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  • 12.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211119

    Landgericht Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 21.02.2019 – 18 Qs 30/17

    1. Das Handeln eines steuerlichen Beraters oder seiner Berufshelfer ist dann nicht mehr „berufstypisch“, sondern als strafbare Beihilfe zu den Taten des Mandanten zu qualifizieren, wenn der jeweilige Berufsangehörige das Risiko einer Steuerhinterziehung als derart hoch erkannt hat, dass er sich mit seiner gleichwohl fortgesetzten Hilfeleistung die Förderung des erkennbar tatgeneigten Mandanten angelegen sein lässt.

    2. Nach diesem Maßstab liegt kein (strafloser) Fall neutraler Professionalität mehr vor, wenn sich für einen kundigen Berufsangehörigen die Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung des Mandanten so sehr verdichtet haben, dass er ein positives Wissen nur noch vermeiden kann, indem er die Augen verschließt und besser nicht (weiter) nachfragt.


    Landgericht Nürnberg-Fürth
             
    Az.: 18 Qs 30/17
    46 Ls 504 Js 407/14 AG Nürnberg

    In dem Strafverfahren gegen

    xxx

    wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung

    erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth - 18. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter  am 21.02.2019 folgenden
    Beschluss

    1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.05.2017 (Az. 46 Ls 504 Js 407/14) aufgehoben.
    2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 05.04.2016 wird zur Hauptverhandlung zugelassen.
    3. Gegen die Angeschuldigten P. und R. wird das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg eröffnet.

    Gründe:

    I.

    Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legt den Angeschuldigten P. und R. mit Anklageschrift vom 05.04.2016 - zusammengefasst - zur Last, sich als Steuerberaterin (P.) bzw. als Steuerfachangestellte (R.) an Steuerstraftaten der anderweitig verfolgten (und deswegen auch bereits rechtskräftig verurteilten) Haupttäter W., C. und T. beteiligt zu haben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 Abs. 1 StGB). Die Angeschuldigten sollen die Haupttäter dabei unterstützt haben, sich im Zeitraum Juli 2013 bis April 2014 über ein umfangreiches, aus insgesamt elf Gesellschaften bzw. Einzelunternehmen bestehendes Firmengeflecht („X-Firmengruppe“) unter Ausnutzung des umsatzsteuerrechtlichen Instituts der Ist-Besteuerung (§ 20 UStG) Vorsteuererstattungen in Höhe von (jeweils in Summe) 294.409,95 € zu erschleichen bzw. dies in Höhe von 126.308, 51 € zu versuchen. Im Einzelnen sollen die Angeschuldigten (die Angeschuldigte R. z.T. noch während ihrer Ausbildungszeit) von den Haupttätern erstellte Scheinrechnungen wissentlich in die Buchführung und - in der Folge - in 18 zur Anklage gebrachte Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. -Jahreserklärungen einzelner Unternehmen der X-Firmengruppe übernommen haben. Die von den Angeschuldigten als möglich erkannte und auch im Rechtssinne gebilligte Folge sei gewesen, den Haupttätern dadurch nicht gerechtfertigte Vorsteuerabzüge zu ermöglichen. Diese Vorsteuerabzüge hätten, wie beiden Angeschuldigten bewusst gewesen sei, regelmäßig zu hohen Steuererstattungen geführt, weil die Scheinrechnungen innerhalb des Firmengeflechts gestellt worden seien und aus den Rechnungen mangels (vollständig) vereinnahmter Entgelte (Auswirkung der Ist-Besteuerung im Gegensatz zur Soll-Besteuerung) keine oder nur sehr geringe Umsatzsteuer habe abgeführt werden müssen; die unberechtigt ausgewiesene Vorsteuer habe gleichwohl in vollem Umfang zum Abzug gebracht werden können. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere der konkret betroffenen Voranmeldungen und Jahreserklärungen sowie der jeweils erzielten bzw. erstrebten Höhe der Steuervergütung, verweist die Beschwerdekammer auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft.

    Das Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg hat die dort am 15.04.2016 eingegangene Anklage der Staatsanwaltschaft - nach Anordnung von Nachermittlungen - im Ergebnis nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Stattdessen hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen beide Angeschuldigte mit Beschluss vom 31.05.2017 aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zum einen scheine nach den Ergebnissen der Nachermittlungen ein Nachweis der Haupttaten der Verurteilten W., C. und T. nicht mehr möglich. Die Haupttäter W. und C. hätten - anders als in der gegen sie vor der 12. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth stattgefundenen Hauptverhandlung - nach erneuter Einvernahme nunmehr jeweils unabhängig voneinander angegeben, im Tatzeitpunkt gedacht zu haben, ihr Handeln sei „legal“. Den anderslautenden Geständnissen im Verfahren 12 KLs 504 Js 1549/14 könne vor dem Hintergrund dessen, dass diesen eine verfahrensbeendende Absprache vorausgegangen sei, kein maßgebliches Gewicht mehr beigemessen werden. Die in jenem Verfahren zusätzlich herangezogenen Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation der Verurteilten seien im Verfahren gegen die Angeschuldigten P. und R. „gem. § 160a Abs. 2 StPO (…) nicht verwertbar, da den Angeschuldigten keine Katalogtat zur Last“ liege. Dieses „Privileg der beratenden Berufe“ erschwere den erforderlichen Nachweis der Haupttat zusätzlich.

    Hinzu trete, dass auch der Nachweis von Beihilfehandlungen voraussichtlich nicht gelingen werde. Die Haupttäter W. und C. hätten sich im Nachgang als „Opfer schlechter Beratung durch die Angeschuldigten“ dargestellt. Nach obergerichtlicher Judikatur bzw. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (das Amtsgericht zitiert die Entscheidungen OLG Köln, Beschl. v. 03.12.2010 - 1 Ws 146/10, DStR 2011, 1195, und BGH, Urt. v. 01.08.2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107) sei ebendies bei der Bewertung „berufstypischen“ Verhaltens aber auszuschließen. Insbesondere genüge der von der Staatsanwaltschaft gesehene bedingte Tatvorsatz beider Angeschuldigter für eine Verurteilung nicht; erforderlich sei vielmehr „dolus directus“. Bedingter Vorsatz könne „allenfalls ausreichen, wenn das für die Angeschuldigten erkennbare Risiko strafbaren Verhaltens besonders hoch“ gewesen sei. Dies werde von der Staatsanwaltschaft jedoch „allein aus den Gesamtumständen und den Aussagen der Angeschuldigten P. und R.“ geschlossen. Nach wie vor ungeklärt seien zudem die konkreten Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten in der Steuerkanzlei. Eine gegenseitige Zurechnung von Beihilfehandlungen scheide nach Aktenlage aus.

    Die Staatsanwaltschaft hat gegen diese ihr am 02.06.2017 zugestellte Entscheidung am 06.06.2017 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Verfügung vom 07.06.2017 nicht abgeholfen hat.

    Die Staatsanwaltschaft beantragt, den Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts aufzuheben und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - zu eröffnen.

    II.

    Die gemäß § 210 Abs. 2 i.V.m. § 311 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Angeschuldigten P. und R. sind der ihnen mit Anklageschrift vom 05.04.2016 zur Last gelegten Taten hinreichend verdächtig (§ 203 StPO), mit der Folge, dass die Beschwerdekammer das Hauptverfahren antragsgemäß vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - eröffnet hat.

    1.

    Ein Tatverdacht ist „hinreichend“ i.S.v. § 203 StPO, wenn er - bei gebotener vorläufiger Tatbewertung anhand der Aktenlage - auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung aller be- und entlastenden Umstände wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Dem Gericht ist bei der zu stellenden Prognose ein - vom Beschwerdegericht eigenständig wahrzunehmender (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 309 Rn. 4) - Beurteilungsspielraum eingeräumt. Bei der überschlägigen Beurteilung der Beweissituation im Rahmen der Prognoseentscheidung muss auch die Wertigkeit der jeweiligen Beweise bedacht werden. Zudem ist die Frage der voraussichtlichen Verwertbarkeit einzelner Beweise im Prozess in die Entscheidung miteinzubeziehen; Verwertungsverbote sind zu beachten (vgl. zum Ganzen OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.08.2010 - 1 Ws 464/10, NJW 2010, 3793, unter II.1.; zusf. Ritscher in: BeckOK StPO, 32. Ed., § 203 Rn. 4 f. m.w.N.).

    2.

    Bei Anwendung dieser Grundsätze auf die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten und von ihr in der Anklageschrift zusammengefassten Ermittlungsergebnisse hat das Amtsgericht zu Unrecht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts gegen die Angeschuldigten P. und R. verneint. Die Verurteilung beider Angeschuldigter ist - entgegen der Prognose des Amtsgerichts - sehr wahrscheinlich.

    Im Einzelnen:

    a) Anders als das Amtsgericht zum Nachweis der Haupttaten ausgeführt hat, bewirken die Angaben der im Zwischenverfahren am 07.10.2016 und 13.10.2017 erneut vernommenen (nunmehrigen) Zeugen W. und C. nicht, dass ein Nachweis der Haupttaten nicht mehr möglich wäre. Die Vorinstanz hat dabei schon im Ausgangspunkt verkannt, dass es ihr auch im Rahmen vorläufiger tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 203 StPO) oblegen hätte, im ersten Schritt genau herauszustellen, ob überhaupt und falls ja, in welchen konkreten Punkten die Angaben der Zeugen in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens voreinander abweichen. Im zweiten Schritt hätte es solche etwaigen Abweichungen im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung zu den übrigen Indizien und Beweismitteln in Beziehung setzen müssen. Dazu zählen hier in erster Linie die gegenständlichen Rechnungen (insbesondere mit Blick auf deren Ausstellung allein innerhalb des Firmengeflechts sowie deren Gegenstand und Höhe, die - nicht oder nur zu einem geringen Teil [Ratenzahlungen] erfolgte - Durchführung des zugrunde liegenden Leistungsaustauschs, zeitliche Koinzidenzen mit Liquiditätslücken der beteiligten Unternehmen sowie sonstige gewichtige Einzelindizien, wie die unter dem Briefkopf der Steuerkanzlei P. abgegebene „Erklärung“ der Haupttäter W. und C. v. 22.07.2013 [s.u.]), die aus der Überwachung der Telekommunikation (im Folgenden kurz: „TKÜ“) der Haupttäter gewonnenen Erkenntnisse (z.B. die Gespräche […]; zu deren Verwertbarkeit sogleich unter b) sowie - im Besonderen - die eigenen Einlassungen der Angeschuldigten in den Beschuldigtenvernehmungen am 07.05.2014. Angesichts dieses weitreichenden Fundus an Indizien und Beweismitteln greift es - trotz des bei der Entscheidung über die Anklagezulassung eröffneten Beurteilungsspielraums - erkennbar zu kurz, dass sich das Amtsgericht allein wegen der abweichenden Angaben der Haupttäter auf die Feststellung beschränkt hat, der Nachweis hinsichtlich der Haupttaten „scheine“ nunmehr nicht mehr möglich.

    Die eigene Verdachtsprüfung der Beschwerdekammer anhand der genannten Beweismittel ergibt demgegenüber, dass es sich bei den nachträglichen Angaben von W. und C. (zusf. Schreiben der Steuerfahndung v. 17.10.2016, Bl. 1318 d. A.) um - bestenfalls - „Beschönigungen“ der Vorgänge im Zusammenhang mit der steuerlichen Beratung bzw. deren Umsetzung durch die Angeschuldigten handelt. Insbesondere die Aussage des Verurteilten W., Ziel des um ihn und C. gebildeten Firmengeflechts sei es gewesen, „innerhalb der steuerlichen Vorschriften zu agieren“, bzw. man habe damals gedacht, „dass dies alles auch regelkonform sei“ (jew. Bl. 1294, Mitte, d. A.), widerspricht ganz offenkundig der übrigen Erkenntnislage.

    b) Die Ergebnisse der gegen die Haupttäter gerichteten TKÜ sind im Verfahren gegen die Angeschuldigten P. und R. verwertbar. Zwar flankiert § 160a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StPO, wie vom Amtsgericht noch richtig erkannt, das bereits in Gestalt eines umfassenden Zeugnisverweigerungsrechts in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53a Abs. 1 StPO gewährleistete Mandatsgeheimnis zwischen (u.a.) dem Steuerpflichtigen und seinem Steuerberater bzw. dessen Berufshelfern. Dieser Schutz vor Eingriffen durch staatliche Ermittlungsmaßnahmen ist jedoch - wie sich aus § 160a Abs. 2 StPO selbst und aus Absatz 4 der genannten Vorschrift ergibt - keineswegs absolut. Er ist vielmehr gänzlich aufgehoben, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person selbst an der Tat beteiligt ist (§ 160a Abs. 4 Satz 1 StPO). Derartige „bestimmte“ Tatsachen liegen - was entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ausreichend ist - zweifelsohne schon mit den Einlassungen der Angeschuldigten am 07.05.2014 vor. Dem Eingreifen des Ausnahmetatbestands in § 160a Abs. 4 Satz 1 StPO steht es auch nicht entgegen, dass sich der Tatverdacht gegen die Berufsgeheimnisträgerinnen erst nach Durchführung der TKÜ-Maßnahmen ergeben hat; insbesondere ist er nicht aus ihnen geschöpft worden (vgl. Schmitt, a.a.O., § 160a Rn. 15 m.w.N.).

    Soweit der Nichteröffnungsbeschluss darauf gestützt ist, den Angeschuldigten liege keine „Katalogtat“ zur Last, ist zunächst festzustellen, dass die am 27.03.2014 erlassenen TKÜ-Beschlüsse auf den im damaligen Zeitpunkt - auch für die Beschwerdekammer anhand des Akteninhalts gut nachvollziehbar - gehegten Verdacht der bandenmäßigen Erschleichung von Umsatzsteuervorteilen (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO) gestützt worden sind. Dabei handelt es sich um zur Durchführung von TKÜ-Maßnahmen berechtigende schwere, weil im „Katalog“ des § 100a Abs. 2 StPO (dort unter Nr. 2 Buchst. a) aufgeführte, Straftaten i.S.v. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO.

    Was die konkrete Verwertbarkeit der TKÜ-Erkenntnisse unter dem Gesichtspunkt der „Katalogtat“ anbetrifft, ist es unschädlich, wenn nach weiteren Ermittlungen nurmehr noch der Verdacht einer Nicht-Katalogtat besteht (allg.M., vgl. etwa Schmitt, a.a.O., § 100a Rn. 32 m. zahlr. weit. Nachw.; weshalb § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO im Verfahren gegen die Haupttäter nicht zur Anwendung gelangt ist, ergibt sich aus dem gegen diese ergangenen Urteil nicht; hinsichtlich der Angeschuldigten wäre § 28 Abs. 2 StGB zu beachten). Entscheidend ist nur, dass im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme der begründete Verdacht einer „Katalogtat“ bestand. War das, wie hier, der Fall, sind die aus der TKÜ gewonnenen Erkenntnisse nicht nur gegen die (seinerzeitigen) Beschuldigten, sondern gegen alle Tatbeteiligten zu verwerten, auch wenn die betreffenden Personen oder der Umstand ihrer Tatbeteiligung noch unbekannt waren (Schmitt, a.a.O., § 100a Rn. 32 m.w.N.). Auf die Regelung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bzw. die Frage der Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs kommt es danach nicht an.

    c) Auch hinsichtlich des Nachweises der Beihilfehandlungen hat das Amtsgericht seiner Entscheidung eine verkürzte Betrachtung der bestehenden Beweislage zugrunde gelegt. Zwar hat es dabei (erneut) im Ausgangspunkt zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von „berufstypischemg“ bzw. „professionellem“ - und damit grds. straflosem - Verhalten zur strafbaren Beihilfe von Berufsträgern abgestellt (dazu zuletzt BGH, Beschl. v. 21.12.2016 - 1 StR 112/16, NZWiSt 2017, 362 zur Steuerberatung). Auch die Staatsanwaltschaft geht schon in der Anklageschrift davon aus, dass die vom Bundesgerichtshof hierzu entwickelte „Drei-Stufen-Formel“ vorliegend anzuwenden ist. Bei der Prüfung, ob nach den dort formulierten Kriterien von einem hinreichenden Tatverdacht gegen beide Angeschuldigte auszugehen ist (nach Auffassung der Beschwerdekammer unterfällt auch die Angeschuldigte R. als Berufshelferin der „Drei-Stufen-Formel“), hat das Amtsgericht jedoch erneut nicht genügend beachtet, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens (noch) keine sichere Überzeugung des Tatgerichts von der Schuld der Angeschuldigten verlangt. Es ist stattdessen ausreichend, wenn nach Aktenlage eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, das Gericht werde nach durchgeführter Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangen, das Verhalten der Angeschuldigten stellte sich nicht mehr als „berufstypisch“ dar.

    Das Amtsgericht hat insofern darauf abgestellt, die Angeschuldigte P. habe angegeben, gegen Ende 2013 „Bauchschmerzen“ bzw. ein „ungutes Gefühl (…), vielleicht sogar eine Vorahnung“ im Hinblick auf einen etwaigen kriminellen Hintergrund des Mandatsverhältnisses zu den von den Haupttätern gesteuerten Unternehmen bekommen zu haben. Hinsichtlich der Angeschuldigten R. liege es nahe, dass sich diese auf die Einschätzung der Angeschuldigten P. verlassen habe.

    Bereits diese, allein aus den Vernehmungen der Angeschuldigten am 07.05.2014 entnommenen Umstände legen einen hinreichenden Tatverdacht auf der „dritten“ Stufe bereits zum Greifen nahe. Danach ist das Handeln eines steuerlichen Beraters bzw. Berufshelfers dann als strafbare Beihilfe zu den Taten des Mandanten zu beurteilen, wenn der Berater (Berufshelfer) das Risiko einer Steuerhinterziehung als derart hoch erkannt hat, dass er sich mit seiner gleichwohl fortgesetzten Hilfeleistung die Förderung des erkennbar tatgeneigten Mandanten angelegen sein ließ (BGH, a.a.O., unter III.2.a). Dies ist dann der Fall, wenn sich für einen kundigen Berufsangehörigen die Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung des Mandanten so sehr verdichtet haben, dass er ein positives Wissen (entspr. direktem Gehilfenvorsatz) nur noch vermeiden kann, indem er die Augen verschließt und besser nicht (noch weiter) nachfragt. In einem solchen Fall kann sich der Berater (Berufshelfer) nicht mehr auf eine neutrale Professionalität zurückziehen (so bereits Harms, Stbg 2005, 12, 15; s. auch Ebner, HFR 2017, 1166, 1168).

    Auch zu diesem Punkt hätte sich das Amtsgericht nicht darauf beschränken dürfen, die von ihm angesprochenen Gesichtspunkte isoliert zu betrachten. Es hätte vielmehr gleichfalls in eine Gesamtwürdigung der bestehenden Beweislage eintreten müssen (vgl. erneut Ebner, a.a.O.). Eine solche - von der Beschwerdekammer nunmehr eigenständig durchzuführende - Gesamtschau aller o.g. Indizien ergibt, dass jedenfalls der hinreichende Verdacht eines (im vorgenannten Sinne zu verstehenden) Sich-Angelegen-Sein-Lassens der Erschleichung von Umsatzsteuererstattungen durch W., C. und T. ganz offenkundig gegeben ist.

    Zur Verdeutlichung dieses von ihr gefundenen Prüfungsergebnisses sieht sich Beschwerdekammer veranlasst, exemplarisch folgende Passage aus der Vernehmung der Angeschuldigten R. wiederzugeben (Bl. 8 d. Personenakte „P./R.“):

    „Ende letzten Jahres [Anm. d. Gerichts: d.h. 2013] / Anfang diesen Jahres habe ich auch ein Gespräch mit Frau P. bezüglich der X-Gruppe geführt. Ich hatte ihr meine Bedenken mitgeteilt und ihr gesagt, dass die ganze Geschichte gefährlich werden könnte.

    Ich habe Frau P. das deswegen gesagt, weil ich der Meinung bin, dass Frau P. das vielleicht nicht ganz so ernst nimmt.

    Ich hatte deswegen die Befürchtung, dass es gefährlich werden könnte, da ich ja die ganze Buchhaltung mache. Frau P. macht die Buchhaltung nicht, sie muss sich auf das verlassen, was ich ihr sage. Ich habe gesehen, dass es enorme Geldflüsse in der Firma gab, die Geldflüsse aber immer nur innerhalb der Firmengruppe verliefen, Gelder nie von außen kamen oder nach außen gingen.

    Mit Frau P. habe ich mich des Öfteren über die Geschichte unterhalten, denn man sieht auf den ersten Blick, dass hier etwas 'stinkt'.

    Ob das Mandat gekündigt werden soll oder ob das Mandatsverhältnis fortgesetzt werden soll, darüber habe ich mit Frau P. nicht gesprochen. Ich bin ja nur ausführende Gewalt, sie ist der Chef. Ich habe auch weiterhin die Buchhaltung gemacht, ich habe mich nicht geweigert, hier nicht mehr tätig zu werden, das würde ja an Arbeitsverweigerung grenzen. Ich habe Frau P. aber nicht gesagt, dass ich nicht mehr weiter machen würde, obwohl ich Bedenken hatte.

    Wir sind ja auch eine kleine Steuerberaterkanzlei, so lange die Leute zahlen ist alles andere auch Wurst.“

    In zeitlicher Hinsicht ist dem noch hinzuzufügen, dass W. und C. bereits am 22.07.2013 (Beginn des angeklagten Tatzeitraums) unter dem Briefkopf der Steuerkanzlei P. folgende Erklärung abzugeben hatten (Bl. 210 d. Fallakte Bd. 7):

    „Hiermit erklären wir […], dass wir auf die Abzugsfähigkeit von Vorsteuern bzgl. der verbindlichen Bestellungen, die keine ordnungsgemäßen Rechnungen i.S. des § 14 UStG darstellen, hingewiesen wurden. Im Rahmen der Buchführung, die von der Steuerkanzlei P. erstellt wird, werden [Anm. d. Gerichts: gleichwohl] auf Wunsch die Vorsteuern in Abzug gebracht.

    Die Firma X weiß, dass es im Rahmen einer Betriebsprüfung zu Unstimmigkeiten der Vorsteuern kommen kann mit der Folge, dass die Vorsteuern nicht abzugsfähig sind und somit zurückgefordert werden.“

    Nach alledem steht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf durch beide Angeschuldigte begangene Beihilfetaten zu Umsatzsteuerhinterziehungen der Haupttäter W., C. und T. - auch unter Berücksichtigung der restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit „berufstypischen“ Verhaltens - außer Frage.

    d) In tatsächlicher Hinsicht rechtfertigen schließlich auch die vom Amtsgericht als „ungeklärt“ angesehenen „Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten in der Steuerkanzlei“ nicht die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens. Sie könnten sich im Falle der Unaufklärbarkeit allenfalls auf Ebene der konkurrenzrechtlichen Beurteilung auswirken; ggf. wäre die Annahme eines einheitlichen Tatbeitrags (§ 52 StGB) zu den Haupttaten in Erwägung zu ziehen (s. dazu bereits Anklageschrift, S. 27, m.w.N.).

    3.

    Mit Blick auf den für ein Steuerstrafverfahren gegen Angehörige der steuerberatenden Berufe zwar durchaus erheblichen, jedoch noch nicht „besonderen“ Umfang des Falles sowie die bei beiden Angeschuldigten bestehende vergleichsweise hohe Rechtsfolgenerwartung (das Erschleichen von Vorsteuererstattungen stellt einen „Griff in die Kasse“ des Staates dar), war das Hauptverfahren - dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend - vor dem Schöffengericht zu eröffnen (§§ 24, 25 GVG). Daran ändern weder die obligatorische Strafrahmenverschiebung für Gehilfen nach § 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB noch die Verfahrensdauer einschließlich der im Beschwerdeverfahren eingetretenen (kompensierbaren) Verzögerung oder der Umstand etwas, dass den bei der Angeschuldigten P. mit einer Verurteilung einhergehenden berufsrechtlichen Folgen bei der Strafzumessung in gebotener Weise Rechnung zu tragen sein wird (vgl. BGH, Beschl. v. 27.07.2016 - 1 StR 256/16, NZWiSt 2017, 39, unter 3.).

    4.

    Zur Wirksamkeit der Anklageerhebung bemerkt die Beschwerdekammer abschließend, dass der (u.a. in der Darstellung des Firmengeflechts vergleichsweise lange) Anklagesatz der durch ihn zu erfüllenden Umgrenzungsfunktion gerecht wird (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Zwar enthält der Anklagesatz im Hinblick auf die vollendeten Hinterziehungs(haupt-)taten (B.I.1., 2.; B.II.; B.III.1.; B.IV.; B.V.1., 2., 3.; B.VI.) keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass das Finanzamt der jeweiligen Vorsteuererstattung (sog. Erstattungs-Fall) gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt hat (dazu jüngst BGH, Beschl. v. 20.09.2018 - 1 StR 264/17, wistra 2019, 62, unter 1.b m.w.N.). Davon betroffen wäre jedoch nur die Frage nach (dem Zeitpunkt) der Tatvollendung und damit allein die Informationsfunktion der Anklage. Unabhängig davon ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Anklagesatzes - gerade in der Zusammenschau mit der Schilderung der Versuchstaten - hinreichend deutlich, dass die erschlichenen Vorsteuer-Erstattungsbeträge tatsächlich zur Auszahlung gelangt sind. Spätestens in der Auszahlung ist aber eine stillschweigende Zustimmung i.S.v. § 168 Satz 3 AO - und damit die Tatvollendung - zu erblicken (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 14. Aufl., § 168 Rn. 13).

    RechtsgebieteStPO, AO, StGBVorschriftenAO § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 5; StGB § 27 Abs. 1; StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 53a Abs. 1, § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, § 160a Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 1, § 200 Abs. 1 S. 1, § 203