22.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188837
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 17.08.2016 – VII B 59/16
Der Eintritt eines Vermögensverfalls ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG auch dann zu vermuten, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dessen Recht eröffnet worden ist.
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 23. März 2016 9 K 1614/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
I.
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1. Nach Vorlage eines Vermögensverzeichnisses durch die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), das Verbindlichkeiten in Höhe von 873.878,89 € aufwies, denen mehrere Immobilien mit geschätzten Verkehrswerten von 585.000 € gegenüberstanden, hat die Beklagte und Beschwerdegegnerin (die Steuerberaterkammer) nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) die Bestellung der Klägerin als Steuerberaterin widerrufen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass aufgrund einer Anzeige seit dem 13. Juli 2015 gegen die Klägerin in England ein Insolvenzverfahren (Bankruptcy) geführt werde.
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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin ein Vermögensverfall zu vermuten sei. Dessen Eröffnung in England sei unbeachtlich. Zudem habe die Klägerin den Eintritt des Vermögensverfalls nicht widerlegt. Selbst nach dem Verkauf der Immobilien würden erhebliche Verbindlichkeiten verbleiben. Unzureichend sei der Vortrag, dass die Klägerin nicht mehr als Einzelsteuerberaterin, sondern als Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin einer Steuerberatungsgesellschaft tätig sei. Abgesehen davon ergebe sich ihre Unzuverlässigkeit in eigenen Angelegenheiten aus den erheblichen Steuerrückständen und aus der Verurteilung der Klägerin wegen vollendeter und versuchter Steuerhinterziehung zu einer erheblichen Geldstrafe.
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Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und zur Rechtsfortbildung ( § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ). Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob die Eröffnung eines Bankruptcy-Verfahrens nach englischem Recht anders als eine Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht die Vermutung des Vermögensverfalls widerlege oder gar nicht erst zu begründen geeignet sei. Fehlerhaft habe das FG die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens nach Part IX Insolvency Act 1986 wissentlich außer Acht gelassen und die Wirkungen nach Art. 17 der Verordnung (EU) 2015/848 ( VO Nr. 2015/848 ) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 141/19) unberücksichtigt gelassen, die darin bestünden, dass eine Restschuldbefreiung automatisch und bereits nach einem Jahr eintrete. Nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung könne die Dauer verlängert werden. Die das Urteil tragende Aussage des FG, es sei ungewiss, ob die Klägerin eine Restschuldbefreiung erlangen könne, sei daher falsch. Wenn bei einem Insolvenzverfahren nach deutschem Recht schon die Ankündigung der Restschuldbefreiung und das Zustandekommen eines Insolvenzplans die Vermutung des Vermögensverfalls widerlegten, müsse dies auch für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht gelten.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn der aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98 , BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, [BFH 18.12.1998 - VI B 215/98] und vom 31. Mai 2000 X B 111/99 , BFH/NV 2000, 1461).
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2. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist die Bestellung zu widerrufen, wenn der Steuerberater in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird u.a. vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet ist. Nach den Feststellungen des FG ist über das Vermögen der Klägerin in England ein Insolvenzverfahren (Bankruptcy) nach Part IX Insolvency Act 1986 eröffnet worden. Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein Insolvenzverfahren eines anderen Mitgliedstaats, das in Anhang A VO Nr. 2015/848 aufgeführt ist. Nach Art. 19 Abs. 1 VO Nr. 2015/848 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Mit der VO Nr. 2015/848 wird das Ziel einer Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung und die Vermeidung eines sog. Forum Shopping verfolgt. Wesentlicher Bestandteil der Strategie ist die gegenseitige Anerkennung von Hauptinsolvenzverfahren, d.h. Insolvenzverfahren, die in dem Mitgliedstaat eröffnet worden sind, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat ( Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2015/848 ).
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Vor dem Hintergrund, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzt ( § 17 Abs. 1 der Insolvenzordnung —InsO—, Section 272 (1) Insolvency Act 1986), hat der Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG zum Schutz der Mandanteninteressen eine Regelung getroffen, die im Fall der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens festgestellten Zahlungsunfähigkeit widerlegbar einen Vermögensverfall unterstellt. Das Gesetz geht beim Vorliegen eines solchen Vermögensverfalls ohne Weiteres davon aus, dass aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Situation des Steuerberaters die Interessen der Auftraggeber gefährdet sind (Senatsentscheidungen vom 4. März 2004 VII R 21/02 , BFHE 204, 563, BStBl II 2004, 1016, [BFH 04.03.2004 - VII R 21/02] und vom 22. September 1992 VII R 43/92 , BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203 [BFH 22.09.1992 - VII R 43/92] ). Denn bei ungeordneten Vermögensverhältnissen besteht die Gefahr, dass der Steuerberater zur Erlangung eines finanziellen Vorteils seine beruflichen Pflichten verletzen und die Interessen seiner Mandanten nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit verfolgen könnte. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass der Steuerberater oftmals Fremdgelder verwaltet und zu diesem Zweck Treuhandkonten unterhält.
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Dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist nicht zu entnehmen, dass die Vorschrift lediglich auf nach den Bestimmungen der InsO eröffnete Insolvenzverfahren Anwendung finden soll. Vielmehr gebieten Ziel und Zweck der Regelung eine Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auch auf Insolvenzverfahren, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffnet worden sind, zumal die Mitgliedstaaten mit der Verabschiedung der VO Nr. 2015/848 deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie den in anderen Mitgliedstaaten eröffneten Insolvenzverfahren gleiche Wirkungen beimessen, weshalb —zumindest aus verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten-- eine gegenseitige Anerkennung für notwendig erachtet wurde. Es ist kein Grund ersichtlich, warum ein nach englischem Recht eröffnetes Insolvenzverfahren, das ebenso wie ein nach deutschem Recht eröffnetes Insolvenzverfahren die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners belegt, bei der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG keine Berücksichtigung finden sollte. Das FG hat somit zu Recht entschieden, dass im Streitfall allein der Umstand, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin in England eröffnet wurde, für die Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG unbeachtlich ist. Aus diesem Grund kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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3. Soweit die Klägerin beanstandet, dass die tragende Begründung des FG hinsichtlich der Annahme und Bestätigung eines Insolvenzplans und einer Restschuldbefreiung in Anbetracht der zu berücksichtigenden Bestimmungen des Insolvency Act 1986 falsch sei, wendet sie sich gegen eine vermeintlich unzutreffende Rechtsanwendung. Angebliche Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03 , BFH/NV 2004, 215), denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile umfassend zu gewährleisten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .