14.06.2017 · IWW-Abrufnummer 194483
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 04.05.2017 – IV B 10/17
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das Recht einer Gemeinde auf Teilnahme an einer Außenprüfung des Finanzamts für gewerbesteuerliche Zwecke ohne Einschränkungen besteht, wenn das geprüfte Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit der Gemeinde unterhält.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 17. Januar 2017 10 V 3186/16 A(AO) wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Gründe
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I. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) erließ am 23. August 2016 die Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung bei der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), einer Personengesellschaft mit Sitz in A, betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, Umsatz- und Gewerbesteuer für die Zeiträume 2011 bis 2014. Mit Schreiben vom 6. September 2016 teilte Stadtamtmann B vom Fachbereich Steuern und Grundbesitzabgaben der Stadt A dem FA mit, er beabsichtige für die Stadt an der Betriebsprüfung teilzunehmen, und bat, die erforderliche Teilnahmeanordnung zu erlassen. Noch am 6. September 2016 erließ das FA eine entsprechende Anordnung, in der es der Antragstellerin mitteilte, dass die Stadt von ihrem Recht auf Teilnahme an der Außenprüfung nach § 21 Abs. 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) Gebrauch mache und dass für die Stadt Herr B an der Außenprüfung teilnehmen werde. Weiter heißt es in dem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben:
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"Mit der Teilnahme erhält die Stadt [A] die Möglichkeit, ihre Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der Gewerbesteuer geltend zu machen. Das gemeindliche Teilnahmerecht nach § 21 Abs. 3 FVG stellt eine Befugnis im Verhältnis der Gemeinden zur Finanzverwaltung dar. Es beschränkt sich auf die Anwesenheit eines Gemeindebediensteten, der —abgesehen von einem ihm zustehenden Betretungsrecht und möglichen freiwilligen Mitwirkungsakten des Steuerpflichtigen— lediglich Informations- und Auskunftsrechte gegenüber dem Prüfer der Finanzverwaltung besitzt. Der Gemeindebedienstete darf grundsätzlich nicht selbst als Prüfer auftreten und keine Prüfungshandlungen und Ermittlungen der in § 200 AO genannten Art vornehmen; er besitzt mithin keine aktiven Mitwirkungsrechte gegenüber dem Steuerpflichtigen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.1995, 8 C 30.92)."
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Mit Schreiben vom 19. September 2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Teilnahme der Gemeinde an der Außenprüfung ein und beantragte zwei Tage später die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Schreibens vom 6. September 2016.
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Das FA lehnte den AdV-Antrag am 11. Oktober 2016 ab. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Mit der Außenprüfung ist inzwischen zunächst ohne Teilnahme eines Gemeindebediensteten begonnen worden; die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
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Der daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag auf AdV der Teilnahmeanordnung hatte Erfolg. Das FG setzte mit Beschluss vom 17. Januar 2017 10 V 3186/16 A(AO) die Vollziehung der Teilnahmeanordnung vom 6. September 2016 bis zur Bekanntgabe einer Entscheidung über den dagegen eingelegten Einspruch oder bis zu einer anderweitigen Erledigung des Einspruchsverfahrens aus.
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Mit der vom FG zugelassenen und rechtzeitig erhobenen Beschwerde begehrt das FA die Aufhebung der AdV. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
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Das FA trägt vor, das Land Nordrhein-Westfalen habe von der Möglichkeit der Übertragung der Verwaltungshoheit für die Realsteuern auf die Gemeinden nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) nur für die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer, nicht aber für die Festsetzung des Messbetrags Gebrauch gemacht. Das Beteiligungsrecht der Gemeinden nach § 21 Abs. 3 FVG gehe auf § 36 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung zurück, womit seinerzeit ein Ausgleich für die Verlagerung der Verwaltungshoheit auf die Finanzämter und die Abschaffung einer eigenen Rechtsmittelbefugnis der Gemeinden gegen Steuermessbescheide geschaffen werden sollte. Ziel der Regelung sei es, den Gemeinden vor Erlass des Messbescheids die Möglichkeit zur Beteiligung an der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen der ihnen zustehenden Steuern einzuräumen. Ein Anspruch auf Teilnahme bestehe nur gegenüber dem FA; er könne mit formlosem Schreiben geltend gemacht werden. Dass Herr des Verfahrens die staatliche Finanzverwaltung sei und nur ihr gegenüber ein Beteiligungsanspruch bestehe, verletze das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 GG nicht. § 21 Abs. 3 Satz 1 FVG schaffe kein eigenständiges Prüfungsrecht der Gemeinden, sondern ein "Recht zur beobachtenden Anwesenheit" bei Prüfungen der Finanzverwaltung. Gegenüber dem Steuerpflichtigen habe der anwesende Gemeindebedienstete keine Rechte. Einer über §§ 196, 197 der Abgabenordung (AO) hinausgehenden Rechtsgrundlage für die Anordnung der Teilnahme bedürfe es nicht. Das FA bestimme den Umfang der Prüfung; die Information über die Teilnahme eines Gemeindebediensteten erweitere den Prüfungsumfang nicht. Dem FA obliege auch die Benennung des Prüfers, dessen Bekanntgabe dem Steuerpflichtigen ermöglichen solle, einen etwaigen Ausschluss wegen Befangenheit geltend zu machen.
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Die Besorgnis eines Verstoßes gegen das Steuergeheimnis sei unbegründet. Die steuerlichen Verhältnisse der Antragstellerin seien gegenüber dem Gemeindebediensteten geschützt, soweit es sich nicht um gewerbesteuerlich relevante Sachverhalte handele, im Übrigen jedenfalls innerhalb der Gemeinde. Leitende Bedienstete seien zwar zu informieren, dürften ihre Erkenntnisse aber nur zur Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben verwenden. Wissens- und Interessenskonflikte seien im Fall der Antragstellerin außerdem rein theoretischer Natur.
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Die Sichtweise des FG sei bisher weder in Rechtsprechung noch Literatur vertreten worden. Sie würde auch die Beteiligung von Bundesprüfern nach § 19 FVG betreffen, für deren Anordnung aber §§ 196, 197 AO als ausreichende Rechtsgrundlage anerkannt seien. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in einem Urteil vom 13. Februar 1990 VIII R 188/85 (BFHE 160, 115, BStBl II 1990, 582) offengelassen, ob er sich der von einem FG vertretenen Auffassung anschließe, den Finanzbehörden stehe die Anordnungsbefugnis im Rahmen des § 21 Abs. 3 FVG zu. Leitlinie der Verwaltung sei ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 1995 8 C 30.92 (BStBl II 1995, 522), wonach die Finanzämter und nicht die Gemeinden zur Anordnung der Teilnahme befugt seien.
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Das FA beantragt,
die angeordnete AdV der Verfügung vom 6. September 2016 zur Teilnahme eines Gemeindebediensteten an der Außenprüfung aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
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Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt.
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Sie bezieht sich zunächst auf ihren erstinstanzlichen und vom FG noch nicht gewürdigten Vortrag, es bestehe die Gefahr einer Verletzung des Steuergeheimnisses, weil die Stadt oder Tochtergesellschaften der Stadt Geschäftskunden der Antragstellerin seien. Ihre Kostenstruktur gehöre zu den gegenüber der Stadt nicht offenzulegenden Geschäftsgeheimnissen. Im Übrigen macht sich die Antragstellerin die Auffassung des FG zu eigen. Außerdem enthalte die Teilnahmeanordnung keine Beschränkung der Einsichts- und Auskunftsrechte auf realsteuerliche Sachverhalte. § 21 Abs. 3 FVG sei schließlich nicht hinreichend bestimmt und verstoße deshalb gegen das Rechtsstaatsprinzip.
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II. Die Beschwerde ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.
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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, m.w.N.).
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2. Bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Teilnahmeanordnung vom 6. September 2016.
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a) Zweifel können sich einerseits in Bezug auf die vom FG untersuchte Rechtsgrundlage für den vom FA erlassenen Verwaltungsakt ergeben. Im Rahmen eines summarischen Verfahrens bedarf es keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob der beschließende Senat der Rechtsauffassung des FG folgen könnte, dass weder § 21 Abs. 3 FVG noch § 196 AO eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts des für die Außenprüfung zuständigen FA bieten, mit dem das Beteiligungsrecht der Gemeinde an der Außenprüfung gegenüber dem Steuerpflichtigen im Sinne einer Duldungspflicht geregelt wird. Der Senat nimmt zu den Ausführungen des FG im Rahmen des hiesigen Verfahrens nicht näher Stellung, weil er bereits aus anderen und nachstehend erläuterten Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Teilnahmeanordnung hat.
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b) Diese Zweifel gründen auf der von der Antragstellerin in erster Linie geltend gemachten Besorgnis, die Teilnahme eines Gemeindebediensteten könne eine Verletzung des Steuergeheimnisses zur Folge haben.
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aa) Im Ausgangspunkt geht das FA zwar zu Recht davon aus, dass die Einräumung des Beteiligungsrechts an der Außenprüfung Bestandteil des Verwaltungsverfahrens zur Festsetzung der Gewerbesteuer ist und die Offenbarung der zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen Kenntnisse über Verhältnisse des Steuerpflichtigen nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO gegenüber der Gemeinde zulässig ist. Es erscheint aber zweifelhaft, ob auf dieser Grundlage unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls ein umfassendes Informations- und Akteneinsichtsrecht in Bezug auf alle Tatsachen besteht, die für Verwirklichung des Gewerbesteueranspruchs der Gemeinde von Bedeutung sein können, insbesondere in Bezug auf alle für den Gewerbeertrag i.S. des § 7 des Gewerbesteuergesetzes bedeutsamen Tatsachen. Im Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten (für eine Einschränkung etwa Suck, Deutsche Steuer-Zeitung 2009, 402, 406; gegen eine Einschränkung etwa Drüen, Die öffentliche Verwaltung 2012, 493, 497). Dabei betreffen die diesbezüglich vertretenen Auffassungen soweit ersichtlich nur den Regelfall, dass sich das Rechtsverhältnis zwischen Gemeinde und Steuerpflichtigem nur auf Rechtsbeziehungen zwischen Steuergläubiger und Steuerschuldner beschränkt.
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bb) Zwischen der Gemeinde oder dieser nachgeordneten Organisationseinheiten (z.B. Beteiligungsgesellschaften) und dem Steuerpflichtigen können zugleich aber auch noch andere Rechtsbeziehungen bestehen, etwa wenn —wie im hiesigen Fall— der Steuerpflichtige der Gemeinde gegenüber privatrechtlich vereinbarte Leistungen erbringt. Gemeinde und Steuerpflichtiger können sich auch als Wettbewerber gegenüberstehen. Werden der Gemeinde aus der Beteiligung am Verwaltungsverfahren zur Ermittlung des Gewerbeertrags Kalkulationsgrundlagen des Steuerpflichtigen bekannt, besteht die Gefahr, dass die gewonnenen Erkenntnisse insoweit zum Vorteil der Gemeinde bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verwertet werden. Ob dieser Gefahr durch institutionelle Trennung der Zuständigkeiten innerhalb der Gemeinde wirksam begegnet werden kann, erscheint bereits zweifelhaft. Offensichtlich besteht die Gefahr jedenfalls, wenn es an einer institutionellen Trennung fehlt, wie die Antragstellerin für ihren Fall vorträgt.
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Das Recht zur Offenbarung der im Besteuerungsverfahren vom FA erlangten Kenntnisse gegenüber der Gemeinde darf nach Überzeugung des Senats nur dem Zweck dienen, der Gemeinde eine wirksame Durchsetzung ihres Steueranspruchs zu ermöglichen, nicht aber dazu, ihr einen Vorteil bei einer wirtschaftlichen Betätigung zu verschaffen. Bei summarischer Betrachtung spricht deshalb viel dafür, das Beteiligungsrecht der Gemeinden so einzugrenzen, dass keine Kenntnisse der Finanzverwaltung offenbart werden, die für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde von Bedeutung sein können. In welcher Weise diesem Gedanken Rechnung getragen werden kann, muss der eingehenden Prüfung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.