30.10.2019 · IWW-Abrufnummer 211935
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 05.07.2019 – 6 K 215/18
Wird ein Kind bereits zu Beginn des 1. Schuljahres zu den Großeltern ins Ausland geschickt, um dort mindestens zehn Jahre zur Schule zu gehen, genügt es nicht für die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes, wenn das Kind die Eltern in den Schulferien für insgesamt ca. 3,5 Monate im Jahr besucht, wenn es keine besonderen Indizien für eine feste soziale Bindung an Deutschland gibt. Hierbei können auch mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse Bedeutung erlangen.
FINANZGERICHT HAMBURG
5.07.2019
Urteil
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung für die beiden Söhne für den Zeitraum ab September 2010 bis März 2017 aufgehoben und das bereits gezahlte Kindergeld zurückgefordert hat. Insbesondere ist streitig, ob die Söhne des Klägers ihren inländischen Wohnsitz beibehalten haben.
Die Söhne des Klägers wurden 1999 und 2001 in Hamburg geboren. Sowohl der Kläger als auch seine Söhne haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Beide Söhne sind seit der 1. Klasse in Serbien zur Schule gegangen, d.h. ab 2006 bzw. ab 2008. Der Kläger hat die Schulbehörde über den Wegzug informiert und eine Befreiung von der Schulpflicht beantragt. Von der Hamburger Schulbehörde wurden entsprechende Bescheinigungen ausgestellt. Während der Schulzeit lebten die Kinder bei ihrer Großmutter in Serbien und wurden von dieser versorgt. Die serbischen Schulferien verbrachten beide Söhne bei ihren Eltern in Deutschland. Der Kläger wohnt zusammen mit seiner Frau und seinen Schwiegereltern in einer Vierzimmerwohnung. In dieser Wohnung befinden sich ein Kinderzimmer, ein Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer.
Am 16. November 2010 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet.
In der Kindergeldakte befindet sich keine Mitteilung des Klägers über den Wegzug der Kinder. Der Kläger teilte im Oktober 2013 der Familienkasse mit, dass sich seine Kontoverbindung geändert hat. In diesem Zusammenhang teilte er keine Veränderung des Wohnsitzes der Kinder mit. In 2017 erfuhr die Familienkasse ..., dass die beiden Kinder des Klägers in Serbien wohnten. Im daraufhin durchgeführten Anhörungsverfahren teilte der Kläger mit, dass seine Söhne weiterhin in Deutschland wohnhaft seien und sie lediglich in Serbien die Schule besuchten.
Mit Aufhebungsbescheid vom 12. April 2018 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab September 2010 auf und forderte bereits gezahltes Kindergeld für den Zeitraum September 2010 bis März 2017 in Höhe von 29.360 € zurück.
Hiergegen legte der Kläger am 9. Mai 2018 Einspruch ein, welcher mit Einspruchsentscheidung vom 18. September 2018 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Am 18. Oktober 2018 hat der Kläger Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2019 wurde der angefochtene Bescheid vom 12. April 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. September 2018 dahingehend geändert, dass für den Zeitraum von September 2010 bis November 2010 die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die entsprechende Rückforderung für nichtig erklärt wurde. Mit Beschluss vom 17. Juni 2019 wurde das Verfahren betreffend September 2010 bis November 2010 abgetrennt und wurde unter dem Aktenzeichen 6 K 186/19 geführt.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, die Kindergeldfestsetzung sei zu Unrecht aufgehoben worden, denn seine beiden Söhne hätten, obwohl sie in Serbien zur Schule gegangen seien, ihren Wohnsitz im Inland nicht aufgegeben. Die elterliche Wohnung in der X-Straße sei immer noch die Wohnung der beiden Söhne. Es sei immer geplant gewesen, dass sie nach der Beendigung der Schule nach Deutschland zurückkehrten. Mittlerweile wohne sein älterer Sohn A, der Zeuge, auch bereits wieder in der X-Straße und plane hier ein Medizinstudium zu beginnen. Entscheidend sei, dass beide Söhne ihre gesamte ausbildungsfreie Zeit in der elterlichen Wohnung in Hamburg verbracht hätten. Insbesondere seien beide die gesamten jeweils zehnwöchigen Sommerferien in Hamburg gewesen. Auch die Weihnachts- und Osterferien hätten beide Söhne immer ausschließlich in Deutschland verbracht. Sie hätten sich sehr darauf gefreut in den Ferien mit ihren deutschen Freunden zusammen sein zu können. Das Kinderzimmer der Söhne sei auch während ihrer Abwesenheit nicht anderweitig genutzt worden.
Er, der Kläger, habe weder vorsätzlich noch fahrlässig eine Steuerhinterziehung begangen. Insbesondere habe er die Familienkasse darüber informiert, dass seine Söhne nach Serbien zur Schule gegangen seien. Dieses habe er jedoch nur telefonisch getan. Außerdem sei er davon ausgegangen, dass die Schulbehörde auch die Familienkasse informiere. Im Zusammenhang mit der Meldung der Änderung seines Bankkontos habe er nicht auf den geänderten Wohnsitz seiner Kinder hingewiesen, weil sich seines Erachtens dieser Wohnsitz gar nicht geändert habe, da seine Söhne auch weiter ihren Wohnsitz in der X-Straße gehabt haben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Aufhebungsbescheid und den Rückforderungsbescheid, jeweils vom 12. April 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. September 2018, geändert durch den Bescheid vom 24. Mai 2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich zur Begründung auf Ihre Einspruchsentscheidung vom 18. September 2018. Beide Söhne des Klägers hätten im streitigen Zeitraum keinen Wohnsitz in Deutschland oder einem anderen Staat der europäischen Union oder europäischen Wirtschaftsraum gehabt. Ein Wechsel in das Ausland, um dort die Schule zu besuchen, spreche in jüngeren Jahren eher für eine Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland. Je länger der Auslandsaufenthalt andauere, desto länger müssten die Inlandsaufenthalte angelegt sein, um weiterhin von einem Wohnsitz im Inland ausgehen zu können. Auch wenn nach Durchführung der Beweisaufnahme nunmehr auch die Beklagte davon ausgehe, dass sich beide Kinder grundsätzlich während der gesamten Ferien und damit ca. 3,5 Monate jährlich in Deutschland aufgehalten haben, könne ein inländischer Wohnsitz nicht angenommen werden. Die Aufenthalte in den Ferien in Deutschland hätten nur Urlaubscharakter gehabt.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der Kläger der Familienkasse bewusst nicht mitgeteilt habe, dass seine Kinder nach Serbien gezogen seien. Hierdurch habe er eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen, sodass die zehnjährige Festsetzungsverjährung zur Anwendung gelange. Zumindest aber sei das Handeln des Klägers leichtfertig gewesen, da der Kläger die Sorgfalt außeracht gelassen habe, zu der als Kindergeldempfänger nach den Fallumständen und seinen persönlichen Fähigkeiten imstande gewesen sei. Ihm hätte sich aufdrängen müssen, dass der Kindergeldbezug unrechtmäßig gewesen sei.
Der Senat hat mit Beschluss vom 19. Februar 2019 den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder des Klägers durch Vernehmung des Zeugen A (Sohn des Klägers). Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungs- und Beweisaufnahmetermins vom 21. Februar 2018 wird verwiesen. Dem Gericht hat die Kindergeldakte vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gem. § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
I.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide (Aufhebung- und Rückforderungsbescheid) sind teilweise rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Die Kinder des Klägers hatten im streitigen Zeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so dass dem Kläger während des gesamten streitigen Zeitraums kein Kindergeld zustand (1.). Für die Jahre bis einschließlich 2013 war jedoch im Zeitpunkt des Aufhebungsbescheides vom 12. April 2018 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass die Kindergeldfestsetzung für Dezember 2010 und die Jahre 2011, 2012 und 2013 nicht mehr aufgehoben und das für diese Monate gezahlte Kindergeld nicht zurückgefordert werden konnte. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO liegen nicht vor (2.).
1. Die Beklagte hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum ab Januar 2014 aufgehoben. Die Kinder hatten im streitigen Zeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung, denn Serbien zählt nicht hierzu.
a) Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG kein Kindergeld gewährt (BFH, Urteil vom 25. September 2014 III R 10/14 ,BStBl II 2015, 655).
Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat, sind durch langjährige Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt (z.B. BFH, Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).
Nach § 8 AO, der auch im Rahmen der Prüfung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG über § 1 Abs. 1 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG Anwendung findet, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (BFH, Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231). Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit , wenn auch in größeren Zeitabständen, aufsucht (BFH, Urteil vom 23. November 2001 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet (BFH, Urteil vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917) noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit (BFH, Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447); erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH, Urteil vom 10. April 2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909). Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthalt nehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 13. November 2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046).
Bei Kindern, die zum Zwecke der Schulausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Einen allgemeinen Grundsatz, dass die Aufnahme im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils grundsätzlich für die Dauer der Ausbildung fortbesteht, gibt es nicht (vgl. BFH, Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351). Es muss, um einen inländischen Wohnsitz in diesen Fällen annehmen zu können, eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass der Steuerpflichtige die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH, Urteil vom 17. März 1961 VI 185/60 U, BStBl III 1961, 298).
Die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland zu Ausbildungszwecken aufhält, seinen inländischen Wohnsitz bei den Eltern beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet unter Berücksichtigung der objektiven Umstände des jeweiligen Falles. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umstände müssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf Grund zahlreicher Entscheidungen konkrete objektive Anhaltspunkte dargelegt, die Rückschlüsse auf die Beibehaltung oder die Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes zulassen können. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits (BFH, Beschluss vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375), kommt der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu (z.B. BFH, Beschluss vom 12. Februar 2014 V B 39/13, BFH/NV 2014, 715). Danach reicht bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht aus, um "zwischenzeitliches Wohnen" und damit einen inländischen Wohnsitz anzunehmen. Keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beibehaltung des Wohnsitzes haben regelmäßig die Staatsangehörigkeit des Kindes, die Feststellung der Rückkehrabsicht ins Inland (BFH, Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294) und melderechtliche Vorgaben.
Nach § 9 AO hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt. Die Sechsmonatsfrist in § 9 Satz 2 AO enthält einen Anhaltspunkt dafür, welche Aufenthaltsdauer nicht mehr als nur vorübergehend anzusehen ist. Entscheidend ist danach, ob im Streitzeitraum ein mehr als sechs Monate dauernder Aufenthalt im Inland geplant war. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall für den Streitzeitraum. Im Übrigen kann der gewöhnliche Aufenthalt von minderjährigen, schulpflichtigen Kindern regelmäßig nicht dort angenommen werden, wo sie sich nur während der Schulferien aufhalten (FG Münster, Urteil vom 4. März 2004 8 K 4209/02 Kg, EFG 2004, 1228, juris). Nach der Rechtsprechung verliert ein sechsjähriges Kind grundsätzlich seinen Wohnsitz im Inland, wenn seine Eltern es zum Zwecke eines auf mehrere Jahre angelegten Schulbesuchs zu den Großeltern ins Ausland schicken. Nach diesen Entscheidungen macht es einen entscheidungserheblichen Unterschied, ob ein Kind im Alter von sechs Jahren von seinen Eltern zum Schulbesuch ins Ausland geschickt wird oder ob ein Jugendlicher mit abgeschlossener Schulausbildung sich entschließt, seine weitere Ausbildung (Studium) im Ausland zu absolvieren (BFH, Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Nach der Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass der in jungem Alter begründete, mehrjährige Aufenthalt in dem Herkunftsland ihrer Eltern dazu führt, dass die Bindungen in sprachlicher, sozialer und kultureller Hinsicht dorthin hergestellt bzw. gefestigt werden. Das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen führen regelmäßig zu einer Verwurzelung im Ausland (Herkunftsland der Eltern), verbunden mit einer entsprechenden Einschränkung der bisherigen familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen den Kindern und dem in Deutschland verbliebenen Elternteil (vgl. FG Bremen, Urteil vom 8. Dezember 2016, 3 K 59/15 (1), juris).
b) Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass beide Kinder des Klägers im streitigen Zeitraum weder ihre Wohnung noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung, hatten.
Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme zwar davon überzeugt, dass beide Kinder ihre Ferien weitestgehend im Inland verbracht haben, es geht jedoch davon aus, dass es sich bei diesen Aufenthalten lediglich um Besuche mit Urlaubszweck gehandelt hat.
Damit liegt das für die Beibehaltung eines Wohnsitzes notwendige subjektive Tatbestandsmerkmal nicht vor. Beide Söhne des Klägers sind zwar in Deutschland geboren, auch haben sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei der Beurteilung dieser Tatfrage kommt es aber vor allem auf Gesichtspunkte wie Lebensalter des Kindes, Anpassung an die deutschen Lebensverhältnisse, Dauer des Auslandsaufenthalts bzw. dessen von vorne herein bestehende zeitliche Begrenzung, Art der Unterbringung im Ausbildungsland und Verfügbarkeit von Wohnraum im inländischen Elternhaus an. Bei der danach vorzunehmenden Abwägung sprechen vorliegend mehr Beweisanzeichen dafür, dass die Kinder ihren Wohnsitz im Inland ab dem Schulbeginn in Serbien aufgegeben haben, als dafür, dass sie ihn beibehalten hätten. Hierfür spricht, dass sie bereits zu Beginn der Schulpflicht, mithin in einem sehr jungen Alter nach Serbien zum Zwecke des Schulbesuchs gegangen sind, als sie in besonderem Maße eine Bezugsperson brauchten, die sich in erreichbarer räumlicher Nähe befinden musste. Zu diesem Zeitpunkt sind sie auch zumeist noch nicht in der Lage, Beziehungen bei größerer räumlicher Entfernung über längere Zeit eigenständig aufrechtzuerhalten (vgl. Hessischen Finanzgerichts, Urteil vom 30. August 2005 3 K 1152/03, juris). Der Umzug nach Serbien wurde deshalb zu einem Zeitpunkt durchgeführt als die Kinder noch keine festen sozialen Bindungen an Deutschland aufbauen hatten können. Die Söhne des Klägers haben in Serbien bei ihrer Großmutter gelebt, so dass sie in Serbien auch familiär eingebunden waren. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Großmutter in Serbien bei der täglichen Fürsorge und Betreuung der Kinder vollständig an die Stelle der Eltern getreten ist. Von Anfang war geplant, dass beide Söhne in Serbien auch ihre Schule beenden sollten. Damit war der Aufenthalt von Anfang an auf mindestens zehn Jahre geplant gewesen. Der als Zeuge befragte ältere Sohn des Klägers hat auch nicht überzeugend darlegen können, dass er in Deutschland soziale Kontakte aufrechterhalten hat. Er konnte noch nicht einmal konkrete Namen seiner Freunde nennen. Er hatte auch weder Sportvereine, noch kulturelle Interessen oder andere Freizeitaktivitäten in Deutschland verfolgt. Auch seine deutschen Sprachfähigkeiten sprechen nicht für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes. Er konnte auch auf Nachfrage nicht überzeugend beantworten wie er sich seine berufliche Zukunft in Deutschland vorstellt, ob z.B. sein serbischer Schulabschluss überhaupt ausreichend ist, um in Deutschland ein Medizinstudium beginnen zu können.
Die jährlichen Aufenthalte der Kinder von ca. 3,5 Monaten während der Schulferien ändern an diesem Ergebnis nichts. Diese Aufenthaltszeiten der Kinder in Deutschland sind nach der Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des Alters der Kinder und des tatsächlichen bzw. geplanten langjährigen Aufenthalt im Ausland bei den Großeltern nicht geeignet, um einen Wohnsitz in Deutschland beizubehalten. Solche Aufenthalte während der Schulferien kommen nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleich, bewirken kein zwischenzeitliches Wohnen in der elterlichen Wohnung und haben lediglich Besuchscharakter (vgl. FG Münster, Urteil vom 4. März 2004, 8 K 4209/02 Kg). Der BFH (BFH, Urteil vom 23. Juni 2015 III R 38/14, BStBl II 2016, 102) hat zwar in jüngerer Zeit entschieden, dass Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, ihren Wohnsitz bei den Eltern im Inland beibehalten, wenn sie diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzen und dass diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn das Finanzgericht feststellen kann, dass sie mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbringen. Diese Rechtsprechung ist aber aus den oben dargelegten Gründen auf minderjährige Schulkinder, die bereits zu Beginn ihrer Schulpflicht bis zum Erreichen des Abiturs in das Heimatland der Eltern gehen und dort bei den Großeltern aufwachsen, nach der Überzeugung des Gerichts nicht anwendbar (vgl. Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 16. August 2017 2 K 775/16, juris).
2. Zu Unrecht hat die Beklagte jedoch die Kindergeldfestsetzung auch für die Monate Dezember 2010 bis Dezember 2013 aufgehoben, denn insoweit war bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Kläger handelte weder vorsätzlich noch leichtfertig.
Nach § 70 Abs. 2 EStG ist eine Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten. Eine Änderung der Verhältnisse i.S. des § 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes. Die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes der Kinder ist eine solche Änderung der Verhältnisse, so dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung grundsätzlich vorliegen.
a) Die Aufhebung ist jedoch nur dann möglich, wenn noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies ist hier aber bis einschließlich 2013 der Fall gewesen.
Die zeitlichen Grenzen der rückwirkenden Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung bestimmen sich nach den Regelungen über die Festsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 EStG i.V.m. § 155 Abs. 4, §§ 169 ff. AO; BFH, Beschluss vom 8. Dezember 2011 III B 72/11, BFH/NV 2012, 379, juris). Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Es gelten daher die Vorschriften der AO (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach § 155 Abs. 4 AO sind die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (§§ 155 bis 178 AO), also auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 bis 171 AO), sinngemäß auf die Festsetzung einer Steuervergütung anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld wird auf Antrag (§ 67 Satz 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben. Das Kindergeld wird durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt (§ 70 Abs. 1 Satz 1 EStG). Wird dem Antrag auf Kindergeld entsprochen, kann von der Erteilung eines schriftlichen Bescheids abgesehen werden. In diesem Fall liegt in der monatlichen Auszahlung des Kindergelds die konkludente Festsetzung des Kindergelds, die nur unter den im EStG und in der AO geregelten Voraussetzungen geändert oder aufgehoben werden darf. Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld beginnt somit mit Ablauf dieses Kalenderjahres.
Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO), bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zehn Jahre und bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Sie begann für die Kindergeldzahlungen der Monate ab Dezember 2010 mit Ablauf des Jahres 2010 und endete vier Jahre später, d.h. mit Ablauf des Jahres 2014, für 2011 in 2015, für 2012 in 2016 und für 2013 in 2017. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides am 12. April 2018 war die Festsetzungsfrist daher für die Monate der Jahre bis einschließlich 2013 abgelaufen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BStBl II 2008, 371). Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO darf die Festsetzung einer Steuervergütung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben werden.
b) Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist liegen nicht vor.
Lässt ein Kindergeldberechtigter die Familienkasse pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 378 Abs. 1 AO), indem er der Familienkasse entgegen § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG den Wegzug seiner Kinder nicht mitteilt und ist die unterbliebene Mitteilung ursächlich dafür, dass die Festsetzung nicht aufgehoben und das Kindergeld weiter ausgezahlt wurde, erlangt er mit dem nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gewährten Kindergeld für sich einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil (§ 370 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 378 Abs. 1 AO). Handelt er dabei vorsätzlich oder leichtfertig, verlängert sich die Festsetzungsfrist auf zehn bzw. fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO; vgl. hierzu z.B. BFH, Urteil vom 13. September 2017 III R 6/17, juris)
Nach den Ausführungen des Klägers im Erörterungstermin ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hat. Zwar befindet sich in der Kindergeldakte kein Vermerk über die telefonische Benachrichtigung durch den Kläger. Allerdings führt dies nicht zwingend dazu, dass von einem vorsätzlichen Unterlassen ausgegangen werden kann. Es kann weder ausgeschlossen werden, dass ein solcher Vermerk fehlerhaft nicht angefertigt oder aber fälschlicherweise nicht in der richtigen Akte abgeheftet worden ist. Die vom Kläger geäußerte Ansicht, er sei davon ausgegangen, dass die Behörden untereinander die Informationen über den Schulaufenthalt in Serbien austauschen, konnte ebenfalls weder widerlegt werden, noch handelt es sich hierbei nach der Überzeugung des Gerichts um eine Schutzbehauptung.
Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung liegt nicht vor. Für eine leichtfertige, also nach den persönlichen Fähigkeiten grob fahrlässige Unterlassung einer Mitteilung wäre die Erkenntnis der Entscheidungsrelevanz des nicht mitgeteilten Umstandes für die Fortdauer des Kindergeldanspruchs erforderlich. In Anbetracht der Komplexität der Rechtsprechung zur Beibehaltung des Wohnsitzes mit Einzelfallwürdigung kann es, jedenfalls nicht als grob fahrlässig gesehen werden, dass der Kläger von einer Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes ausgegangen ist, weil seine Kinder jedes Jahr insgesamt mehr als drei Monate sich in der elterlichen Wohnung aufgehalten haben. Ist aber die Nichterkenntnis der Relevanz nicht leichtfertig, ist es die Unterlassung der Mitteilung auch nicht (vgl. Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juli 2018 3 K 3220/17, juris). Der Kläger hat im Erörterungstermin überzeugend dargelegt, wieso er davon ausgegangen ist, dass seine Kinder auch weiterhin ihren Wohnsitz im Inland gehabt haben. Der Streitfall stellt einen Grenzfall dar, bei dem erst recht nicht von einem juristischen Laien exakte Beurteilungen erwartet werden können.
3. Der Rückforderungsbescheid ist, soweit er die Monate ab Januar 2014 betrifft, rechtmäßig. Gemäß § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO ist der Kläger verpflichtet, das an ihn gezahlte Kindergeld im Tenor bestimmten Umfang zurückzuzahlen. Die Rückforderung steht nicht im Ermessen der Behörde. Ist eine Steuervergütung, wie hier das Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG, ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, hier: die Beklagte, gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Der Zahlung ohne rechtlichen Grund steht nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO gleich, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem am 16. November 2010 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Denn der Zeitraum ab Januar 2014 begann erst nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Klägers, sodass sich keine Beschränkung durch das Insolvenzverfahren und oder die Restschuldbefreiung für diesen Zeitraum ergeben kann. Soweit die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 12. April 2018 auch den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betrafen, hat die Beklagte durch den Änderungsbescheid vom 24. Mai 2019 die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung für diesen Zeitraum aufgehoben. Das Verfahren bezüglich dieser Monate wurde abgetrennt und ist nicht mehr Gegenstand des hier zu entscheidenden Verfahrens 6 K 215/18.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 2 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 2 der Zivilprozessordnung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
RechtsgebietKindergeld-RückforderungVorschriften§ 169 AO, § 62 EStG; § 63 EStG