17.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218946
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 16.09.2020 – 1 StR 140/20
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 16. September 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Juni 2019, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen IV.2. (Fälle 5, 7, 9 bis 17 der Anklage betreffend die E. GmbH 2012), IV.3. (Fälle 18, 20 und 22 der Anklage betreffend die M. GmbH 2012), IV.4. (Fälle 56, 57 und 23 der Anklage betreffend die M. GmbH 2013), IV.5. (Fälle 25, 58 und 26 der Anklage betreffend die A. GmbH 2014) und IV.6. bis IV.8. (Fälle 54, 55 und 59 der Anklage betreffend die Einkommensteuer des Angeklagten G. 2012 bis 2014) der Urteilsgründe;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) im Ausspruch über die Einziehung.
2. Auf die Revision der Angeklagten Ma. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft, im gesamten Strafausspruch - in den Fällen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch die Beteiligung an der Gründung der E. GmbH, der M. GmbH und der A. GmbH mit den zugehörigen Feststellungen - aufgehoben.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen, davon in vier Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, hiervon einen Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt, und 279.702 Euro als Wert von Taterträgen eingezogen. Die Angeklagte Ma. hat es wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je zehn Euro - unter Gewährung von Ratenzahlungen - verurteilt, hiervon 30 Tagessätze als vollstreckt erklärt, und 1.400 Euro als Wert von Taterträgen eingezogen. Die gegen ihre Verurteilungen mit der Sachrüge - der Angeklagte G. darüber hinaus mit der Beanstandung der Verletzung formellen Rechts - geführten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Revision des Angeklagten G. :
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1. Die im Schriftsatz vom 9. August 2019 erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Hinsichtlich der weiteren, im Schriftsatz vom 12. August 2019 erhobenen formellen Beanstandungen bedarf es keiner Entscheidung, weil bereits die Sachrüge in vollem Umfang der Verfahrensbeanstandungen durchdringt.
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2. Der Schuldspruch, der Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen IV.1. (Fall 3 der Anklage: B. GmbH 2011) und IV.9. bis 12. (Umsatzsteuerhinterziehungen der Z. GmbH 2011 bis 2014) sowie die Kompensationsentscheidung weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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3. Der Ausspruch über die Einzelstrafen in den im Beschlusstenor bezeichneten Fällen hält hingegen sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht bei der Berechnung der Umsätze der vom Angeklagten faktisch geführten Scheinfirmen E. GmbH, M. GmbH sowie A. GmbH hinsichtlich eines Teils der Umsätze eine unzureichende Schätzung und mithin nicht ausschließbar bei den Taten der Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatz- sowie Einkommensteuerhinterziehungen einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt hat. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift hierzu ausgeführt:
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Dem schließt sich der Senat an. Der Rechtsfehler, der nur den Schuldumfang der im Beschlusstenor bezeichneten Taten betrifft, hat die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafaussprüche, des Gesamtstrafausspruchs und der die Einkommensteuerverkürzungen betreffenden Einziehungsentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) zur Folge.
II. Revision der Angeklagten Ma. :
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1. Der Schuldspruch sowie die Einziehungsanordnung und die Kompensationsentscheidung halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
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2. Der Strafausspruch weist hingegen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
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a) Der Schuldumfang der vom Angeklagten G. begangenen Haupttaten als faktischer Geschäftsführer der mit Hilfe der Angeklagten Ma. gegründeten Scheinfirmen E. GmbH, M. GmbH sowie A. GmbH ist rechtsfehlerhaft bestimmt, so dass hiervon auch die Beihilfehandlungen der Angeklagten betroffen sind. Dies hat die Aufhebung der diesenTaten zugrundeliegenden Einzelstrafaussprüche sowie des Ausspruchs über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen zur Folge.
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b) Darüber hinaus liegt noch hinsichtlich aller Beihilfehandlungen der Angeklagten ein weiterer Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten bei der Bestimmung des Strafrahmens vor, weil das Landgericht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 StGB nicht geprüft hat.
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aa) Der Angeklagte G. hat die für die genannten Scheinfirmen und die weitere Scheinfirma B. GmbH (Fall IV.1. der Urteilsgründe) keine Steuererklärungen (Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen) abgegeben. Das Landgericht hat ihn daher jeweils wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verurteilt.
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bb) Die Strafe für die Beihilfehandlungen der Angeklagten Ma. hat die Wirtschaftsstrafkammer jeweils aus dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommen, ohne die weitere in § 28 Abs. 1 StGB vorgesehene Strafrahmenverschiebung in Betracht zu ziehen. Der Senat hat durch Urteil vom 23. Oktober 2018 im Verfahren 1 StR 454/17 seine bisherige Rechtsprechung geändert und entschieden, dass es sich bei der vom Straftatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vorausgesetzten Erklärungspflicht um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB handelt, das eine Strafrahmenverschiebung eröffnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs scheidet eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB lediglich dann aus, wenn die Tat allein wegen des Fehlens des strafbegründenden persönlichen Merkmals als Beihilfe statt als Täterschaft zu werten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2019 - 1 StR 50/19 Rn. 6).
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Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17 Rn. 19 und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218), was bei der Angeklagten Ma. nicht der Fall ist. Das Landgericht hat allerdings deren Tatbeitrag, die den Angeklagten G. bei der Gründung der Scheingesellschaften unterstützt hat, bereits ohne Anknüpfung an diesen Umstand lediglich als Gehilfenbeitrag bewertet. Die Voraussetzungen einer weiteren Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der des § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB lagen daher vor.
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3. Hinsichtlich der Beihilfehandlung der Angeklagten bei der Gründung der B. GmbH (Fall IV.1. der Urteilsgründe) führt dieser Rechtsfehler lediglich zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Raum
Jäger
Bellay
Leplow
Pernice