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  • 08.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187091

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 20.04.2016 – 7 K 2354/13 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    7 K 2354/13 E

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Die Beteiligten streiten über die Höhe von Hinterziehungszinsen.

    3

    Die Kläger sind Erben des am xx.xx.2015 verstorbenen A.. Dieser wurde bis 2003 mit seiner in diesem Jahr verstorbenen Ehefrau zusammen und ab 2004 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Der Erblasser erzielte unter anderem Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Zahnarzt.

    4

    Die Zeitpunkte des Eingangs der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2003 bis 2005 und für die Vorjahre beim Beklagten sowie der hierauf ergangenen Einkommensteuerbescheide und die Höhe der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlages und der anzurechnenden Beträge (Zinsabschlagsteuer und Kapitalertragsteuer) ergeben sich aus der folgenden Übersicht (alle Beträge in EUR):

    5
     
    Jahr    Eingang    Bescheid    ESt    SolZ      
    1999    28.8.2002    18.8.2004    13.100,32    720,52      
    2000    12.9.2002    25.9.2002    17.719,33    974,56      
    2001    24.3.2003    15.4.2003    25.616,75    1.408,92      
    2002    6.5.2005    12.8.2005    14.672,00    806,96      
    2003    13.1.2006    25.8.2006    0,00    0,00      
    2004    21.7.2006    25.8.2006    0,00    0,00      
    2005    25.8.2007    11.10.2007    4.497,00    247,33     

    6

    Teilweise waren zuvor Schätzungsbescheide ergangen.

    7

    In den Bescheiden für 1999 bis 2004 wurden erklärungsgemäß folgende Kapitalerträge und Werbungskosten sowie Steueranrechnungsbeträge (Kapitalertragsteuer und Zinsabschlagsteuer) berücksichtigt:

    8
     
    Jahr    Kapitalerträge    Werbungskosten    Abzug ESt    Abzug SolZ      
    1999    23.190 DM    238 DM    126 DM    6,93 DM      
    2000    190 DM    0 DM    312 DM    17,13 DM      
    2001    80.336 DM    0 DM    376 DM    20,63 DM      
    2002    174 €    0 €    188 €    10,28 €      
    2003    147 €    0 €    107 €    5,87 €      
    2004    139 €    0 €    112 €    6,12 €     

    9

    Für das Jahr 1999 erging am 2.12.2004 ein Änderungsbescheid, mit dem die Einkommensteuer auf 13.119,75 EUR heraufgesetzt wurde. Für das Jahr 2000 ergingen am 23.10.2002 und am 7.11.2002 geänderte Bescheide, mit denen die Einkommensteuer auf 17.654,91 EUR bzw. 17.527,09 EUR festgesetzt wurde. Für das Jahr 2001 ergingen Änderungsbescheide am 8.8.2003 und am 25.8.2006. Mit diesen Bescheiden wurde die Steuer auf 25.882,62 EUR bzw. 26.223,14 EUR festgesetzt. Sämtliche Änderungsbescheide betrafen nicht die Einkünfte aus Kapitalvermögen. Für das Jahr 2001 wurden die Steueranrechnungsbeträge auf 388,- DM (ESt) bzw. 21,26 DM (SolZ) erhöht.

    10

    Einkommensteuer-Vorauszahlungen setzte der Beklagte für die jeweiligen Quartale wie folgt fest:

    11
     
    Bescheid vom    Festsetzung ab    ESt    SolZ      
    19.2.2001    I/2001    6.306 DM    346 DM      
         I/2002    3.224 €    176 €      
    10.12.2004    IV/2004    0 €    0 €      
         I/2005    3.224 €    177 €      
    6.6.2005    II/2005    0 €    0 €      
         I/2006    806 €    44 €     

    12

    Der Festsetzung durch den Bescheid vom 19.2.2001 lagen die geschätzten Besteuerungsgrundlagen für 1999 zu Grunde. Die Herabsetzungen zum IV. Quartal 2004 und ab dem II. Quartal 2005 erfolgten aufgrund der Anträge des damaligen Steuerberaters des Erblassers vom 7.12.2004 und vom 3.6.2005.

    13

    Im Rahmen einer Selbstanzeige im Jahr 2010 erklärte der Erblasser Kapitalerträge sowie Erträge aus privaten Veräußerungsgeschäften aus einem seit Ende der 1970er-Jahre gemeinsam mit seiner Ehefrau unterhaltenen Depot bei der B-Bank/Schweiz nach, woraufhin der Beklagte im Februar 2011 geänderte Einkommensteuerbescheide erließ. Zugleich setzte der Beklagte Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) fest. Die Selbstanzeige umfasste auch Kapitalerträge für die Vorjahre. Im Einzelnen wurden folgende Kapitalerträge und Werbungskosten nacherklärt:

    14

    Jahr    1999    2000    2001    2002      
    Erträge    653.586,24 DM    645.513,67 DM    625.111,09 DM    249.487,97 €      
    WK    32.869,70 DM    43.114,48 DM    46.787,00 DM    24.124,39 €      
    Erträge HEK    0 DM    0 DM    13.247,72 DM    7.728,32 €      
    WK HEK    0 DM    0 DM    1.949,54 DM    791,44 €      
    Priv. VGewinn    7.356,46 DM    216.422,86 DM    -10.199 DM    7.114,74 €      
    Anrechenb. Steuer    0 DM    0 DM    0 DM    593,44 €     

    15
     
    Jahr    2003    2004    2005    2006      
    Erträge    205.025,90 €    224.600,87 €    243.969,79 €    189.179,25 €      
    WK    14.053,77 €    26.672,55 €    14.022,53 €    13.788,62 €      
    Erträge HEK    5.114,49 €    9.019,45 €    9.100,98 €    17.979,70 €      
    WK HEK    1.570,19 €    706,74 €    2.428,41 €    3.330,61 €      
    Priv. Veräuß-G    4.788,99 €    39,57 €    0 €    -8.456,30 €      
    Anrechenb. Steuer    474,75 €    0 €    593,44 €    2.117,91 €     

    16

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schlussbericht des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C-Stadt vom 16.3.2011 Bezug genommen.

    17

    Die zwischen den Beteiligten unstreitigen Festsetzungen für die Streitjahre beliefen sich auf folgende Beträge (jeweils in EUR):

    18
     
        ESt    SolZ    Zinsen § 233a      
    2003    77.874,00    4.283,07    26.049,00      
    2004    81.948,00    4.507,14    23.556,00      
    2005    101.379,00    5.575,84    22.016,00      
    2006    86.255,00    4.744,02    12.730,00     

    19

    Bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2004 berücksichtigte der Beklagte nicht die im Bericht der Steuerfahndung ausgewiesenen Werbungskosten in Höhe von 26.673 EUR, sondern einen geringeren Betrag in Höhe von 15.891 EUR. Die Differenz ergibt sich daraus, dass der auf ausländische Dividenden entfallende Teil der Werbungskosten nur hälftig abzugsfähig war.

    20

    Am 27.9.2012 erließ der Beklagte für jedes Streitjahr einen Bescheid über Hinterziehungszinsen. Dabei berücksichtigte er einen Zinslauf, der jeweils ab Fälligkeit der vierteljährlichen Vorauszahlungen (10.3., 10.6., 10.9. und 10.12. des jeweiligen Streitjahres) beginnt und zum Zeitpunkt der Zahlung der aufgrund der geänderten Festsetzungen nachgeforderten Beträge (24.1.2011 für die Solidaritätszuschläge des II., III. und IV. Quartals 2004, im Übrigen 14.7.2010) endet. Die quartalsmäßige Bemessungsgrundlage für die Hinterziehungszinsen belief sich danach auf die folgenden abgerundeten Beträge:

    21

    Jahr    ESt    SolZ      
    2003    19.350 €    1.050 €      
    2004    20.450 €    1.100 €      
    2005    23.850 €    1.300 €      
    2006    18.500 €    1.000 €     

    22

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheide Bezug genommen.

    23

    Zur Begründung seiner hiergegen eingelegten Einsprüche trug der Erblasser vor, dass die Steuerhinterziehungen erst mit Einreichung der Jahressteuererklärungen vollendet worden seien. Daher könne der Zinslauf erst zu diesen Zeitpunkten beginnen. Während des laufenden Jahres habe der Steuerpflichtige noch keine Kenntnis über die tatsächliche Höhe seiner Zinseinkünfte. Außerdem seien die Zinsen gemäß § 233a AO anzurechnen.

    24

    Im Rahmen der Einspruchsentscheidung half der Beklagte den Einsprüchen teilweise ab, indem er die festgesetzten Zinsen um weitere Zinsbeträge nach § 233a AO minderte. Im Übrigen wies er die Einsprüche als unbegründet zurück. Insbesondere seien die Zinsläufe zutreffend berechnet worden. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung reiche es aus, dass aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Angaben einer Steuererklärung die tatsächlich geschuldeten Einkommensteuer-Vorauszahlungen nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Diesbezüglich bezog sich der Beklagte auf das BFH-Urteil vom 15.4.1997 (VII R 74/96, BStBl II 1997, 600). Überdies habe der Erblasser durch die zwischenzeitlich gestellten Anträge auf Herabsetzung von Vorauszahlungen unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht.

    25

    Hiergegen hat der Erblasser Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen auf seine Einspruchsbegründung Bezug nahm.

    26

    Die nach dem Tod des Erblassers in das Klageverfahren als Gesamtrechtsnachfolger eingetretenen Kläger tragen ergänzend vor, dass die Hinterziehungszinsen erst ab Ergehen des jeweiligen Jahressteuerbescheids berechnet werden könnten, da es sich jeweils um hinterzogenen Steuern aus einer einzelnen Steuerstraftat handele. Im Hinblick auf die Vorauszahlungen liege zudem kein Hinterziehungsvorsatz vor. Bei der Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen einerseits und des Jahresbetrages andererseits handele es sich jeweils um unterschiedliche Bescheide. Der Abgabe einer Einkommensteuerjahreserklärung messe der Steuerpflichtige grundsätzlich keine strafrechtlich relevante Bedeutung für die Festsetzung von Vorauszahlungen bei. Überdies sei die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Vorauszahlungen auf denjenigen Betrag beschränkt, der sich als hinterzogener Betrag aus dem späteren Jahressteuerbescheid ergibt, weil davon ausgegangen werden könne, dass der Steuerpflichtige bei niedrigeren Einkünften im Folgejahr einen Antrag auf Anpassung der Vorauszahlungen gestellt hätte. Außerdem wäre zu berücksichtigen, dass die Vorauszahlungen auch nachträglich hätten erhöht werden können und dann nicht zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten zu entrichten gewesen wären. Eine derartige Berechnung habe der Beklagte in den Zinsbescheiden nicht vorgenommen. Die Bescheide seien auch deshalb nicht hinreichend bestimmt, weil der Zinslauf nur bis zum Ergehen des jeweiligen Jahressteuerbescheides nach den etwaig hinterzogenen Vorauszahlungen und ab diesem Zeitpunkt nach der Jahressteuerschuld zu bemessen sei. Insoweit lägen unterschiedliche Bemessungsgrundlagen vor.

    27

    Die Kläger beantragen,

    28

    die Bescheide über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen für 2003 bis 2006 vom 27.9.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.6.2013 aufzuheben;

    29

    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.

    30

    Der Beklagte beantragt,

    31

    die Klage abzuweisen;

    32

    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.

    33

    Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und reicht auf Hinweis des Gerichts Aufstellungen über die Zeitpunkte und die Höhe der bei richtiger Festsetzung voraussichtlich festgesetzten Vorauszahlungen ein, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Durch den Ansatz der später festgesetzten Nachzahlungsbeträge sei das Argument eventueller Herabsetzungsanträge hinreichend berücksichtigt worden. Der Umstand, dass der Erblasser dem Finanzamt jahrelang hohe Kapitalerträge verschwiegen habe, inkludiere, dass er auch Vorauszahlungen hinterziehen wollte. Es gehöre zum Allgemeinwissen, dass Bürger auf die zu erwartende Einkommensteuerzahlung Vorauszahlungen zu leisten haben. Aufgrund der Bildung des Erblassers sowie seiner individuellen Erfahrungen mit den Finanzbehörden als seit Jahrzehnten selbstständig Tätigem sei davon auszugehen, dass ihm das System der Steuervorauszahlungen bekannt gewesen sei. Er habe mit krimineller Energie versucht, die Erträge zu verschleiern, indem er sein Vermögen in die Schweiz verbracht hat. Er habe damit das Finanzamt konsequent über seine gesamte Einkunftssituation im Unklaren gelassen. Es sei weltfremd anzunehmen, der Erblasser habe nur beabsichtigt, für einen Teilbereich des Gesamtsystems eine Steuerhinterziehung zu betreiben.

    34

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und auf den Inhalt der Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.

    35

    In der Sache hat am 20.4.2016 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

    36

    Entscheidungsgründe

    37

    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    38

    Die gegenüber dem Erblasser ergangenen Bescheide über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen für 2003 bis 2006 vom 27.9.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.6.2013 sind nicht rechtswidrig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO).

    39

    Der Beklagte hat die Hinterziehungszinsen zumindest nicht zu hoch festgesetzt. Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt grundsätzlich mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO) und endet mit Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 Satz 1 AO). Für denselben Zeitraum festgesetzte Zinsen nach § 233a AO sind auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen (§ 235 Abs. 4 AO). Die Zinsen betragen für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5% des auf volle 50 EUR abgerundeten zu verzinsenden Betrages (§ 238 AO).

    40

    I. Maßgeblich für die Berechnung der Höhe der hinterzogenen Steuer und den Zeitpunkt des Eintritts der Steuerverkürzung ist § 370 AO. Nach dieser Vorschrift begeht eine Steuerhinterziehung unter anderem derjenige, der gegenüber den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) und dadurch Steuern verkürzt. Für die Verwirklichung dieses objektiven Tatbestands reicht es aus, dass aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Angaben einer Steuererklärung die tatsächlich geschuldeten Einkommensteuer-Vorauszahlungen nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (BFH-Urteil vom 15.4.1997 VII R 74/96, BStBl II 1997, 600). Der BFH begründet diese Auffassung damit, dass der Begriff Steuern auch die als Steuerschulden zu qualifizierenden Vorauszahlungsschulden gemäß § 37 des Einkommensteuergesetzes (EStG) umfasst und die Vorauszahlungen der Sicherung eines stetigen Steueraufkommens dienen.

    41

    Die Höhe der Vorauszahlungen bemisst sich gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG grundsätzlich nach der Einkommensteuer, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG bei der letzten Veranlagung ergeben hat. Nach Maßgabe von § 37 Abs. 3 Sätze 3 ff. kann das Finanzamt Vorauszahlungen anpassen. Festgesetzte Vorauszahlungen können allerdings nur dann erhöht werden, wenn sich der Erhöhungsbetrag für einen Vorauszahlungszeitpunkt auf mindestens 100 EUR beläuft (§ 37 Abs. 5 Satz 1 EStG).

    42

    Danach hat der Erblasser die objektive Tathandlung für die Einkommensteuerhinterziehungen für die Streitjahre 2003 bis 2006 nicht erst durch die Abgabe der unzutreffenden Einkommensteuererklärungen für diese Jahre begangen, sondern bereits mit Abgabe der Einkommensteuererklärungen für frühere Jahre. Der jeweilige Taterfolg der Steuerverkürzung ist in dem Moment eingetreten, in dem der Beklagte einen Einkommensteuerbescheid erlassen hat, ohne zugleich die Vorauszahlungen für die Streitjahre anzupassen.

    43

    1. Die Festsetzung für die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für das Streitjahr 2003 erfolgte mit Bescheid vom 19.2.2001. Diesem Bescheid lagen die geschätzten Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1999 zu Grunde. Die im Jahr 2002 eingegangenen Einkommensteuererklärungen für 1999 und 2000 haben zu keiner Anpassung der Vorauszahlungen geführt. Hätte der Kläger spätestens für das Jahr 2000 seine Einkünfte in zutreffender Höhe erklärt, hätten zeitgleich mit dem Einkommensteuerbescheid vom 25.9.2002 die Vorauszahlungen ab dem I. Quartal 2003 entsprechend angepasst werden können. Die für Vorauszahlungszwecke zu Grunde zu legende Einkommensteuer beträgt nach der die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen enthaltenen Probeberechnung des Beklagten für das Jahr 2000 224.122,75 EUR und der Solidaritätszuschlag 12.326,75 EUR. Hieraus hätten sich folgende Vorauszahlungen für I/2003 ergeben:

    44
     
    I/2003    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    224.122,75 €    12.326,75 €      
    KapESt    -159,52 €    -8,75 €      
    verbleiben    223.963,23 €    12.318,00 €      
    pro Quartal    55.990,81 €    3.079,50 €      
    VZ bisher    -3.224,00 €    -176,00 €      
    Verkürzung    52.766,81 €    2.903,50 €      
    BMG abgerundet    52.750,00 €    2.900,00 €      
    BMG lt. Bescheid    19.350,00 €    1.050,00 €     

    45

    Die späteren Änderungsbescheide hätten mangels Überschreitens der Anpassungsgrenze nicht zu einer Änderung der Vorauszahlungen geführt.

    46

    2. Ab dem II. Quartal 2003 wäre aufgrund der am 24.3.2003 eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2001 ab dem II. Quartal 2003 eine Anpassung der Vorauszahlungen zeitgleich mit dem Bescheid vom 15.4.2003 erfolgt. Nach der Probeberechnung des Beklagten hätte sich die Einkommensteuer für 2001 auf 170.170,21 EUR und der Solidaritätszuschlag auf 9.359,36 EUR belaufen. Für 2004 hätte sich keine Anpassung der Vorauszahlungen ergeben, weil der Erblasser im Jahr 2004 keine Einkommenssteuererklärung abgegeben hat. Gleiches gilt bis zum II. Quartal 2005, weil die Einkommensteuererklärung für 2002 erst am 6.5.2005 abgegeben und vom Beklagten am 12.8.2005 ein Bescheid erlassen wurde. Dies hätte zu folgenden Vorauszahlungen ab II/2003 geführt:

    47
     
    II-IV/2003    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    170.170,21 €    9.359,36 €      
    KapESt    -198,38 €    -10,87 €      
    verbleiben    169.971,83 €    9.348,49 €      
    pro Quartal    42.492,96 €    2.337,12 €      
    VZ bisher    -3.224,00 €    -176,00 €      
    Verkürzung    39.268,96 €    2.161,12 €      
    BMG abgerundet    39.250,00 €    2.150,00 €      
    BMG lt. Bescheid    20.450,00 €    1.100,00 €     

    48
     
    I-III/2004    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    170.170,21 €    9.359,36 €      
    KapESt    -198,38 €    -10,87 €      
    verbleiben    169.971,83 €    9.348,49 €      
    pro Quartal    42.492,96 €    2.337,12 €      
    VZ bisher    -3.224,00 €    -176,00 €      
    Verkürzung    39.268,96 €    2.161,12 €      
    BMG abgerundet    39.250,00 €    2.150,00 €      
    BMG lt. Bescheid    19.350,00 €    1.050,00 €     

    49
     
    IV/2004    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    170.170,21 €    9.359,36 €      
    KapESt    -198,38 €    -10,87 €      
    verbleiben    169.971,83 €    9.348,49 €      
    pro Quartal    42.492,96 €    2.337,12 €      
    VZ bisher    0,00 €    0,00 €      
    Verkürzung    42.492,96 €    2.337,12 €      
    BMG abgerundet    42.450,00 €    2.300,00 €      
    BMG lt. Bescheid    20.450,00 €    1.100,00 €     

    50
     
    I/2005    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    170.170,21 €    9.359,36 €      
    KapESt    -198,38 €    -10,87 €      
    verbleiben    169.971,83 €    9.348,49 €      
    pro Quartal    42.492,96 €    2.337,12 €      
    VZ bisher    -3.224,00 €    -177,00 €      
    Verkürzung    39.268,96 €    2.160,12 €      
    BMG abgerundet    39.250,00 €    2.150,00 €      
    BMG lt. Bescheid    23.850,00 €    1.300,00 €     

    51
     
    II/2005    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    170.170,21 €    9.359,36 €      
    KapESt    -198,38 €    -10,87 €      
    verbleiben    169.971,83 €    9.348,49 €      
    pro Quartal    42.492,96 €    2.337,12 €      
    VZ bisher    0,00 €    0,00 €      
    Verkürzung    42.492,96 €    2.337,12 €      
    BMG abgerundet    42.450,00 €    2.300,00 €      
    BMG lt. Bescheid    23.850,00 €    1.300,00 €     

    52

    3. Eine Anpassung hätte danach erst zum III. Quartal 2005 erfolgen können. Die Veranlagung für das Jahr 2002 wäre auch noch für das I. und II. Quartal 2006 maßgeblich gewesen, weil die Erklärungen für die Jahre 2003 und 2004, die beide im Jahr 2006 eingegangen sind, erst zu Bescheiden geführt haben, die am 25.8.2006 erlassen wurden. Nach der Probeberechnung des Beklagten beläuft sich die Einkommensteuer für 2002 auf 125.066 EUR unter Solidaritätszuschlag auf 6.878,63 EUR. Bei dieser Berechnung hat der Beklagte allerdings lediglich Werbungskosten in Höhe von 24.224 EUR zu Grunde gelegt, obwohl nach den Feststellungen der Steuerfahndung tatsächlich Werbungskosten (einschließlich derjenigen, die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen) in Höhe von 24.520 EUR zu berücksichtigen gewesen wären. Die Differenz der Bemessungsgrundlage in Höhe von 296 EUR wirkt sich jedoch nicht aus, weil die sich jeweils nach der Probeberechnung ergebende Bemessungsgrundlage deutlich oberhalb der in den Zinsbescheiden zu Grunde gelegten Bemessungsgrundlage liegt, wie die nachfolgenden Berechnungen zeigen:

    53

    III+IV/2005    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    125.066,00 €    6.878,63 €      
    KapESt    -750,00 €    -41,22 €      
    verbleiben    124.316,00 €    6.837,41 €      
    pro Quartal    31.079,00 €    1.709,35 €      
    VZ bisher    0,00 €    0,00 €      
    Verkürzung    31.079,00 €    1.709,35 €      
    BMG abgerundet    31.050,00 €    1.700,00 €      
    BMG lt. Bescheid    23.850,00 €    1.300,00 €     

    54
     
    I+II/2006    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    125.066,00 €    6.878,63 €      
    KapESt    -750,00 €    -41,22 &€      
    verbleiben    124.316,00 €    6.837,41 €      
    pro Quartal    31.079,00 €    1.709,35 €      
    VZ bisher    -806,00 €    -44,00 €      
    Verkürzung    30.273,00 €    1.665,35 €      
    BMG abgerundet    30.250,00 €    1.650,00 €      
    BMG lt. Bescheid    18.500,00 €    1.000,00 €     

    55

    4. Dementsprechend wäre eine Anpassung ab dem III. Quartal 2006 auf Grundlage der Veranlagung für 2004 erfolgt. Die Probeberechnung des Beklagten für das Jahr 2004 führt zu einer Einkommensteuer in Höhe von 81.462 EUR und zu einem Solidaritätszuschlag in Höhe von 4.480,41 EUR. Die vom Beklagten in der Probeberechnung berücksichtigten Werbungskosten (15.891 EUR) entsprechend zwar nicht denjenigen, die sich aus dem Bericht der Steuerfahndung ergeben. Es handelt sich jedoch um den Betrag, der auch dem vom Erblasser nicht angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 4.2.2011 ergibt. Hierzu hat der Beklagte klarstellend mit Schreiben vom 27.4.2016 erläutert, dass sich die Differenz aus der bloß hälftigen Berücksichtigung von Werbungskosten zu ausländischen Dividenden ergibt. Danach ergibt sich die folgende Berechnung für das III. und IV. Quartal 2006:

    56
     
    III + IV/2006    ESt    SolZ      
    Probeberechnung    81.462,00 €    4.480,41 €      
    KapESt    -112,00 €    -12,24 €      
    verbleiben    81.350,00 €    4.468,17 €      
    pro Quartal    20.337,50 €    1.117,04 €      
    VZ bisher    -806,00 €    -44,00 €      
    Verkürzung    19.531,50 €    1.073,04 €      
    BMG abgerundet    19.500,00 €    1.050,00 €      
    BMG lt. Bescheid    18.500,00 €    1.000,00 €     

    57

    Alle Berechnungen zeigen, dass die tatsächlich vom Beklagten zu Grunde gelegten Bemessungsgrundlagen niedriger sind als diejenigen, die sich aus den tatsächlichen Verkürzungen aus den unrichtigen Angaben der früheren Veranlagungsjahre ergeben.

    58

    II. Der Einwand der Kläger, dass bei zu erwartenden Minderungen der ausländischen Kapitalerträge Anträge auf Herabsetzung der Vorauszahlungen gestellt worden wären, greift nicht durch, weil für die Frage der Kausalität der Tathandlung für den Hinterziehungserfolg hypothetische Kausalverläufe außer Betracht bleiben (BFH-Urteil vom 26.9.2012 VII R 3/11, BFH/NV 2013, 337). Überdies hätte eine Herabsetzung allenfalls auf die tatsächliche Höhe der Kapitalerträge erfolgen können. Dies sind die Beträge, die der Beklagte in seinen Bescheiden tatsächlich zu Grunde gelegt hat.

    59

    III. Der Erblasser hat auch in Bezug auf die Verkürzung der Vorauszahlungen den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Gemäß § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 15 des Strafgesetzbuchs (StGB) muss die Steuerhinterziehung vorsätzlich begangen werden. Vorsatz setzt bezogen auf den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung voraus, dass der Täter weiß oder zumindest damit rechnet, durch unvollständige Angaben Steuern zu verkürzen. Dazu muss er den Steueranspruch nach Grund und Höhe für möglich halten; ein Irrtum in dieser Hinsicht schließt ein vorsätzliches Handeln aus (BFH-Urteil vom 16.12.2008 I R 23/07, Juris).Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz, vgl. BFH-Urteile vom 31.7.1996 XI R 74/95, BStBl II 1997, 157 und vom 19.3.1998 V R 54/97, BStBl II 1998, 466). Hierfür genügt eine Beurteilung am Maßstab einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" (BFH-Urteil vom 30.6.2010 II R 11/09, BFH/NV 2010, 2026; BFH-Beschluss vom 30.6.2010 II R 14/09, BFH/NV 2010, 2002 jeweils m. w. N.).

    60

    Dass der Erblasser (und bis zu deren Tod auch seine Ehefrau) in ihren Steuererklärungen - sowohl für die Streitjahre als auch für die vorangegangenen Jahre - die ausländischen Kapitalerträge und steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne bewusst verschwiegen haben, um die hierauf entfallenden Steuern nicht zahlen zu müssen, ergibt sich aus ihrem planmäßigen Vorgehen. Die Eheleute haben einen großen Teil ihres Vermögens bewusst in der Schweiz angelegt, um es dem Zugriff des inländischen Fiskus zu entziehen. Auf diese Weise fielen keine inländischen Kapitalertragsteuern an und die Kontrollmöglichkeiten der deutschen Finanzbehörden waren stark eingeschränkt. Damit die Steuerhinterziehung nicht entdeckt wird und um auch weiterhin keine Steuern auf die Erträge zahlen zu müssen, haben die Eheleute planmäßig über Jahrzehnte hinweg die Einkünfte nicht in ihren Steuererklärungen angegeben. Im Übrigen ist der Hinterziehungsvorsatz - jedenfalls soweit er sich auf die veranlagte Einkommensteuer bezieht - zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die auf Grundlage der Feststellungen der Steuerfahndung - zum größten Teil innerhalb der verlängerten Verjährungsfrist - ergangenen Änderungsbescheide hat bereits der Erblasser selbst nicht angefochten.

    61

    Entgegen der Ansicht der Kläger umfasst der Hinterziehungsvorsatz aber auch die Vorauszahlungen für spätere Jahre. Der Senat folgt zwar nicht der Auffassung des Beklagten, dass die Festsetzung bzw. Anpassung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen zum Allgemeinwissen gehöre. Allerdings hat der Erblasser zumindest billigend in Kauf genommen, dass aufgrund der unvollständigen Erklärung der Einkünfte auch die Vorauszahlungen nicht angepasst werden würden. Ihm war als selbstständigem Zahnarzt bekannt, dass auf solche Einkünfte, die - anders als Arbeitslohn - keinem Steuerabzug unterliegen, regelmäßig Vorauszahlungen festgesetzt werden. Tatsächlich hat der Beklagte gegenüber den Eheleuten auch Vorauszahlungen festgesetzt, die diese geleistet haben. Da den Eheleuten auch bekannt sein musste, dass auf die in der Schweiz erzielten Kapitalerträge keine inländische Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde, haben sie es zumindest für möglich gehalten, dass hierauf auch Vorauszahlungen festgesetzt werden würden. Dies genügt im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre für die Annahme eines Hinterziehungsvorsatzes.

    62

    IV. In Bezug auf die Höhe der nach § 235 Abs. 4 AO anzurechnenden Zinsen im Sinne von § 233a AO sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden und werden auch von den Klägern nicht angegriffen.

    63

    V. Die Zinsbescheide sind auch hinreichend bestimmt. Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ist § 157 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach in einem Steuerbescheid die Bezeichnung der Steuer nach Art und Betrag bezeichnet werden muss, ist auch auf Zinsbescheide anzuwenden. Der einzelne rechtlich selbständige Zinsbescheid bezieht sich jeweils auf einen einzigen derartigen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Im Fall von Ansprüchen, die sich aus Steuerbescheiden ergeben, ist der einzelne „Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis“ das aus dem jeweiligen Steuerbescheid folgende Ergebnis, und zwar getrennt nach Steuerarten und -abschnitten (BFH-Urteil vom 26.11.2014 X R 18/13, BFH/NV 2015, 785).

    64

    Im Streitfall hat der Beklagte für jedes Streitjahr einen getrennten Bescheid über Hinterziehungszinsen erlassen. Eine weitere Aufteilung in hinterzogene Vorauszahlungen einerseits und hinterzogene Jahresbeträge anderseits war dabei im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit nicht geboten, da als „hinterzogene Steuer“ im Sinne von § 235 Abs. 1 Satz 1 AO ausschließlich die Einkommensteuer des jeweiligen Streitjahres in Betracht kommt. Das Gesetz unterscheidet hinsichtlich der Verzinsung von hinterzogenen Steuern nicht nach der Erhebungsform. Anders als bei der Festsetzung von Vorauszahlungen einerseits und der Jahressteuerschuld andererseits sieht das Gesetz für die Hinterziehungszinsen gerade keine Festsetzung in zwei unterschiedlichen Bescheiden vor. Werden bereits - wie im Streitfall - Einkommensteuer-Vorauszahlungen hinterzogen, besteht der Unterschied zur Hinterziehung der Jahressteuerschuld lediglich im früheren Beginn des Zinslaufs nach § 235 Abs. 2 Satz 1 AO. Dieser beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung und endet - unabhängig davon, ob bereits Vorauszahlungen oder erst die Jahressteuerschuld hinterzogen wird - mit der Zahlung. Da der Erblasser im Streitfall keine Zahlungen auf hinterzogene Vorauszahlungen geleistet hat, kann nur eine einheitliche Berechnung des Zinslaufs erfolgen. Eine Zäsur des Zinslaufs im Hinblick auf den Zeitpunkt des Erlasses des Jahressteuerbescheids ist gesetzlich nicht vorgesehen.

    65

    VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    66

    VII. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage, ob Hinterziehungszinsen bei hinterzogenen Einkommensteuer-Vorauszahlungen entstehen und wie diese zu berechnen sind, betrifft eine Vielzahl von Fällen und war - soweit ersichtlich - bisher nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung.

    RechtsgebietFinanz- und Abgaberecht