15.12.2015 · IWW-Abrufnummer 146023
Oberlandesgericht Braunschweig: Beschluss vom 27.05.2015 – 1 Ss 14/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ss 14/15
AG Braunschweig: 6 Ds 400 Js 47400/12
StA Braunschweig: 400 Js 47400/12
GenStA Braunschweig: 205 Ss 8/15
In der Strafsache
g e g e n
U. F. ,
geboren am 1962 in W.,
wohnhaft ………,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt ……… -
wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 27. Mai 2015 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 1. Dezember 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Braunschweig den Angeklagten wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 13 Fällen mit einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,- € belegt.
Nach den Urteilsfeststellungen erklärte sich der Angeklagte, der im Hauptberuf Polizeibeamter ist, Ende der 90er Jahre „aus Freundschaft und alter Verbundenheit“ dazu bereit, sich als Inhaber der Einzelfirma G. Transporte, Braunschweig, eintragen zu lassen. Tatsächlich sei das Unternehmen jedoch - wie von Anfang an beabsichtigt - allein von dem Zeugen A. D. geführt worden. Außerdem habe der Angeklagte die Geschäftsführung der G. D. Spedition GmbH mit Sitz in B. übernommen. Tatsächlich sei er jedoch lediglich „Strohmann“ der GmbH gewesen. Die Geschäfte der Gesellschaft seien ebenfalls von A. D. geführt worden. Sowohl die Einzelfirma (Taten Nr. 1 bis Nr. 11) als auch die GmbH (Taten Nr. 12 und Nr. 13) führten nach den Feststellungen des Amtsgerichts keine Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ab. Dem Angeklagten sei „die schlechte finanzielle Situation“ beider Unternehmen (Ursache für die Beitragsrückstände) bewusst gewesen, weil er am 17. Januar 2012 erlebt habe, dass das Finanzamt ohne Erfolg in das Vermögen der GmbH gepfändet habe. Wegen der einzelnen, im Zeitraum von Januar 2012 bis März 2012 aufgetretenen Beitragsrückstände sowie wegen der betroffenen Krankenkassen und Arbeitnehmer wird auf die Feststellungen des Urteils vom 1. Dezember 2014 verwiesen.
Der Angeklagte hat gegen das genannte Urteil am 8. Dezember 2014 Rechtsmittel eingelegt. Nach Zustellung der Urteilsgründe am 19. Dezember 2014 hat er dieses mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2014 (eingegangen am 12. Januar 2015), der zugleich der Begründung des Rechtsmittels dient, als Revision bezeichnet. Der Angeklagte beantragt Freispruch. Hilfsweise begehrt er, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und bringt vor, er sei bloß „Strohmann“ gewesen und daher weder als Arbeitgeber anzusehen noch in der Lage gewesen, Einfluss auf die Geschäftsabläufe zu nehmen. Er könne schon mangels faktischer Einwirkungsmöglichkeit nicht bestraft werden. Das Amtsgericht habe sich zudem nicht mit der Zahlungsfähigkeit der jeweiligen Beitragsschuldner auseinandergesetzt. Tatsächlich sei die G. D. Spedition GmbH zahlungsunfähig gewesen, so dass sie die Sozialversicherungsbeiträge nicht habe entrichten können. Auch hätte zum maßgeblichen Zeitpunkt weder das Betriebsvermögen der Einzelfirma G. Transporte noch sein Privatvermögen ausgereicht, um die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung vom 23. Dezember 2014 verwiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.
II.
Die Revision ist als Sprungrevision statthaft (§ 335 StPO) und auch sonst zulässig; sie ist insbesondere sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat in der Sache ein zumindest vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist auf den Hilfsantrag aufzuheben, weil die Feststellungen des Amtsgerichts die Verurteilung wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) nicht tragen.
1.
Ein erster Rechtsfehler liegt vor, weil - zumindest bei den Taten Nr. 1 bis Nr. 11 (Einzelfirma) - ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob der Angeklagte überhaupt als Arbeitgeber gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV zur Abführung der Beiträge verpflichtet war. Wer Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits auf das Dienstvertragsrecht abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, demgegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind (BGH, NStZ-RR 2014, 246, 247 f.). An einer solchen Gesamtbetrachtung fehlt es. Die erforderliche Gesamtbetrachtung wird insbesondere - deshalb kommt insoweit derzeit auch kein Freispruch in Betracht - nicht dadurch ersetzt, dass das Unternehmen nach den Urteilsfeststellungen allein von dem Zeugen A. D. geführt wurde. Denn das Amtsgericht legt nicht näher dar, auf welche konkreten Feststellungen es diese Bewertung stützt. Sollten die Ausführungen des Amtsgerichts dahingehend zu verstehen sein, dass der Zeuge Ding das operative Geschäft betrieben hat, würde das der Einordnung des Angeklagten als Arbeitgeber jedenfalls nicht zwingend entgegenstehen, wenn er beispielsweise die schriftlichen Arbeitsverträge unterzeichnet sowie im Verkehr mit den Behörden und dem Steuerberater aufgetreten wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2012, 5 StR 288/11, juris, Rn. 15 = NJW 2012, 2051).Dies wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht aufzuklären haben.
2.
Ein weiterer, gegenüber sämtlichen Straftaten durchgreifender Rechtsfehler des angefochtenen Urteils besteht darin, dass es das Amtsgericht unterlassen hat, für jeden Fälligkeitszeitpunkt (§ 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV) gesondert Feststellungen zu der Anzahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen. Solche Feststellungen sind regelmäßig nötig (BGH, Urteil vom 20.03.1996, 2 StR 4/96, juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 28.02.2007, 5 StR 544/06, juris; BGH, Urteil vom 11.08.2010, 1 StR 199/10, juris, Rn. 13), fehlen hier jedoch.
Die bloße Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate genügt demgegenüber nur dann, wenn das Urteil auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht (BGH, Beschluss vom 07.10.2010, 1 StR 424/10, juris = NStZ 2011, 161). Ob dem Urteil solche Beitragsnachweise, also Berechnungen der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber, zugrunde liegen, ergibt sich aus den Feststellungen ebenfalls nicht.
3.
Ein dritter Rechtsfehler folgt daraus, dass sich das angefochtene Urteil, obgleich § 266 a StGB ein echtes Unterlassungsdelikt ist (vgl. hierzu: Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266 a Rn. 41), nicht damit auseinandersetzt, ob den handlungspflichtigen Beitragsschuldnern die Erfüllung der Beitragspflicht möglich und zumutbar war. Das Amtsgericht hätte sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Zahlungsfähigkeit der Beitragsschuldner auseinandersetzen müssen, weil die finanzielle Situation beider Unternehmen nach den Feststellungen bereits am 17. Januar 2012 (erfolglose Pfändung des Finanzamts in das Vermögen der GmbH), also vor Fälligkeit sämtlicher Beiträge, schlecht gewesen sein soll.
4.
Dass der Angeklagte die Taten nach den Urteilsfeststellungen „glaubhaft eingeräumt“ hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil ein Geständnis nicht die Darstellung der rechtlich relevanten Tatsachen ersetzt (BGH, Urteil vom 11.08.2010, 1 StR 199/10, juris, Rn. 13f.).
III.
Wegen der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig mitsamt der Feststellungen gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist im Um-fang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst, da der endgültige Ausgang des Verfahrens offen ist.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte bei den Taten Nr. 12 und Nr. 13 (Arbeitgeber ist hier die G. D. Spedition GmbH) im Gegensatz zur Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (NStZ-RR 2001, 173) selbst dann Normadressat i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wenn er tatsächlich nur als „Strohmann“ neben dem faktischen Geschäftsführer A. D. gehandelt hätte. Nach zutreffender Ansicht des Bundesgerichtshofs begründet allein die Stellung als formeller Geschäftsführer die Verantwortlichkeit des Angeklagten als Organ der Gesellschaft nach außen und damit seine Einstandspflicht für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten (BGH, NJW 2002, 2480, 2482). Das Oberlandesgericht Hamm, auf das sich die Generalstaatsanwaltschaft beruft, verkennt, dass allein diese Stellung dem Geschäftsführer die nach außen unbeschränkte (§ 37 Abs. 2 GmbHG) Rechtsmacht verschafft, die öffentlich-rechtliche Pflicht zu erfüllen (BGH, Urteil vom 15.10.1996, VI ZR 319/95 = MDR 1997, Seite 151). Etwaige interne Weisungen, die der Erfüllung öffentlicher-rechtlicher Pflichten entgegenstehen, hat der Geschäftsführer nicht zu beachten (Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl., § 37 Rn. 59).
Selbst wenn der Angeklagte öffentlich-rechtliche Pflicht aus § 266a StGB mit der Folge einer eingeschränkten strafrechtlichen Haftung intern auf den Zeugen Ding delegiert hätte, was in Grenzen zulässig ist (dazu: BGH, NJW 2002, 2480, 2482; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266a, Rn. 15), wäre er auf der Basis der Urteilsfeststellungen seiner fortbestehenden Überwachungspflicht nicht nachgekommen, weil die Anforderungen an die Pflicht zum Eingreifen des Geschäftsführers in der Unternehmenskrise besonders streng sind (BGH, NJW 2002, 2480, 2482; BGH, Urteil vom 15.10.1996, VI ZR 319/95 = MDR 1997, S.151; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266a, Rn. 15) und jedenfalls der fruchtlose Pfändungsversuch des Finanzamtes eine solche Situation begründete.
Für die Taten Nr. 1 bis Nr. 3 des angefochtenen Urteils (Beitragsrückstände bei der Barmer GEK) wird zudem zu beachten sein, dass der Zeuge A. D., sollte er gegebenenfalls neben dem Angeklagten oder gar an dessen Stelle Arbeitgeber sein, nicht zugleich als Arbeitnehmer in Betracht kommt.
Das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht wird evt. auch zu berücksichtigen haben, dass das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen während der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist des § 15a Abs. 1 InsO gerechtfertigt ist und der Vorrang der Beitragspflicht erst mit Fristablauf wieder auflebt (BGH NJW 2003, 3787; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266a, Rn. 51 f. m.w.N.).
Ausgefertigt
Braunschweig, 28.05.2015