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  • 04.01.2019 · IWW-Abrufnummer 206391

    Landgericht Essen: Beschluss vom 16.07.2018 – 32 KLs 3/17 BEW

    1. Bewährungswiderruf bei Nichterfüllung einer Auflage zur Schadenswiedergutmachung.

    2. Unzulässigkeit der Zahlungsauflage zur Leistung an unmittelbar Geschädigte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

    3. Auflage zur Schadenswiedergutmachung durch Zahlung an den Insolvenzverwalter.


    Landgericht Essen

    32 KLs 3/17 BEW

    Tenor:

    Die Strafaussetzung aus dem Urteil des Landgerichts Essen vom 21.02.2018 (Az. 32 KLs 3/17) wird widerrufen.

    1

    Gründe:

    2

    I.

    3

    Die Kammer hat mit Urteil vom 21.02.2018 – rechtskräftig seit dem 01.03.2018 –gegen den Verurteilten wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 57 Fällen und der Steuerhinterziehung in 6 Fällen – unter Einbeziehung weiterer Freiheitsstrafen wegen Bankrotts in 16 Fällen – eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 30,00 € sowie eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verhängt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat die Kammer zur Bewährung ausgesetzt. Mit dem zugleich verkündeten Bewährungsbeschluss hat die Kammer dem Angeklagten u.a. die Auflage einer Schadenswiedergutmachung durch Zahlung eines Betrages von 50.000,00 € binnen 2 Monaten nach Rechtskraft an den Insolvenzverwalter erteilt, die der Verurteilte im Rahmen der Hauptverhandlung selbst angeboten und deren Erbringbarkeit er ausdrücklich versichert hat.

    4

    Nachdem durch seinen im Bewährungsverfahren bevollmächtigten Verteidiger – RA L – zunächst darum ersucht wurde, die Schadenswiedergutmachung in fünf monatlichen Raten á 10.000,00 € erbringen zu können, wurde mit Schriftsatz vom 23.04.2018 mitgeteilt, dass der Mandat in der Lage sei, „die 50.000,00 € zu zahlen“, wobei eine erste Teilzahlung von 25.000,00 € bis zum 02.05.2018 und die Restzahlung bis zum 02.06.2018 angekündigt wurde. Durch seinen bisherigen Verteidiger – RA A – ließ der Angeklagte am 23.04.2018 telefonisch mitteilen, dass die Zahlung „im Laufe der Woche“ angewiesen werde. Nachdem Seitens des Insolvenzverwalters unter dem 30.05.2018 mitgeteilt wurde, dass Zahlungen nicht eingegangen seien, erklärte RA A am 04.06.2018, dass der Verurteilte angekündigt habe, einen Zahlungsbeleg am nächsten Tag bei ihm einzureichen. Eine unverzügliche Weiterleitung wurde zugesagt, ist jedoch nicht erfolgt.

    5

    Die Kammer hat dem Verurteilten mit Verfügung vom 12.06.2018 rechtliches Gehör gewährt und ihm zum Nachweis der ordnungsgemäßen Erfüllung der Zahlungsauflage eine Frist von einer Woche gesetzt. Am 21.06.2018 teilte Rechtsanwalt A für den Verurteilten mit, dass sich dieser in der U befinde, zwischenzeitliche „Probleme mit der Bank“ behoben seien und ein Zahlungsbeleg nach Mitteilung des Verurteilten noch in dieser Woche an das Gericht gefaxt werde. Mit Schriftsatz vom 04.07.2018 ließ der Verurteilte durch Rechtsanwalt L mitteilen, „nunmehr kurzfristig 25.000 € unverzüglich“ und die „weiteren 25.000 € innerhalb weniger Tage“ zu bezahlen. Unter dem 12.07.2018 teilte Rechtsanwalt A mit, der Verurteilte habe ihm erklärt, über das Geld verfügen zu können und dieses „bereits angewiesen“ zu haben.

    6

    Mit Verfügung vom 29.06.2018 hat die Kammer einen Anhörungstermin für den 13.07.2018 anberaumt, zu welchem der Verurteilte nicht erschienen ist. Zahlungen zur Schadenswiedergutmachung sind nicht erfolgt.

    7

    II.

    8

    Die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung war gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 3 StGB zu widerrufen, da der Verurteilte gröblich und beharrlich gegen die Auflage zur Schadenswiedergutmachung in Höhe von 50.000,00 € verstoßen hat.

    9

    1.

    10

    Dem Widerruf steht zunächst nicht entgegen, dass der Verurteilte zu dem Anhörungstermin vom 13.07.2018 nicht persönlich erschienen ist, seine mündliche Anhörung mithin nicht erfolgen konnte. Die Kammer hat dem Verurteilten über die schriftliche Anhörung vom 12.06.2018 hinaus gemäß § 453 Abs. 1 S. 4 StPO Gelegenheit gegeben, die möglichen Gründe für sein Verhalten auch in einem persönlichen Gespräch darzulegen. Unabhängig von der gescheiterten – gesetzlich nicht vorgeschriebenen (vgl. Meyer/Goßner-Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 453 Rn. 7 u. § 454 Rn. 34) – förmlichen Zustellung der Terminsladung an den Verurteilten unter der letzten hier bekannten Wohnanschrift steht aufgrund der Mitteilung seines Verteidigers vom 12.07.2018 (Bl. 33 BewH) fest, dass der Verurteilte von Ort, Zeit und Bedeutung des Anhörungstermins vollumfänglich und rechtzeitig Kenntnis erlangt hat. Dabei kann auch dahinstehen, ob eine Kenntniserlangung zwei Tage vor dem anberaumten Anhörungstermin – so die Angabe des Unterbevollmächtigten Rechtsanwalt G im Termin – als ausreichend zur Wahrung der Rechte des Verurteilten angesehen werden könnte. Aufgrund der Mitteilung seines Verteidigers Rechtsanwalt A vom 12.07.2018 und 13.07.2018 (Bl. 33 und Bl. Bl. 36 BewH) ist davon auszugehen, dass der Verurteilte bereits eine Woche vor dem Termin über dessen Durchführung und Bedeutung in Kenntnis gesetzt wurde, er sein Erscheinen angekündigt hat und ihm ausreichend Zeit verblieben ist, (auch aus der U) zu dem Termin anzureisen. Gründe, die sein Fernbleiben glaubhaft rechtfertigen könnten, hat er nicht vorgebracht. Unter Berücksichtigung dieser Umstände war die erneute Anberaumung eines Termins nicht veranlasst.

    11

    2.

    12

    Die Voraussetzungen für den Bewährungswiderruf gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 3 StGB liegen vor. Der Angeklagte hat gröblich und beharrlich gegen die ihm auferlegte Pflicht zur Schadenswiedergutmachung verstoßen, wobei Umfang, Adressat und Zahlungsfrist hinreichend bestimmt waren.

    13

    a.

    14

    aa) Die Kammer hat in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass eine Auflage zur Schadenswiedergutmachung grundsätzlich als Ausgleich beim unmittelbar geschädigten Tatopfer – hier bezogen auf die Taten der Beitragsvorenthaltung gem. § 266a StGB und Steuerhinterziehung gem. § 370 AO bei den Sozialversicherungsträgern bzw. dem Steuerfiskus – anzuordnen ist (vgl. OLG Hamm, 1. Strafsenat, NJW 2013, 2695). Einer solchen Verfahrensweise, namentlich der Auflage, die Geldleistungen an das Finanzamt bzw. einzelne Sozialversicherungsträger zu erbringen, stand vorliegend jedoch das über das Vermögen des Angeklagten eröffnete Insolvenzverfahren entgegen. In einem solchen Fall verbieten sich aus Rechtsgründen Auflagen, die im Falle ihrer Erfüllung eine Gläubigerbenachteilung und damit auch eine Insolvenzanfechtung gem. § 133 InsO nach sich ziehen können (vgl. BGH, NZI 2008, 488 ff. Rz. 20). Als Leistung zur Genugtuung für begangenes Unrecht gem. § 56b Abs. 2 StGB kommt jedoch auch eine Zahlungsauflage zugunsten des Insolvenzverwalters als Verfügungsbefugtem zwecks gleichmäßiger Verteilung an die geschädigten Gläubiger in Betracht. Anders als im Falle einer Zahlungsauflage an eine Versicherung (vgl. OLG Hamm, 2. Strafsenat, NStZ 1997, 237) oder an den Zessionar bzw. Erben einer Schadensersatzforderung (vgl. OLG Hamm, 1. Strafsenat, NJW 2013, 2695) dient die Auflage hierbei gerade nicht der Erfüllung eines zivilrechtlichen Anspruchs gegenüber einer bloß mittelbar geschädigten Person, sondern soll die Erfüllung von Ansprüchen der unmittelbar Geschädigten unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Besonderheiten des Falles erst ermöglichen. Die Auflage erfüllt damit auch unter diesem Gesichtspunkt den von § 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB vorgegebenen Zweck, die unmittelbar Geschädigten im Insolvenzverfahren zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens stellvertretend für die Rechtsgemeinschaft zu entschädigen (vgl. OLG Hamm, aaO.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – Forderungen zur Insolvenztabelle im ganz überwiegenden Umfang durch die unmittelbar Geschädigten angemeldet wurden. Letztlich würde eine andere Beurteilung auch die Gefahr bergen, dem im Insolvenzverfahren befindlichen Angeklagten die Möglichkeit der Offenlegung bzw. Erschließung bislang unbekannter Geldmittel zum Zwecke einer friedensstiftenden Ausgleichsmaßnahme gem. § 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB als wesentlichen Bestandteil der Frage, ob eine Strafe noch im bewährungsfähigen Bereich gefunden werden kann, vorzuenthalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – die (subsidiäre) Verhängung einer Arbeitsauflage gem. § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB aufgrund der beruflichen Verhältnisse eines Angeklagten im Entscheidungszeitpunkt untunlich erschien.

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    bb) Letztlich kann diese Frage im konkreten Fall jedoch offen bleiben. Jedenfalls mit Blick auf die den einbezogenen Strafen zugrundeliegenden Bankrotthandlungen nach § 283 StGB – die dem Zugriff des Insolvenzverwalters vorenthaltene Summe belief sich auf über 130.000,00 € - erfolgte auch eine unmittelbare Schädigung der Insolvenzmasse zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft. Die Zahlung an den Insolvenzverwalter (zur Insolvenzmasse) erfolgt insoweit nicht an einen Dritten, sondern an den Verfügungsberechtigten der unmittelbar geschädigten Vermögensmasse und erfüllt auch unter diesem Gesichtspunkt den von § 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB vorausgesetzen Zweck der Genugtuung für begangenes Unrecht durch eine schadenskompensierende Ausgleichsleistung beim „Geschädigten“.

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    b.

    17

    Die Kammer geht aufgrund der eigenen Angaben des Verurteilten während der Hauptverhandlung und im weiteren Verfahrensverlauf auch sicher von dessen finanzieller Leistungsfähigkeit aus. So wurde durch den Angeklagten und seinen Verteidiger im Rahmen der Hauptverhandlung ausdrücklich erklärt, über 50.000,00 € zur Schadenswiedergutmachung verfügen zu können. Adressat und Modalitäten der Zahlung wurden erörtert und – insbesondere auch hinsichtlich der Zahlung in einer Summe binnen 2 Monaten nach Rechtskraft – von dem Angeklagten als zweckmäßig und durchführbar bestätigt. Dass über das Vermögen des Verurteilten das Insolvenzverfahren eröffnet und ihm hinsichtlich der verhängten Geldstrafe eine Ratenzahlung nachgelassen wurde, stellt vor diesem Hintergrund seine Leistungsfähigkeit bezüglich der Zahlungsauflage nicht in Frage. In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigen, dass durch den Verurteilten auch in der Folge stets die Möglichkeit der Zahlung bestätigt und deren Vollzug behauptet oder als unmittelbar bevorstehend angekündigt wurde. Zuletzt hat der Verurteilte eine Woche vor dem Anhörungstermin mitteilen lassen, über das Geld „aufgrund eines Grundstückgeschäfts“ in der U verfügen zu können. Bei dieser Sachlage bestand für die Kammer keinerlei Veranlassung, die grundsätzliche Fähigkeit des – zumal durch zwei Verteidiger beratenen – Verurteilten zur Erfüllung der Zahlungsauflage anzuzweifeln. Die Kammer geht aufgrund des bisherigen Verfahrensablaufs vielmehr davon aus, dass der Verurteilte versucht, sich durch immer neue Ankündigungen und wahrheitswidrige Angaben seiner Zahlungspflicht trotz bestehender Leistungsfähigkeit dauerhaft zu entziehen.

    18

    3.

    19

    Die Strafaussetzung ist demnach unter Berücksichtigung der Art, der Umstände und des Gewichts des Fehlverhaltens nicht länger zu begründen. Mildere Maßnahmen, die ausnahmsweise eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnten, scheiden aus (§ 56f Abs. 2 StGB). Es kommt insbesondere weder die Erteilung weiterer Auflagen und Weisungen gemäß § 56 f Abs. 2 Nr. 1 noch eine Verlängerung der Bewährungszeit gemäß § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB in Betracht. Auch eine Verlängerung der gesetzten Zahlungsfrist scheidet aus, da nach dem Verfahrensverlauf davon auszugehen ist, dass der Verurteilte auch zukünftig nicht gewillt ist, der ihm erteilten Auflage nachzukommen. Ein entscheidungsloses „Abwarten“ bis zum 31.07.2018 – wie durch Rechtsanwalt G angeregt – ist im vorliegenden Fall weder angezeigt noch gesetzlich vorgesehen (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 56f Rn. 19).

    RechtsgebieteStGB, StPO, InsOVorschriftenStGB § 56 f Abs. 1 Nr. 3, § 56 b Abs. 2 Nr. 1, § 266 a, § 283; StPO § 453 Abs. 1; Inso § 133