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  • 12.01.2017 · IWW-Abrufnummer 191187

    Finanzgericht Köln: Beschluss vom 12.10.2016 – 3 V 593/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln, 3 V 593/16

    Tenor:

    Die Vollziehung des Haftanordnungsantrags an das Amtsgericht K vom 10.2.2016 wird bis zum Abschluss des Verfahrens über den Einspruch aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

    Die Beschwerde wird zugelassen.

    1

    Gründe

    2

    A.

    3

    Der Antragsgegner betrieb gegen den in seinem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Antragsteller die Vollstreckung wegen Lohnsteuer 2012, Umsatzsteuer 2010 bis 2012 und Einkommensteuer 2011. Die Forderungen waren im Wesentlichen seit Juli 2015 fällig. Wegen eines im Einzelnen aufgeschlüsselten Betrags in Höhe von 7.377 € verfügte der Antragsgegner unter dem 11.12.2015 die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft. Er führte unter Hinweis auf § 284 AO aus, der Antragsteller müsse die Auskunft erteilen, wenn er die Rückstände nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Ladung begleiche. Zur Abgabe der Vermögensauskunft habe er am 3.2.2016 um 9:00 Uhr an Amtsstelle zu erscheinen. Er habe zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht zu haben. Wenn er ohne ausreichende Entschuldigung im anberaumten Termin nicht erscheine oder die Abgabe der Vermögensauskunft verweigere, könne er, der Antragsgegner, das zuständige Amtsgericht ersuchen, die Haft zur Erzwingung der Abgabe anzuordnen. Die Ladung zur Abgabe der Vermögenauskunft wurde dem Antragsteller am 14.12.2015 zugestellt.

    4

    Der Antragsteller beglich die Rückstände nicht. Am 2.2.2016 teilte er per Telefax mit, er sei auf Grund seiner Erkrankung derzeit nicht in der Lage, der Aufforderung zur Vermögensauskunft nachzukommen. Beigefügt hatte er eine Bescheinigung vom 29.01.2016, wonach er ab diesem Tag bis einschließlich 15.2.2016 arbeitsunfähig sei. Aussteller war ein in M praktizierender Facharzt für Orthopädie. Der Antragsteller erklärte weiter, er werde die offenen Beträge bis zum 1.3.2016 begleichen und beantrage daher, bis auf weiteres von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung abzusehen. Da er nicht wisse, ob er nach dem 15.2.2016 ladungsfähig sei, bitte er gegebenenfalls um einen Ladungstermin ab dem 1.3.2016. Am 3.2.2016 erschien der Antragsteller nicht.

    5

    Mit Schreiben vom 10.2.2016 lehnte der Antragsgegner den „Antrag auf Vollstreckungsaufschub“ vom 2.2.2016 ab. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besage lediglich, dass der Antragsteller seiner Arbeit nicht nachkommen könne. Dies bedeute nicht zwangsläufig, dass er nicht in der Lage sei, einen Vordruck auszufüllen und die gemachten Angaben an Amtsstelle an Eides statt zu versichern.

    6

    Ebenfalls unter dem 10.2.2016 bat der Antragsgegner beim Amtsgericht K um Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 AO zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft gegen den Antragsteller. Der Antragsgegner fügte Kopien der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft und der Zustellungsurkunde bei und führte aus, der Antragsteller sei in dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen.

    7

    Unter dem gleichen Datum übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller schließlich eine Abschrift seines „Ersuchens“ an das Amtsgericht mit der Bitte um Kenntnisnahme.

    8

    Am 16.2.2016 ordnete das Amtsgericht auf Antrag des Antragsgegners gegen den Antragsteller die Haft an, um die Abgabe der Vermögensauskunft zu erzwingen. Das Gericht stützte den Haftbefehl auf § 802g ZPO und § 284 AO. Der Antragsteller sei zu dem Termin am 3.2.2016 unentschuldigt nicht erschienen. Der Haftbefehl wurde dem Antragsgegner übersandt und bisher - mit Rücksicht auf das hier anhängige Verfahren - nicht vollstreckt.

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    Unter dem 24.2.2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beim Antragsgegner, vorläufig keinen Gebrauch von dem Haftbefehl zu machen und dem Antrag auf Vollstreckungsaufschub vom 2.2.2016 zu entsprechen; insoweit lege er gegen die Verfügung vom 10.2.2016 auch Einspruch ein. Beigefügt war eine Bescheinigung desselben Arztes vom 16.2.2016, dass der Antragsteller nunmehr bis 1.3.2016 arbeitsunfähig sei.

    10

    Der Antragsgegner erwiderte unter dem 26.02.2016, dass er den Rechtsbehelf für unbegründet halte und der Haftbefehl bereits vorliege.

    11

    Am 7.3.2016 hat der Antragsteller bei Gericht Eilrechtsschutz beantragt.

    12

    Am 13.4.2016 wies der Antragsgegner den Einspruch gegen die Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen von § 258 AO lägen nicht vor. Die Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens sei nicht unbillig. Die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckungsaufschub und der Antrag auf Erlass des Haftbefehles seien ermessensfehlerfrei. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

    13

    Am 17.5.2016 hat der Antragsteller Klage erhoben. Er beantragt, die Einspruchsentscheidung aufzuheben und dem Einspruch vom 24.2.2016 „gegen die Ablehnung des klägerischen Antrags auf Vollstreckungsaufschub gegen die Abgabe der Vermögensauskunft“ stattzugeben. Über diese Klage, die unter dem Aktenzeichen 3 K 1350/16 geführt wird, ist noch nicht entschieden.

    14

    Der Antragsteller hält das Vorgehen des Antragsgegners für rechtswidrig. Dieser verkenne die Gegebenheiten und gesetzlichen Voraussetzungen für § 284 AO, die nicht vorlägen. Der Antragsgegner habe den Haftbefehl bereits mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht beantragen dürfen. Deshalb dürfe der Antragsgegner nicht an der Vollstreckung festhalten, solange die Erkrankung andauere. Er, der Antragsteller, sei seit 29.01.2016 erkrankt und habe daher im Termin entschuldigt gefehlt. Er sei nach wie vor nicht in der Lage, seiner Arbeit als Geschäftsführer nachzugehen. Das Gezerre mit dem Antragsgegner habe inzwischen auch zu einem psychischen Leiden geführt.

    15

    Der Antragsteller hat zwischenzeitlich bei Gericht weitere Atteste des orthopädischen Facharztes eingereicht, aus denen sich ergibt, dass er bis 17.5.2016 arbeitsunfähig gewesen ist. Er sei aufgrund eines akuten chronischen Wirbelsäulenleidens in seiner Mobilität eingeschränkt. Seit 23.5.2016 befindet sich der Antragsteller außerdem in der Behandlung eines in R praktizierenden Arztes für Innere Medizin. Dieser bescheinigte dem Antragsteller, dass dieser in den letzten Wochen an zunehmenden psychovegetativen Störungen mit Erschöpfungssyndrom leide. Aktuell bestehe offenbar aufgrund der sehr angespannten beruflichen Situation ein sehr hoher Blutdruck mit Kopfschmerzen, innerer Unruhe und Konzentrationsschwäche. Aufgrund der Blutdruckentgleisung sei der Antragsteller in den nächsten Wochen nicht vernehmungsfähig. Unter dem 23.6.2016 bescheinigte der Internist noch, dass beim Antragsteller keine Besserung der Beschwerden eingetreten und unabsehbar sei, wann er wieder verhandlungsfähig sei. Der Antragsteller hat ergänzt, dass seine Blutdruckleistungen derzeit die notwendigen Mitwirkungen an der durch den Haftbefehl zu erzwingenden Handlungen aus medizinischer Sicht nicht zuließen. Er hat den Internisten von seiner Schweigepflicht gegenüber dem Gericht entbunden.

    16

    Der Antragsteller beantragt,

    17

    den Antragsgegner zu verpflichten, keinen Gebrauch von dem Haftbefehl des Amtsgerichts K zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft zu machen, und den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen.

    18

    Der Antragsgegner beantragt,

    19

    den Antrag abzuweisen.

    20

    Für das Nichterscheinen im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft reiche die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus. Diese besage lediglich, dass der Antragsteller seiner Tätigkeit nicht nachgehen könne. Solange kein Attest mit Angabe der Krankheit vorliege, könne davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller gesundheitlich in der Lage sei, die Vermögensauskunft abzugeben. Dafür spreche, dass er Termine außerhalb seines Wohnortes wahrnehme, denn es sei davon auszugehen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes in M in Anwesenheit des Antragstellers ausgestellt worden seien. Er, der Antragsgegner, sehe keinen Unterschied darin, ob der Antragsteller zum Arzt nach M fahre oder im Finanzamt K zur Abgabe der Vermögensauskunft erscheine. Aus welchem Grund der Antragsteller arbeitsunfähig geschrieben worden sei, sei nicht erkennbar. Es gebe viele Gründe, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen könnten. Dies bedeute jedoch nicht zwingend, dass jemand dann in jedem Fall nicht zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in der Lage sei. Ein gebrochener linker Arm reiche sicher aus, um arbeitsunfähig zu sein. Am Ausfüllen eines Formulars und an einer Vorsprache an Amtsstelle sei derjenige jedoch nicht gehindert. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller keine Bescheinigung vorlege, aus welchen Gründen er arbeitsunfähig sei. Dies halte er, der Antragsgegner, für zumutbar und ermessensfehlerfrei. Alles deute darauf hin, dass der Antragsteller nicht willens sei, der Ladung nachzukommen.

    21

    B.

    22

    Der Antragsteller will die Aufhebung der Vollziehung des Antrags des Antragsgegners auf Anordnung der Erzwingungshaft erreichen. Mit dieser Auslegung des Begehrens ist der hier gestellte Antrag zulässig und begründet.

    23

    I. Der Antragsteller beantragt einstweiligen Rechtsschutz. Prozesserklärungen sind ebenso wie privatrechtliche Willenserklärungen nach § 133 BGB auszulegen (BFH, Urteil vom 20.11.2014 IV R 47/11, BStBl II 2015, 532). Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. An die Fassung der Anträge ist das Gericht nicht gebunden (§§ 96 Abs. 1 Satz 2, 113 Abs. 1 FGO). Im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage des Beteiligten entspricht (BFH-Urteil vom 29.4.2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777). Welcher Rechtsbehelf im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen Vollstreckungsmaßnahmen statthaft ist, richtet sich nach dem Inhalt der Rechtsverletzung, die der Antragsteller geltend macht (BFH, Beschlüsse vom 26.6.1990 VII B 161/89, BFH/NV 1991, 393 und vom 15.1.2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738). Rügt er die Rechtswidrigkeit einer einzelnen Vollstreckungsmaßnahme und stellt diese einen Verwaltungsakt dar (BFH, Beschluss vom 16.11.1977 VII S 1/77, BStBl II 1978, 69), ist der Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung dieses Verwaltungsakts (§ 69 Abs. 3 FGO) der richtige Rechtsbehelf; die einstweilige Anordnung ist in diesem Fall nicht statthaft (§ 114 Abs. 5 FGO). Rügt er die Unbilligkeit der sofortigen Vollstreckung und begehrt er Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO), kommt lediglich die einstweilige Anordnung (§ 114 Abs. 1 FGO) in Betracht. Daran gemessen liegt hier ein Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO in Verbindung mit § 361 Abs. 5 AO vor.

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    II. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung sind erfüllt.

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    1. Der Antrag ist statthaft. Der vom Antragsgegner unter Bezugnahme auf § 284 Abs. 8 Satz 1 AO (in der ab 1.1.2013 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2258) beim Amtsgericht gestellte Antrag vom 10.2.2016, gegen den Antragsteller die Haft zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft anzuordnen, ist durch die Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller ein Verwaltungsakt, dessen Vollziehung ausgesetzt bzw. aufgehoben werden kann. Das folgt aus der für § 69 Abs. 3 AO maßgebenden Definition in § 118 Satz 1 AO. Der Haftanordnungsantrag ist eine hoheitliche Maßnahme, die der Antragsgegner als Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen hat und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet gewesen ist.

    26

    a) Das Gericht folgt mit dieser Bewertung der Rechtsprechung, die noch zu § 284 Abs. 8 Satz 1 AO a. F. ergangen ist. Nach dieser Bestimmung konnte die Vollstreckungsbehörde das Amtsgericht um Anordnung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung „ersuchen“. Der BFH hat mit Beschluss vom 11.12.1984 (VII B 41/84, BStBl II 1985, 197, bei juris Rn 14) ausgeführt, dass „das Erzwingungshaftersuchen mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen angefochten“ werden kann. Auch den Antrag der Vollstreckungsbehörde an das Grundbuchamt auf Eintragung einer Sicherungshypothek nach § 322 Abs. 3 Satz 1 AO hält der BFH (Beschluss vom 25.1.1988 VII B 85/87, BStBl II 1988, 566) für einen aussetzungsfähigen Verwaltungsakt, wenn er die für das Grundbuchamt (§ 38 GBO) verbindliche Feststellung enthalte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorlägen, und der Antrag dem Vollstreckungsschuldner bekanntgegeben werde. Die Finanzgerichte Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 8.7.1999 1 V 1912/99), Nürnberg (vom 25.10.2001 VI 23/2001, n.v., zitiert nach Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, Loseblattausgabe, § 284 AO Rn. 70) und München (Urteil vom 16.10.2002 1 K 2540/02, EFG 2003, 366) sind dem auch für den Fall des Haftanordnungsersuchens gefolgt; ebenso die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 1.7.1988 IV A 5-S 0540-4/88, BStBl I 1988, 192). Ob für den Haftanordnungsantrag aus § 284 Abs. 8 Satz 1 AO in der ab 1.1.2013 geltenden Fassung das Gleiche gilt, hat die Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden. In der Literatur sind die Meinungen geteilt (für Verwaltungsakt Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 284 AO Rn. 69 ff; Fritsch in Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 284 Rn. 30; dagegen Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, Loseblattausgabe, § 284 AO Rn. 22; Zeiler-Müller in Beermann/Gosch, Kommentar zur AO/FGO, Loseblattausgabe, § 284 AO Rn. 16; Werth in Klein, AO, Kommentar, 13. Auflage 2016, § 284 Rn. 28, offen gelassen von Dißars in Schwarz/Pahlke, Kommentar zur AO/FGO, Loseblattausgabe, § 284 AO Rn. 77). Der Senat wendet die bisherige BFH-Rechtsprechung weiter an.

    27

    aa) Regelung im Sinne des § 118 Satz 1 AO ist das gewollte einseitige Setzen einer verbindlichen Rechtsfolge (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 118 AO Rn. 11). Stellt die Vollstreckungsbehörde den Antrag gemäß § 284 Abs. 8 Satz 1 AO, so begründet dies die Verpflichtung des Amtsgerichts zu entscheiden, ob es gegenüber dem Vollstreckungsschuldner die Haft anordnet. Das ergibt sich aus der Verweisung in § 284 Abs. 8 Satz 3 AO auf § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die von der Vollstreckungsbehörde durch die Antragstellung herbeigeführte Bindungswirkung bleibt auch bestehen, wenn der Haftbefehl erteilt ist. Denn das Amtsgericht hat ihn aufzuheben, wenn der Gläubiger dies beantragt bzw. seinen Antrag zurücknimmt (LG Frankfurt, Beschluss vom 10.3.1961 2/14 T 253/60, NJW 1961, 1217, LG Frankenthal, Beschluss vom 7.3.1986 1 T 88/86, Rpfleger 1986, 268; Stöber in Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 802g Rn. 14, vgl. auch FM NRW, Erlass vom 1.2.2015, Vo-Kartei NW § 284 AO Karte 5 und Abschnitt 52 Abs. 6 Satz 10 der Vollstreckungsanweisung in der Fassung vom 3.6.2015, BStBl I 2015, 497).

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    Einer weiteren Begründung für die Annahme einer Regelung im Sinne des § 118 Satz 1 AO bedarf es nicht. Insbesondere vom Erfordernis einer dem § 322 Abs. 3 Satz 2 und 3 AO für Anträge der Vollstreckungsbehörden bei Grundbuchämtern oder Vollstreckungsgerichten vergleichbaren Vollstreckbarkeitsbestätigung, die in § 284 AO nicht vorgesehen ist, kann die Annahme eines Verwaltungsakts nicht abhängig gemacht werden. Deshalb ist es unschädlich, dass das Amtsgericht auch bei einem vom Finanzamt gestellten Gläubigerantrag einen Haftbefehl nur erlässt, wenn es selbst davon überzeugt ist, dass ein Haftgrund - unentschuldigtes Fernbleiben oder Verweigerung der Abgabe ohne Grund - besteht (§ 284 Abs. 8 Satz 3 AO in Verbindung mit § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO), und diesbezüglich keine Bindung an den Haftanordnungsantrag besteht. Das Amtsgericht muss sich weder mit dem substantiierten Vortrag der Vollstreckungsbehörde begnügen noch muss es sich deren sämtliche Unterlagen vorlegen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 14.8.2008 I ZB 10/07, NJW 2008, 3504 m.w.N.).

    29

    Der Senat hält es allerdings für bedenklich, wenn eine Vollstreckungsbehörde - wie hier der Antragsgegner - dem Amtsgericht mitteilt, dass der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erschienen sei, sie das Amtsgericht aber nicht darüber in Kenntnis setzt, dass der Vollstreckungsschuldner einen Tag vor dem Termin schriftlich mitgeteilt hat, warum er nicht erscheinen könne, selbst wenn die Vollstreckungsbehörde in diesem Vorbringen keine ausreichende Entschuldigung sieht. Die Vorgehensweise entspricht allerdings der für NRW einschlägigen Verwaltungsanweisung, wonach abgesehen von der beglaubigten Abschrift der Anordnung über die Abgabe der Vermögensauskunft sowie dem Zustellungsnachweis „weitere Angaben … dem Gericht auf Anforderung nur zu machen … [sind], soweit sie im Einzelfall erforderlich sind, damit das Gericht seine eigene Prüfungspflicht erfüllen kann“ (FM NRW, Erlass vom 1.2.2015, Vo-Kartei NW § 284 AO Karte 5).

    30

    bb) Die in dem Haftanordnungsantrag liegende Regelung ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet (BFH, Beschlüsse vom 29.10.1985 VII B 69/85, BStBl II 1986, 236 und vom 25.1.1988 VII B 85/87, BStBl II 1988, 566). Es handelt sich nur im Verhältnis zwischen der Vollstreckungsbehörde und dem Amtsgericht um einen verwaltungsinternen Vorgang ähnlich der Amtshilfe (§§ 111 ff. AO). Die Außenwirkung tritt dadurch ein, dass der Antrag nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO von der Vollstreckungsbehörde dem Vollstreckungsschuldner bekannt gegeben wird. Gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wird ein Verwaltungsakt demjenigen gegenüber, der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die Finanzämter sind angewiesen, den Vollstreckungsschuldnern eine Durchschrift der Haftanordnungsanträge zu übersenden (Abschnitt 55 Abs. 5 Satz 3 der Vollstreckungsanweisung in der Fassung vom 3.6.2015, BStBl I 2015, 497 [499]). Der Antragsgegner hat dem Antragsteller unter dem 10.02.2016 eine Kopie des Antrags übersandt.

    31

    b) Nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines im Zeitpunkt der Entscheidung bereits vollzogenen Verwaltungsakts aufheben. Da das Finanzamt als Vollstreckungsbehörde Herr des Verfahrens ist, kann es die Aussetzung einer bereits angeordneten Erzwingungshaft anordnen (BFH, Beschluss vom 11.12.1984 VII B 41/84, BStBl II 1985, 197; vgl. auch Beschluss vom 12.6.1991 VII B 58/91, BFH/NV 1992, 519; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 284 AO Rn. 86; Klein/Werth, § 284 Rn. 34; Zeller-Müller in Beermann/Gosch, § 284 AO Rn. 16). Nach Ansicht des Senats geht es in dieser Konstellation um die Aufhebung der Vollziehung. Denn der beim Amtsgericht gestellte Antrag auf Anordnung der Haft ist bereits dadurch vollzogen worden, dass das Amtsgericht auf diesen Antrag hin den Haftbefehl - der selbst nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - erlassen hat (vgl. zur Aufhebung der Vollziehung BFH-Beschluss vom 11.12.1984 VII B 41/84, BStBl II 1985, 197).

    32

    Aussetzung der Vollziehung bewirkt, dass der materielle Regelungsgehalt des nach wie vor wirksamen Verwaltungsakts bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden kann; rechtliche (und tatsächliche) Folgerungen aus dem Verwaltungsakt dürfen nicht mehr gezogen werden (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.7.1995 GrS 3/93, BStBl II 1995, 730). Dem Finanzamt ist jeglicher Gebrauch der Wirkungen des Verwaltungsakts einstweilen untersagt (BFH-Beschluss vom 23.1.2004 VII B 131/03, BFH/NV 2004, 794). Aufhebung der Vollziehung bedeutet, einerseits den Zustand wiederherzustellen, der vor der Ausführung der rechtlich ernstlich zweifelhaften Vollstreckungsmaßnahme bestanden hat, andererseits die Hauptsache nicht vorwegzunehmen (BFH-Beschluss vom 17.12.2003 I B 182/02, BFH/NV 2004, 815; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rn. 532). Das hier in der Sache begehrte Verbot an den Antragsgegner, von dem Haftbefehl Gebrauch zu machen, wird beiden Kriterien gerecht.

    33

    c) Rechtsbehelf in der Hauptsache ist der gegen den Antrag auf Haftanordnung eingelegte Einspruch des Antragstellers (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO).

    34

    aa) Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 24.2.2016 Einspruch eingelegt. Dieser bezieht sich nach dem Wortlaut nur auf die Verfügung vom 10.2.2016, durch die der Antragsgegner den Vollstreckungsaufschub abgelehnt hat, und nicht auf das Schreiben des Antragsgegners vom selben Tage, durch das er dem Antragsteller eine Kopie des Antrags an das Amtsgericht übersandt hat. Wie bereits ausgeführt ist aber der in diesem Antrag enthaltene Verwaltungsakt durch eben die am 10.2.2016 vollzogene Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Bezeichnung des Verwaltungsakts, gegen den der Einspruch gerichtet ist, ist gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 AO nur ein Soll-Erfordernis. Im Zweifel ist der Umfang eines Einspruchs in analoger Anwendung des § 133 BGB durch Auslegung zu ermitteln (BFH, Beschluss vom 15.12.1998 I B 45/98 BFH/NV 1999, 751). Ziffer 1 des Schreibens vom 24.2.2016 belegt, dass sich der Antragsteller bereits damals durch den vom Amtsgericht erteilten Haftbefehl beschwert fühlte und zwar unabhängig von dem vom Antragsgegner abgelehnten Antrag auf Vollstreckungsaufschub. Genau wie der beim Senat gestellte Antrag richtet sich deshalb der Einspruch aus dem Schreiben vom 24.2.2016 auch gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 10.2.2016, durch die er seinen Antrag an das Amtsgericht dem Antragsteller gegenüber bekannt gegeben hat.

    35

    bb) Über den vorgenannten Einspruch hat der Antragsgegner bisher nicht entschieden. Seine Einspruchsentscheidung vom 13.4.2016 bezieht sich ausdrücklich nur auf den Einspruch gegen die „Ablehnung des Antrags auf Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO“, den der Antragsteller am 2.2.2016 gestellt hatte.

    36

    Welchen Regelungsinhalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei die §§ 133, 157 BGB auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregeln enthalten. Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts kommt es grundsätzlich nicht darauf an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Denn der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO); diese Regelung gilt auch für die Einspruchsentscheidung (§ 365 Abs. 1 AO). Maßgebend für die Auslegung ist deshalb der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH-Beschluss vom 16.3.2001 IV B 17/00, BFH/NV 2001, 1103; Urteile vom 11.7.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96 und vom 22.7.2015 V R 49/14, BFH/NV 2015, 1692). Den Antrag auf Erlass des Haftbefehls würdigt der Antragsgegner nur im Zusammenhang mit § 258 AO, nicht aber anhand der Regelung in § 284 Abs. 8 Satz 1 AO. Auf diese Norm geht die Einspruchsentscheidung an keiner Stelle ein. Es spricht viel dafür, dass der Antragsgegner diesen rechtlichen Gesichtspunkt seinerzeit nicht bedacht hatte. Diese Unklarheit darf nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Der Senat geht deswegen davon aus, dass der Antragsgegner über den Einspruch des Antragstellers gegen den Antrag auf Erlass des Haftbefehls noch nicht entschieden hat.

    37

    cc) Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des - hier nicht einschlägigen Absatzes 4 - schon nach der Grundregel aus § 361 Abs. 1 Satz 1 AO nicht gehemmt. Einer zusätzlichen Bestimmung, wie sie § 284 Abs. 6 Satz 3 AO für die Anordnung der Abgabe der Vermögensauskunft und § 284 Abs. 10 Satz 1 AO für die Eintragungsanordnung enthalten, bedarf es daher für § 284 Abs. 8 Satz 1 AO nicht. § 284 Abs. 6 Satz 3 AO in der zum 1.1.2013 in Kraft getretenen Fassung beruht auf der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers, die bis zum 31.12.2012 geltende Rechtslage zu ändern. Hatte der Vollstreckungsschuldner gegen die Anordnung der Abgabe der - seinerzeit so bezeichne-ten - eidesstattlichen Versicherung einen Rechtsbehelf eingelegt und begründet, war er nach § 284 Abs. 6 Satz 2 AO a. F. erst nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Rechtsbehelf zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet; vorher konnte es zur Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis wegen § 284 Abs. 7 Satz 1 AO a.F. nicht kommen. Der Gesetzgeber will mit den geänderten Bestimmungen verhindern, dass der Vollstreckungsschuldner das Verfahren mutwillig bzw. ohne sachlichen Grund verzögern kann (Bundestags-Drucksache 16/10069, S. 46 f.).

    38

    dd) Dem Senat ist bewusst, dass die vorstehende Auslegung des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO für den Vollstreckungsschuldner eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnet, die im Text der ab 1.1.2013 geltenden Gesetzesfassung nicht enthalten ist und von der in den Materialien zur Entstehungsgeschichte – soweit erkennbar – nicht die Rede war. Dass ein Einspruch gegen den Antrag auf Haftanordnung statthaft ist, war allerdings vor der Änderung zum 1.1.2013 ganz überwiegend anerkannt, obwohl der Text des § 284 Abs. 8 AO a. F. dafür ebenso wenig eine Grundlage geboten hat wie heute. Es gibt ferner keine Belege dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung den von den Finanzgerichten nach den allgemeinen Bestimmungen zu gewährenden einstweiligen Rechtsschutz beschneiden wollte. Eine solche Regelung wäre im Übrigen kaum mit der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu vereinbaren. Wendet sich der Vollstreckungsschuldner mit entsprechender Begründung gegen einen zu Unrecht gestellten Antrag auf Haftanordnung an das Finanzgericht, kann nicht die Rede davon sein, dass er das Vollstreckungsverfahren „durch die mutwillige Einlegung von Rechtsbehelfen verzögern“ (Bundestags-Drucksache 16/10069, S. 46) würde.

    39

    3. Die Zugangsvoraussetzung aus § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO ist gewahrt. Es kann offenbleiben, ob der Antragsgegner durch sein Schreiben vom 26.2.2016 einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (vgl. zu dieser Konstellation den BFH-Beschluss vom 12.3.2013 XI B 14/13, BStBl II 2013, 390) ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Denn diese Regelung gilt nach § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO nicht, wenn eine Vollstreckung droht. Das ist der Fall, wenn die Finanzbehörde mit der Vollstreckung begonnen hat oder eine solche unmittelbar bevorsteht (BFH, Beschluss vom 6.3.2013 X S 28/12, BFH/NV 2013, 959). Der Erlass des Haftbefehls durch das Amtsgericht ist der Beginn der Vollstreckung des Antrags auf Anordnung der Haft.

    40

    4. Der Antrag ist zulässig, obwohl der Antragsteller von Anfang an auch unmittelbar gegen den Haftbefehl hätte vorgehen können. Dem hier gestellten Antrag fehlt deshalb nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

    41

    a) Das Amtsgericht hat den Haftbefehl am 16.2.2016 erlassen und dem Antragsgegner zugeleitet. Das ist dem Antragsteller spätestens aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 24.2.2016 bekannt und wurde in der Antragsschrift bestätigt. Gegen einen vom Amtsgericht auf der Grundlage von § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 284 Abs. 8 Satz 3 AO erlassenen Haftbefehl ist die sofortige Beschwerde statthaft (§§ 567 Abs. 1 Ziffer 1, 793 ZPO). Der Schuldner kann mit der Beschwerde insbesondere rügen, das Amtsgericht habe zu Unrecht einen Haftgrund angenommen, und nachträglich glaubhaft machen, dass sein Nichterscheinen ausreichend entschuldigt war (OLG Hamm, Beschluss vom 13.1.1975, MDR 1975, 939; LG Koblenz, Beschluss vom 13.9.1984 4 T 481/84, bei juris; KG, Beschluss vom 15.12.1992 1 W 3524/92, OLGZ 1993, 358; Stöber in Zöller, § 802g Rn. 14). Über die Beschwerde entscheidet, wenn das Amtsgericht ihr nicht abhilft, das Landgericht (vgl. LG Stendal, Beschluss vom 27.10.2003 21 T 7/03, DGVZ 2003, 188; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 30.12.1998 2 W 60/98, OLGR 1999, 201).

    42

    b) Der Senat folgt nicht der Auffassung im BFH-Beschluss vom 25.10.2004 (VII B 108/04, BFH/NV 2005, 659 zur Zurückweisung einer NZB gegen FG München, Urteil vom 13.4.2004 8 K 5207/03 n. v.; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 284 AO Rn. 70), dass mit der Möglichkeit, den Haftbefehl vor den ordentlichen Gerichten überprüfen zu lassen, den Anforderungen an die in Art. 19 Abs. 4 GG festgelegte Rechtsweggarantie genüge getan sei und deshalb für die Anfechtung vor dem FG kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr) bestehe.

    43

    Dieses Ergebnis widerspricht der bereits dargestellten BFH-Rechtsprechung (vom 11.12.1984 VII B 41/84, BStBl II 1985, 197; vgl. auch Beschluss vom 12.6.1991 VII B 58/91, BFH/NV 1992, 519), wonach das Finanzamt auch nach Erlass des Haftbefehls als Vollstreckungsbehörde weiter Herr des Verfahrens und damit zuständig für die Aussetzung einer bereits angeordneten Erzwingungshaft bleibt. Ferner kann der Vollstreckungsschuldner die sofortige Beschwerde erst einlegen und die Aussetzung erst beantragen, wenn ihm der Haftbefehl vorliegt. Da es dessen Zustellung nicht bedarf, wird dem Vollstreckungsschuldner der Haftbefehl im Zweifel erst „bei der Verhaftung“ in beglaubigter Abschrift übergeben (§§ 802g Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ZPO, 284 Abs. 8 Satz 3 AO). Erst dann erfährt der Vollstreckungsschuldner das Aktenzeichen des Gerichts und das Erlassdatum. Ohne diese Angaben dürfte das Amtsgericht zumindest Eilrechtsschutz kaum gewähren können. Ein solches Verfahren erst führen zu können, nachdem der Antragsteller sich in Haft befindet, wäre eine erhebliche Schlechterstellung gegenüber dem finanzgerichtlichen Rechtsschutz.

    44

    Schließlich ist zu bedenken, dass das Amtsgericht bei Erlass des Haftbefehls wie bereits ausgeführt nicht zu prüfen hat, ob die Vollstreckungsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen, den Antrag nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO zu stellen, rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Dazu sind nur die Finanzgerichte berechtigt und verpflichtet (§ 102 Satz 1 FGO). Mit den nicht deckungsgleichen Prüfaufträgen wird bei finanzbehördlichen Anträgen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens der finanzgerichtliche neben dem insolvenzgerichtlichen Rechtsschutz zugelassen (BFH, Beschluss vom 31.8.2011 VII B 59/11 BFH/NV 2011, 2105). Dass in dieser Konstellation das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wird (BFH, Beschluss vom 26.2.2010 VII B 166/09, BFH/NV 2010, 1122), beruht auf der Besonderheit, dass der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens nicht mehr zurückgenommen werden kann, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet ist (§ 13 Abs. 2 InsO). Der Antrag auf Anordnung der Haft kann demgegenüber wie bereits ausgeführt auch nach Erlass des Haftbefehls noch zurückgenommen werden.

    45

    III. Der Antrag ist begründet.

    46

    Der Senat hebt die Vollziehung des Haftanordnungsantrags auf, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3 FGO i. V. m. § 361 Abs. 3 AO).

    47

    Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10.2.1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; aus neuerer Zeit z. B. BFH-Beschluss vom 20.1.2015 XI B 122/14, BFH/NV 2015, 537). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 7.9.2011 I B 157/10, BStBl II 2012, 590 und vom 26.9.2014 XI S 14/14, BFH/NV 2015, 158). Daran gemessen ist die Rechtmäßigkeit des Haftanordnungsantrags ernstlich zweifelhaft.

    48

    Rechtsgrundlage für den Haftanordnungsantrag ist § 284 Abs. 8 Satz 1 AO. Nach dieser Bestimmung kann die Vollstreckungsbehörde, die die Vollstreckung betreibt, die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe beantragen, wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der Vermögensauskunft anberaumten Termin nicht erschienen ist. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Überprüfung durfte der Antragsgegner zwar die Voraussetzungen des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO für einen Haftanordnungsantrag zu Recht als erfüllt ansehen. Dessen Rechtmäßigkeit ist jedoch gemäß § 102 Satz 1 FGO deshalb ernstlich zweifelhaft, weil der Antragsgegner das ihm auf der Rechtsfolgenseite des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat, als er den Antrag beim Amtsgericht stellte.

    49

    1. Der Antragsteller ist in dem zur Abgabe der Vermögensauskunft anberaumten Termin am 3.2.2016 nicht erschienen (§ 284 Abs. 8 Satz 1 AO). Durch die Verfügung vom 11.12.2015 hatte der Antragsgegner gemäß § 284 Abs. 6 Satz 1 AO den 3.2.2016 zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft bestimmt und dazu den Antragsteller geladen. Die Verfügung war dem Antragsteller am 14.12.2015 zugestellt worden. Die mit der Terminbestimmung verbundene Fristsetzung nach § 284 Abs. 1 Satz 1 AO zur Zahlung der Forderung in Höhe von 7.377 € binnen zwei Wochen war fruchtlos abgelaufen. Die Verfügung vom 11.12.2015 ist zudem bestandskräftig geworden. Darüber streiten die Beteiligten nicht. Es bestehen für den Senat auch keine ernstlichen Zweifel, dass der Antragsgegner bei Stellen des Haftanordnungsantrags am 10.2.2016 zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Antragsteller ohne „ausreichende Entschuldigung“ in dem Termin am 3.2.2016 nicht erschienen ist. Die vom Antragsteller per Telefax am 2.2.2016 vorgebrachten Gründe reichten als Entschuldigung nicht aus.

    50

    a) Der Antrag, unter Hinweis auf die Ankündigung der Zahlung der offenen Beträge bis zum 1.3.2016 bis auf Weiteres von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzusehen, entschuldigte den Antragsteller schon deshalb nicht, weil er ihn erst am Dienstag, 2.2.2016 um 12:50 Uhr und damit keine 24 Stunden vor dem für Mittwoch, den 3.2.2016 um 9:00 Uhr anberaumten Termin gestellt hatte und in diesem Zeitpunkt nicht mehr erwarten konnte, dass ihm ein positiver Bescheid des Antragsgegners überhaupt noch rechtzeitig zugehen werde. Ohne einen solchen Bescheid hatte der Antragsteller – vorbehaltlich anderer Entschuldigungsgründe – termingerecht zu erscheinen.

    51

    b) Das Vorbringen des Antragstellers unter Bezugnahme auf die beigefügte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, er sei „auf Grund … (seiner) … Erkrankung … derzeit nicht in der Lage“, der „Aufforderung zur Vermögensauskunft nachzukommen“, enthält eine ausreichende Entschuldigung ebenfalls nicht.

    52

    aa) Zur Auslegung des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO im Allgemeinen und der Anwendung der Norm im Besonderen bei Darlegung einer Erkrankung des Vollstreckungsschuldners als ausreichende Entschuldigung ist in der Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit bisher – soweit ersichtlich – nicht im Einzelnen entschieden worden. Der Senat hält jedoch die von den Zivilgerichten entwickelten Grundsätze für Fälle, in denen der Schuldner in der Zwangsvollstreckung nach dem 8. Buch der ZPO vorträgt, er sei erkrankt, trotz kleiner Unterschiede in den Formulierungen der einzelnen Bestimmungen für vergleichbar und auf § 284 Abs. 8 Satz 1 AO übertragbar. Dieser Lösung folgt auch das Finanzministerium NRW (Erlass vom 1.2.2015, Vo-Kartei NW § 284 AO Karte 5), wonach der Antrag auf Anordnung der Haft zu unterbleiben hat, wenn der Schuldner wegen einer akuten ernsthaften Erkrankung, die offensichtlich oder durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen ist, am Erscheinen verhindert war.

    53

    Nach § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO in der ab 1.1.2013 geltenden Fassung erlässt das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht gegen den Schuldner, der dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft „unentschuldigt fernbleibt“ oder die Abgabe der Vermögensauskunft ohne Grund verweigert, auf Antrag des Gläubigers zur Erzwingung der Abgabe einen Haftbefehl. Diese Bestimmung ist nach § 284 Abs. 8 Satz 3 AO beim Erlass von Haftbefehlen auf Antrag der Vollstreckungsbehörde entsprechend anwendbar. Nach der bis zum 31.12.2012 geltenden Rechtslage hatte das Gericht auf Antrag einen Haftbefehl schon dann zu erlassen, wenn der Schuldner in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termin „nicht erscheint“ (§ 901 Satz 1 ZPO); allerdings vertagte das Gericht in entsprechender Anwendung von § 337 Satz 1 ZPO die Verhandlung, wenn es dafür hielt, dass die Partei „ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert war“. Mit dem Einwand, der Schuldner sei erkrankt und sein Nichterscheinen deshalb ausreichend entschuldigt, haben sich unter anderem die folgenden Entscheidungen auseinandergesetzt (Thüringer OLG, Beschluss vom 13.3.1997 W 131/97, Rpfleger 1997, 446; LG Saarbrücken, Beschluss vom 20.10.2003 5 T 570/03, DGVZ 2004, 29; LG Wuppertal, Beschluss vom 21.12.2005 6 T 797/05, DGVZ 2006, 113; LG Heilbronn, Beschluss vom 16.03.2006 1 T 110/06, DGVZ 2006, 116; LG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2009 5 T 136/0, DGVZ 2010, 16; AG Rüdesheim, Beschluss vom 18.4.2011 7 M 1039/10, DGVZ 2012, 32; LG Tübingen, Beschluss vom 14.4.2015 5 T 72/15, bei juris; AG Halle, Beschluss vom 7.8.2015 4 M 686/15, bei juris; zusammenfassend Stöber in Zöller, § 802g Rn. 4 und Metz, Das Haftbefehlsverfahren in der Zwangsvollstreckung, NJW 2015, 3340). Eine weitere Parallele zu § 284 Abs. 8 Satz 1 AO sieht der beschließende Senat in der Regelung in § 381 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO in Verbindung mit § 82 FGO, wonach im finanzgerichtlichen Verfahren die gegenüber einem ordnungsgemäß geladenen und im Termin nicht erschienenen Zeugen vorgeschriebenen Sanktionen unterbleiben bzw. aufgehoben werden, wenn der Zeuge für sein Ausbleiben eine „genügende Entschuldigung“ hat. Fälle, in denen als Entschuldigung eine Erkrankung des Zeugen geltend gemacht wurde, hat der BFH wiederholt entschieden (BFH, Beschlüsse vom 14.1.1998 II B 34/97, BFH/NV 1998, 864; vom 16.12.2005 VIII B 204/05, BFH/NV 2006, 771; vom 28.8.2008 VI B 59/08, BFH/NV 2009, 34 und vom 10.5.2012 III B 223/11, BFH/NV 2012, 1460).

    54

    bb) Aufgrund dieser Rechtsprechung kommt der beschließende Senat bei summarischer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller trotz der geltend gemachten Erkrankung „ohne ausreichende Entschuldigung“ im Termin am 3.2.2016 nicht erschienen ist. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen keine andere Beurteilung.

    55

    Eine ausreichende Entschuldigung hat im Allgemeinen derjenige, dem die Erfüllung der betreffenden Pflicht nicht zumutbar ist. Der Vollstreckungsschuldner ist verpflichtet, in dem zur Abgabe der Vermögensauskunft anberaumten Termin vor der Vollstreckungsbehörde zu erscheinen. Er muss also nach seinem körperlichen und geistigen Zustand transport- und vernehmungsfähig sein.

    56

    An der Transportfähigkeit des Antragstellers bestehen keine Zweifel. Das Dienstgebäude des Antragsgegners ist etwa 30 Kilometer von der Wohnung des Antragstellers entfernt. Etwa gleich weit liegt die Arztpraxis, in der sich der Antragsteller am 29.1.2016 eingefunden hat. War der Antragsteller zu dieser Reise in der Lage, hätte er sich am 3.2.2016 auch zum Dienstgebäude des Antragsgegners begeben bzw. befördern lassen können.

    57

    Ob der Antragsteller vernehmungsfähig war, richtet sich danach, ob er in der Lage war, an Amtsstelle diejenigen Auskünfte zu erteilen, zu denen er verpflichtet war. Der Antragsgegner hatte ihm durch die Verfügung vom 11.12.2015 aufgegeben, auf beigefügten Vordrucken ein Vermögensverzeichnis zu erstellen. Die erforderlichen Eintragungen konnte der Antragsteller bereits vorab zu Hause vornehmen. Die zur Glaubhaftmachung erforderlichen Unterlagen hatte er ebenfalls zu Hause zusammen zu stellen, im Termin brauchte er sie lediglich vorzulegen. Sodann würde der Antragsgegner im Termin zu den Angaben des Antragstellers ein elektronisches Dokument erstellen und dem Antragsteller entweder vorlesen oder zur Durchsicht auf einem Bildschirm wiedergeben (§ 284 Abs. 7 Satz 1 und 2 AO). Schließlich hätte der Antragsteller nach Belehrung durch den Antragsgegner zu Protokoll (mit seiner Unterschrift) an Eides statt zu versichern gehabt, dass er die Angaben im Vermögensverzeichnis nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe (§ 284 Abs. 3 AO).

    58

    Der Senat geht davon aus, dass der Antragsteller am 3.2.2016 tatsächlich erkrankt war. Je nach Art und Schwere seiner Erkrankung kann die Vernehmungsfähigkeit ausgeschlossen gewesen sein. Es sind indessen diverse Krankheiten denkbar, die die Vernehmungsfähigkeit des Antragstellers in dem vorstehend beschriebenen Umfang unberührt lassen. Der Antragsgegner verweist zu Recht auf das Beispiel eines Menschen mit einem gebrochenen, aber medizinisch ausreichend versorgten und keine Schmerzen bereitenden Arm. Die betreffende Person ist zweifellos erkrankt, aber dadurch nicht gehindert, die Vermögensauskunft abzugeben sowie deren Richtigkeit und Vollständigkeit zumindest bei minimaler Schreibfähigkeit an Eides statt zu versichern. Angesichts dessen ist es lediglich eine nicht substantiierte Behauptung des Antragstellers, er sei aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage gewesen, die Vermögensauskunft abzugeben.

    59

    Die ärztliche Bescheinigung führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese lautete, der Antragsteller sei - unter anderem am 3.2.2016 - „arbeitsunfähig“. Das besagt für die hier interessierende Frage der Vernehmungsfähigkeit nichts. Eine Person ist im medizinischen Sinne arbeitsunfähig, wenn sie die aktuell ausgeübte Tätigkeit unter Berücksichtigung der damit verbundenen Anforderungen und Belastungen aufgrund einer Krankheit (kausaler Zusammenhang) nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung fortsetzen kann (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der Fassung vom 14.11.2013 veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 27.01.2014 B4). Nach Aktenlage ist der Antragsteller seit über 25 Jahren auf dem Gebiet der medizinischen Trainingstherapie tätig und zwar aktuell als Einzelunternehmer unter der Bezeichnung G, als Geschäftsführer der G GmbH und als Arbeitnehmer bzw. Berater der Firma U. Die insoweit vom Antragsteller zu leistende Arbeit stellt sowohl in ihrem zeitlichen Umfang als auch mit ihren persönlichen Anforderungen und Belastungen ein Vielfaches des Aufwands dar, den die Abgabe der Vermögensauskunft nebst eidesstattlicher Versicherung dem Antragsteller bereitet. Deshalb kann aus dem Umstand, dass er seine Arbeit krankheitsbedingt aktuell nicht fortsetzen kann, nicht geschlossen werden, er sei in dem hier erforderlichen Umfang nicht vernehmungsfähig gewesen.

    60

    2. Die Vollstreckungsbehörde ist, auch wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der Vermögensauskunft anberaumten Termin nicht erschienen ist, gemäß § 284 Abs. 8 Satz 1 AO nicht verpflichtet, die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe zu beantragen. Durch die Worte „kann … beantragen“ räumt das Gesetz der Vollstreckungsbehörde Ermessen ein, ob sie den Antrag beim Amtsgericht stellt oder ob sie ihn – obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen – nicht stellt. Dieses Ermessen hat sie gemäß § 5 AO entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Eben dies, nämlich ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist oder ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind, hat das Gericht zu prüfen; ein Ermessensfehler führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (§ 102 Satz 1 FGO). Bei überschlägiger Prüfung leidet der Haftanordnungsantrag an einem Ermessensfehler, der auch im Einspruchsverfahren jedenfalls nicht rückwirkend geheilt werden kann.

    61

    a) Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden unter anderem dann überschritten, wenn die Finanzbehörde das ihr eingeräumte Ermessen gar nicht ausübt (so genannter Ermessensnichtgebrauch bzw. Ermessensausfall (BFH, Urteile vom 14.6.1983 VII R 4/83, BStBl II 1983, 695 und vom 2.9.2010 VI R 3/09, BStBl II 2011; Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz 41). Dieser Fall liegt hier vor. Weder aus dem Text des Schreibens an das Amtsgericht noch aus dem Schreiben an den Antragsteller geht hervor, dass dem Antragsgegner bewusst war, dass seinem Haftanordnungsantrag eine Ermessensentscheidung zugrunde liegen musste. Der Antragsgegner hat lediglich unter Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften ausgeführt: „die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft … [und] … für die Vollstreckung liegen vor“.

    62

    Es spricht zwar einiges dafür, dass den Vollstreckungsbehörden bei der Ausübung ihrer Befugnisse aus § 284 AO - und damit auch für den hier interessierenden Fall des § 284 Abs. 8 Satz 1 AO - ein so genanntes intendiertes Ermessen zusteht (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 284 AO Rn. 56). Ein solches liegt vor, wenn die einschlägige Norm das Ermessen in eine bestimmte Richtung vorprägt, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht. Versteht sich das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 121 Abs. 1 AO auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Sofern also ein Vollstreckungsschuldner auf die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft überhaupt nicht reagiert und den Termin verstreichen lässt, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, dass die Vollstreckungsbehörde sogleich den Haftanordnungsantrag stellt. Ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens liegt deswegen nur vor, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falls bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere als die vorgeprägte Entscheidung möglich erscheinen lassen, und diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 3 C 22.96, BVerwGE 105, 55; daran anknüpfend BFH, Beschlüsse vom 5.9.2002 VII B 71/02, BFH/NV 2003, 139 und vom 29.6.2006 VII B 19/06, BFH/NV 2006, 1795). Im Streitfall ist dem Antragsgegner ein außergewöhnlicher Umstand bekannt geworden, der ihn hätte veranlassen müssen, zu erwägen, von dem Haftanordnungsantrag zunächst abzusehen.

    63

    aa) Der Antragsgegner hatte den Antragsteller in der Verfügung vom 11.12.2015 gemäß § 284 Abs. 6 Satz 5 AO über die Folgen einer unentschuldigten Terminssäumnis belehrt. Diesem musste daher bewusst sein, dass er eine ausreichende Entschuldigung vorweisen musste, wenn er am 3.2.2016 nicht beim Antragsgegner erscheinen würde, da dieser sonst seine - des Antragstellers - Verhaftung beantragen konnte. Darauf beruht sein Telefax vom 2.2.2016. Den darin enthaltenen pauschalen Hinweis auf seine Erkrankung in Verbindung mit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat der Antragsgegner zwar - wie ausgeführt - zu Recht nicht als ausreichende Entschuldigung anerkannt.

    64

    Es ist aber durchaus möglich, dass die Erkrankung des Antragstellers von einer solchen Art und Schwere war, dass er am 3.2.2016 tatsächlich nicht in dem hier erforderlichen Umfang vernehmungsfähig war. In diesem Fall wäre ihm lediglich vorzuhalten, dass er seine Erkrankung in dem Telefax nicht genau genug beschrieben hat bzw. er seinen Arzt nicht gebeten hatte, ihm ein spezifiziertes Attest zu aktuellen Vernehmungsunfähigkeit zu erteilen. Dem Antragsteller musste jedoch - auch unter Berücksichtigung der Verfügung vom 11.12.2015 - nicht bekannt sein, welche Anforderungen an Darlegung und Nachweis einer ausreichenden Entschuldigung gestellt würden. Er durfte sich deswegen zunächst auf die Angaben im Telefax beschränken und die Reaktion des Antragsgegners abwarten.

    65

    bb) Der Senat sieht in dieser Situation den Antragsgegner in der Pflicht, vor dem Haftanordnungsantrag den Antragsteller anzuhören. Er hätte ihm mitteilen müssen, dass das Telefax mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den gesetzlichen Voraussetzungen nicht genüge, und ihm sodann Gelegenheit geben müssen, binnen kurzer Frist Art und Schwere der Erkrankung im Einzelnen darzulegen bzw. ein spezifiziertes Attest des Arztes zu übersenden. Die Vollstreckungsgerichte messen privatärztlichen Attesten teilweise eine vorläufige Beweisfunktion zu, die eine Vertagung des Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit der Auflage rechtfertige, ein amtsärztliches Zeugnis beizubringen (OLG Thüringen, Beschluss vom 13.3.1997 6 W 131/97, Rpfleger 1997, 446; LG Tübingen, Beschluss vom 14.4.2015 5 T 72/15, Rn. 9, juris). Erst nach Vorliegen der Antwort auf die Frage, ob der Antragsteller am 3.2.2016 vernehmungsfähig und damit ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen war, hätte der Antragsgegner sein Ermessen, einen Antrag auf Anordnung der Haft zu stellen, fehlerfrei ausüben können. Unterstellt, dass der Antragsteller vernehmungsfähig war, wäre der Haftbefehl zwar nicht bereits am 16.2.2016, aber nur geringfügig später erteilt worden. Darin kann der Senat keinen erheblichen Rechtsnachteil für den Antragsgegner erkennen.

    66

    cc) Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Anhörung des Antragstellers lässt sich zudem aus der Verfassung ableiten. Die gesetzliche Regelung über die Erzwingungshaft zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist zwar als solche mit dem GG vereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.1982 1 BvL 34/80, 1 BvL 55/80, BVerfGE 61, 126 zu § 901 ZPO in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung). Verfassungsgemäß muss indessen auch die Anwendung der Bestimmungen auf den Einzelfall sei. Deshalb sind die Vollstreckungsbehörden durch die Grundrechte zu einer einwandfreien und erschöpfenden Sachaufklärung der Voraussetzungen und der Ermessensausübung nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO verpflichtet. Die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft betrifft die Freiheit der Person, die nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur „unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen“ beschränkt werden kann (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG). Zu den im ermächtigenden Gesetz vorgeschriebenen Formen gehören insbesondere - wie hier - Antragserfordernisse (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Kommentar, 14. Auflage 2016, Art. 104 Rn. 5). Ist die Person erkrankt, gegen die die Erzwingungshaft angeordnet werden soll, kann das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 83) verletzt sein. Gestützt auf diese Grundrechte hat das BVerfG verschiedentlich die Vollziehung von Gerichtsentscheidungen ausgesetzt, denen Haftbefehle zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 901 ZPO in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung) zugrunde lagen. Soweit es um die körperliche Unversehrtheit ging, wurde beanstandet, dass die Fachgerichte zu strenge Anforderungen an den Nachweis einer der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung entgegenstehenden Gesundheitsgefahr in einem amtsärztlichen Attest gestellt (BVerfG, Beschlüsse vom 13.3.2008, 9.9.2008 und 27.5.2009, 1 BvR 572/08) bzw. vorhandene ärztliche Bescheinigungen pauschal als nicht aussagekräftig angesehen hatten (Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 25.4.2007 Vf. 14-VI-07). Dass die Vollziehung eines Haftbefehls vorübergehend nicht fortgesetzt werden konnte, falle angesichts der relativ geringen Höhe des beizutreibenden Ordnungsgeldes (1.000 €) einerseits und des Rechtsgutes der Freiheit der Person andererseits nicht erheblich ins Gewicht (BVerfG, Beschluss vom 22.9.2009 2 BvR 2135/09, bei juris). Für die Entscheidungen von Finanzbehörden nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO kann nichts anderes gelten, da sie ebenfalls an die Grundrechte gebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG).

    67

    b) Der Umstand, dass sich die Hauptsache noch im Einspruchsverfahren befindet, steht der Anordnung einer Aufhebung der Vollziehung nicht entgegen.

    68

    aa) Bei der Entscheidung über den Einspruch hat der Antragsgegner gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO die bisherige Ausübung des Ermessens zu überprüfen. Dabei wird er das zwischenzeitlich eingereichte Attest des Orthopäden vom 11.3.2016 berücksichtigen müssen, wonach der Antragsteller ein chronisches Wirbelsäulenleiden hat, das Anfang 2016 wieder akut geworden ist, und dadurch „in seiner Mobilität eingeschränkt“ war. Diese Erkrankung dürfte seine Vernehmungsfähigkeit nicht in dem für § 284 Abs. 8 Satz 1 AO erforderlichen Maße beeinträchtigt haben. Die Atteste des Internisten betreffen den Gesundheitszustand des Antragstellers ab dem 23.5.2016 und „die letzten Wochen“ davor. Deshalb wird man nicht ohne weiteres davon ausgehen können, dass die festgestellten diversen physischen und psychischen Beschwerden beim Antragsteller bereits am 3.2.2016 vorhanden waren. Immerhin hat er selbst vorgetragen, dass das „Gezerre mit dem Antragsgegner“ inzwischen auch zu einem psychischen Leiden geführt habe. Dieses „Gezerre“ hat indessen frühestens begonnen, als dem Antragsteller bekannt geworden ist, dass der Antragsgegner einen Haftbefehl beantragt hatte. Liegt sonach ein - wie hier beim Ermessensnichtgebrauch - behebbarer Ermessensfehler vor, ist es im Allgemeinen nicht ernstlich zweifelhaft, dass er von der Finanzbehörde spätestens in der Einspruchsentscheidung behoben werden wird mit der Folge, dass die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auch für die Dauer des Einspruchsverfahrens vom Finanzgericht nicht gewährt werden kann (BFH, Beschlüsse vom 5.3.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 und vom 26.1.2006 VI B 89/05, BFH/NV 2006, 964; FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6.8.2007 2 V 316/07, EFG 2007, 1830 und FG Düsseldorf, Beschluss vom 28.9.2015 9 V 2588/15, EFG 2015, 2147; Brandt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 102 FGO Rn. 74; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO Rn. 260).

    69

    bb) Der Senat ist aber der Auffassung, dass diese zur Haftung von Geschäftsführern bzw. zur Anordnung einer Lohnsteuer-Außenprüfung angestellten Überlegungen nicht auf die zu beurteilende Konstellation übertragen werden können. Damit ist der hier streitige Antrag nicht vergleichbar. Er bildet die Grundlage für den Erlass und die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls, der mit der Anordnung der Freiheitsentziehung zu einem schwerwiegenden Eingriff in ein elementares Grundrecht führt (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG).

    70

    Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Unterbringung von psychisch kranken Menschen nach den einschlägigen Landesgesetzen (vgl. Beschlüsse vom 7.10.1981 2 BvR 1194/80, BVerfGE 58, 208 und vom 17.1.1990 2 BvR 1592/88, bei juris) kann eine in diesen Verfahren zu Unrecht unterbliebene Anhörung auch im Falle einer Nachholung den Verstoß gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit rechtlich nicht mehr beseitigen. Zwar gelte im Verfahrensrecht im Allgemeinen der Grundsatz, dass Fehler des Verfahrens dadurch geheilt werden, wenn der fehlerhafte Verfahrensvorgang fehlerfrei wiederholt werde. Die Unterlassung der vorgeschriebenen Anhörung habe jedoch nicht nur zur Folge, dass dem Unterzubringenden ein prozessuales Recht lediglich vorübergehend vorenthalten werde, sie bedeute vielmehr, dass die Entscheidung über den Entzug der persönlichen Freiheit ohne zwingenden Grund auf unzureichender richterlicher Sachaufklärung beruhe, die als unverzichtbare Voraussetzung einer Unterbringung anzusehen sei. Der nachgeholten Anhörung könne heilende Wirkung daher nur für die Zukunft beigemessen werden.

    71

    Für den Antrag auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO kann nichts anderes gelten. Wie ausgeführt hätte der Antragsgegner bei ermessensfehlerfreier Entscheidung am 10.2.2016 den Antrag beim Amtsgericht noch nicht stellen dürfen. Auf diesem Antrag beruht indessen der am 16.2.2016 erlassene Haftbefehl, der nur im Hinblick auf das hier anhängig gemachte Verfahren bisher nicht vollstreckt wurde. Hätte der Senat nicht die Möglichkeit, die Vollziehung des Antrags aufzuheben, könnte der Antragsgegner den Antragsteller sofort verhaften und bis zu sechs Monaten inhaftiert lassen (§ 802j Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 284 Abs. 8 Satz 3 AO), ohne den Ermessensfehler während dieser Zeit beheben zu müssen.

    72

    3. Mit der Fassung des Tenors folgt der Senat den Formulierungen in den Beschlüssen des BFH vom 29.10.1985 (VII B 69/85, BStBl II 1986, 236) und vom 25.1.1988 (VII B 85/87, BStBl II 1988, 566) zur Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung von Anträgen der Finanzbehörden auf Eintragungen in das Grundbuch bzw. auf Anordnung der Zwangsvollstreckung. Die Aufhebung der Vollziehung des Haftanordnungsantrags schließt ein, dass der Antragsgegner von dem Haftbefehl, den das Amtsgericht erteilt hat, bis zur Entscheidung über den Einspruch keinen Gebrauch machen darf. Einer gesonderten Anordnung, wie vom Antragsteller begehrt, bedarf es dazu nicht.

    73

    C.

    74

    I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    75

    II. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 i. V. m. § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO die Beschwerde zu. Über den finanzgerichtlichen Rechtsschutz von Vollstreckungsschuldnern gegen Anträge der Vollstreckungsbehörden auf Anordnung der Haft nach § 284 Abs. 8 Satz 1 AO in der ab 1.1.2013 geltenden Fassung ist bisher nicht vom BFH entschieden worden.

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