27.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217580
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 08.07.2020 – 4 K 36/18 VTa
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf
4 K 36/18 VTa
Tenor:
Der Tabaksteuerbescheid vom 24.05.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2017 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
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Streitig ist, ob Tabak-Scraps als Rauchtabak zu qualifizieren sind.
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Die B-Firma in Z-Land mischt unverarbeitete Tabakblätter von verschiedenen Tabakbauern der Sorte Flue Cured Virginia (FCV). Anschließend entrippt und verpackt sie diese in Pakete verschiedener Größen. Sie belieferte u.a. die Klägerin mit sieben Kartons je 175 kg, insg. 1.225 kg, Flue Clured Virginia „Scraps“ aus Y-Land, die vom Zollfahndungsamt (ZFA) am 07.02.2017 sichergestellt wurden. Die Waren befanden sich in einem von dem Prokuristen der Klägerin gefahrenen Kleintransporter.
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Das ZFA leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen den Prokuristen ein. Dieser ließ sich im Rahmen seiner Vernehmung dahin ein, dass es sich nicht um Rauch-, sondern um Rohtabak handele, der von der D-Firma in X-Stadt für die Klägerin zu Wasserpfeifentabak hätte verarbeitet werden sollen.
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Sein Verteidiger legte eine Erklärung eines „Finanzsachverständigen“ der Zollverwaltung des Z-Landes vor. Dieser zufolge fällt die entrippte Ware unter die Zolltarifnummer 2401 20 85 10. Es handele sich um rohen, nicht zum Verbrauch bestimmten entrippten Tabak. Das Produkt werde erst in Deutschland zu Pfeifentabak weiterverarbeitet. Erst wenn die Waren unter die Zolltarifnummer (Position ‒ Pos.) 2403 fielen, handele es sich um Akzisegut.
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E sagte als Zeugin aus, sie betreibe die D-Firma. Ein sehr kleiner Teil des an sie gelieferten Tabaks werde mit einem Gartenhäckseler weiter zerkleinert. Danach werde der Tabak in Wasser mit Zucker und Glycerin aufgekocht. Nach dem Abkühlen werde die Tabakmischung mit Molasse, Glycerin und Aromastoffen versetzt, verpackt und mit einer Steuerbanderole versehen.
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Das Hauptzollamt 2. entnahm aus den sichergestellten Waren Proben, die das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) begutachtete. Es kam zu dem Ergebnis, es handele sich um sog. „Scraps“. Die Tabakblattstücke seien weder aromatisiert noch weiter bearbeitet worden. Es handele sich um Tabakblattstücke, die als Nebenprodukte üblicherweise beim Dreschen von Rohtabakblättern anfielen. Das Hauptprodukt seien größere, „Strips“ genannte, Blattstücke.
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Die Proben enthielten neben den gedroschenen Tabakblattteilen keine Verunreinigungen, keine gröberen Blattrippen und keine Kleinst- oder Staubpartikel, die eine unmittelbare Raucheignung ausschließen würden. Die Größe und die unregelmäßige Struktur der Blattteile stünden der Raucheignung ebenfalls nicht entgegen. Eine Verwendung in einer Pfeife oder als Einlage für selbstgedrehte Zigaretten sei „nicht ausgeschlossen“.
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Es handele sich zwar nicht um eine in der Tabakindustrie übliche Rauch-Mischung, aber aufgrund der objektiv vorliegenden Eigenschaften und der geplanten weiteren Verarbeitung könne festgestellt werden, dass die Mischung ohne weitere industrielle Be- und Verarbeitung zum Rauchen geeignet sei. Denn die Tabakwaren hätten zur Herstellung des Wasserpfeifentabaks unmittelbar als Einlagetabak verwendet werden können, der lediglich mit Wasser, Glycerin und Zucker aufgekocht und mit der für Wasserpfeifentabak üblichen aromatisierten Mischung vermischt werden müsse. Lediglich ein geringer Anteil werde mittels eines Gartenhäckslers weiter zerkleinert. Die weiteren Verarbeitungsschritte zur Herstellung von Wasserpfeifentabak könnten in jedem Privathaushalt durchgeführt werden. Im Internet fänden sich diverse Beiträge zur Eigenherstellung von Wasserpfeifentabak durch Endverbraucher. Dem stehe die „ggf. für Privathaushalte erhöhte Menge“ nicht entgegen, da nur auf die Tätigkeit an sich abzustellen sei. Die Menge könne lediglich ein Indiz für eine mögliche industrielle Herstellung sein.
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Zolltarifrechtlich seien Scraps als Tabakabfall (Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur ‒ ErlKN ‒ zu Pos. 2401 Rz. 10.0) anzusprechen, wobei darunter das Produkt vermischt mit den Rippen usw. zu verstehen sei. Die zolltarifrechtliche Zuordnung zur Pos. 2403 sei mittels eines vorgegebenen Rauchtests durchzuführen (ErlKN zu Pos. 2410 Rz. 14). Diese Zuordnung entspreche auch der handelsüblichen Verwendung als möglicher Einlagetabak für Zigarillos und Zigaretten. Innerhalb der Pos. 2403 komme anhängig von der unmittelbaren Raucheignung eine Einreihung in die Unterposition 2403 11 oder 2403 99 in Betracht. Die zolltarifrechtliche Einreihung sei jedoch nicht maßgeblich für die tabaksteuerrechtliche Einordnung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten, insb. hinsichtlich der Feststellungen zu den Proben, wird auf die tabaksteuerliche Beurteilung vom 03.05.2017 (Heft III Bl. 63-66 der Verwaltungsakte) Bezug genommen.
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Das beklagte Hauptzollamt 1 (HZA) setzte daraufhin gegenüber der Klägerin und dem Prokuristen als Gesamtschuldnern 26.950 EUR Tabaksteuer fest. Gegen den an sie gerichteten Steuerbescheid legte die Klägerin Einspruch ein.
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Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin ein Privatgutachten des F vor, der angab, seit vielen Jahren in der Tabakindustrie beschäftigt zu sein. Dieser kam zu dem Ergebnis, es handele sich um Rohtabak der Sorte Virginia von hoher Qualität. Der Tabak sei nicht geschnitten, sondern gedroschen und entrippt worden („Scraps“). Er enthalte weder Verunreinigungen noch Rippenstückchen und könne zu Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Feinschnitt oder Zigarettentabak weiterverarbeitet werden. Erst durch diese Weiterverarbeitung entstehe ein Steuergegenstand.
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Das HZA 1 wies den Einspruch als unbegründet zurück.
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Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin führt aus: Bei den Tabakwaren handele es sich nicht um Rauchtabak. Es fehle bereits an der nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) erforderlichen Zerkleinerung des Tabaks. Dies ergebe sich aus den Feststellungen der Zollverwaltung zur Größe und unregelmäßigen Struktur des Tabaks. Die einzige Behandlung, der die Tabakblätter unterzogen worden seien, sei das „Entrippen“. Dieses diene nur dazu, die Rippen der Tabakblätter zu entfernen. Durch das Entrippen würden die Tabakblätter derart in Mitleidenschaft gezogen, dass sie zerbrächen. Das Entrippen habe mit dem nach dem TabStG geforderten Zerkleinern nichts zu tun. Nach dem Entrippen sei stets ein weiterer Bearbeitungsschritt erforderlich, um den Tabak rauchen zu können. Die Eignung zum Rauchen könne demgegenüber kein Kriterium sein, um Roh- und Rauchtabak abzugrenzen. Denn Rauchen lasse sich nahezu alles, was entzündet werden könne.
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Die Zollverwaltung lege nicht dar, wie sie zu der Feststellung komme, der Tabak könne ohne weiteres als Einlage für selbstgedrehte Zigaretten verwendet werden. Dies sei auch unzutreffend. Einlagetabak müsse stets vor einer Verwendung als Rauchtabak noch einer weiteren Bearbeitung zugeführt werden. An dieser fehle es gerade.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 24.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.11.2017 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das HZA 1 hält an seiner Auffassung fest. Es führt ergänzend aus, es handele sich bei den Waren nicht um Tabakabfall, vielmehr liege ein Halb- bzw. Zwischenerzeugnis vor, das üblicherweise von der Pos. 2403 der Kombinierten Nomenklatur (KN) erfasst werde. Insoweit sei eine etwaige Aufmachung für den Einzelverkauf irrelevant. Vergleichbare „Scraps“ seien im Rahmen des zolltariflichen Rauchtests in der Regel mit dem Testergebnis „rauchbar“ beurteilt worden und als Rauchtabak in die Pos. 2403 KN eingereiht worden.
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Die Tabak-Scraps stellten zwar keine für die Tabakindustrie übliche (Rauch-) Tabakmischung dar, seien aber aufgrund der objektiv vorliegenden Beschaffenheit und der beabsichtigten weiteren Verwendung unmittelbar ohne weitere industrielle Be- oder Verarbeitung zum Rauchen geeignet und bestimmt. Tabaksteuerrechtlich sei es unerheblich, ob eine Tabakware den handelsüblichen Vorstellungen von Qualität oder Geschmack entspreche oder ob die lebensmittelrechtlichen Voraussetzungen gegeben seien.
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Der Tabak sei schon zerkleinert worden und hätte durch leichte manuelle Vorgänge rauchfertigt gemacht werden können. Das Zerkleinern mittels eines Gartenhäckslers könne nicht als industrielle Bearbeitung angesehen werden. Ein weiteres Befeuchten sei nicht zwingend notwendig gewesen, um die Waren z.B. als Einlagetabak verwenden zu können.
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Unerheblich für die Qualifizierung als Rauchtabak sei, ob die Waren genussfähig seien. Das HZA 1 verweist insofern u.a. auf mehrere Beschlüsse des Finanzgerichts München vom 20.01.2020 (14 V 1567/19, 14 V 1569/19 und 14 V 2121/19, alle nicht veröffentlicht).
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Der gerichtliche Sachverständige habe keinerlei Aussagen zur der Qualifizierung der Waren als Rauchtabak zum Zeitpunkt der Vorlage getroffen. Dem Gutachten lasse sich keine Begründung entnehmen, wie er zur Einstufung des Tabaks als Rohtabak komme.
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Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten insb. zu der Frage eingeholt, ob sich die Tabak-Scraps unmittelbar zum Rauchen eigneten oder ob durch leicht durchführbare nicht-industrielle Vorgänge, z.B. durch weitere Zerkleinerung oder händisches Schneiden, die Eignung der Waren zum Rauchen herbeigeführt werden könnte. Der Sachverständige kam aufgrund der chemischen und visuellen Prüfung der vom HZA überlassenen Proben zu dem Ergebnis, es handele sich um Rohtabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eigne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 14.10.2019 (Bl. 87 ff. d.A.) und auf das Gutachten des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Sigmaringen vom 27.01.2020 (Bl. 105 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
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1. Die Tabak-Scraps unterliegen nicht der Tabaksteuer. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 TabStG unterliegen Tabakwaren der Tabaksteuer. Zu den Tabakwaren gehört gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG Rauchtabak in der Form von Feinschnitt und Pfeifentabak. Dabei handelt es sich nach der gesetzlichen Definition um geschnittenen oder anders zerkleinerten oder gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Rohtabak, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist demgegenüber kein Steuergegenstand.
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Gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 TabStG sind Tabakabfälle Rauchtabak, wenn sie zum Rauchen geeignet sind und für den Einzelverkauf aufgemacht sind sowie nicht Zigarren oder Zigarillos nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 TabStG oder Zigaretten nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 TabStG sind. Gem. Satz 2 der Vorschrift gelten als Tabakabfälle Überreste von Tabakblättern sowie Nebenerzeugnisse, die bei der Verarbeitung von Tabak oder bei der Herstellung, Be- oder Verarbeitung von Tabakwaren anfallen.
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a) Das HZA 1 hat ausgeführt, dass es sich bei den Scraps im Streitfall nicht um Tabakabfall im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 2 TabStG handele, obwohl „Scraps“ als Nebenprodukte des Dreschens grundsätzlich zolltarifrechtlich als Tabakabfall zu behandeln seien. Die streitgegenständlichen Scraps stellten ein Halb- bzw. Zwischenerzeugnis dar, das üblicherweise von Pos. 2403 KN erfasst werde. Auch nach dem Vortrag der Klägerin handelt es sich nicht um Tabakabfall (Unterposition 2401 30 00 KN), sondern um unbehandelten Tabak der Sorte flue cured Virginia von hoher Qualität. Dafür spricht, dass das Produkt unstreitig keine nennenswerten Verunreinigungen oder Rippenstückchen enthält. Der Senat geht daher davon aus, dass es sich nicht um Tabakabfall im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 2 TabStG handelt. Andernfalls wären die Scraps im Streitfall bereits deshalb nicht als Tabakwaren anzusehen, weil sie ‒ wie schon die Verpackungsgröße zeigt ‒ nicht für den Einzelverkauf aufgemacht waren.
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b) Die Tabak-Scraps stellen keinen Rauchtabak dar. Das Gesetz sieht zwei Tatbestandsmerkmale vor, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit Rauchtabak vorliegt: Zum einen muss der Tabak geschnitten oder anders zerkleinert sein. Zum anderen muss sich der Tabak ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignen. Die Scraps eignen sich nicht ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen.
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aa) Die Scraps stellen „anders zerkleinerten“ Tabak dar, denn es handelt sich um Bruchstücke von Tabakblättern, die beim Dreschen anfallen. Insoweit ist eine weite Auslegung der Begriffe geboten, um die Ziele der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21.06.2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (Richtlinie 2011/64) zu erreichen (EuGH-Urteil vom 06.04.2017, C-638/15, Eko-Tabak, ECLI:EU:C:2017:277, Rn. 24). Entscheidend ist demnach, dass die Rohtabakblätter infolge des Entrippens in kleinere Blattteile zerbrechen. Eine weitere Differenzierung zwischen dem Entrippen und dem Zerkleinern der Blätter, wie sie nach Auffassung der Klägerin geboten ist, ließe sich mit der vom Europäischen Gerichtshof geforderten weiten Auslegung der Begriffe nicht vereinbaren.
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bb) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Tabak-Scraps weder unmittelbar zum Rauchen in einer Pfeife geeignet sind noch die Eignung zum Rauchen durch einen einfachen nicht-industriellen Bearbeitungsvorgang hätte hergestellt werden können.
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Unter welchen Voraussetzungen sich Tabak zum Rauchen eignet, ist nicht näher gesetzlich definiert. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 27.07.2016 (1 StR 19/16, wistra 2017, 74) entschieden, dass es für die Frage, ob Wasserpfeifentabak als Rauchtabak anzusehen sei, lediglich darauf ankomme, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen, also geraucht werden könne. Es komme dagegen nicht darauf an, ob der Tabak in der Wasserpfeife verbrenne oder sich die nach Hitzeeinwirkung austretenden Dämpfe durch eine andere Form der Stoffumwandlung ergäben. Nicht entscheidend für die Beurteilung, ob ein Steuergegenstand vorliege, seien weiterhin die Qualität des Produkts und seine lebensmittelrechtliche Zulassung.
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Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, dass jeder zerkleinerte Rohtabak per se zum Rauchen geeignet sei, nur weil man ihn anzünden und ‒theoretisch‒ die dabei entstehenden gasförmigen Stoffe inhalieren könnte. Denn in diesem Fall würde das zweite Tatbestandsmerkmal, die Eignung des Tabaks zum Rauchen, praktisch gänzlich an Bedeutung verlieren. Entscheidend muss daher nach Auffassung des Senats sein, ob sich Tabak ‒ ggf. nach einer weiteren nicht-industriellen Bearbeitung ‒ unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zum Rauchen, d.h. zum menschlichen Konsum, eignet (vgl. auch Weidemann, wistra 2019, 122, 123 betreffend die Frage, ob Erzeugnisse aus anderen Stoffen als Tabak steuerbar sind).
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Es handelt sich dabei demnach in erster Linie um eine tatsächliche Feststellung, über die ggf. Beweis zu erheben ist. Für diese Auslegung sprechen auch die Erläuterungen zu Kapitel 24 der KN (ErlKn), die für die Abgrenzung zwischen den Positionen 2401 KN (Tabak, unverarbeitet; Tabakabfälle) und 2403 KN (anderer verarbeiteter Tabak und andere verarbeitete Tabakersatzstoffe; homogenisierter oder rekonstituierter Tabak; Tabakauszüge und Tabaksoßen) einen Rauchtest vorsehen (Anlage A zu den ErlKn zu Kap. 24).
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Die zollrechtlichen Bestimmungen sind zwar für die tabaksteuerliche Würdigung nicht verbindlich. Die zoll- und tabaksteuerlichen Bestimmungen sind aber hinsichtlich der Abgrenzung von Roh- und Rauchtabak nahezu gleichlautend, so dass die ErlKn als Indiz dafür gesehen werden können, dass in Zweifelsfällen die Eignung von Tabak zum Rauchen durch eine weitere Untersuchung ‒ z.B. in Form des Rauchtests ‒ festgestellt werden muss.
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Entscheidend ist somit, ob sich die Tabak-Scraps entweder unmittelbar bzw. nach weiterer Verkleinerung oder nach einer anderen nicht-industriellen Bearbeitung zum Rauchen, d.h. zum menschlichen Konsum, eigneten. Unerheblich ist demgegenüber, ob es sich um lebensmittelrechtlich zulässige oder besonders gesundheitsgefährdende Tabakerzeugnisse handelt, da das TabStG diesbezüglich keine Einschränkungen vorsieht.
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In Anwendung dieser Grundsätze ist hinsichtlich der vom Senat zu beurteilenden Tabak-Scraps wie folgt zu differenzieren:
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(1) Die Tabak-Scraps eignen sich nicht unmittelbar oder nach weiterer Verkleinerung zum Rauchen als Rauchtabak. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich die Scraps zum Zeitpunkt der Probenahme zum Rauchen geeignet hätten. Der Senat folgt insofern den Feststellungen des Sachverständigen.
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Seinem schriftlichen Gutachten zufolge handelt es sich bei den Tabak-Scraps um Rohtabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eignet. Der Sachverständige hat dabei im Wesentlichen auf den vergleichsweise hohen Feuchtigkeitsgehalt und eine optische Begutachtung der Probe abgestellt.
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Der Senat hält die Feststellungen des Sachverständigen für nachvollziehbar und die Einwendungen des HZA 1 gegen das Gutachten nicht für begründet. Das BWZ hat selbst eingeräumt, dass es sich nicht um eine übliche Rauchmischung handele und ohne eingehendere, insb. chemische, Untersuchung angenommen, dass eine Verwendung als Pfeifentabak oder Einlage für selbstgedrehte Zigaretten „nicht ausgeschlossen“ sei. Nach Auffassung des Senats kommt es jedoch nicht darauf an, ob Tabak rein theoretisch geraucht werden könnte, sondern ob dafür im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte bestehen bzw. ob entsprechende Produkte üblicherweise geraucht werden.
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Soweit das beklagte HZA 1 weiterhin einwendet, dass der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt habe, ihm sei eine Beurteilung der Waren hinsichtlich der Feststellung, ob diese zum Zeitpunkt der Probenahme zum Rauchen geeignet waren, nicht möglich, da ihm keine analytischen oder sensorischen Daten vom Zeitpunkt der Probenahme vorlägen, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat geht davon aus, dass seine Feststellung, dass es sich bei den Proben im Zeitpunkt der Begutachtung um Roh- und nicht um Rauchtabak handelte, nur bedeuten kann, dass die Scraps auch im Zeitpunkt der Probenahme nicht zum Rauchen geeignet waren. Eine chemische Veränderung des Materials in dem Sinne, dass es sich bei der Probenahme um Rauchtabak gehandelt hätte, dürfte ausgeschlossen sein.
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Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Selbst wenn man mit dem HZA 1 annähme, dass ein Rückschluss von der gutachterlichen Untersuchung auf den Zeitpunkt der Probenahme aufgrund einer Veränderung der Probe in dem Zeitraum zwischen der Probenahme und der späteren Untersuchung nicht möglich wäre, so könnte die Frage der Eignung der Tabak-Scraps zum Rauchen nicht mehr festgestellt werden. Die Feststellungslast für ein steuerbegründendes Tatbestandsmerkmal läge jedoch beim Beklagten.
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(2) Die Eignung zum Rauchen kann schließlich auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Scraps zu Wasserpfeifentabak hätten weiterverarbeitet werden können. Die geplante Weiterverarbeitung kann nicht als einfache nicht-industrielle Bearbeitung angesehen werden.
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Der Sachverständige hat zu dieser Frage keine näheren Feststellungen getroffen. Die Beurteilung, ob die mögliche Weiterverarbeitung als industriell oder nicht-industriell im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG zu werten ist, stellt eine rechtliche Würdigung dar, die der Senat ohne Beweisaufnahme beantworten kann.
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In der Eko-Tabak-Entscheidung (EuGH-Urteil vom 06.04.2017, C-638/15, ECLI:EU:C:2017:277) hat der Europäische Gerichtshof das Tatbestandsmerkmal dahin konkretisiert, dass der Begriff „industrielle Bearbeitung“ die üblicherweise in großem Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens stattfindende Umwandlung von Rohstoffen in materielle Güter bezeichnet (Rn. 30). Demgegenüber stellten leicht durchführbare Vorgänge, die die Eignung einer unfertigen Tabakware zum Rauchen herbeiführen sollten ‒ z. B. indem ein Tabakstrang einfach in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werde ‒, im Wesentlichen keine „industrielle Bearbeitung“ dar (Rn. 31). Unter diesen Umständen seien Tabakwaren, die rauchfertig seien oder durch nicht industrielle Mittel leicht rauchfertig gemacht werden könnten, als ohne weitere „industrielle Bearbeitung“ zum Rauchen geeignet anzusehen (Rn. 32).
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Den Generalanwalt N. Wahl hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Eko-Tabak (ECLI:EU:C:2016:962) eine Parallele zu der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2011/64 gezogen und ebenfalls auf einen „einfachen nichtindustriellen Vorgang“ abgestellt (Rn. 37). Er folgerte, dass Rauchtabak nicht in eine der sonstigen in dieser Richtlinie genannten Kategorien falle und verbrauchsfertig sei oder mit nicht-industriellen Mitteln „unschwer“ verbrauchsfertig gemacht werden könne. Ob dies der Fall ist, sei aus einer funktionalen Perspektive zu betrachten. Insoweit stelle es keine industrielle Bearbeitung dar, wenn ein Raucher, ohne hierzu notwendigerweise über vorherige Fähigkeiten zu verfügen, zum eigenen Verbrauch geschnittenen oder anders zerkleinerten, gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak in ein rauchfertiges Erzeugnis umwandele (Rn. 39). Zu solchen einfachen Vorgängen gehörten jedenfalls das Drehen von Zigaretten aus „Drehtabak“ (Rz. 38) und das Einführen von Feinschnitttabaksträngen in Zigarettenpapierhülsen.
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Die Bundesfinanzverwaltung hat die Eko-Tabak-Entscheidung in dem Sinne verstanden, dass bei der Beurteilung, ob es sich bei Tabak um Rauchtabak handele, nicht auf die vorgesehene weitere Bearbeitung des Tabaks abzustellen sei, sondern darauf, ob der Tabak zum Zeitpunkt der Vorlage durch leicht durchführbare Vorgänge, die im Wesentlichen keine industrielle Bearbeitung darstellten, rauchfertig gemacht werden könne (jetzt E-VSF V 1203 Abs. 3). Es besteht allerdings schon nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Richtlinie kein Zweifel daran, dass für die Qualifikation als Rauchtabak nicht allein auf die im konkreten Einzelfall geplante Weiterverarbeitung abzustellen ist, sondern auch andere Weiterverarbeitungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Jedoch kann dabei nach Auffassung des Senats nicht auf rein theoretische Weiterverarbeitungsmöglichkeiten abgestellt werden, sondern nur auf übliche Weiterverarbeitungsverfahren.
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In Anwendung dieser Grundsätze kann die Weiterverarbeitung der Scraps zu Wasserpfeifentabak nicht als ein einfacher nicht-industrieller Vorgang bewertet werden. Eine andere, einfache, Weiterverarbeitungsmöglichkeit hat das HZA 1 nicht dargelegt und ist für den Senat auch nicht anderweitig ersichtlich.
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Bei der D-Firma handelt es sich um einen Gewerbebetrieb. Allein schon die Menge und die Verpackungsgrößen des an die Klägerin gelieferten Tabaks belegen, dass die D-Firma Wasserpfeifentabak im großen ‒ und damit industriellen ‒ Maßstab herstellt. Es bestehen weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bearbeitung nicht nach einem standardisierten Verfahren hätte erfolgen sollen.
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Das HZA 1 stellt allerdings darauf ab, dass sich im Internet Anweisungen dafür fänden, wie man Wasserpfeifentabak als Endverbraucher gewissermaßen „mit Hausmitteln“ herstellen könnte. Der Senat hält dies nicht für ausschlaggebend. Wie bereits dargelegt, kommt es zwar nicht ausschließlich auf die konkrete geplante Weiterverarbeitung an. Jedoch können bloß theoretische Weiterverarbeitungsmöglichkeiten nicht für die tabaksteuerliche Beurteilung entscheidend sein. Es ist vom HZA 1 nicht substantiiert dargelegt und für den Senat auch nicht anderweitig erkennbar, dass aus vergleichbaren Scraps üblicherweise von Endverbrauchern Wasserpfeifentabak im Eigenbau hergestellt würde.
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Darüber hinaus stellt der Europäische Gerichtshof bei der Einordnung eines Bearbeitungs-Verfahrens als nicht-industriell darauf ab, ob es sich um einen einfachen oder leicht durchführbaren Vorgang handelt (Urteil vom 06.04.2017 a.a.O. Rn. 31). Der Senat hält den Prozess der Herstellung von Wasserpfeifentabak aus Scraps nicht für einfach oder leicht durchführbar in diesem Sinne. Die Eko-Tabak-Entscheidung betraf das Endprodukt des Verarbeitungsprozesses, den Wasserpfeifentabak, der zudem zum Einzelverkauf bestimmt war. Im Streitfall geht es um demgegenüber um das Ausgangsprodukt ‒ den Rohstoff ‒ des Herstellungsprozesses, nämlich um im Wesentlichen unverarbeiteten Tabak, der zudem nicht für den Einzelverkauf, sondern für die industrielle Weiterverarbeitung bestimmt war. Die verschiedenen Arbeitsschritte, die im Rahmen dieses Herstellungsprozesses bis zum Endprodukt zu durchlaufen sind ‒ Zerkleinern des Tabaks, Hinzufügen von Glycerin, Molasse und Armomastoffen, Aufkochen usw. ‒ sind deutlich komplexer als der beispielhaft vom Europäischen Gerichtshof genannte leicht durchführbare Vorgang des Einführens eines Tabakstrangs in eine Zigarettenpapierhülse. Dass bestimmte üblicherweise industrielle, komplexe Herstellungsverfahren mit Hausmitteln für kleine Mengen nachgeahmt werden könnten, kann nach Auffassung des Senats nicht für die Abgrenzung von Roh- und Rauchtabak entscheidend sein.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
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3. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.