszeiträume (insbesondere aus dem Jahr 2006) rechtmäßig erfolgt ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Denn Gegenstand des Aussetzungsverfahrens ist lediglich der Lohnsteuerhaftungsbescheid.

    63

    3.

    64

    Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist auch im Übrigen formell rechtmäßig ergangen.

    65

    Unerheblich ist, dass die Antragstellerin vor Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheides nicht ausdrücklich angehört worden ist. § 91 Abs. 1 AO ist insofern namentlich als „Soll-Vorschrift“ konzipiert. Ferner kann gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 3 i.V. mit Abs. 2 AO die erforderliche Anhörung bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Im Streitfall hatte die Antragstellerin sowohl im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren als auch im gerichtlichen Aussetzungsverfahren mehrfach die Gelegenheit, sich zu ihrer Inanspruchnahme als Lohnsteuerhaftungsschuldnerin zu äußern. Sie hat davon bisher auch mit Schreiben vom 05.03.2015 (Begründung des beim Antragsgegner gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) sowie mit Schreiben vom 27.03. und 22.05.2015 (Begründung des gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) Gebrauch gemacht. Ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist damit hinreichend entsprochen worden (vgl. § 91 Abs. 1 AO, § 96 Abs. 2 FGO jeweils i.V. mit § 103 Abs. 1 GG).

    66

    Der Lohnsteuerhaftungsbescheid enthält darüber hinaus eine Begründung, die den Anforderungen des § 121 Abs. 1 AO gerecht wird. Die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Haftung werden ausreichend dargelegt. Dass der Antragsgegner dabei auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden Bezug nimmt (etwa auf den Bericht des STRAFA-FA N vom 28.11.2014, der seinerseits an den Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 anknüpft), ist unproblematisch (zur Möglichkeit und Zulässigkeit einer Bezugnahme auf externe Unterlagen – insbesondere Prüfungsberichte – vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 87 u. 95).

    67

    Auch der Hinweis der Antragstellerin, ihr sei bis zur Stellung des gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung noch keine Einsichtnahme in die Verwaltungsakten gewährt worden, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Lohnsteuerhaftungsbescheides. Einen gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren sieht die Abgabenordnung schon generell nicht vor (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Tz. 25 ff.). Darüber hinaus geht das Gericht davon aus, dass der Antragstellerin bzw. ihren Verantwortlichen und Vertretern sowohl der Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 als auch die Berichte des STRAFA-FA N vom 14.11. und 28.11.2014 entweder aus dem Besteuerungsverfahren oder aus dem Strafverfahren inhaltlich bekannt sind. Dafür spricht jedenfalls, dass sich die Antragstellerin im Zuge der Begründung des gerichtlichen Aussetzungsantrags ausdrücklich auf Inhalte aus den Ermittlungsberichten bezogen hat (vgl. etwa S. 2 des Schriftsatzes vom 22.05.2015 mit konkreten Ausführungen zum Bericht des Hauptzollamtes C). Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens durch das Instrument der Akteneinsicht (§ 78 FGO) die Möglichkeit gehabt hätte, sich selbst (weiter) rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. zum Akteneinsichtsrecht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör: Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 112). Von diesem Recht hat die Antragstellerin jedoch keinen Gebrauch gemacht.

    68

    4.

    69

    Der Senat kommt im Rahmen einer summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes und unter ausführlicher Würdigung der Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der Lohnsteuerhaftungsbescheid auch materiell rechtmäßig ist.

    70

    a.

    71

    Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist dabei zweigliedrig. Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen möchte, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nimmt. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 S. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.

    72

    Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten, anzumelden und abzuführen hat (vgl. § 38 Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 u. 2 EStG). Diesen steuerlichen Pflichten zur Einbehaltung, Anmeldung und rechtzeitigen Abführung der Lohnsteuer ist die Antragstellerin nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Denn zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Antragstellerin im Streitzeitraum von Januar 2006 bis Oktober 2011 neben den in ihrer Buchhaltung ausgewiesenen Löhnen für ordnungsgemäß gemeldete Arbeitnehmer in erheblichem Umfang sog. Schwarzlöhne an illegal beschäftigte Arbeitnehmer ausgezahlt hat.

    73

    Unter Würdigung der Gesamtumstände des Verfahrens (nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der präsenten Beweismittel) ist der Senat in einem ersten Schritt davon überzeugt, dass die von den vermeintlichen Subunternehmern der Antragstellerin erstellten Rechnungen über Fremdleistungen in den Streitjahren nicht leistungshinterlegt waren, sondern lediglich zum Schein ausgestellt wurden und damit die Qualität sog. Abdeckrechnungen besaßen (dazu unter b.). Der Senat geht sodann in einem zweiten Schritt davon aus, dass das durch diese Scheinrechnungen abgedeckte (verschleierte) Kapital von der Antragstellerin selbst zum Einsatz von Schwarzarbeit verwendet worden ist (dazu unter c.). Auch bestehen aus der Sicht des Senats keine Bedenken an der Ermittlung der Schwarzlohnzahlungen im Schätzungswege sowie an der Berechnung der Lohnsteuerhaftungsbeträge der Höhe nach (dazu unter d.). Schließlich hat der Antragsgegner das ihm bei Erlass des Haftungsbescheides eingeräumte Ermessen aus der Sicht des Senats rechtsfehlerfrei ausgeübt (dazu unter e.).

    74

    b.

    75

    Das Gericht hat zunächst die Überzeugung gewonnen, dass die auf der ersten Nachunternehmerebene tätigen Firmen H GmbH, B GmbH (vormals A GmbH), X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH im Streitzeitraum tatsächlich keine Bauleistungen gegenüber der Antragstellerin erbracht haben, sondern lediglich als sog. inaktive Servicefirmen aufgetreten sind und in dieser Funktion sog. Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) über fiktive Subunternehmerleistungen erteilt haben. Gleiches gilt auch für die auf der zweiten und dritten Nachunternehmerebene tätigen Unternehmen. Auch hier geht das Gericht davon aus, dass es sich – jedenfalls in Bezug auf die Bauprojekte der Antragstellerin – um bloße Servicefirmen handelt, deren Rechnungen nicht leistungshinterlegt waren und lediglich zum Schein ausgestellt worden sind.

    76

    Dieses Ergebnis folgt aus den von den Ermittlungsbehörden in Bezug auf die Servicefirmen und deren Verhältnis zur Antragstellerin festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten. Die Ermittlungsbehörden haben zu sämtlichen Firmen aller Nachunternehmerebenen dezidierte Recherchen angestellt und dabei detaillierte Feststellungen in allgemeiner Hinsicht (Firmeninformationen) und vor allem in Bezug auf die Geschäftsbeziehungen zur Antragstellerin (Einbindung in deren Bauprojekte) getroffen. Die einzelnen Feststellungen besitzen den Charakter sog. Indizien (Beweisanzeichen). Sie sind – dem Indizienbeweis immanent – dadurch gekennzeichnet, dass sie im Einzelfall mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit auf das Ergebnis der Beweiswürdigung hindeuten (zum Indizienbeweis als Form der mittelbaren Beweisführung, vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 35 f.).

    77

    In ihrer Gesamtheit bilden die einzelnen Indizien im Streitfall aber zur Überzeugung des Gerichts eine in sich schlüssige Beweiskette und lassen den sicheren Rückschluss darauf zu, dass die in den Rechnungen der jeweiligen Nachunternehmen ausgewiesenen Leistungen gegenüber der Antragstellerin faktisch nicht erbracht worden sind. Aufgrund der Vielzahl, der Genauigkeit und der Wertigkeit der von den Ermittlungsbehörden herausgearbeiteten Einzelfeststellungen geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerin in großem Umfang den Einkauf von Subunternehmerleistungen vorgetäuscht und damit die tatsächlichen Gegebenheiten rund um die Abwicklung ihrer Bauaufträge permanent zu verschleiern versucht hat.

    78

    Auf folgende Feststellungen der Ermittlungsbehörden wird beispielhaft verwiesen (vgl. insgesamt den Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 nebst Sachbeweisen, insbesondere die Feststellungen zu den einzelnen „Servicefirmen“ unter 3.2.5.):

    79

    - Mit den Ermittlungsbehörden ist zunächst festzuhalten, dass der in Bezug auf eine Vielzahl von Projekten der Antragstellerin festgestellte Sachverhalt einer „Nachunternehmerkette“ über drei Ebenen bis hin zu vermeintlichen ausländischen Leistungserbringern schon dem Grunde nach „lebensfremd“ ist. Den buchhalterischen Angaben der Antragstellerin zufolge sind für diverse Baustellen (Projekte) in Deutschland immer wieder die gleichen fünf Nachunternehmen erster Ebene eingeschaltet worden (H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH). Zwei dieser Nachunternehmen sollen die jeweiligen Bauleistungen nach den weiteren Ermittlungsergebnissen nicht selbst erbracht, sondern wiederum an drei weitere Nachunternehmen der zweiten Ebene mit Sitz in den Niederlanden und in Dänemark vergeben haben (X Transport B.V./NL, I A/DK sowie A. A/DK). Auffällig ist in diesem Zusammenhang schon, dass die X Transport B.V./NL sowohl als Nachunternehmen auf erster als auch auf zweiter Ebene agiert. Von einem der Nachunternehmen der zweiten Leistungsebene sollen sodann Aufträge in erheblichem Ausmaß an weitere Nachunternehmen mit Sitzen in Serbien, Slowenien und Polen vergeben worden sein (dritte Leistungsebene). Für keines der Bauvorhaben konnte letztlich genau ermittelt werden, wer die gegenüber den Auftraggebern der Antragstellerin tatsächlich ausgeführten Leistungen überhaupt körperlich erbracht hat. Ab der zweiten Nachunternehmerebene fanden auch keine nachvollziehbaren Geldflüsse mehr statt (zu verzeichnen sind lediglich Rechnungsstellungen und Barabhebungen). Ein derartiges Vorgehen, Dienstleistungen auf deutschen Baustellen anzubieten und diese systematisch auf immer die gleichen (ab der zweiten Leistungsebene im europäischen Ausland ansässigen) Nachunternehmen quasi „herunter zu brechen“, ist weder organisatorisch noch wirtschaftlich nachvollziehbar.

    80

    - Die Ermittlungsbehörden haben darüber hinaus eine Reihe von Feststellungen getroffen, aus denen sich nicht nur indiziell, sondern schon unmittelbar ergibt, dass die in einzelnen Rechnungen ausgewiesenen Leistungen faktisch von den jeweiligen Nachunternehmen schon gar nicht haben erbracht werden können:

    81

    -- Obwohl die Firma B GmbH zum 31.12.2009 ihr Gewerbe wegen Veräußerung abgemeldet hatte und im Folgenden keinen tatsächlichen Geschäftsbetrieb mehr unterhielt, gingen bis einschließlich Februar 2011 immer noch Rechnungen für Subunternehmerleistungen bei der Antragstellerin ein. Entsprechende Zahlungen auf diese Rechnungen wurden vom Konto der Antragstellerin geleistet. Die Ermittlungen haben ergeben, dass das Empfängerkonto der B GmbH trotz des Verkaufs der Gesellschaft weiterhin vom bisherigen faktischen Geschäftsführer, Herrn J, genutzt wurde.

    82

    -- Die Firma X Transport BV/NL hatte ihren Betrieb zum 21.07.2004 wegen Konkurses eingestellt. Trotzdem sind im Zeitraum von Februar bis November 2006 Rechnungen für Subunternehmerleistungen im Volumen von 313.858,- EUR gegenüber der Antragstellerin erteilt worden. Die Rechnungsbeträge will die Antragstellerin ausweislich ihrer Buchführung in bar beglichen haben.

    83

    -- Die Firma Y meldete ihr Gewerbe bereits zum 31.12.2006 ab. Zahlungseingänge der Antragstellerin für vermeintliche Subunternehmerleistungen wurden jedoch bis einschließlich März 2007 festgestellt.

    84

    -- Sämtliche der von der I AV A/DK (zweite Nachunternehmerebene) an die H GmbH (erste Nachunternehmerebene) ausgestellten Rechnungen weisen Ausstellungsdaten ab dem 03.11.2010 auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Firma I AV A/DK jedoch schon gelöscht (Zwangsauflösung zum 15.09.2010).

    85

    -- Im Zeitraum von Dezember 2008 bis Mai 2009 zahlte die Antragstellerin an die T Bau Expert GmbH insgesamt 106.256,- EUR für in Rechnung gestellte vermeintliche Subunternehmerleistungen. Nach den Feststellungen des Hauptzollamtes Osnabrück handelt es sich bei der T Bau Expert GmbH jedoch um eine inaktive Scheinfirma, die in der Zeit von Mai 2008 bis Dezember 2009 insgesamt Abdeckrechnungen in einem Umfang von über 8.000.000,- EUR an diverse Abnehmer erteilt hat. Der seinerzeitige Geschäftsführer, Herr T, ist mehrfach vorbestraft, heroinsüchtig und wird von den Strafverfolgungsbehörden als hochkriminell eingestuft. Er saß bis August 2007 in Haft und galt seit Juli 2009 unbekannten Aufenthaltes. Im Dezember 2009 wurde die Gesellschaft an einen „Firmenbestatter“ veräußert und später liquidiert.

    86

    -- Die von den serbischen, slowenischen und polnischen Nachunternehmen auf dritter Ebene ausgestellten Rechnungen an die Firma A.. A/DK (zweite Nachunternehmerebene) über auf Baustellen der Antragstellerin erbrachte Subunternehmerleistungen datieren aus dem Jahr 2011. Zu diesem Zeitpunkt sind die Firmen jedoch in Deutschland noch gar nicht aktiv gewesen. Eine steuerliche Erfassung erfolgte ausweislich der Ermittlungsergebnisse erst in den Jahren 2012 und 2013 (Vergabe einer gültigen Steuernummer, Freistellungsbescheinigungen etc.).

    87

    - Die Nachunternehmen zeichneten sich in der Regel durch eine in zeitlicher Hinsicht kurze sowie in tatsächlicher Hinsicht sehr wechselhafte Firmenhistorie aus. Sie wurden wenige Jahre nach ihrer Gründung veräußert, liquidiert oder wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht (oftmals nach nur 2 bis 4 Jahren). Während ihres Bestehens kam es in ungewöhnlicher Häufigkeit zu Änderungen des Unternehmensgegenstandes, zu Verlegungen des Firmensitzes und zu Wechseln in der Geschäftsführung (vgl. etwa die Y mit Gewerbeanmeldung vom 07.11.2005, Gewerbeummeldung vom 21.07.2006 und Gewerbeabmeldung vom 31.12.2006; die I AV A/DK mit einem Gewerbezeitraum vom 01.01.2008 bis zum 15.09.2010; die durchaus „bewegte“ Firmenhistorie der B GmbH mit Namensänderung, Sitzwechseln, Änderungen in der Geschäftsleitung, mehrfachen Änderungen der Gewerbeamtsdaten).

    88

    - Die Nachunternehmen verfügten ausweislich ihrer Handelsregistereinträge und Gewerbeanmeldungen jeweils über ein im Wirtschaftsverkehr ungewöhnlich breites Geschäfts- und Betätigungsfeld, was jedenfalls Zweifel an einer ordnungsgemäßen Betriebsführung aufkommen lässt (vgl. beispielhaft den Gegenstand der Firma H GmbH mit folgender Leistungspalette: „Gebäudemanagement, Industriemontage, Arbeitsvermittlung, Autovermietung, Baubetreuung, Bauorganisation, Bauplanung, Verbau von Fertignormteilen [Montagearbeiten], Akustikbau sowie Vermittlung und Ausführung von Arbeiten und Dienstleistungen, insbesondere im Baugewerbe“). Derart breite Fächerungen des Unternehmensgegenstandes sind im legalen Geschäftsverkehr eher ungewöhnlich, allerdings typisch für illegal agierende Servicefirmen, um auf diese Weise den potentiellen Interessenten für sog. Schein- bzw. Abdeckrechnungen ein möglichst vielfältiges Angebotsspektrum zu bieten.

    89

    - Die Nachunternehmen waren ausweislich der erbrachten Leistungen und der erzielten Umsätze bereits kurz nach ihrer Gründung in einer Art und Weise erfolgreich am Markt tätig, die für den allgemeinen Wirtschaftsverkehr untypisch ist. Sie verzeichneten schon während der Startphase - quasi „aus dem Stand heraus“ - sowie kontinuierlich während der ersten Monate des geschäftlichen Wirkens erhebliche Auftragseingänge und Umsatzvolumina. Die typischen Schwierigkeiten, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit der Orientierung und Etablierung am Markt hat, gab es nicht. Unternehmerisches Wachstum fand annähernd automatisch statt.

    90

    - Die Nachunternehmen verfügten häufig nicht über einen eigenen (regulären) Firmensitz oder sie übten ihre Aktivitäten lediglich aus kleinsten Geschäftsräumen aus. Teilweise handelte es sich sogar nur um sog. Domizil- oder Briefkastenfirmen (vgl. etwa die B GmbH, die von den häufig wechselnden Wohnsitzen ihres faktischen Geschäftsführers und zeitweise von der Anschrift eines Asylbewerberheims betrieben wurde; die Y, die ihren Sitz in unmittelbarer Nähe der B GmbH hatte [ ]; die A. A/DK, die nicht über einen eigenen Geschäftssitz verfügte, sondern unter der Anschrift des Steuerberaters firmierte; die I AV A/DK, deren Anschrift einer Wirtschaftsprüfungsfirma zuzuordnen war; beim juristischen Firmensitz der F in Slowenien soll es sich um eine Massendomiziladresse handeln).

    91

    - Die Nachunternehmen verfügten nicht über eine ordnungsgemäße (im Geschäftsverkehr übliche) Verwaltung. Es gab keine Hinweise auf das Vorhalten eines funktionsfähigen Büros, Sekretariats oder einer Registratur mit entsprechendem Personal (etwa für Schreibarbeiten, Telefondienste, Aktenverwaltung etc.).

    92

    - Bei den von den Ermittlungsbehörden durchgeführten Durchsuchungen von Geschäftsräumen der Nachunternehmen bzw. von Privatunterkünften der unternehmerisch Verantwortlichen entstand der Eindruck, dass von dort aus keinerlei geschäftliche Aktivitäten entfaltet worden sind (vgl. etwa die Durchsuchungen bei J als im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer der H GmbH).

    93

    - Die geschäftsführend handelnden Personen der Nachunternehmen waren sehr häufig identisch (so war etwa der bereits eben benannte J formaler Geschäftsführer der Firmen H GmbH, B GmbH, Y sowie A.. A/DK; faktischer Geschäftsführer dieser Firmen war nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden jeweils Herr J [Onkel des J]). Die Personenidentität ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Firmen insgesamt von denselben Hintermännern gesteuert wurden.

    94

    - In vielen Fällen verfügten die offiziell verantwortlichen Personen nicht über fachspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten der Baubranche (waren branchenfremd). Darüber hinaus hatten sie vielfach auch nicht das grundsätzliche Rüstzeug, welches zum selbständigen Führen eines Unternehmens notwendig ist (kaufmännische, organisatorische und wirtschaftliche Kenntnisse). Auch insofern wird auf den bereits zuvor erwähnten J, verwiesen, der parallel einem anderen Hauptberuf nachging und als Vollzeitkraft für die Firma Z Logistics GmbH arbeitete.

    95

    - Nicht selten waren die in der Geschäftsführung eines Nachunternehmens tätigen Personen zugleich als Arbeitnehmer anderer Nachunternehmen gemeldet (vgl. etwa den Geschäftsführer der I AV A/DK, der gleichzeitig als Arbeitnehmer bei der B GmbH angemeldet war; der ehemalige Geschäftsführer der A GmbH [Vorgänger der B GmbH] war als Arbeitnehmer der Antragstellerin tätig).

    96

    - Darüber hinaus lebten die verantwortlichen Personen häufig in einfachen oder allenfalls durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen, obwohl die von ihnen geleiteten Unternehmen teilweise Umsätze in Millionenhöhe erwirtschafteten (vgl. etwa Herrn L, der zunächst als Arbeitnehmer bei einer nicht streitbefangenen Servicefirma – der V.. GmbH/– registriert war, dann mehrere Jahre als vermeintlicher Geschäftsführer der Antragstellerin selbst fungierte und später wieder als „normaler“ Arbeitnehmer der Antragstellerin gemeldet war, nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden jedoch in sehr bescheidenen [ärmlichen] Verhältnissen lebte).

    97

    - Neben den formal geschäftsführungsbefugten Personen nahmen regelmäßig dritte Personen zentrale unternehmerische Befugnisse wahr (Verfügung über Konten, Korrespondenz mit Banken, Behörden und Steuerberatern etc.). Nicht zuletzt dieser Umstand spricht dafür, dass bei den Nachunternehmen häufig sog. Strohmänner in die Unternehmensführung integriert waren, was in der Regel in Fällen illegaler geschäftlicher Tätigkeiten zur Verschleierung der eigentlichen Initiatoren (Hintermänner) geschieht. Typisch für die Hintermänner (faktischen Geschäftsführer der Nachunternehmen) ist wiederum, dass diese sehr häufig ihren Wohnsitz wechselten, um ihren tatsächlichen Aufenthaltsort zu verdecken (so etwa Herr J, der nach den umfassenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden faktischer Geschäftsführer der Firmen H GmbH, Y, B GmbH, I AV A/DK und A. A/DK sowie weiterer nicht streitbefangener Servicefirmen – etwa der V. GmbH/– war und innerhalb des Streitzeitraums 15 verschiedene Wohnsitze inne hatte).

    98

    - Eine Reihe der Nachunternehmen kam ihren gesetzlichen – insbesondere steuerrechtlichen – Verpflichtungen in der Vergangenheit nur unzureichend nach (vgl. die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zu der Prüfung der H GmbH durch das Finanzamt M, zur Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen durch die T Bau Expert GmbH gegenüber dem Finanzamt P sowie zum Wechsel der steuerlichen Bevollmächtigten wegen „unangenehmen“ Nachfragen eines Steuerberaters zu den Geschäftsabläufen der H GmbH).

    99

    - Die Nachunternehmen verfügten offensichtlich nicht über die notwendigen Betriebsgrundlagen, um die gegenüber der Antragstellerin in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht zu haben (Maschinen, Fuhrpark, Werkzeuge, Material, Arbeitsmittel etc.). Eine adäquate Betriebsausstattung, um die jeweils laut Handelsregistereintrag außergewöhnlich breite Palette von Dienstleistungen überhaupt faktisch erbringen zu können, war grundsätzlich nicht vorhanden.

    100

    - Erst Recht verfügten die Nachunternehmen regelmäßig nicht über das entsprechende Personal (Arbeitnehmer), um die in den Rechnungen gegenüber der Antragstellerin ausgewiesenen Subunternehmerleistungen tatsächlich erbracht zu haben. Teilweise waren gar keine Arbeitnehmer registriert (so etwa bei der A.. A/DK), häufig war lediglich ein einzelner Arbeitnehmer angemeldet (so etwa bei der H GmbH), jedenfalls war die Anzahl der Beschäftigten aber keinesfalls ausreichend, um die umfangreichen Subunternehmerleistungen gegenüber der Antragstellerin faktisch bewirkt zu haben (vgl. beispielhaft die Feststellungen des Hauptzollamtes C zu den drei [nicht zeitgleich] gemeldeten „Arbeitnehmern“ der B GmbH). Auffällig ist zudem, dass sämtliche Nachunternehmen nicht über eine für die Baubranche übliche Personalstruktur – zusammen gesetzt aus leitendem bzw. verantwortlichem Personal (Poliere, Bauleiter etc.) einerseits und ausführenden Beschäftigten andererseits – verfügten.

    101

    - Soweit die Ermittlungsbehörden Arbeitnehmer der Nachunternehmen zeugenschaftlich vernommen haben (etwa der T Bau Expert GmbH), konnten diese weder bestätigen, dass ihr Arbeitgeber für die Antragstellerin überhaupt als Subunternehmen tätig war, noch sich daran erinnern, jemals auf einer der von der Antragstellerin konkret betreuten Baustellen eingesetzt worden zu sein.

    102

    - Sowohl bei der Antragstellerin als auch bei den vermeintlichen Subunternehmen fehlen Unterlagen, wie sie bei den in Rechnung gestellten Bauleistungen im Geschäftsverkehr alltäglich sind, z.B. Angebote, Aufmaße, Werkverträge oder sonstige Vertragsunterlagen, Protokolle über erbrachte und abgenommene Leistungen, Mängelanzeigen, Schriftverkehr oder sonstige Korrespondenz. Entsprechende (schriftliche) Unterlagen sind aber – jedenfalls im legalen Bereich der Baubranche – Gang und Gebe und gehören bei der Abwicklung von umfangreichen Bauleistungen unter Einschaltung von Subunternehmern zum üblichen Standard (zur eigenen Absicherung, aber auch zur Rechtfertigung gegenüber dem Auftraggeber). Ihr Fehlen indiziert in besonderem Maße, dass reale Geschäftsbeziehungen zwischen der Antragstellerin und den vermeintlichen Subunternehmern nicht vorgelegen haben. Denn es gehört gerade zu den wesentlichen Merkmalen inaktiver Servicefirmen, dass diese zwar über die im allgemeinen Wirtschaftsverkehr notwendigen Testate verfügen (Handelsregistereintrag, Gewerbeanmeldung, Unbedenklichkeitsbescheinigung etc.), individuelle (das jeweilige Subunternehmervertragsverhältnis betreffende) Dokumente (über die Erbringung spezifischer Leistungen) dagegen nicht aufzufinden sind.

    103

    - Die von den Nachunternehmen gestellten Rechnungen für vermeintliche Subunternehmerleistungen weisen vermehrt diverse Unrichtigkeiten und Unstimmigkeiten auf: Häufig entsprechen sie nicht dem üblichen Standard im Geschäftsverkehr und erst Recht nicht den Anforderungen, die der (Steuer-)Gesetzgeber an entsprechende Eingangsrechnungen stellt. Insbesondere die Angaben zur Art und zum Ort der Leistungserbringung sind entweder nur sehr pauschal oder fehlen ganz, was gegen eine konkrete Ausstellung im Einzelfall und für eine massenhafte Verwendung der Rechnungen spricht. Das Schriftbild der Rechnungen verschiedener Nachunternehmer ist überdies identisch, was auf die Nutzung der Rechnungsformulare durch dieselben Hintermänner schließen lässt. In einigen Fällen wurden Rechnungen mit fehlerhafter Anschrift (Ortsangabe) des rechnungsausstellenden Unternehmens erteilt, was auf ein Versehen desselben Rechnungsstellers als Hintermann bei der Verwendung gleicher Rechnungsvordrucke für verschiedene Nachunternehmen schließen lässt (vgl. insofern etwa die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zu den Rechnungen der I AV A/DK und der A. A/DK). Schließlich wurden von ein und demselben Nachunternehmen in Aufbau und Form völlig unterschiedliche Rechnungen erteilt (so etwa die Feststellungen zur F aus Slowenien).

    104

    - Die Zahlung der Rechnungsbeträge durch die Antragstellerin unmittelbar (in kurzer zeitlicher Abfolge) nach Rechnungsstellung, die sofortige und annähernd vollständige Abhebung der überwiesenen Gelder von den Konten der mutmaßlichen Subunternehmen sowie der ungewisse Verbleib des Kapitals stellen weitere ganz wesentliche Indizien für den Charakter der Nachunternehmen als bloße Servicefirmen dar. Ein derartiges Prozedere ist für den legalen Teil der Baubranche nicht üblich. Im Übrigen standen den Barabhebungen augenscheinlich keine entsprechenden Aufwendungen der Servicefirmen gegenüber. Zwar sind bei den Nachunternehmen der ersten Ebene jeweils Rechnungen über Leistungen von Nachunternehmen der zweiten Ebene finanzbuchhalterisch erfasst worden. Ein realer Geldfluss fand insofern jedoch nicht mehr statt. Zudem sind die Ordnungsmäßigkeit und damit die Echtheit gerade der Rechnungen von Firmen der zweiten und dritten Nachunternehmereben häufig angezweifelt worden (etwa von den eigenen Steuerberatern / Wirtschaftsprüfern oder durch die Finanzbehörden).

    105

    - Weiter ist indiziell zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin offensichtlich weder die Einschaltung von Subunternehmern an sich noch die Beauftragung konkreter Nachunternehmen gegenüber ihren Auftraggebern angezeigt hat, obwohl eine solche Offenlegung in der Baubranche üblich und häufig auch rechtlich verpflichtend ist. Denn für die Auftraggeber dürfte es regelmäßig von erheblicher Bedeutung sein, ob Bauleistungen durch eigene Arbeitnehmer eines beauftragten Unternehmens oder durch (weitere) Subunternehmer erbracht werden (etwa in Bezug auf die Sachkunde, die Zuverlässigkeit und die wirtschaftliche Situation der Leistenden). Eine Befragung der Auftraggeber (Bauleiter, Poliere etc.) durch die Ermittlungsbehörden hat durchgängig ergeben, dass dort keines der Nachunternehmen im Allgemeinen und erst Recht in Bezug auf die Mitwirkung an einem konkreten Bauprojekt der Antragstellerin bekannt war.

    106

    - Schließlich haben die Ermittlungsbehörden mannigfaltige Feststellungen zu geschäftlichen und vor allem persönlichen Verbindungen zwischen den einzelnen streitbefangenen und weiteren nicht streitbefangenen Nachunternehmen sowie insbesondere zu entsprechenden Verbindungen zwischen den Verantwortlichen dieser Nachunternehmen getroffen (so waren etwa häufig dieselben Arbeitnehmer in verschiedenen Funktionen bei den jeweiligen Nachunternehmen tätig und dort zu unterschiedlichen Zeiten sozialversicherungsrechtlich gemeldet; ferner gab es wechselseitige Anmeldungen der faktischen Geschäftsführer als Arbeitnehmer anderer Nachunternehmen, um krankenversichert zu sein; auch bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Arbeitnehmern, offiziellen und faktischen Geschäftsführern; des weiteren waren Arbeitnehmer und/oder Geschäftsführer einiger Nachunternehmen mit Anschrift am Firmensitz der Antragstellerin bzw. am Wohnort des faktischen Geschäftsführers M gemeldet). Diese Feststellungen deuten darauf hin, dass die beteiligten Firmen und Personen (Hintermänner) jeweils Teil eines Gesamtsystems von inaktiven Servicefirmen waren („Kettenbetrug mit Abdeckrechnungen“). In diesem Zusammenhang wird vor allem darauf hingewiesen, dass der im gesamten Streitzeitraum als faktischer Geschäftsführer der Antragstellerin tätige M ausweislich der Feststellungen im Bericht des Hauptzollamtes C intensive Kontakte zu fast allen Nachunternehmen unterhalten hat (und zwar bis in die dritte Nachunternehmerebene), durch die Weiterleitung von Informationen (etwa zu Banktransaktionen, Korrespondenz mit Banken und Steuerberatern), etwa auf sein Handy, laufend über die geschäftlichen Aktivitäten eines Großteils der Nachunternehmen informiert gewesen ist und darüber hinaus die Geschicke mehrerer Nachunternehmen über entsprechende Kontovollmachten selbst beherrscht bzw. jedenfalls mitgesteuert hat (so verfügte B5. M nicht nur durchgehend über Vollmachten zu den Konten der Antragstellerin selbst, sondern auch über das Privatkonto des vorherigen Geschäftsführers der Antragstellerin [L], über das Geschäftskonto der A GmbH [später B GmbH] sowie über die Geschäftskonten der nicht streitbefangenen V. GmbH/).

    107

    Die soeben angesprochenen Einzelfeststellungen der Ermittlungsbehörden sind jeweils durch Sachmittelbeweise hinterlegt. Sie sind ferner in ihrer Gesamtheit derart umfassend und präzise, dass für das Gericht im Ergebnis keinerlei Zweifel daran bestehen, dass es sich bei sämtlichen Nachunternehmen aller drei Ebenen um bloße Servicefirmen gehandelt hat, deren Abdeckrechnungen nicht leistungshinterlegt waren.

    108

    Den gegenteiligen Vortrag der Antragstellerin, die in ihrer Finanzbuchhaltung verzeichneten Subunternehmerleistungen seien von den in Rede stehenden Nachunternehmen tatsächlich erbracht worden, hält der Senat angesichts der Komplexität der Ermittlungen sowie mit Blick auf die Breite und Tiefe der Ermittlungsergebnisse für nicht glaubhaft. Die im Rahmen der Antragsbegründung als typisch geschilderte Arbeitsweise der Antragstellerin, sie habe für ihre Projekte jeweils den Bauleiter gestellt und die notwendigen Bauhelfer in Kolonnenstärke seien sodann von den Nachunternehmen abgeordnet worden, begegnet angesichts der detaillierten Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur Firmenhistorie und zur Ausstattung der Nachunternehmern (größtenteils waren dort gerade keine eigenen Arbeitnehmer gemeldet) erheblichen Zweifeln. Mit den einzelnen Aspekten, die für einen Servicecharakter der Nachunternehmen sprechen, hat sich die Antragstellerin im Übrigen nicht substantiiert auseinander gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es aus der Sicht des Gerichts auch nicht ausreichend, einen der Bauleiter der Antragstellerin (Herrn T1. T2.) als Zeugen für die vermeintliche Zusammenarbeit mit den Nachunternehmen zu benennen, zumal die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich auf präsente Beweismittel beschränkt ist.

    109

    Lediglich nachrichtlich weist das Gericht noch darauf hin, dass ihm einzelne der Nachunternehmen bereits aus einem anderen (Parallel-)Verfahren (mit ähnlichem Verfahrensgegenstand) als Servicefirmen, deren Unternehmensgegenstand annähernd ausschließlich im Vertrieb von Abdeckrechnungen zur Vertuschung des Einsatzes von Schwarzarbeit bestand, bekannt sind (etwa die Firmen H GmbH, I AV A/DK und A. A/DK).

    110

    c.

    111

    Nachdem der Senat in einem ersten Schritt zu der Überzeugung gelangt ist, dass die von der Antragstellerin in ihrer Finanzbuchhaltung erfassten Fremdleistungen der Firmen H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH tatsächlich nicht erbracht worden sind, geht er in einem zweiten Schritt darauf aufbauend davon aus, dass die Antragstellerin das durch die Abdeckrechnungen (den scheinweisen Einsatz von Subunternehmern) verschleierte Kapital (über den Weg der sog. Kick-Back-Zahlung) selbst für Schwarzlohnzahlungen an eigene Arbeitnehmer verwendet hat. Diese Überzeugung erlangt das Gericht aufgrund der Gesamtheit folgender Erwägungen:

    112

    (1) Die Ermittlungsbehörden haben den Nachweis für einen Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin zunächst strukturell durch die vorgenommenen Lohnquotenberechnungen geführt. Dem System der Lohnquotenermittlung liegt der Gedanke zu Grunde, die jeweilige spezifische Lohnquote eines Betriebes (Verhältnis der gezahlten Löhne zum durch eigene Arbeitnehmer erwirtschafteten Nettoumsatz) mit einer für die jeweilige Branche anerkannten (typisierten) Mindestlohnquote zu vergleichen. Insofern ist für den lohn- und arbeitsintensiven Teil der Baubranche (insbesondere bei der Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG) eine Mindestlohnquote von 66,67 % allgemein anerkannt (vgl. zur Begründung einer solchen Mindestlohnquote die strenge strafrechtliche Rechtsprechung des BGH, Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris).

    113

    Anknüpfend an diese Grundsätze haben die Ermittlungsbehörden auf der Grundlage der eigenen Angaben der Antragstellerin in ihrer Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie unter Verwendung des von der Rechtsprechung anerkannten Berechnungsschemas verschiedene Lohnquoten ermittelt, die für sich und im Vergleich miteinander den Einsatz illegaler Beschäftigung jedenfalls indiziell belegen (vgl. die Feststellungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.4.2).

    114

    Die Ermittlungsbehörden haben zunächst die sog. erklärte Lohnquote („Lohnquote (a)“) berechnet, bei der davon ausgegangen wird, dass der betriebliche Wareneinsatz und die verbuchten Fremdleistungen tatsächlich (wie erklärt) entstanden ist bzw. bezogen worden sind. Bereits die so berechnete „erklärte“ Lohnquote lag in den Streitjahren bei 68,49 % (2006), 56,22 % (2007), 48,36 % (2008), 36,09 (2009), 48,75 % (2010) und 31,16 % (2011), mithin durchschnittlich bei 48,18 % und damit ca. ein Drittel unter der typisierten Mindestlohnquote von 66,67 %.

    115

    Die Ermittlungsbehörden haben sodann eine weitere Lohnquote ermittelt, bei der sie die aus ihrer Sicht nachweislich nicht bezogenen Fremdleistungen (aus Abdeckrechnungen) unberücksichtigt gelassen haben („Lohnquote (b)“). Diese Lohnquote lag in den Streitjahren bei 32,65 % (2006), 28,94 % (2007), 24,54 % (2008), 14,06 % (2009), 20,63 % (2010) und 13,49 % (2011), mithin durchschnittlich nur bei 22,39 %.

    116

    Beide Lohnquoten belegen schon für sich, dass die Antragstellerin die von ihr gegenüber ihren Auftraggebern tatsächlich erbrachten Bauleistungen mit den in ihrem Unternehmen sozialversicherungsrechtlich und lohnsteuerrechtlich angemeldeten Arbeitnehmern faktisch nicht erbringen konnte. Der „Lohnquote (b)“ kommt dabei insofern erhöhte Bedeutung zu, als auch zur Überzeugung des Gerichts die von den Servicefirmen H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH in Rechnung gestellten Fremdleistungen tatsächlich nicht erbracht worden sind (vgl. die Ausführungen unter II.4.b.).

    117

    Die Ermittlungsbehörden haben sodann eine weitere Lohnquote ermittelt, bei der unterstellt worden ist, dass das durch Abdeckrechnungen verschleierte Kapital (Kapital aus nicht erbrachten Fremdleistungen der benannten Servicefirmen) von der Antragstellerin selbst für Schwarzlohnzahlungen verwendet wurde („Lohnquote (c)“). Diese Lohnquote lag in den Streitjahren bei 81,84 % (2006), 74,55 % (2007), 70,84 % (2008), 70,30 % (2009), 91,78 % (2010) und 88,77 % (2011), mithin durchschnittlich bei 79,68 %.

    118

    Der Umstand, dass bei dieser alternativen Berechnung in sämtlichen Streitjahren die Mindestlohnquote von 66,67 % überschritten wird, belegt jedenfalls strukturell den Einsatz von verschleiertem Kapital für Schwarzlohnzahlungen durch die Antragstellerin.

    119

    Die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen gegen die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur Lohnquote sind aus der Sicht des Senats nicht durchgreifend. Bei der Antragstellerin handelt es sich um ein Unternehmen des Baugewerbes, welches überwiegend lohn- und arbeitsintensive Leistungen i.S. des § 13b UStG erbringt. Vor diesem Hintergrund hält der Senat es grundsätzlich für gerechtfertigt, die von der Rechtsprechung als branchenüblich herausgearbeiteten Vergleichsmaßstäbe auch auf den Betrieb der Antragstellerin anzuwenden. Der Umstand, dass die Antragstellerin nach ihrer Behauptung einen Großteil ihrer Leistungen im Wege von Akkordarbeit erbringt, führt insofern zu keinem anderen Ergebnis. Auch Akkordarbeit ist eine Form von Lohnarbeit, bei der sich der Lohn nicht nach der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, sondern nach einer erreichten oder produzierten Stückzahl errechnet. Sie ist in der Baubranche nicht unüblich. Warum insofern ein Vergleich mit einer branchenüblichen Lohnquote unzulässig seien soll, erschließt sich dem Gericht nicht.

    120

    Der weitere Vortrag der Antragstellerin, der Vergleich mit einer branchenüblichen Lohnquote des lohn- und arbeitsintensiven Baugewerbes lasse außer Acht, dass von ihr eben nicht nur Personal, sondern in erheblichem Umfang auch Material eingesetzt werde, überzeugt gleichermaßen nicht. Nach Auffassung des Gerichts hat die Antragstellerin schon nicht ausreichend nachgewiesen, dass ihre betrieblichen Verhältnisse sich über den gesamten Streitzeitraum betrachtet gravierend von anderen (typischen) Unternehmen des Baugewerbes unterscheiden. Dazu hätte es substantiierter Ausführungen für sämtliche betroffenen Streitjahre bedurft. Darüber hinaus liegt der Materialeinsatz für das Streitjahr 2008 nach den eigenen Angaben der Antragstellerin gemessen an den Umsatzerlösen bei ca. 25 % (Umsatzerlöse: 1.527.000,- EUR, Materialeinsatz: 382.000,- EUR). Nach Ansicht des Gerichts ist es auch bei einem solchen Verhältnis durchaus noch gerechtfertigt, von einem lohn- und arbeitsintensiven Betrieb zu sprechen. Im Übrigen haben die Ermittlungsbehörden den von der Antragstellerin ausweislich ihrer eigenen Buchführung angefallenen Materialaufwand (betrieblichen Wareneinsatz) bei der Ermittlung der unterschiedlichen Lohnquoten vom Nettoumsatz aus betrieblicher Tätigkeit abgezogen und damit logisch zutreffend berücksichtigt.

    121

    Schließlich begegnet nach Auffassung des Gerichts auch die Art und Weise, wie die Ermittlungsbehörden die Lohnquoten berechnet haben, keinen durchgreifenden Bedenken. Die Modalitäten der Berechnung entsprechen in der Sache den von der Rechtsprechung gemachten Vorgaben (vgl. BGH, Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris). Ob die Lohnquote selbst sprachlich als „Bruttolohnquote“ (ausgehend von den erklärten Bruttolöhnen des Unternehmens) oder als „Nettolohnquote“ (Vergleichsmaßstab ist der im Unternehmen erwirtschaftete Nettoumsatz) bezeichnet wird, ist aus der Sicht des Gerichts letztlich nicht streitentscheidend.

    122

    (2) Die Ermittlungsbehörden haben bezogen auf das Unternehmen der Antragstellerin in 74 Fällen Feststellungen zum tatsächlichen Einsatz von illegal eingesetzten Arbeitnehmern getroffen (vgl. die Ausführungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.4.1 ff.), wobei die Begehungsformen unterschiedlich waren. Zum Teil sind auf den Baustellen der Antragstellerin Arbeitnehmer eingesetzt worden, die sozialversicherungsrechtlich / lohnsteuerlich gar nicht erfasst wurden. Darüber hinaus sind Arbeitnehmer eingesetzt worden, die zwar grundsätzlich im Lohnkonto der Antragstellerin erfasst waren, deren Lohnsumme im Zeitpunkt des faktischen Einsatzes auf Baustellen jedoch fehlerhaft mit 0,00 EUR angegeben war. Schließlich sind Arbeitnehmer eingesetzt worden, die in der Lohnbuchführung der Antragstellerin erfasst waren, bei denen der auf der Basis der tatsächlich geleisteten Arbeit errechnete Lohnanspruch (anhand des Mindestlohnes) erheblich über dem verbuchten Lohnaufwand lag. Den Feststellungen der Ermittlungsbehörden liegen unterschiedliche Nachweise zugrunde, etwa die Selbstanzeige eines Arbeitnehmer der Antragstellerin, bei der Antragstellerin im Rahmen der strafprozessualen Maßnahmen (Beschlagnahme) vorgefundene Stundennachweise und Bankunterlagen (z.B. über diverse Lohnüberweisungen von einem Privatkonto des Herrn E, der selbst als Arbeitnehmer der Antragstellerin gemeldet war und nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden als „rechte Hand“ des faktischen Geschäftsführers M anzusehen ist; von dort aus erfolgten die Überweisungen teilweise direkt, teilweise aber auch über weitere „Umwege“ [etwa eine Unternehmensberatung / Buchhaltungsservice aus G] an diverse Arbeitnehmer). Im Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes C werden exemplarisch einige Beispiele für den tatsächlichen Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin dargestellt. Darüber hinaus enthalten die dem Gericht vorgelegten Sachbeweisordner IX (Bände I bis III) insofern weitere dezidierte Feststellungen, u.a. einen Einzelvermerk zu jedem der eingesetzten „Schwarzarbeiter“. Die Beweisführung der Ermittlungsbehörden ist damit aus der Sicht des Gerichts überzeugend. Die Antragstellerin hat bisher keine konkreten und substantiierten Einwände erhoben, die geeignet wären, die Beweiskraft der Einzelfeststellungen nachhaltig zu erschüttern.

    123

    Die Feststellungen der Ermittlungsbehörden belegen zunächst Zweierlei: Zum einen zeigen sie exemplarisch, dass die Antragstellerin sich überhaupt des illegalen Instruments der Schwarzarbeit in der Vergangenheit bedient hat, mithin vor dem Einsatz verbotener Mittel dem Grunde nach nicht zurückschreckt. Zum Zweiten ist die Zahl der tatsächlich nachgewiesen Fälle von Schwarzarbeit (74) derart hoch, dass sie aus der Sicht des Gerichts durchaus die Schlussfolgerung auf einen systematischen Einsatz von illegaler Beschäftigung rechtfertigt. Insofern kann nach Auffassung des Senats nicht mehr von „Einzelfällen“, „Ausnahmen“ oder „Ausreißern“ gesprochen werden. Wenn das Hauptzollamt C in seinem Bericht vom 06.11.2014 selbst ausführt, der tatsächliche Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit habe lediglich „exemplarisch“ bzw. „fragmentarisch“ geführt werden können, dann ist diese Aussage der Länge des Streitzeitraums und der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Schätzung von Schwarzlohnzahlungen i.H. von insgesamt 2.870.818,04 EUR (netto) geschuldet. Dieser Umstand ändert zur Überzeugung des Gerichts jedoch nichts daran, dass dem tatsächlichen Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit in einem Umfang von insgesamt 74 Fällen (durchschnittlich 12 Fälle pro Streitjahr) eine derart starke Beweiskraft zukommt, die im Zusammenspiel mit weiteren mittelbaren und unmittelbaren Beweisen auch eine Schätzung in der genannten Größenordnung zu rechtfertigen in der Lage ist.

    124

    Der planmäßige Einsatz von Schwarzarbeit wird ferner noch durch einen zusätzlichen Aspekt verstärkt, den die Ermittlungsbehörden im Zuge ihrer Sachverhaltsfeststellungen aufgedeckt haben. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen lagen für eine Vielzahl von durch die Antragstellerin eingesetzten Arbeitnehmern Gewerbeanmeldungen vor. Solche Gewerbeanmeldungen dienen im illegalen Sektor der Baubranche dazu, den Einsatz von abhängig Beschäftigten (vor allem von Ausländern, die die Voraussetzungen zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung nicht erfüllen) zu verschleiern, etwa in Fällen stichprobenartiger Baustellenkontrollen durch die Zollbehörden. Dass sich auch die Antragstellerin dieses Mittels zur Verdeckung von Schwarzarbeit bedient hat, zeigen die weitergehenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden, wonach die mit einer Gewerbeanmeldung ausgestatteten Arbeitnehmern weder überhaupt steuerlich als Gewerbetreibende erfasst waren (bis in das Jahr 2013 wurden keine Steuernummern beantragt) noch Rechnungen über die von ihnen erbrachten Leistungen gegenüber der Antragstellerin erteilt haben. Das Vorhalten der Gewerbeanmeldung erfolgte damit offensichtlich nur pro forma. In diesem Zusammenhang verliert auch das von der Antragstellerin gegen den Haftungstatbestand vorgebrachte Argument, sie sei in der Vergangenheit häufig ohne Beanstandungen von den Zollbehörden bei Baustellenkontrollen überprüft worden, ganz erheblich an Aussagekraft.

    125

    (3) Den exemplarischen Einsatz von Schwarzarbeit konnten die Ermittlungsbehörden ferner durch eine bei der Antragstellerin beschlagnahmte Kalkulationsrechnung führen. Auf einem Internet-Banking-Kontoauszug haben die Verantwortlichen der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Geldeingang eines Auftraggebers für ein konkretes Projekt handschriftliche Vermerke zum Lohnaufwand für drei illegal beschäftigte Arbeitnehmer angebracht (vgl. Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 unter 3.2.4.1.2 nebst dazugehörigem Sachbeweisen). Auch wenn diese Feststellungen und Nachweise lediglich einen einzelnen Auftrag betreffen, so kommt ihnen jedoch eine nicht unbeachtliche indizielle Bedeutung für die Vorgehensweise der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Projektabwicklung zu.

    126

    (4) Aus von den Ermittlungsbehörden beschlagnahmten Schreiben der Firma T3. GmbH aus C2. (Auftraggeberin der Antragstellerin) folgt für den Senat, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit mehrfach Schwarzarbeiter auf ihren Baustellen eingesetzt hat. Die nachfolgenden Ausführungen in den Schreiben der Firma S GmbH, u.a. vom 29.09.2011 und 05.10.2011, sind aus der Sicht des Gerichts nicht anders zu würdigen (Hervorhebungen durch das Gericht):

    127

    „Wie soeben mit Ihnen besprochen legen wir größten Wert darauf, dass Sie uns zukünftig nur Mitarbeiter auf die Baustellen schicken, die eine Arbeitserlaubnis für Deutschland haben. … Auf der Baustelle in C3. wurden die Mitarbeiter von der Baustelle verwiesen, weil diese nur eine Scheinfirma-Tätigkeit ausführen. Dies ist der Firma H aufgefallen. Das gleiche Problem hatten wir schon einmal. Wir untersagen Ihnen ausdrücklich, Mitarbeiter einzusetzen, die keine gültige Arbeitserlaubnis haben.“

    128

    „Unter Hinweis auf das Telefonat vom gestrigen Tage weisen wir nochmals darauf hin, dass die Mitarbeiter ordnungsgemäß angemeldet sein müssen, der tariflichen Mindestlohn erhalten, und alle Unterlagen auf der Baustelle vorhalten müssen.“

    129

    Den Vortrag der Antragstellerin unterstellt, die Arbeiten auf den Baustellen seien vornehmlich durch Arbeitnehmer von Subunternehmen ausgeführt worden, hätte es entsprechende Beanstandungen durch die Antragstellerin bei ihren Nachunternehmen geben müssen (etwa unter Androhung der Kündigung der Geschäftsbeziehung). Ein legal arbeitendes Unternehmen würde entsprechende Beanstandungen eines Auftraggebers jedenfalls nicht hinnehmen, sondern (schriftliche) Reaktionen zeigen.

    130

    (5) Die Ermittlungsbehörden haben im Rahmen strafprozessualer Maßnahmen (z.B. Durchsuchung von Geschäfts- und Privaträumen) im Zusammenhang mit der Antragstellerin und ihren Nachunternehmen (insbesondere der Servicefirma H GmbH) diverse Unterlagen beschlagnahmt (Abdeckrechnungen und Unter-Abdeckrechnungen, Quittungen, Stundennachweise sowie vor allem handschriftliche Aufzeichnungen des faktischen Geschäftsführers der H GmbH - J - über Geldeingänge, Provisionsberechnungen, Verwendung von Geldern für Personal- und Sachmittel, Geldausgänge etc.), die in Verbindung mit einem Abgleich der Konten der Antragstellerin und der Servicefirmen das System der Generierung von Schwarzgeld unter Nutzung nicht leistungshinterlegter Abdeckrechnungen sowie in Form von „Kick-Back-Zahlungen“ in mehreren Fällen beispielhaft belegen (vgl. die Ausführungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.5.1.1.3.1.1 mit einzelnen Beispielen sowie den Sachbeweisordner VIII, Fach 10). Mit Hilfe dieser Unterlagen lassen sich eingehende Zahlungen der Antragstellerin auf Konten der H GmbH und nachfolgende Barabhebungen von diesen Konten einer sachlichen Verwendung der Gelder zum einen als Provisionseinbehalte zugunsten von Herrn J und zum anderen als Kick-Back-Zahlungen an die Antragstellerin konkret zuordnen. Darüber hinaus geben die Unterlagen auch Auskunft darüber, dass die H GmbH einen Teil ihrer betrieblichen Aufwendungen (für Personal- und Sachmittel) mit den Geldeingängen der Antragstellerin finanziert hat (Errechnung der Kick-Back-Zahlungen zugunsten der Antragstellerin unter Abzug von Löhnen, Mietzahlungen, Kfz-Aufwand etc.). Daraus folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass die Antragstellerin nicht nur Abdeckrechnungen der H GmbH eingekauft und zur Generierung von Schwarzgeld genutzt hat, sondern dass ihre Verantwortlichen die Servicefirma sogar beherrscht, jedenfalls aber erheblich (mit-)gesteuert haben. Zu diesen ganzen Feststellungen hat sich die Antragstellerin bisher weder außergerichtlich noch im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens erkennbar und erst Recht nicht detailliert geäußert.

    131

    (6) Vergleichbare Unterlagen über den Verkauf von Abdeckrechnungen, damit zusammenhängende Zahlungseingänge, Provisionseinbehalte und Kick-Back-Zahlungen haben die Ermittlungsbehörden auch in Bezug auf andere Abnehmer der H GmbH sichergestellt, etwa die Firmen BBau GmbH, KB-Bau GmbH und HD (vgl. Feststellungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 zu 3.2.5.1.1.3.1.2 und den dazugehörigen Sachbeweisordner VIII, Fächer 1 bis 9). Die im Rahmen dieser Rechnungsverkäufe einbehaltenen Provisionen sind ausweislich der durch die Ermittlungsbehörden vorgefundenen handschriftlichen Aufzeichnungen größtenteils zwischen dem faktischen Geschäftsführer der H GmbH, Herrn J, sowie dem (faktischen) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herrn M, hälftig geteilt worden.

    132

    Darüber hinaus haben die Ermittlungsbehörden eine entsprechende Praxis auch im Zusammenhang mit weiteren Servicefirmen feststellen und nachweisen können, etwa in Bezug auf die A. A/DK, die I AV A/DK sowie die nicht streitgegenständliche V.. GmbH/ (vgl. dazu Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 unter 3.2.5.1.6 sowie die dazugehörigen Beweismittelordner). Auch bei dem Verkauf von Abdeckrechnungen dieser Servicefirmen an Dritte sind die Provisionen häufig zwischen dem faktischen Geschäftsführer der Servicefirma, in den benannten Fällen war dies jeweils Herr J, und dem (faktischen) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herrn M, hälftig geteilt worden.

    133

    Auch wenn diese Feststellungen nicht im konkreten Zusammenhang mit dem Einsatz von Schwarzarbeitern durch die Antragstellerin stehen, so zeigen sie jedenfalls, dass der die Antragstellerin beherrschende Verantwortliche (B5. M) maßgeblich in ein komplettes System des Kettenbetrugs mittels Servicefirmen/Abdeckrechnungen verwickelt war. Auch hier weist der Senat nachrichtlich nochmals darauf hin, dass ihm der Einsatz von Schwarzarbeit im Zusammenhang mit erkauften Rechnungen der Firmen A. A/DK und V mbH/ aus einem Parallelverfahren bekannt ist.

    134

    (7) Der Senat verkennt bei seiner Entscheidung über die Zurechnung von Schwarzarbeit zu Lasten der Antragstellerin grundsätzlich nicht, dass das über Scheinrechnungen diverser Servicefirmen verschleierte Kapital im illegalen Sektor der Baubranche theoretisch zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden kann, nämlich einerseits zur Zahlung von Schwarzlöhnen an eigene Arbeitnehmer, andererseits aber auch zur Entlohnung von auf eigene Rechnung arbeitenden dritten Personen (weitere Subunternehmer oder sog. Kolonnenschieber).

    135

    Er hält die theoretische Möglichkeit einer alternativen Leistungserbringung durch Dritte in Bezug auf die Projekte und Baustellen der Antragstellerin jedoch aus mehreren Gründen für nicht wahrscheinlich und einen eventuell dahingehenden Vortrag der Antragstellerin darüber hinaus auch in rechtlicher Hinsicht für unzulässig:

    136

    Es entspricht zunächst allgemeinen Gepflogenheiten im illegalen Teil der Baubranche, dass Abdeckrechnungen in erster Linie dazu genutzt werden, um buchhalterisch Schwarzgeld zu generieren, welches dann wiederum zum Einsatz von eigenen Arbeitnehmern als Schwarzarbeiter (deren Aufwand naturgemäß keinen Eingang in die Finanzbuchhaltung finden kann) genutzt wird. Auf diese Weise wird versucht, den aus einem legalen Arbeitnehmereinsatz resultierenden Lohnnebenkosten, Lohnzusatzkosten und arbeitnehmerbedingten Fixkosten als besonders aufwandintensiven Faktoren aus dem Weg zu gehen. Die Abdeckrechnungen erteilenden Servicefirmen besitzen dabei typischerweise das rechtliche Gerüst einer offiziell am Markt agierenden Firma (Gewerbeanmeldung, Handelsregistereintrag, Unbedenklichkeitsbescheinigung etc.), sind tatsächlich jedoch wirtschaftlich inaktiv. Durch das Verbuchen entsprechender Abdeckrechnungen (fingierter Fremdleistungen) werden die eigenen (schwarz eingesetzten) Arbeitnehmer eines Unternehmens dann im Ergebnis zu Arbeitnehmern des Nachunternehmens, Lohnaufwand wird mithin in vermeintlich bezogene Fremdleistungen um deklariert. Diese Vorgehensweise hat nicht nur die skizzierten wirtschaftlichen Vorteile, sondern bietet dem die Abdeckrechnungen nutzenden Unternehmen im Falle etwaiger Kontrollen durch die Zoll-, Steuer- und Strafverfolgungsbehörden zusätzlich die Möglichkeit, bei der Frage nach der konkreten Ausführung der gegenüber den eigenen Auftraggebern tatsächlich erbrachten Leistungen auf eine außerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs liegende Kette von Nachunternehmen zu verwiesen, um sich auf diese Weise pauschal dem Haftungsrisiko des Arbeitgebers beim Einsatz von Schwarzarbeit zu entziehen. Bei genauer Betrachtung widerspricht eine derartige Argumentation jedoch der wirtschaftlichen Vernunft. Denn es dürfte aus der Sicht des die Nachunternehmerkette in Gang setzenden Unternehmens (hier der Antragstellerin) von vorneherein unrealistisch sein, auf legalem Wege erbrachte Subunternehmerleistungen über eine ganze Kette an Nachunternehmen hinweg zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen einkaufen zu können (erst Recht angesichts der Vorgaben zum Mindestlohn). Denn die besonders aufwandintensiven Faktoren (Lohnnebenkosten, Lohnzusatzkosten und arbeitnehmerbedingten Fixkosten) würden – jedenfalls im legalen Bereich des Baugewerbes – notwendigerweise auch an irgend einer Stelle der Nachunternehmerkette anfallen. Vor diesem Hintergrund spricht – wirtschaftlich betrachtet – Einiges dafür, dass der Verwender von rechtswidrig eingekauften Abdeckrechnungen das darin verschleierte Kapital selbst zum Einsatz von Schwarzarbeitern nutzt, um die skizzierten wirtschaftlichen Vorteile im eigenen Betrieb zur Geltung kommen zu lassen.

    137

    Darüber hinaus sind die von den Ermittlungsbehörden festgestellten Indizien zur Inaktivität und damit zum Servicecharakter der von der Antragstellerin eingesetzten Nachunternehmen (etwa zur Firmenhistorie, zur sachlichen und personellen Ausstattung der Firmen, zur Art und Weise der Rechnungsstellung, vgl. dazu ausführlich II.4.b.) derart umfangreich, stichhaltig und jedenfalls in ihrer Gesamtheit von entsprechend hoher Beweiskraft, dass die Antragstellerin unter dem Strich selbst nicht glaubhaft von einer tatsächlichen Leistungserbringung durch die jeweiligen Nachunternehmer ausgehen konnte. Wenn aber die Nichterbringung der verbuchten Subunternehmerleistungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht und auch für die Antragstellerin deutlich erkennbar war, stellt sich die Frage, wer sonst die von der Antragstellerin gegenüber ihren Auftraggebern abgerechneten und erbrachten Leistungen letztendlich ausgeführt hat. Eine hinreichend glaubhafte Antwort auf diese Frage geben die Ausführungen der Antragstellerin im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nicht. Der gegenteilige Vortrag der Antragstellerin, sie habe auf die tatsächliche Leistungserbringung durch die in Rede stehenden Nachunternehmen vertraut und die dabei auf Seiten der Subunternehmer eingeschalteten Arbeitnehmer sogar stichprobenartig überprüft, ist angesichts der Feststellungen der Ermittlungsbehörden über die tatsächlichen Gegebenheiten nicht nachvollziehbar und wirkt letztlich als bloße Schutzbehauptung.

    138

    Schließlich ist der Senat der Auffassung, dass sich die Antragstellerin aus rechtlichen Gründen auch nicht auf die theoretische Möglichkeit eines Einsatzes namentlich nicht bekannter Arbeitnehmer von Subunternehmen (etwa sog. Kolonnenschieber) berufen kann. Die Antragstellerin hat mit dem steuermindernden Ausweis von Fremdleistungen in Gestalt von Rechnungen der Nachunternehmen erster Ebene in ihrer Finanzbuchhaltung einen Sachverhalt vorgetragen, der sich nach den vorliegenden Erkenntnissen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als falsch herausgestellt hat. Denn die dort im Einzelnen ausgewiesenen Bauleistungen der Nachunternehmen sind von diesen mit großer Sicherheit gerade nicht erbracht worden. Wenn die Antragstellerin nunmehr alternativ vorträgt, die Leistungen seien aber von irgendjemandem – von dritter Seite (fremden Arbeitnehmern) – erbracht worden, so ist sie für diesen (Hilfs-)Vortrag zuvorderst beweispflichtig. Denn zum einen hat sie durch die jedenfalls unreflektierte steuerliche Erfassung eines falschen Ausgangssachverhalts (Verbuchung von Fremdleistungen, an deren tatsächlicher Erbringung bereits nach den objektiven Gegebenheiten und dem Geschäftsgebaren der Subunternehmer erhebliche Zweifel begründet waren) ihre steuerlichen Mitwirkungspflichten in erheblichem Maße verletzt. Zum anderen spielen sich die Vorgänge rund um die Einschaltung von Nachunternehmern ausschließlich in der betrieblichen Sphäre der Antragstellerin (in ihrem Betrachtens und Wissenskreis) ab (zu einer sphärenorientierten Beweisrisikoverteilung im Steuerrecht vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 76 FGO Tz. 72 ff.; § 96 FGO Tz. 69 ff. u. 89 ff.; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht20, § 22 Rz. 190 f.). Daher trägt die Antragstellerin letztlich die Verantwortung dafür, die Einschaltung von Subunternehmen / Arbeitnehmern im Rahmen der eigenen Leistungserbringung steuerlich hinreichend zu dokumentieren und nachzuweisen. Dieser Rechtsgedanke liegt auch dem § 160 AO zugrunde. Gelingt ihr ein entsprechender Nachweis nicht, ist es gerechtfertigt, dass der Antragsgegner vom Einsatz eigener Arbeitnehmer der Antragstellerin im Wege der Schwarzarbeit ausgeht, zumal dieser Sachverhalt durch eine Vielzahl von Indizien gestützt wird und in konkreten Einzelfällen auch nachgewiesen wurde.

    139

    d.

    140

    Der Antragsgegner war auf der Grundlage der Feststellungen der Ermittlungsbehörden auch zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (Schwarzlohnzahlungen) berechtigt. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann, hat sie diese zu schätzen (§ 162 Abs. 1 S. 1 AO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder seine Mitwirkungspflichten verletzt (§ 162 Abs. 2 S. 1 AO).

    141

    Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Nach den Gesamtumständen des Verfahrens ist zur Überzeugung des Gerichts der Schluss gerechtfertigt, dass die Antragstellerin dem Grunde nach neben den ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer in erheblichem Umfang weitere Arbeitnehmer illegal beschäftigt hat. Dass die schwarz entlohnten Arbeitnehmer nicht individualisiert werden können, liegt angesichts der Verschleierung ihres Einsatzes durch nicht erbrachte Fremdleistungen (Abdeckrechnungen) in Gestalt einer Nachunternehmerkette auf drei Ebenen in der Natur der Sache (zu einer entsprechenden Schätzungsbefugnis in Fällen von durch Abdeckrechnungen verschleierter illegaler Beschäftigung vgl. FG München, Beschluss v. 08.05.2012, 8 V 625/12, juris; FG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 15.05.2014, 6 K 1169/12, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20.01.2011, 9 K 9217/08, juris).

    142

    Der Einwand der Antragstellerin, die Haftungsinanspruchnahme beruhe nicht auf Tatsachen, sondern größtenteils auf Vermutungen, Verdachtsmomenten und Pauschalbehauptungen („Nach dem Grundsatz in dubio pro reo verbleibt: Nichts!“), ist angesichts der aufgezeigten Ermittlungsergebnisse zurückzuweisen. Aus den umfangreichen und detaillierten Feststellungen der Ermittlungsbehörden nebst Sachbeweisen ergibt sich für den erkennenden Senat vielmehr das Bild eines permanenten Einsatzes von illegal beschäftigten Arbeitnehmern durch die Antragstellerin.

    143

    Die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern alles in allem als schlüssig, wirtschaftlich möglich und maßvoll zu bezeichnen. Der Antragsgegner ist davon ausgegangen, dass nicht das gesamte in den Scheinrechnungen abgedeckte Kapital, sondern nur die von der Antragstellerin auf die Abdeckrechnungen der Nachunternehmen erster Ebene gezahlten Beträge zur Zahlung von Schwarzlöhnen gedient haben. Zugunsten der Antragstellerin hat der Antragsgegner ferner unterstellt, dass die Servicefirmen von den Rechnungsbeträgen jeweils eine Provision von 6 bzw. 20 % für ihre Dienstleistungen (Rechnungsstellung) einbehalten haben (auf der Grundlage der vorgefundenen handschriftlichen Aufzeichnungen zur Provisionsberechnung), so dass der Antragstellerin letztlich nur die Differenzbeträge zum Einsatz von Schwarzarbeit zur Verfügung gestanden haben. Diese Vorgehensweise ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Konkrete Einwendungen gegen die Höhe der Schätzungen hat die Antragstellerin insofern auch nicht erhoben.

    144

    Auch die pauschale Lohnsteuerberechnung auf der Grundlage des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI ist nicht zu beanstanden (vgl. FG München, Beschluss v. 08.05.2012, 8 V 625/12, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20.01.2011, 9 K 9217/08, juris; Krüger in T3., EStG34, § 42d EStG Rz. 50).

    145

    Schließlich sind die Schätzungen der Schwarzlohnzahlungen und der darauf entfallenden Lohnsteuern auch insofern nicht rechtswidrig, als sich in den Streitjahren unter Einbeziehung der zugeschätzten Beträge Lohnquoten ergeben, die über den von der Rechtsprechung anerkannten Mindestlohnquoten von 66,67 % des Nettoumsatzes liegen. Zum einen handelt es sich bei den vergleichend heranzuziehenden Rechtsprechungsvorgaben ausdrücklich um „Mindestwerte“, die im Einzelfall auch überschritten werden können. Zum Anderen hat die Antragstellerin durch die von ihr verbuchten, tatsächlich aber nicht erbrachten Fremdleistungen vermeintlicher Nachunternehmer selbst einen entsprechenden Anlass für die Höhe der Schätzungen gesetzt.

    146

    e.

    147

    Die Inanspruchnahme der Antragstellerin war schließlich auch ermessensgerecht. Einen allgemeinen Grundsatz, dass zunächst der Arbeitnehmer als Steuerschuldner der Lohnsteuer in Anspruch zu nehmen ist, gibt es nicht. Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist in der Regel ermessensfehlerfrei, wenn der Steuerabzug bewusst oder leichtfertigt versäumt worden ist (vgl. Krüger in T3., EStG33, § 42d EStG Rz. 31). Beim verschleierten Einsatz von Schwarzarbeit ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers erst Recht „vorgeprägt“ bzw. „intendiert“. Der Zweck der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG liegt in der Sicherung einer ordnungsgemäßen Besteuerung. Da dem Antragsgegner die Identität der schwarzbeschäftigten Arbeitnehmer im Einzelnen nicht bekannt ist, bedurfte es auch insofern keiner weiteren Begründung des Auswahlermessens. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Antragsgegners im Haftungsbescheid vom 02.03.2015 verwiesen (Vereinfachungsaspekt, fehlerhaftes Unterlassen vorgeschriebener Aufzeichnungen etc.).

    148

    5.

    149

    Die Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheides ist auch nicht wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 S. 1, 2. HS i.V. mit Abs. 2 S. 2 FGO auszusetzen.

    150

    Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. BFH, Beschlüsse v. 21.02.1990, II B 98/89, juris; v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris).

    151

    Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats aus mehreren Gründen nicht vor. Die Antragstellerin hat die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz (Insolvenz) allenfalls behauptet, jedoch weder näher konkretisiert noch glaubhaft gemacht. Angesichts der wirtschaftlichen Situation in den Streitjahren (Umsatzerlöse von ca. 8 Mio. EUR) erscheint es auch nicht zwingend, dass die Antragstellerin den Gesamthaftungsbetrag nicht zu leisten in der Lage ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin nach den eingehenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden eine etwaige Härte durch ihr in höchstem Maße rechtswidriges Verhalten selbst herbeigeführt hat, was berechtigte Zweifel an der Unbilligkeit der Vollziehung aufkommen lässt.

    152

    6.

    153

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebieteEStG, FGO, UStGVorschriften§ 41a EStG § 69 Abs. 3 FGO § 13b UStG