15.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186593
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 01.02.2016 – 23 W 1/16
Die Aussetzung der Verhandlung gemäß § 149 I ZPO kommt im Falle des Verdachts einer Steuerstraftat in der Regel nicht in Betracht.
Kammergericht Berlin
Beschl. v. 01.02.2016
Az.: 23 W 1/16
In dem Rechtsstreit
############ ./. ###
hat der 23. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Domke als Einzelrichter beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23.10.2015 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die beiden Gesellschafter der Beklagten sind zerstritten. Gemäß § 9 II der Satzung der Beklagten werden die Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss bestellt und abberufen. In § 3 III des am 04.06.2014 mit der bereits am 07.04.2014 zur Geschäftsführerin bestellten Klägerin geschlossenen Anstellungsvertrages vereinbarten diese und die Gesellschafter der Beklagten, dass ein Gesellschafter allein den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.
Der Gesellschafter A kündigte den Anstellungsvertrag namens der Beklagten mit Schreiben vom 04. und 28.09.2014 fristlos. U.a. erhob er die Vorwürfe, die Klägerin lasse sich von dem Mitgesellschafter B zum Nachteil der Beklagten beeinflussen und habe zudem die Kassensysteme der von der Beklagten betriebenen Gaststätten manipuliert, um unbemerkt Einnahmen entnehmen zu können.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das Anstellungsverhältnis nicht durch die außerordentlichen Kündigungen beendet wurde. Das Landgericht hat den Rechtsstreit wegen des dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Berlin angezeigten Verdachts einer Steuerstraftat ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Zur Entscheidung ist gemäß § 568 S. 1 ZPO der Einzelrichter berufen.
Die gemäß §§ 252, 567 I Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen gemäß § 569 I 1 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Die Ermittlung einer etwaigen Steuerstraftat hat keinen Einfluss auf die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung, § 149 I ZPO.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kündigungen bereits nicht wirksam erklärt wurden. Selbst wenn man in dem von beiden Gesellschaftern der Beklagten unterschriebenen Anstellungsvertrag inzident einen Gesellschafterbeschluss erblicken wollte, so handelte es sich bei der von der Annexkompetenz zur Abberufung abweichenden Regelung in § 3 III des Vertrages wegen der für die Zeit der Anstellung der Klägerin gegebenen Anwendbarkeit um eine dauernde und damit zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung (BGH, Urt. v. 07.06.1993 - II ZR 81/92 -, jurisRn. 13; kritisch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 20. Aufl., § 53, Rn. 48), die mangels notarieller Beurkundung und Eintragung der Änderung des Gesellschaftsvertrages im Handelsregister unwirksam wäre, §§ 53 II, 54 GmbHG (BGH, a.a.O., jurisRn. 12). Allerdings käme eine Umdeutung dahin in Betracht, dass die Klägerin und die Gesellschafter der Beklagten eine entsprechende schuldrechtliche (Neben-) Abrede in dem Anstellungsvertrag geschlossen haben (RG, Urt. v. 18.02.1913 - VII 482/12; BGH, a.a.O., Rn. 15; Ulmer, GmbHG, § 53, Rn. 41).
Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Frist des § 626 II BGB eingehalten hat. Die Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie erst innerhalb der Frist des § 626 II BGB Kenntnis von den Kündigungsgründen erlangt hat (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl. § 626, Rn. 6; BAG, Urt. v. 01.02.2007 - 2 AZR 333/06 -, jurisRn. 21).
b) Die Ermittlung einer etwaigen Steuerstraftat hat jedenfalls deshalb keinen Einfluss auf die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung, weil die Ermittlungsbehörde das Landgericht nicht über die Ermittlungen bzw. deren Ergebnis unterrichten darf.
§ 30 AO regelt den Datenschutz in Steuersachen (Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 30, Rn. 1, 1a). Sie gewährt im Grundsatz umfassende Geheimhaltung aller personenbezogenen Daten sowie - darüber hinausgehend - aller fremden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Unter welchen Voraussetzungen die Geheimhaltungspflicht für den in § 30 I und III AO bestimmten Personenkreis nicht gilt, ist in mehreren umfangreichen, detaillierten Regelungen normiert, welche den Schwerpunkt der Norm ausmachen (§ 30 IV AO). Dabei wird die Offenbarung zugelassen u.a. durch Spezialgesetz und mit Zustimmung des Betroffenen, derer es vor allem im Allgemeinen für die Offenbarung von Daten im Zivilrechtsstreit bedarf (Klein/Rüsken, a.a.O.; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rn. 535; vgl. ferner BFH, B. v. 03.05.1983 - VII B 107/82, jurisRn. 12).
Spezialnormen, die die Bekanntgabe in einem Zivilprozess rechtfertigen, existieren nicht; insbesondere gestattet § 273 II Nr. 2 ZPO die Offenbarung nicht. Weder die Vorschrift über die Gewährung von Amtshilfe, Art. 35 GG, noch das Informationsfreiheitsgesetz erlauben die Offenbarung (Klein/Rüsken, a.a.O., Rn. 104, 104a).
Eine Zustimmung der Betroffenen liegt nicht vor. Da die Verhältnisse der Beklagten in Rede stehen, muss die Zustimmung der Gesellschafter, und zwar aller vorliegen (Alber in H/H/S, a.a.O., § 30, Rn. 170). Daran fehlt es. Darauf, dass die Klägerin sich von den Ermittlungen eine Widerlegung der gegen sie erhobenen Vorwürfe erhofft, kommt es nicht an.
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (BGH, B. v. 12.12.2005 - II ZB 30/04 -, jurisRn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 252, Rn. 3).
Beschl. v. 01.02.2016
Az.: 23 W 1/16
In dem Rechtsstreit
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hat der 23. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Domke als Einzelrichter beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23.10.2015 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die beiden Gesellschafter der Beklagten sind zerstritten. Gemäß § 9 II der Satzung der Beklagten werden die Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss bestellt und abberufen. In § 3 III des am 04.06.2014 mit der bereits am 07.04.2014 zur Geschäftsführerin bestellten Klägerin geschlossenen Anstellungsvertrages vereinbarten diese und die Gesellschafter der Beklagten, dass ein Gesellschafter allein den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.
Der Gesellschafter A kündigte den Anstellungsvertrag namens der Beklagten mit Schreiben vom 04. und 28.09.2014 fristlos. U.a. erhob er die Vorwürfe, die Klägerin lasse sich von dem Mitgesellschafter B zum Nachteil der Beklagten beeinflussen und habe zudem die Kassensysteme der von der Beklagten betriebenen Gaststätten manipuliert, um unbemerkt Einnahmen entnehmen zu können.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das Anstellungsverhältnis nicht durch die außerordentlichen Kündigungen beendet wurde. Das Landgericht hat den Rechtsstreit wegen des dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Berlin angezeigten Verdachts einer Steuerstraftat ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Zur Entscheidung ist gemäß § 568 S. 1 ZPO der Einzelrichter berufen.
Die gemäß §§ 252, 567 I Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen gemäß § 569 I 1 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Die Ermittlung einer etwaigen Steuerstraftat hat keinen Einfluss auf die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung, § 149 I ZPO.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kündigungen bereits nicht wirksam erklärt wurden. Selbst wenn man in dem von beiden Gesellschaftern der Beklagten unterschriebenen Anstellungsvertrag inzident einen Gesellschafterbeschluss erblicken wollte, so handelte es sich bei der von der Annexkompetenz zur Abberufung abweichenden Regelung in § 3 III des Vertrages wegen der für die Zeit der Anstellung der Klägerin gegebenen Anwendbarkeit um eine dauernde und damit zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung (BGH, Urt. v. 07.06.1993 - II ZR 81/92 -, jurisRn. 13; kritisch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 20. Aufl., § 53, Rn. 48), die mangels notarieller Beurkundung und Eintragung der Änderung des Gesellschaftsvertrages im Handelsregister unwirksam wäre, §§ 53 II, 54 GmbHG (BGH, a.a.O., jurisRn. 12). Allerdings käme eine Umdeutung dahin in Betracht, dass die Klägerin und die Gesellschafter der Beklagten eine entsprechende schuldrechtliche (Neben-) Abrede in dem Anstellungsvertrag geschlossen haben (RG, Urt. v. 18.02.1913 - VII 482/12; BGH, a.a.O., Rn. 15; Ulmer, GmbHG, § 53, Rn. 41).
Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Frist des § 626 II BGB eingehalten hat. Die Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie erst innerhalb der Frist des § 626 II BGB Kenntnis von den Kündigungsgründen erlangt hat (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl. § 626, Rn. 6; BAG, Urt. v. 01.02.2007 - 2 AZR 333/06 -, jurisRn. 21).
b) Die Ermittlung einer etwaigen Steuerstraftat hat jedenfalls deshalb keinen Einfluss auf die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung, weil die Ermittlungsbehörde das Landgericht nicht über die Ermittlungen bzw. deren Ergebnis unterrichten darf.
§ 30 AO regelt den Datenschutz in Steuersachen (Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 30, Rn. 1, 1a). Sie gewährt im Grundsatz umfassende Geheimhaltung aller personenbezogenen Daten sowie - darüber hinausgehend - aller fremden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Unter welchen Voraussetzungen die Geheimhaltungspflicht für den in § 30 I und III AO bestimmten Personenkreis nicht gilt, ist in mehreren umfangreichen, detaillierten Regelungen normiert, welche den Schwerpunkt der Norm ausmachen (§ 30 IV AO). Dabei wird die Offenbarung zugelassen u.a. durch Spezialgesetz und mit Zustimmung des Betroffenen, derer es vor allem im Allgemeinen für die Offenbarung von Daten im Zivilrechtsstreit bedarf (Klein/Rüsken, a.a.O.; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rn. 535; vgl. ferner BFH, B. v. 03.05.1983 - VII B 107/82, jurisRn. 12).
Spezialnormen, die die Bekanntgabe in einem Zivilprozess rechtfertigen, existieren nicht; insbesondere gestattet § 273 II Nr. 2 ZPO die Offenbarung nicht. Weder die Vorschrift über die Gewährung von Amtshilfe, Art. 35 GG, noch das Informationsfreiheitsgesetz erlauben die Offenbarung (Klein/Rüsken, a.a.O., Rn. 104, 104a).
Eine Zustimmung der Betroffenen liegt nicht vor. Da die Verhältnisse der Beklagten in Rede stehen, muss die Zustimmung der Gesellschafter, und zwar aller vorliegen (Alber in H/H/S, a.a.O., § 30, Rn. 170). Daran fehlt es. Darauf, dass die Klägerin sich von den Ermittlungen eine Widerlegung der gegen sie erhobenen Vorwürfe erhofft, kommt es nicht an.
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (BGH, B. v. 12.12.2005 - II ZB 30/04 -, jurisRn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 252, Rn. 3).
RechtsgebieteZPO, GmbHGVorschriftenZPO § 149 Abs. 1; GmbHG § 53 Abs. 2; GmbHG § 54