05.08.2019 · IWW-Abrufnummer 210359
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 06.06.2019 – 1 StR 75/19
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 6. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Februar 2018 im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwölf Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt; hiervon hat es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Zudem hat das Landgericht gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.755.381 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg ( § 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet ( § 349 Abs. 2 StPO ).
I.
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Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der A. GmbH. Zugleich vermietete er an diese GmbH das Betriebsgrundstück nebst Garagen; dadurch wurde er zum Organträger. Ab Herbst 2008 ließ sich der Angeklagte vom mittlerweile verstorbenen vormals Mitangeklagten H. in eine "Umsatzsteuerbetrugskette" im Autohandel einspannen. Die D. GmbH aus Dr. fungierte als "missing trader", die vom Nichtrevidenten Hu. zeitweise geführte E. GmbH als sogenannter "buffer". Die A. K. GmbH gab vor, hochwertige Fahrzeuge im Wege der innergemeinschaftlichen Lieferung an italienische Firmen weiter zu veräußern. Tatsächlich wurden keine Fahrzeuge geliefert, wie der Angeklagte spätestens Anfang November 2008 erkannte, als die erste Lieferung ausblieb. Die Scheinrechnungen dienten allein dem Zweck, dass der Initiator H. und weitere italienische Hinterleute Beträge in Höhe der vom Finanzamt ohne Rechtsgrund geleisteten Vorsteuervergütungen vereinnahmen konnten. Der Angeklagte war an der Aufteilung dieser Beträge nicht beteiligt; sein Interesse bestand darin, die A. GmbH "am Leben zu halten" und weiterhin ein Geschäftsführergehalt von 3.000 € monatlich zu verdienen.
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Um einen Geldverkehr passend zur Scheinrechnungslage darzustellen, schloss der Angeklagte mit der Volksbank Er. einen Kreditvertrag; die Darlehensbeträge dienten dazu, die angeblich gegenüber der E. GmbH geschuldeten Umsatzsteuern vorzustrecken. Dabei spiegelte der Angeklagte vor, dass er mit den Darlehen die Umsatzsteuer an die E. GmbH entrichten würde; tatsächlich hob er zusammen mit den italienischen Hinterleuten die von der Volksbank geleisteten Beträge in bar ab und überließ sie diesen. Den vermeintlichen Gewinn des Angeklagten aus der Differenz zwischen seinen Weiterverkaufspreisen an die italienischen Abnehmer und den gegenüber der E. GmbH geschuldeten Einkaufspreisen vereinnahmte er auf einem Firmenkonto der A. GmbH. Diesen "Gewinn" ließ er der Volksbank zukommen, um andere Verbindlichkeiten der Gesellschaft abzutragen. Die Volksbank ließ sich ihrerseits im Voraus vom Angeklagten als Organträger dessen Vorsteuererstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt zur Sicherung der Darlehensrückzahlungsansprüche abtreten. Das Finanzamt zahlte im Zeitraum von November 2008 bis 15. Januar 2010 rund 3,7 Mio. € an Vorsteuervergütungen aus. Diese Beträge vereinnahmte letztendlich die Volksbank aufgrund der stillen Vorausabtretung.
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Der Angeklagte gab als Organträger im Zeitraum von November 2008 bis Januar 2010 14 Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Die geltend gemachten Vorsteuerüberhänge erstattete das Finanzamt. Der am 2. Februar 2010 zugegangenen Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2010 stimmte es indes nicht zu; zu diesem Zeitpunkt war der "Umsatzsteuerbetrug" entdeckt.
II.
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Die Revision ist zum Rechtsfolgenausspruch teilweise begründet.
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1. Indes halten der Schuld- und der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
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a) Zur Verfahrensrüge, am 14. Juli 2017 und 5. Dezember 2017 sei nicht zur Sache verhandelt worden ( § 229 StPO ), weil an diesen Tagen das Durchführen von Selbstleseverfahren ( § 249 Abs. 2 StPO ) nur angekündigt worden sei, bemerkt der Senat:
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Die Protokollberichtigungen gehen ins Leere, weil die Anordnungen des Vorsitzenden so protokolliert worden sind, wie er sie in der Hauptverhandlung bekundet hat. Indes ist der Wortwahl der "Anordnung" hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Vorsitzende das Durchführen von Selbstleseverfahren nicht lediglich angekündigt, sondern eine verbindliche Verfügung im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 3, 1 StPO getroffen hat. Anders wäre auch nicht die Korrektur vom 9. Januar 2018 erklärlich, mit welcher ein bereits "eingeleitetes" Selbstleseverfahren berichtigt werden sollte.
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b) Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe gab der Angeklagte als Organträger die Umsatzvorsteueranmeldungen gegenüber dem Finanzamt ab ( § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ; vgl. BFH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – V R 14/08 , BFHE 227, 513 Rn. 4, 32, 38; vom 29. Januar 2009 – V R 67/07 , BFHE 225, 172 Rn. 17 und vom 15. Dezember 2016 – V R 14/16 , BFHE 256, 562 Rn. 17). Die von der E. GmbH ausgestellten Scheinrechnungen berechtigten den Angeklagten nicht zum Vorsteuerabzug; die in diesen fingierten Eingangsrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern durfte er nicht als Vorsteuern geltend machen ( § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO , § 18 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 Satz 2 , § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, 2 , §§ 14 , 14a UStG ; vgl. im Übrigen § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a , § 4 Nr. 1 Buchst. b , § 6a UStG ; BGH, Urteil vom 22. Juli 2015 – 1 StR 447/14 Rn. 13 mwN). Der jeweiligen Überweisung der Vorsteuerguthaben ist die Zustimmung des Finanzamts zu entnehmen; damit waren die betreffenden Taten vollendet ( § 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 , § 168 Satz 2 , § 150 Abs. 1 Satz 3 AO ; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 StR 196/14 Rn. 17 mwN).
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c) Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht bezüglich der Besteuerungszeiträume November und Dezember 2008 nicht – wie angeklagt – auf die zugehörigen Umsatzsteuervoranmeldungen abgestellt hat (zur prozessualen Tatidentität von Umsatzsteuerjahreserklärung und Umsatzsteuervoranmeldungen BGH, Beschlüsse vom 24. November 2004 – 5 StR 206/04 , BGHSt 49, 359, 361 ff. ; vom 25. Oktober 2018 – 1 StR 7/18 Rn. 10 und vom 12. Juni 2013 – 1 StR 6/13 Rn. 22 f.).
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d) Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Denn die Anklageschrift vom 31. Oktober 2012 stellt auf die genannten Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Diese Erklärungen sind nicht in verschiedene prozessuale Taten ( § 264 StPO ) "aufteilbar". Allein sie sind dem Steuersubjekt des Organträgers zuzuordnen. Insoweit liegt der Sachverhalt anders als der Fall, welcher dem Urteil des Bundesgerichthofs vom 19. März 2013 – 1 StR 318/12 Rn.15 f., 33 f. ( BGHR UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2 Organschaft 1 ) zugrunde lag. Denn in der zuletzt genannten Konstellation gaben – bei anders als hier nicht deutlich erkannter Organschaft – sowohl das Organ als auch der Organträger Umsatzsteuererklärungen ab.
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2. Die Einziehungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 , § 73c Satz 1 StGB hat indes keinen Bestand. Denn die Feststellungen hierzu sind widersprüchlich: In einem "Vorspann" (UA S. 6) und der Begründung der Einziehung (UA S. 193) führt das Landgericht aus, das Finanzamt habe die geltend gemachten Vorsteuerüberschüsse auf ein Konto der A. GmbH überwiesen. Hingegen wird auf UA S. 35 mitgeteilt, die Vorsteuervergütungen seien auf einem Konto des Angeklagten eingegangen. Dieser Widerspruch lässt sich auch nicht mit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auflösen. Damit ist eine Verfügungsbefugnis des Angeklagten über die Bankguthaben nicht die Abschöpfung tragend festgestellt. Denn zwischen dem Firmen- und dem Privatvermögen des Täters ist zu unterscheiden:
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a) Sollte das Finanzamt die Vorsteuervergütungsbeträge auf ein Konto der A. GmbH überwiesen haben, wäre diese Tatbeute nur über die Dritteinziehung nach § 73b StGB abzuschöpfen gewesen. Wenn der Täter nämlich als Beauftragter, Vertreter oder Organ einer juristischen Person handelte, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass er die Verfügungsgewalt erlangte. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass die juristische Person über eine eigene Vermögensmasse verfügt, die vom Privatvermögen des Beauftragten, Vertreters oder Organs zu trennen ist. Der Zufluss in das Gesellschaftsvermögen einer Kapitalgesellschaft stellt daher trotz Zugriffsmöglichkeit nicht ohne weiteres zugleich einen privaten Vermögensvorteil der zur Geschäftsführung berufenen Personen dar. In solchen Fällen ist die Dritteinziehung bei der Gesellschaft vorrangig. Die Gesellschaft ist damit als Einziehungsbetroffene am Verfahren zu beteiligen oder es ist ein selbständiges Einziehungsverfahren gegen sie zu führen.
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Zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den als Organ handelnden Täter bedarf es einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangte, was zur Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Eine tatsächliche oder rechtliche Vermutung spricht dafür nicht. Vielmehr bedarf es einer Darlegung besonderer, den Zugriff auf das Vermögen des Täters rechtfertigender Umstände. Sie können etwa darin liegen, dass der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzte und zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft nicht trennte, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird. Wird der Vermögensvorteil hingegen von der Gesellschaft vereinnahmt, so kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäftsanteile im Privatvermögen des Täters mit jeder Zahlung oder jeder zurückgewiesenen Forderung steigt oder sich der Zufluss auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen auswirkt. In solchen Fällen sind die Einziehungsanordnungen und die sie sichernden Maßnahmen gegen die Gesellschaft zu richten ( BGH, Beschlüsse vom 14. November 2018 – 3 StR 447/18 Rn. 9 - 11; vom 31. Juli 2018 – 3 StR 620/17 Rn. 26; vom 23. Oktober 2018 – 5 StR 185/18 ; vom 17. Januar 2019 – 4 StR 486/18 Rn. 10 und vom 8. Mai 2019 – 1 StR 242/18 Rn. 15).
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b) Auch wenn die A. GmbH überschuldet war, so war sie nicht lediglich nur ein Mantel. Weder fortlaufende Entnahmen noch sonstige Aushöhlungsmaßnahmen sind festgestellt. In diesem Sinne achtete der Angeklagte durchaus das Firmenvermögen. Mit den abgehobenen Darlehensbeträgen dürfen die Vorsteuervergütungen nicht vermengt werden. Aufgrund der Vorausabtretung ( §§ 398 ff. BGB ) hatte die Volksbank, die sich damit absichern wollte (vgl. zu einem zwischengeschaltenen Abnehmer, der anschließend die Ausfuhrlieferung vornimmt: BGH, Urteil vom 6. September 2006 – 5 StR 156/06 Rn. 20 aE; Beschluss vom 26. November 2009 – 5 StR 91/09 Rn 15 f.), zumindest faktisch sogleich Zugriff auf diese Buchgelder nach deren Überweisung (vgl. aber auch § 46 AO und dazu BFH, Urteile vom 6. Februar 1996 – VII R 116/94 , BFHE 179, 547 Rn. 7 und vom 5. Juni 2007 – VII R 17/06 , BFHE 217, 241, 242 ff.; BGH, Urteil vom 30. November 1977 – VIII ZR 26/76 , BGHZ 70, 75, 76 f. ).
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c) Nach alledem bedarf es der neuerlichen tatrichterlichen Aufklärung und Bewertung, ob die Vorsteuervergütungen auf einem Konto des Angeklagten oder auf einem Konto der A. GmbH eingingen. Ersteres würde sich damit vereinbaren lassen, dass, wie ausgeführt (II. 1. b), nicht die A. GmbH als Organ Umsatzsteuerschuldner war, sondern der Angeklagte als Organträger. Dann wäre in diesem Fall im Anschluss die Frage zu entscheiden, ob der Angeklagte die Vorsteuerüberschüsse im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangte – etwa wirtschaftlich darüber im Wege der Vorausabtretung verfügte – oder diese sogleich aufgrund der Umbuchung auf ein eigenes Konto allein der Volksbank zustanden. Dem neuen Tatgericht bleibt es mit Blick auf die naheliegende Titulierung der Rückzahlungsansprüche durch das Finanzamt ( § 37 Abs. 2 , §§ 218 ff. AO ) und der Vollstreckung daraus im Übrigen unbenommen, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von einer Einziehungsanordnung abzusehen ( § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO ).
Raum
Fischer
Hohoff
Leplow
Pernice