12.08.2019 · IWW-Abrufnummer 210502
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 20.05.2019 – 6 K 109/18
1. Im Rahmen der Schätzung können Tatsachenfeststellungen auch mit einem geringeren Grad an Überzeugung getroffen werden, als dies in der Regel geboten ist. Dazu können die Kraftfahrzeug- und Fahrtenverzeichnisbücher (rote Kennzeichen) herangezogen werden.
2. Die Feststellungen im Strafverfahren binden das Gericht vorliegend nicht, weil das Besteuerungsverfahren grundsätzlich unabhängig vom Strafverfahren ist.
FINANZGERICHT HAMBURG
20.05.2019
Urteil - Senat
T a t b e s t a n d
Streitig ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2011-2015 bei einem Gebrauchtwagenhändler.
Der Kläger betrieb seit dem Jahr 2004 einen Gebrauchtwagenhandel (XXX) an der X-Straße in Hamburg als Einzelunternehmer. Er ermittelte seinen Gewinn mittels Einnahme-Überschussrechnung.
Mit Datum vom 16. Februar 2016 ordnete der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung für das zweite und dritte Quartal 2015 sowie eine Außenprüfung hinsichtlich der Einkommensteuer, der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember, der Gewerbesteuer, der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember sowie die Umsatzsteuer für die Jahre 2011-2013 an.
Während der Belegprüfung im März 2016 stellte der Prüfer fest, dass in den Buchführungsunterlagen diverse Hinweise auf nicht erklärte PKW Verkäufe enthalten waren. Es wurde ein Steuerstrafverfahren eingeleitet und mit Bescheid vom 10. Januar 2017 wurde die Außenprüfung hinsichtlich der Einkommensteuer, der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember, der Gewerbesteuer, der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember und der Umsatzsteuer auf die Jahre 2014-2015 erweitert.
Im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens räumte der Kläger ein, dass Einnahmen unvollständig erklärt worden seien. Er schätzte die verschwiegenen Einnahmen auf rund ... € pro Monat für den Zeitraum 2011 bis zum zweiten Quartal 2015. Das Steuerstrafverfahren wurde gemäß § 153a der Strafprozessordnung gegen Zahlung eines Geldbetrages i. H. v. ... € eingestellt.
In seinem Prüfungsvermerk vom 26. Juni 2017 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass formelle und sachliche Mängel der Buchführung vorlägen. Laut diversen Belegen und den beiden Kraftfahrzeug- und Fahrtenverzeichnisbüchern ("rote Nummernbüchern") werde auf Fahrzeugidentifikationsnummern Bezug genommen, die nicht in der Liste der verkauften Fahrzeuge enthalten seien. Im Strafverfahren habe der Kläger eingeräumt, dass Einnahmen unvollständig erklärt worden seien und habe diese auf ... € pro Monat geschätzt. Zugleich seien damit die Umsätze formell nicht vollständig aufgezeichnet. Auch lägen keine ordnungsgemäßen Rechnungen für Ausgangsumsätze gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vor.
Wegen der erheblichen formellen und sachlichen Mängel der Buchführung seien die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Hier erscheine es zweckmäßig, die Schätzung anhand der Anzahl der nicht erklärten Fahrzeugverkäufe und anhand eines durchschnittlichen Veräußerungsgewinns zu bemessen. Da davon ausgegangen werde, dass alle nicht erklärten Fahrzeugverkäufe der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterlägen, sei der Ansatz eines Veräußerungsgewinns auch für umsatzsteuerliche Zwecke ausreichend. Die Ermittlung der Schätzungsgrundlagen beziehe sich auf die Jahre 2011-2013. Für die Jahre 2014-2015 werde das Schätzungsergebnis entsprechend anteilig anhand der Jahre 2011-2013 berechnet.
Laut Buchhaltung seien in den Jahren 2011-2013 41 Fahrzeugidentifikationsnummern und zusätzlich laut zwei roten Nummernbüchern 81 Fahrzeugidentifikationsnummern ermittelt worden. Es erfolge ein Sicherheitsabschlag von 50 % auf die Anzahl der Fahrzeuge in den roten Büchern. Pro Jahr und Buch werde jeweils aufgerundet. Damit ergäben sich für das Jahr 2011 insgesamt 31 zusätzliche Fahrzeugverkäufe, für das Jahr 2012 insgesamt 23 zusätzliche Fahrzeugverkäufe und für das Jahr 2013 insgesamt 29 zusätzliche Fahrzeugverkäufe. Die Höhe des Gewinns pro nicht erklärtem Fahrzeugverkauf ergebe sich aus dem Bericht über Steuerstraftaten und betrage demnach ... €. Ein Abschlag für die mit dem Verkauf der Fahrzeuge zusammenhängenden Kosten erfolge nicht, da anzunehmen sei, dass diese bereits in der Buchführung als Betriebsausgaben gebucht worden seien. Es seien pro Jahr etwa 100-150 Fahrzeugverkäufe erklärt worden. Die Anzahl der ermittelten zusätzlichen Verkäufe erscheine angemessen. Es ergebe sich ein durchschnittlicher Mehrgewinn von ... € für die Jahre 2011-2013. Dies bedeute einen Mehrgewinn von ... € jeweils in 2014 und 2015.
Im Bericht über die Außenprüfung vom 26. Juni 2017 ermittelte der Betriebsprüfer für das Jahr 2011 einen Mehrgewinn von ... €, für das Jahr 2012 einen Mehrgewinn i. H. v. ... €, für das Jahr 2013 einen Mehrgewinn i. H. v. ... €, für das Jahr 2014 einen Mehrgewinn i. H. v. ... € und für das Jahr 2015 einen Mehrgewinn i. H. v. ... €.
Auf der Grundlage des Prüfungsberichts setzte der Beklagte unter dem 20. November 2017 die Einkommensteuer, den Gewerbesteuermessbetrag und die Umsatzsteuer für die Jahre 2011-2015 neu fest und erließ geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12. und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12 für die Jahre 2013-2015.
Am 15. Dezember 2017 erhob der Kläger Einspruch gegen die genannten Bescheide. Zur Begründung führte er aus: Es handele sich um eine unzulässige Strafschätzung. Das Finanzamt für Prüfungsdienst und Strafsachen habe intensive Ermittlungen angestellt. Für anderweitige Schätzungen durch das Finanzamt Hamburg-1 bestünde kein Raum. Die Ermittlungsbehörde habe insgesamt einen Betrag von ... € als verkürzt festgestellt. Diesen Betrag habe er bereits beglichen. Die Steuerbescheide fußten auf unzureichenden Ermittlungen. Lediglich bei einem Käufer sei nachgefragt worden, ob er das dort genannte Fahrzeug erworben habe. Selbst wenn hier ein Betrag als Verkaufssumme habe ermittelt werden können, so seien diesbezüglich weder die Kosten der Anschaffung noch der Instandsetzung und Vorbereitung für den Verkauf ermittelt worden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 25. April 2018 wies der Beklagte die Einsprüche zurück. Zur Begründung führte er aus: Straf- und Besteuerungsverfahren seien getrennt voneinander zu betrachten. Eine vom strafrechtlichen Ergebnis abweichende Steuerfestsetzung sei rechtlich möglich. Die Anzahl der nicht erklärten Fahrzeugverkäufe habe sich aus den Unterlagen ergeben. Die Schätzung habe sich an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert. Für einen Sanktionscharakter der Schätzung gebe es keine Anhaltspunkte. Da ein Durchschnittsgewinn ermittelt worden sei, sei der Einwand, dass Anschaffungskosten nicht ermittelt worden seien, unbeachtlich. Die geltend gemachten Kosten der Instandhaltung und Verkaufsvorbereitung seien so nicht konkret genug und nicht durch entsprechende Nachweise untermauert.
Der Kläger hat am 25. Mai 2018 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einwendungen im Einspruchsverfahren. Der Beklagte habe keine eigenen Ermittlungen angestrengt. Eine belastbare Begründung, warum er die in Streit stehende Summe nachzuzahlen habe, sei nicht erfolgt. Er sei nicht in der Lage, irgendwelche Zahlungen zu entrichten. Er, der Kläger, betreibe kein Gewerbe mehr. Sein Konto sei gepfändet. Auch in den Vorjahren habe er nicht im Ansatz Gewinne erwirtschaftet, die der Schätzung des Beklagten entsprächen. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, aus welchem er plötzlich ab dem Jahr 2011 erheblich höhere Gewinne erwirtschaftet haben sollte.
Der Kläger beantragt,
die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 25. April 2018, zugegangen am 26. April 2018, sowie die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag, die Einkommensteuer sowie die Umsatzsteuer der Jahre 2011-2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Rechtmäßigkeit einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen könne nicht von der Frage abhängig gemacht werden, ob der Steuerpflichtige die darauf beruhende Steuerfestsetzung erfüllen könne. Er, der Beklagte, nehme ausdrücklich auf die Ausführungen in dem Betriebsprüfungsbericht Bezug. Wenn die Straf- und Bußgeldstelle von niedrigeren Ergebnissen ausgegangen sei, sei das für das Besteuerungsverfahren nicht relevant und nicht bindend. Die Straf- und Bußgeldstelle habe sich nicht mit dem Thema der fehlenden Fahrzeugidentifikationsnummern im Zusammenhang mit roten Nummernbüchern befasst.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen A und B. Auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2019 wird insoweit Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Berichterstatterin erklärt.
Für das weitere Vorbringen wird auf die Protokolle des Erörterungstermins vom 11. Januar 2019, die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2019, die Gerichtsakte dieses Verfahrens, die Rechtsbehelfsakten, die Betriebsprüfer-Arbeitsakten Bd. 1 bis 3, die Betriebsprüfungsakte, die Akte Allgemeines, die Einkommensteuerakte, die Umsatzsteuerakte, die Bilanz- und Bilanzberichtsakten, die Gewerbesteuerakte zur Steuernummer ... sowie die Ermittlungsakten des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg zum Az. xxx Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I. Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin ergehen, da die Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden waren, vgl. § 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Voraussetzungen für eine Schätzung lagen vor (1.) und diese ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden (2.).
1. Der Beklagte war zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt.
Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) sind Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzbehörde zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO) also dann, wenn sie nicht den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. Eine Hinzuschätzung darf bei formellen Buchführungsmängeln dann erfolgen, wenn diese Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH, Beschluss vom 14. August 2018, XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1, juris, Rn. 10; Beschluss vom 12. Juli 2017, X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204, juris, Rn. 56).
Danach war der Beklagte im Streitfall gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zur Schätzung befugt, weil die Aufzeichnungen des Klägers nicht ordnungsgemäß waren und Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit des Aufzeichnungsergebnisses anzuzweifeln. Der Kläger musste die Anforderungen, die für Einnahme-Überschuss-Rechner gelten, erfüllen (a)) und hat dies nicht getan, was zur Schätzungsbefugnis des Beklagten führte (b)).
a) Der Kläger, der seinen Gewinn mittels Einnahmen-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG) ermittelt, war nach § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25a Abs. 6 UStG verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu führen. Aus den Aufzeichnungen müssen u.a. die Verkaufs- und Einkaufspreise sowie die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer zu ersehen sein, vgl. § 25a Abs. 6 UStG. Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmers und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten und die Grundlagen für die Steuerberechnung festzustellen (§ 63 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung - UStDV -). Gemäß § 146 Abs. 1 AO in der in den Streitjahren noch geltenden Fassung (vor den Änderungen durch das Gesetz vom 22. Dezember 2016, BGBl I 2016, 3152) sind die erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen (vgl. zum Ganzen: BFH, Beschluss vom 12. Juli 2017, X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204, juris, Rn. 59).
b) Diese Anforderungen erfüllte der Kläger nicht. Es bestehen formelle und zugleich sachliche Mängel bei der Buchführung, die zur Schätzung berechtigen. Denn der Kläger hat seine Umsätze nicht vollständig aufgezeichnet. Vielmehr hat er in erheblichem Umfang Fahrzeugverkäufe nicht in seiner Buchführung erfasst. Die Betriebsprüfung hat festgestellt, dass in diversen Belegen des Klägers auf Fahrzeugidentifikationsnummern Bezug genommen wird, die nicht in der Liste der verkauften Fahrzeuge auftauchen. Des Weiteren sind in den beiden "rote Nummernbüchern" abgekürzte Fahrgestellnummern aufgeführt, die ebenfalls nicht in der Liste der verkauften Fahrzeuge enthalten sind. Im Strafverfahren wurden mehrere Fahrzeugverkäufe ermittelt, die nicht erklärt wurden. Schließlich hat der Kläger im Strafverfahren eingeräumt, für den Zeitraum 2011 bis 2. Quartal 2015 Bruttoeinnahmen in Höhe von ... € verschwiegen zu haben.
2. Die Höhe der Hinzuschätzungen trifft zu. Das Gericht folgt im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO) der Hinzuschätzung des Beklagten und sieht sie als maßvoll und sachgerecht an.
Im Rahmen der Schätzung können Tatsachenfeststellungen auch mit einem geringeren Grad an Überzeugung getroffen werden, als dies in der Regel geboten ist (BFH, Beschluss vom 13. Oktober 2003, IV B 85/02, BStBl II 2004, 25, juris, Rn. 9). Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit verringert sich dabei so weit, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss aber schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH, Beschluss vom 13. Oktober 2003, IV B 85/02, BStBl II 2004, 25, juris, Rn. 9). Die Auswahl zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes bzw. des Finanzgerichts. Ermessensleitend ist dabei das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen (BFH, Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl II 2015, 743, juris, Rn. 60). Bei einer gröblichen Verletzung steuerlicher Verpflichtungen, vor allem auch hinsichtlich der Buchführung, geht die einer jeden Schätzung anhaftende Unsicherheit zu Lasten des Steuerpflichtigen. Zwar muss das Finanzamt auch bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Steuerpflichtigen bestrebt sein, die Besteuerungsgrundlagen so zu schätzen, dass für ihre Richtigkeit die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt indessen bei groben Verstößen gegen die steuerlichen Pflichten in der Regel nicht zur Abgrenzung eines sehr engen Schätzungsrahmens. Im allgemeinen ist das Finanzamt nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, in diesem Schätzungsrahmen an die oberste Grenze zu gehen, um im Interesse der steuerlichen Gerechtigkeit und zum Schutz der ihre steuerlichen Pflichten erfüllenden Staatsbürger in jedem Fall auszuschließen, dass Steuerpflichtige durch gröbliche Verletzung ihrer Pflichten im Ergebnis bessergestellt werden als pflichtgetreue Steuerpflichtige (BFH, Urteil vom 9. März 1967, IV 184/63, BStBl III 1967, 349, juris, Rn. 13).
Daran gemessen bestehen keine Bedenken an der vom Betriebsprüfer vorgenommenen Hinzuschätzung anhand der geschätzten Anzahl der nicht erklärten Fahrzeugverkäufe und des durchschnittlichen Veräußerungsgewinns. Insoweit sind weder die Anzahl der hinzugeschätzten Verkäufe (a)) noch die Höhe des dem einzelnen Fahrzeugverkauf zugrunde gelegten Veräußerungsgewinns (b)) zu beanstanden. Auch die Hochrechnung auf die beiden folgenden Jahre überzeugt (c)). Insgesamt ist die Schätzung wirtschaftlich schlüssig und sinnvoll (d)).
a) Das Gericht folgt aus eigener Überzeugung der Anzahl der hinzugeschätzten Verkäufe des Betriebsprüfers. Die Kalkulation der hinzugeschätzten Verkäufe ist überzeugend.
Nachvollziehbar hat der Betriebsprüfer in seinem Bericht ausgeführt, dass laut der Buchhaltung in den Jahren 2011 bis 2013 insgesamt 41 Fahrzeugidentifikationsnummern für nicht erklärte Verkäufe ermittelt wurden. Dies wird durch die weiteren Angaben in der Betriebsprüferakte und den Betriebsprüferarbeitsakten belegt, wonach ein Abgleich mit dem Kraftfahrzeugbundesamt bezüglich der Umschreibung der Fahrzeuge erfolgte.
Laut den in den Betriebsprüferarbeitsakten befindlichen roten Nummernbüchern wurden in den Jahren 2011 bis 2013 nachvollziehbar zusätzlich 81 Fahrzeugidentifikationsnummern (32 + 49) ermittelt. Insgesamt ermittelte der Betriebsprüfer in den Jahren 2011 bis 2013 danach überzeugend 122 nicht erklärte Verkäufe.
Es wäre Sache des Klägers gewesen, bei einzelnen der ermittelten Verkäufe nach den roten Nummernbüchern nachzuweisen, dass diese nicht erfolgten. Der Kläger hat aber nur pauschal dagegen eingewandt, dass mitunter nur Probefahrten oder Fahrten für Dritte erfolgt seien. Die Angabe im Erörterungstermin, dass er die roten Nummernschilder an Freunde, Bekannte und vor allem andere Händler weitergeben habe, überzeugt nicht, weil sie durch nichts belegt ist. Auch sind in den roten Nummernbüchern in der Rubrik "Fahrer" solche anderen Händler nicht aufgeführt. Über die entscheidenden Jahre 2011 bis 2013 tauchen dort nur der Name des Klägers und der Name C auf. Dass Herr C ein anderer Händler gewesen wäre, hat der Kläger nicht dargelegt. Dafür gibt es auch keine anderen Anhaltspunkte. Wo die in den roten Nummernbüchern aufgeführten Autos sind, wenn sie nicht verkauft wurden, hat der Kläger nicht im Einzelnen dargelegt.
Die Behauptung des Klägers, er habe für die Fahrzeuge zum Teil beide roten Nummernschilder verwandt, so dass die Fahrgestellnummern doppelt auftauchen müssten, hat er nicht weiterbelegt. Sie ergibt sich bei einer stichprobenartigen Kontrolle auch nicht aus den Büchern. Lediglich eine Doppelung konnte das Gericht auffinden, die aber durch den Sicherheitsabschlag (dazu sogleich) voll abgegolten ist.
Das Ergebnis der Beweisaufnahme stützt die Schätzung. Der Zeuge A war als Beweismittel insoweit nicht ergiebig, weil er zu den roten Nummernbüchern zugrundeliegenden Zeitraum 2011 bis 2013 nichts aussagen konnte. Ob der Kläger dem Zeugen A danach Nummernschilder zur Verfügung gestellt hat, ändert zum einen an den Eintragungen in den roten Nummernbüchern 2011 bis 2013 nichts und zum anderen bleibt unklar, ob diese Fahrten, die nach der glaubhaften Aussage des Zeugen ein bis zweimal im Monat stattfanden, überhaupt in die Bücher eingetragen wurden. Dies ist nicht belegt.
Aus der glaubhaften Aussage des Zeugen B kann das Gericht zwar ableiten, dass es Probefahrten gegeben hat, allerdings bleibt die Anzahl der Probefahrten offen. Der Zeuge B hat glaubhaft ausgesagt, dass der Kläger bei seinem Arbeitgeber, dem Autohaus D, Autos gekauft und auch probegefahren und dazu seine eigenen Nummernschilder mitgebracht habe. Nachvollziehbar hat der Zeuge B ausgeführt, dass pro Auto ca. drei bis fünf Angebote eingeholt wurden. Allerdings hat der Zeuge B des Weiteren überzeugend versichert, dass nicht jedes Auto, welches gekauft wurde, auch probegefahren wurde. Zudem hat der Kläger nicht weiter dargelegt, dass sich alle Fahrten in den roten Nummernbüchern auf Fahrten von Autos des Autohauses D beziehen würden. Im Gegenteil, er hat angegeben, die Nummernschilder auch anderweitig genutzt zu haben. Es wäre Sache des Klägers gewesen, anhand geeigneter Unterlagen zu belegen, dass die in den Büchern aufgeführten Fahrgestellnummern zu Autos gehören, die nicht weiterverkauft worden sind. Hinzu kommt, dass die Betriebsprüfung einen Sicherheitsabschlag von 50% bei den beiden roten Nummernbüchern vorgenommen hat, so dass nicht 81 Verkäufe, sondern insgesamt nur 42 Verkäufe für 2011 bis 2013 hinzugeschätzt wurden. Dieser Sicherheitsabschlag bildet die gegebenenfalls durchgeführten Probefahrten beim Autohaus D und auch bei anderen Händlern etc. nach der Überzeugung des Gerichts in vollem Umfang ab. Diesen Sicherheitsabschlag macht sich das Gericht für das gerichtliche Verfahren ebenfalls zu eigen. Insgesamt liegen der Hinzuschätzung für 2011 bis 2013 damit nicht 122 sondern 83 Fahrzeugverkäufe zugrunde.
Das Gericht war auch nicht verpflichtet, den Feststellungen im Strafverfahren zu folgen, das zu niedrigeren Hinzuschätzungen gekommen war. Das Besteuerungsverfahren ist grundsätzlich unabhängig vom Strafverfahren. Aufgrund der Eigenständigkeit des Besteuerungsverfahrens gegenüber dem Strafverfahren gemäß § 393 Abs. 1 AO hätte selbst ein Freispruch im Strafverfahren das erkennende Gericht nicht hindern können, das Tatgeschehen eigenständig zu werten (vgl. BFH, Beschluss vom 24. Mai 2013, VII B 167/12, BFH/NV 2013, 1588, juris, Rn. 12). Die eigenständige Würdigung des Gerichts im Besteuerungsverfahren ergibt, dass mehr Verkäufe hinzuzuschätzen waren. Denn im Strafverfahren wurde der Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt. Vielmehr wurde dort lediglich mit der Befragung der Zeugen begonnen, es lässt sich den Strafakten aber nach einem Gesprächsvermerk vom 21. Dezember 2016 entnehmen, dass noch so viele Zeugen zu vernehmen gewesen wäre, dass man sich auf eine Schätzung einigte, der zum einen die Angaben des Klägers zugrunde lagen und zum anderen die bis dahin ermittelte Anzahl der Fahrzeuge. Dies bedeutet aber gerade nicht, dass es sich um alle nicht erklärten Fahrzeugverkäufe in den Jahren handelte. Denn es wurde gerade nicht im Strafverfahren ausermittelt. Vielmehr bestehen nach den oben erwähnten Unterlagen (Buchführungsbelege, rote Nummernbücher) deutliche Anhaltspunkte für mehr nicht erklärte Verkäufe, so dass diese Unterlagen der Schätzung im Besteuerungsverfahren zugrunde zu legen waren. Insoweit kann der Kläger auch nicht mit seinem Einwand durchdringen, der Beklagte hätte keine eigenen Ermittlungen angestellt. Im Gegenteil, der Betriebsprüfer hat - wie sich den Betriebsprüferarbeitsakten entnehmen lässt - die einzelnen nicht erklärten Fahrzeugverkäufe anhand der Unterlagen eigenständig ermittelt.
b) Auch die Höhe des dem einzelnen Fahrzeugverkauf zugrunde gelegten Veräußerungsgewinns ist nicht zu beanstanden.
Insoweit folgt das Gericht der überzeugenden Schätzung des Beklagten. Der Prüfer durfte den aus dem Strafverfahren ermittelten durchschnittlichen Veräußerungsgewinn von ... € der Nachkalkulation zugrunde legen. Die Kalkulation des Veräußerungserlöses ergibt sich nachvollziehbar aus den vom Gericht beigezogenen Strafakten. Danach sind für neun Autos die Überschüsse ermittelt worden und aus dem Gesamtüberschuss ist rechnerisch richtig der durchschnittliche Veräußerungsgewinn ermittelt worden. Substantiierte Einwendungen gegen die Berechnung hat der Kläger nicht erhoben. Die Anzahl von neun ermittelten Veräußerungsgewinnen reicht nach der Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall noch aus, um einen durchschnittlichen Veräußerungsgewinn zu ermitteln.
Dass im Strafverfahren Mehreinnahmen von ... € zugrunde gelegt wurde, bindet das Gericht nicht. Denn - wie sich aus dem Bericht vom 6. Juni 2017 ergibt - stand hinter dieser Zahl der Grundsatz "in dubio pro reo", weil mögliche mit dem Verkauf der Fahrzeuge zusammenhängende Kosten zugunsten des Beschuldigten (hier: Kläger) berücksichtigt wurden. Dieser Grundsatz gilt aber im Steuerverfahren nicht. Der Einwand des Klägers, dass die Kosten der Anschaffung und für die Vorbereitung des Verkaufs nicht berücksichtigt worden seien, ist zu pauschal und überzeugt so nicht. Anders als im Strafverfahren wäre es hier Sache des Klägers gewesen, dazu im Einzelnen detailliert vorzutragen. Hinzu kommt, dass nach den überzeugenden Feststellungen der Betriebsprüfung u.a. die Kosten für die Verkaufsvorbereitung (z.B. TÜV, Dekra) in den Betriebsausgaben enthalten waren - aus eben diesen Kosten ergaben sich die Anhaltspunkte für nicht erklärte Fahrzeugverkäufe. Die Kosten der Anschaffung wären im Übrigen unbeachtlich, weil ein Durchschnittsgewinn für die Nachkalkulation zugrunde gelegt wurde, der den Anschaffungskaufpreis beinhaltet.
c) Die Hochrechnung auf die beiden folgenden Jahre überzeugt das Gericht mangels anderer Anhaltspunkte. Der Betriebsprüfer hat hier nachvollziehbar den ermittelten durchschnittlichen Gewinn für die Vorjahre umgelegt. Den Akten lassen sich keine Anhaltspunkte für ein verändertes Verkaufsverhalten des Klägers oder ähnliche Einschnitte entnehmen. Auch ist der Zeitraum, auf den hochgerechnet wurde, noch überschaubar. Im Übrigen wäre es Sache des Klägers gewesen, hiergegen substantiierte Einwendungen zu erheben.
d) Insgesamt ist die Schätzung wirtschaftlich schlüssig und sinnvoll.
Der Prüfer hat insoweit darauf hingewiesen, dass pro Jahr ca. 100 bis 150 Fahrzeugverkäufe erklärt wurden. Insoweit bewegt sich die Hinzuschätzung mit durchschnittlich ca. 28 zusätzlichen Fahrzeugverkäufen im Rahmen. Der Einwand des Klägers, dass er in den Vorjahren nicht an die so ermittelten Gewinne heranreiche, führt nicht dazu, dass die Schätzung verworfen werden könnte. Denn es ist nicht ermittelt, ob in diesen Jahren alle Fahrzeugverkäufe ordnungsgemäß erklärt worden sind, so dass sich aus diesen Jahren keine Rückschlüsse ziehen lassen.
Dass der Kläger die sich aus den Hinzuschätzungen ergebenden Steuernachforderungen - wie er vorträgt - nicht zahlen könne, spielt für die Rechtmäßigkeit der Hinzuschätzungen keine Rolle.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO).
RechtsgebieteFGO, AOVorschriftenFGO § 96, AO § 162