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  • 17.09.2021 · IWW-Abrufnummer 224744

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 02.09.2021 – C-66/20

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Vorläufige Fassung

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    2. September 2021(*)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung ‒ Art. 267 AEUV ‒ Begriff ‚nationales Gericht‘ ‒ Kriterien ‒ Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) ‒ Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens“

    In der Rechtssache C‑66/20

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) mit Entscheidung vom 15. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 2020, in dem Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung betreffend

    XK,

    Beteiligter:

    Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin),

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    ‒        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello und E. Figliolia, avvocati dello Stato,

    ‒        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und F. Halabi als Bevollmächtigte,

    ‒        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Pimenta, D. Capinha, P. Barros da Costa und L. Medeiros als Bevollmächtigte,

    ‒        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. März 2021

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1).

    2        Es ergeht im Rahmen eines Ersuchens um Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Italien, die vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt für Steuerstrafsachen Münster) in Bezug auf XK erlassen wurde.

     Rechtlicher Rahmen

     Unionsrecht

    3        Der 34. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/41 lautet:

    „Diese Richtlinie erfasst aufgrund ihres Anwendungsbereichs einstweilige Maßnahmen nur im Hinblick auf die Beweiserhebung. In diesem Zusammenhang sei betont, dass Gegenstände, einschließlich finanzieller Vermögenswerte, im Laufe des Strafverfahrens verschiedenen vorläufigen Maßnahmen unterliegen können, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Beweiserhebung, sondern auch im Hinblick auf die Einziehung. Die Unterscheidung zwischen den beiden Zielen vorläufiger Maßnahmen ist nicht immer deutlich und das Ziel der vorläufigen Maßnahme kann sich im Laufe des Verfahrens ändern. Aus diesem Grund ist es entscheidend, dass weiterhin für eine reibungslose Beziehung zwischen den verschiedenen Instrumente[n], die auf diesem Gebiet anwendbar sind, gesorgt wird. Darüber hinaus sollte ‒ aus demselben Grund ‒ die Beurteilung, ob der Gegenstand als Beweismittel zu verwenden ist und daher einer [Europäischen Ermittlungsanordnung] unterliegen sollte, Sache der Anordnungsbehörde sein.“

    4        Art. 1 („Die Europäische Ermittlungsanordnung und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

    „(1)      Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (,Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (,Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.



    (2)      Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede EEA nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.“

    5        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie bestimmt:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:



    c)      ,Anordnungsbehörde‘

    i)      einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

    ii)      jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden;

    d)      ‚Vollstreckungsbehörde‘ eine Behörde, die für die Anerkennung einer EEA und für die Sicherstellung ihrer Vollstreckung gemäß dieser Richtlinie und den in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen anzuwendenden Verfahren zuständig ist. Gegebenenfalls erfordern derartige Verfahren eine richterliche Genehmigung im Vollstreckungsstaat, sofern das nationale Recht dieses Staates dies vorsieht.“

    6        In Art. 5 („Inhalt und Form der EEA“) der Richtlinie heißt es in Abs. 1:

    „Die in dem Formblatt in Anhang A wiedergegebene EEA wird von der Anordnungsbehörde ausgefüllt und unterzeichnet; die Anordnungsbehörde bestätigt ferner die Genauigkeit und inhaltliche Richtigkeit der in der EEA enthaltenen Angaben.

    Die EEA enthält insbesondere folgende Angaben:

    a)       Angaben zur Anordnungsbehörde und gegebenenfalls zur validierenden Behörde;

    …“

    7        Art. 6 („Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“) der Richtlinie 2014/41 bestimmt:

    „(1)      Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

    a)      Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig[,] und

    b)       die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

    (2)      Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

    (3)      Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

    8        Art. 9 („Anerkennung und Vollstreckung“) der Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 bis 3 vor:

    „(1)      Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.

    (2)      Die Vollstreckungsbehörde hält die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats stehen.

    (3)      Erhält eine Vollstreckungsbehörde eine EEA, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c erlassen worden ist, so gibt sie die EEA an den Anordnungsstaat zurück.“

    9        Art. 11 („Gründe für die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung“) der Richtlinie führt in seinem Abs. 1 die Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung einer EEA im Vollstreckungsstaat auf.

    10      Das Formblatt zur Europäischen Ermittlungsanordnung in Anhang A der Richtlinie enthält u. a. einen Abschnitt L, in dem, soweit erforderlich, die Kontaktdaten der Justizbehörde, die die EEA validiert hat, anzugeben sind.

     Deutsches Recht

    11      § 386 der Abgabenordnung (AO) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

    „(1)      Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt. Finanzbehörde im Sinne dieses Abschnitts sind das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt für Steuern und die Familienkasse.

    (2)      Die Finanzbehörde führt das Ermittlungsverfahren in den Grenzen des § 399 Abs. 1 und der §§ 400, 401 selbständig durch, wenn die Tat

    1.      ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt oder

    2.      zugleich andere Strafgesetze verletzt und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen.

    (3)      Absatz 2 gilt nicht, sobald gegen einen Beschuldigten wegen der Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen ist.

    (4)      Die Finanzbehörde kann die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben. Die Staatsanwaltschaft kann die Strafsache jederzeit an sich ziehen. In beiden Fällen kann die Staatsanwaltschaft im Einvernehmen mit der Finanzbehörde die Strafsache wieder an die Finanzbehörde abgeben.“

    12      § 399 Abs. 1 AO lautet:

    „Führt die Finanzbehörde das Ermittlungsverfahren auf Grund des § 386 Abs. 2 selbständig durch, so nimmt sie die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen.“

    13      § 400 AO bestimmt:

    „Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde beim Richter den Erlass eines Strafbefehls, wenn die Strafsache zur Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der Fall, so legt die Finanzbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft vor.“

     Italienisches Recht

     Strafprozessordnung

    14      Art. 257 Abs. 1 des Codice di procedura penale (Strafprozessordnung) lautet:

    „Gegen die Beschlagnahmeanordnung kann der Beschuldigte, die Person, bei der die Güter beschlagnahmt worden sind, und die Person, die Anspruch auf deren Rückgabe hätte, einen Antrag auf Überprüfung, auch in der Sache, nach Art. 324 stellen.“

     Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 108/17

    15      Die Richtlinie 2014/41 wurde mit dem Decreto legislativo n. 108 ‒ Norme di attuazione della direttiva 2014/41/UE del Parlamento europeo e del Consiglio, del 3 aprile 2014, relativa all’ordine europeo di indagine penale (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 108 ‒ Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen) vom 21. Juni 2017 (GURI Nr. 162 vom 13. Juli 2017, im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 108/17) in italienisches Recht umgesetzt.

    16      Art. 4 Abs. 1 bis 4 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 108/17 sieht vor:

    „(1)      Der Staatsanwalt beim Gericht der Hauptstadt des Bezirks, in dem die beantragten Maßnahmen vorzunehmen sind, trifft binnen 30 Tagen nach Eingang der Ermittlungsanordnung bzw. innerhalb einer abweichenden, von der Anordnungsbehörde angegebenen Frist, in jedem Fall aber binnen 60 Tagen mit begründetem Beschluss eine Entscheidung über die Anerkennung der Ermittlungsanordnung. Der Staatsanwalt informiert den Procuratore nazionale antimafia e antiterrorismo [(Nationaler Staatsanwalt der Antimafia- und Antiterrorismusbehörde)] über den Eingang der Ermittlungsanordnung, um die Ermittlungen zu koordinieren, soweit es sich um Ermittlungen zu den in Art. 51 Abs. 3a und 3d der Strafprozessordnung genannten Straftaten handelt. In jedem Fall wird dem Justizministerium eine Abschrift der eingegangenen Ermittlungsanordnung übermittelt.

    (2)      Die Vollstreckung wird binnen der folgenden 90 Tage unter Beachtung der ausdrücklich von der Anordnungsbehörde erbetenen Form durchgeführt, soweit diese den Grundsätzen der staatlichen Rechtsordnung nicht widerspricht. Die Durchführung der in den Art. 21 und 22 genannten Maßnahmen richtet sich jedenfalls nach italienischem Recht.

    (3)      Anerkennung und Vollstreckung werden binnen der kürzesten von der Anordnungsbehörde angegebenen Frist vorgenommen, wenn dies aus Gründen der Dringlichkeit oder der Erforderlichkeit geboten ist.

    (4)      Das Sekretariat der Staatsanwaltschaft teilt dem Verteidiger der Person, gegen die sich die Ermittlungen richten, die Entscheidung über die Anerkennung innerhalb der für die Mitteilung festgelegten Frist mit; auf die Mitteilung hat dieser nach italienischem Recht im Hinblick auf die Durchführung der Maßnahme Anspruch. Soweit im italienischen Recht lediglich ein Anspruch des Verteidigers vorgesehen ist, der Durchführung der Maßnahme ohne vorherige Mitteilung beizuwohnen, wird die Entscheidung über die Anerkennung im Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme oder unmittelbar danach bekannt gegeben.“

    17      Art. 5 Abs. 1 und 2 dieses gesetzesvertretenden Dekrets lautet:

    „(1)      Wenn die Anordnungsbehörde um eine Durchführung der Maßnahme durch einen Richter ersucht oder wenn die beantragte Maßnahme nach italienischem Recht von einem Richter durchzuführen ist, erkennt der Staatsanwalt die Ermittlungsanordnung an und ersucht den Ermittlungsrichter um Vollstreckung.

    (2)      Nach Eingang des Antrags genehmigt der Richter die Vollstreckung, sobald er Voraussetzungen für die Anerkennung der Ermittlungsanordnung geprüft hat.“

    18      Art. 13 des gesetzesvertretenden Dekrets bestimmt:

    „(1)      Die Person, gegen die sich die Ermittlungen richten, oder ihr Verteidiger können binnen einer Frist von fünf Tagen ab der in Art. 4 Abs. 4 genannten Mitteilung beim Ermittlungsrichter Einspruch gegen die Anerkennungsentscheidung einlegen.

    (2)      Der Ermittlungsrichter entscheidet nach Anhörung des Staatsanwalts durch Beschluss. Der Beschluss wird dem Staatsanwalt und dem Betroffenen zugestellt.

    (3)      Der Staatsanwalt informiert unverzüglich die Anordnungsbehörde. Wenn dem Einspruch stattgegeben wird, wird die Anerkennungsentscheidung aufgehoben.

    (4)      Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung im Hinblick auf die Vollstreckung der Ermittlungsanordnung und die Übermittlung der Ergebnisse der durchgeführten Maßnahmen. Der Staatsanwalt darf die Ergebnisse der durchgeführten Maßnahmen jedoch nicht übermitteln, wenn daraus für die Person, gegen die sich die Ermittlungen richten, den Beschuldigten oder die durch die Durchführung der Maßnahme ebenfalls betroffene Person ein schwerer und irreparabler Schaden entstehen kann.

    (5)      Soweit um die Vollstreckung einer Ermittlungsanordnung im Sinne von Art. 5 ersucht wird, verfügt der Richter auch auf Antrag der Parteien die Aufhebung der vom Staatsanwalt getroffenen Anerkennungsentscheidung, wenn die in Art. 10 aufgeführten Ablehnungsgründe vorliegen.

    (6)      Wenn die Anerkennungsentscheidung aufgehoben wird, wird die Ermittlungsanordnung nicht vollstreckt.

    (7)      Gegen die Entscheidung über die Anerkennung der Ermittlungsanordnung zur Beweissicherung steht der Einspruch auch der Person zu, gegen die sich die Ermittlungen richten, oder dem Beschuldigten, seinem Verteidiger, der Person, bei der Beweismittel oder Gegenstände sichergestellt wurden, und der Person, die einen Anspruch auf deren Rückgabe hat. Das Gericht entscheidet in nicht öffentlicher Sitzung im Sinne von Art. 127 der Strafprozessordnung. In diesem Fall steht der Staatsanwaltschaft und den Betroffenen gegen die Entscheidung des Gerichts binnen zehn Tagen ab deren Mitteilung oder Zustellung die Kassationsbeschwerde wegen Verstoßes gegen gesetzliche Bestimmungen zu. Der Kassationsgerichtshof entscheidet in nicht öffentlicher Sitzung innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab der Kassationsbeschwerde. Die Kassationsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.“

     Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    19      Am 14. November 2019 ging bei der Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) eine an diesem Tag erlassene Europäische Ermittlungsanordnung des Finanzamts für Steuerstrafsachen Münster ein, mit der um die Durchsuchung von Geschäftsräumen in einem Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Einkommensteuern auf der Grundlage von Bestimmungen der Abgabenordnung ersucht wurde.

    20      Der Abschnitt L der Europäischen Ermittlungsanordnung, in dem, soweit erforderlich, die Kontaktdaten der Justizbehörde anzugeben sind, die die Europäische Ermittlungsanordnung validiert hat, war nicht ausgefüllt.

    21      Mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 forderte die Staatsanwaltschaft Trient das Finanzamt für Steuerstrafsachen Münster zur Übermittlung einer von einer Justizbehörde validierten Abschrift der Europäischen Ermittlungsanordnung auf.

    22      Mit E‑Mail vom 8. Januar 2020 teilte das Finanzamt für Steuerstrafsachen Münster der Staatsanwaltschaft Trient mit, dass die Europäische Ermittlungsanordnung nicht von einer Justizbehörde validiert worden sei. Es erläuterte, dass es selbst als Justizbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 anzusehen sei, da es gemäß § 399 Abs. 1 AO in Verfahren wegen Steuerstraftaten die Funktion der Staatsanwaltschaft ausübe.

    23      In ihrer Vorlageentscheidung weist die Staatsanwaltschaft Trient darauf hin, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung zwingend eine gerichtliche Entscheidung sein müsse, und zwar in dem Sinne, dass sie gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 entweder von einer Justizbehörde erlassen oder von einer Verwaltungsbehörde erlassen und von einer Justizbehörde validiert sein müsse.

    24      Aus einer analogen Anwendung des Urteils vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860) ‒ das sich mit dem vom Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) geregelten Europäischen Haftbefehl beschäftigt habe ‒ ergebe sich nämlich, dass das hohe Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten das Tätigwerden einer Justizbehörde im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung erfordere.

    25      Im vorliegenden Fall berufe sich das Finanzamt für Steuerstrafsachen Münster, bei dem es sich um eine Verwaltungsbehörde handele, darauf, dass es eine vom Leitenden Regierungsdirektor unterzeichnete Europäische Ermittlungsanordnung ausstellen dürfe, da ihm gemäß § 399 Abs. 1 AO die gleichen Rechte und Pflichten wie einer deutschen Staatsanwaltschaft zustünden.

    26      Die Staatsanwaltschaft Trient weist daher darauf hin, dass das Ausgangsverfahren die Frage aufwerfe, ob und inwieweit Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 einem Mitgliedstaat die Übermittlung einer Europäischen Ermittlungsanordnung gestatte, wenn diese nicht von einer Justizbehörde validiert worden sei.

    27      Die Staatsanwaltschaft Trient ist insofern der Auffassung, dass die Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI ([Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau] C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 48 und 49), in dem es um den Rahmenbeschluss 2002/584 gegangen sei, im Kontext der Richtlinie 2014/41 anwendbar seien, da eine Europäische Ermittlungsanordnung, auch wenn sie keine Auswirkung auf die persönliche Freiheit habe, eine sehr einschneidende Maßnahme darstelle.

    28      Die Staatsanwaltschaft Trient meint außerdem, sie sei befugt, den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung anzurufen, auch wenn ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Wortlaut von Art. 267 AEUV nur von einem „Gericht eines Mitgliedstaats“ gestellt werden könne.

    29      Der Gerichtshof habe zwar bereits im Urteil vom 12. Dezember 1996, X (C‑74/95 und C‑129/95, EU:C:1996:491), entschieden, dass die italienische Staatsanwaltschaft nicht befugt sei, ihn im Wege der Vorabentscheidung anzurufen. Dieses Urteil sei im vorliegenden Fall jedoch nicht einschlägig, da sich das Verfahren, in dem es ergangen sei, auf ein Strafverfahren bezogen habe, das die Staatsanwaltschaft ‒ die nicht die Aufgabe gehabt habe, in völliger Unabhängigkeit ein Verfahren zu entscheiden, sondern gegebenenfalls das Verfahren dem zuständigen Gericht zur Kenntnis zu bringen ‒ eingeleitet habe.

    30      Die Staatsanwaltschaft Trient weist aber darauf hin, dass sie in dem vom Finanzamt für Steuerstrafsachen Münster in Deutschland geführten Ermittlungsverfahren keine Partei sei. Außerdem könne sie für den Sachverhalt, der von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Ermittlungsanordnung erfasst werde, in Italien keinerlei Strafverfahren betreiben und diese Anordnung auch nicht einem Gericht vorlegen, da im italienischen Recht die Anerkennung einer Europäischen Ermittlungsanordnung und folglich deren Vollstreckung oder gegebenenfalls die Ablehnung ihrer Anerkennung der Staatsanwaltschaft und nicht einem Gericht obliege. Daher sei kein Gericht an dem Verfahren zur Anerkennung einer solchen Anordnung beteiligt.

    31      Somit müsse die italienische Staatsanwaltschaft im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung als Einrichtung, deren Aufgabe es sei, „in völliger Unabhängigkeit ein Verfahren zu entscheiden“, und damit als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden.

    32      Unter diesen Umständen hat die Staatsanwaltschaft Trient beschlossen, dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41, soweit er vorsieht, dass als Anordnungsbehörde auch „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“, angesehen werden kann, und soweit darin bestimmt wird, dass in diesem Fall „die Europäische Ermittlungsanordnung vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert [wird], nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind“, dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, eine Verwaltungsbehörde von der Pflicht, eine Europäische Ermittlungsanordnung validieren zu lassen, zu entbinden, indem er sie als „justizielle Behörde im Sinne von Artikel 2 der [Richtlinie]“ einstuft?

     Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

    33      Die deutsche Regierung und die Kommission haben in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen Zweifel geäußert, ob die Staatsanwaltschaft Trient ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV ist.

    34      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt dieser bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    35      Was die gesetzliche Grundlage der vorlegenden Einrichtung betrifft, ihren ständigen Charakter, ihre obligatorische Gerichtsbarkeit, ihre Unabhängigkeit sowie die Anwendung von Rechtsnormen, lässt sich den Akten des Gerichtshofs kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft Trient diese Punkte nicht erfüllen würde.

    36      Es ist allerdings auch zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft Trient in dem Verfahren, das sie zur Anrufung des Gerichtshofs veranlasst hat, in Ausübung einer Rechtsprechungstätigkeit im Sinne von Art. 267 AEUV handelt.

    37      Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dessen Anrufung gemäß Art. 267 AEUV zwar nicht davon abhängig gemacht wird, dass das Verfahren, in dem das nationale Gericht eine Vorlagefrage stellt, streitigen Charakter hat, doch können die nationalen Gerichte den Gerichtshof nur anrufen, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (Urteil vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana, C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    38      Eine italienische Staatsanwaltschaft wie die Staatsanwaltschaft Trient hat allerdings, wenn sie als Vollstreckungsbehörde einer Europäischen Ermittlungsanordnung im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2014/41 tätig wird, keinen Rechtsstreit zu entscheiden und kann folglich nicht als eine Rechtsprechungsfunktion ausübend angesehen werden.

    39      In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie wird die Europäische Ermittlungsanordnung nämlich als eine gerichtliche Entscheidung definiert, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahmen(n) in einem anderen Mitgliedstaat zur Erlangung von Beweisen einschließlich von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden dieses anderen Mitgliedstaats befinden, gemäß der Richtlinie erlassen oder validiert wird.

    40      Nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41 vollstrecken die Mitgliedstaaten jede Europäische Ermittlungsanordnung nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie erkennt die Vollstreckungsbehörde eine Europäische Ermittlungsanordnung ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde beschließen, eine Europäische Ermittlungsanordnung nicht zu vollstrecken, indem sie einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach der Richtlinie geltend macht. Weiter gibt eine Vollstreckungsbehörde, wenn sie eine Europäische Ermittlungsanordnung erhält, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie erlassen worden ist, die Europäische Ermittlungsanordnung nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41 an den Anordnungsstaat zurück (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 43 bis 45).

    41      Wie sich aus dem 34. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, sind die in einer Europäischen Ermittlungsanordnung vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen vorläufiger Natur. Ihre Vollstreckung dient allein der Erlangung von Beweisen und, soweit die hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, deren Übermittlung an die in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannte Anordnungsbehörde.

    42      Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Vollstreckungsbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie, die eine Europäische Ermittlungsanordnung anerkennt und vollstreckt, mit dem „Erlass eines Urteils“ im Sinne von Art. 267 AEUV befasst ist. Insofern obliegt es ausschließlich den zuständigen Justizbehörden des Anordnungsmitgliedstaats, im Rahmen des dort eingeleiteten Strafverfahrens abschließend über die Beweise zu entscheiden.

    43      Folglich handelt eine italienische Staatsanwaltschaft wie die Staatsanwaltschaft Trient, wenn sie als Vollstreckungsbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2014/41 tätig wird, nicht im Rahmen eines Verfahrens, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter im Sinne der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs abzielt.

    44      Diese Feststellung wird durch den Umstand, den die vorlegende Einrichtung und die italienische Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen und Antworten thematisiert haben, dass im gesetzesvertretenden Dekret Nr. 108/17 keinerlei gerichtliche Kontrolle einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft, eine Europäische Ermittlungsanordnung nicht anzuerkennen, vorgesehen ist, nicht in Frage gestellt.

    45      Ein solcher Umstand, der sich im Übrigen ausschließlich auf die Hypothese der Nichtanerkennung einer Europäischen Ermittlungsanordnung beschränkt, ist für die Feststellung, ob eine italienische Staatsanwaltschaft wie die Staatsanwaltschaft Trient eine Rechtsprechungstätigkeit im Sinne von Art. 267 AEUV ausübt, wenn sie eine Entscheidung über die Anerkennung und Vollstreckung einer solchen Europäischen Ermittlungsanordnung zu treffen hat, ohne Bedeutung. Insbesondere berührt dieser Umstand nicht die in den Rn. 41 und 42 des vorliegenden Urteils getroffene Feststellung, wonach die in einer Europäischen Ermittlungsanordnung vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen ihrem Wesen nach vorläufig sind und die Entscheidungen über Anerkennung und Vollstreckung einer solchen Europäischen Ermittlungsanordnung somit nicht mit Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter gleichzusetzen sind.

    46      Nach alledem ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen der Staatsanwaltschaft Trient unzulässig ist.

     Kosten

    47      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei der vorlegenden Einrichtung anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Einrichtung. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    Das von der Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) mit Entscheidung vom 15. Januar 2020 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

    Unterschriften