11.11.2021 · IWW-Abrufnummer 225778
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 26.07.2021 – 10 K 3159/20
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gewährung von Akteneinsicht eines Apothekers in die Handakten während der laufenden Betriebsprüfung; Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten
In dem Finanzrechtsstreit
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einsicht in die Handakten der Betriebsprüfung
hat der 10. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2021 durch
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Richterin am Finanzgericht
Ehrenamtliche Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung -DSGVO-, Amtsblatt der Europäischen Union -ABlEU- Nr. L 119/1) ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Handakten der Betriebsprüfung zusteht.
Der Kläger ist selbstständiger Apotheker.
Der Beklagte führte im Jahr 2020 eine Betriebsprüfung (§ 193 Abs. 1 Abgabenordnung -AO-) für die Jahre 2015 bis 2017 durch. Die Prüfungsanordnung vom 18. November 2019 umfasste die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer.
Am 14. Juli 2020 fand eine Besprechung zwischen der Steuerberaterin des Klägers und der Betriebsprüferin statt, in dem die nach Auffassung der Betriebsprüfung fehlende Ordnungsmäßigkeit der Buchführung thematisiert wurde.
Der vom Kläger daraufhin beauftragte weitere Bevollmächtigte, der Prozessvertreter des Klageverfahrens, beantragte am 21. August 2020 im Rahmen der laufenden Betriebsprüfung Akteneinsicht in die Unterlagen der Prüferin, die die angebliche fehlende Ordnungsmäßigkeit der Buchführung beträfen. Zu diesem Zweck sollten ihm Kopien der Unterlagen übersandt werden.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 23. Oktober 2020 ab.
Den hiergegen am 11. November 2020 eingelegten Einspruch verwarf er mit Einspruchsentscheidung vom 26. November 2020 als unzulässig. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Die in Kopie angeforderten Unterlagen seien der Prüferin durch den Kläger bzw. dessen Steuerberaterin zur Verfügung gestellt worden. Der Antrag sei aber auch unbegründet, da während der laufenden Betriebsprüfung kein Anspruch auf Überlassung von Kopien aus der Handakte, sondern lediglich ein Auskunftsanspruch über die Grund- und E-Datenübersicht sowie eine Bescheidauskunft für die letzten Jahre bestehe. Dies sei aber vom Kläger weder beantragt worden noch gehe sein Interesse dahin, sodass von einer Weitergabe dieser Daten abgesehen werde.
Am 10. Dezember 2020 fand zwischen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, der Steuerberaterin und der Betriebsprüferin eine weitere Besprechung statt.
Am 18. Dezember 2020 reichte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg ein. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Klage richte sich gegen die Ablehnung der Akteneinsicht in die Handakte der Betriebsprüfung. Aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folge ein gebundener Anspruch auf Übersendung der Akten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, der nicht zeitlich eingeschränkt sei und damit auch im laufenden Betriebsprüfungsverfahren bestehe. Die DSGVO sei nicht auf den Bereich der harmonisierten Steuern beschränkt. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Januar 2020, Bundessteuerblatt (BStBl) I, 2020, 143. Hieran sei der Beklagte aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung gebunden.
Zur Begründung des Anspruchs auf Akteneinsicht werde auf den Beschluss des Finanzgerichts (FG) des Saarlandes vom 3. April 2019 - 2 K 1002/16 -, Entscheidungen der FG (EFG) 2019, 1217 verwiesen. Danach bestehe grundsätzlich seit dem Inkrafttreten der DSGVO für alle Steuerpflichtigen ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde. Ein Akteneinsichtsrecht sei zwar nicht ausdrücklich in der DSGVO geregelt. Nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 DSGVO bestehe aber ein Auskunftsanspruch über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten. Dies gelte auch für Papierakten mit Informationen zu einer Zeit vor dem 25. Mai 2018 (vgl. Art. 99 Abs. 2 DSGVO). Soweit die Finanzverwaltung beim Akteneinsichtsrecht weiterhin von einem Ermessensanspruch ausgehe, widerspreche dies sowohl vorrangigem Unionsrecht als auch nationalem Recht. Denn nach § 32d Abs. 1 AO bestehe ein behördliches Ermessen nur, soweit es an Regelungen in der DSGVO fehle. Dies sei vorliegend gerade nicht der Fall.
Die dem Finanzgericht vom Beklagten vorgelegte Akte sei nicht die Handakte der Betriebsprüferin. Daher könne der Rechtsstreit nach Einsicht in die vorgelegte Akte nicht für erledigt erklärt werden.
Der Kläger habe ein Interesse daran, die personenbezogenen Daten, Auswertungen, Berechnungen und sonstigen Unterlagen für die Abwehr unberechtigter steuerlicher Ansprüche, insbesondere gegen eine willkürliche Schätzung, zu erlangen, um sich gegen die Änderungsbescheide entsprechend wehren zu können. Deswegen sei die Akteneinsicht in die Handakte der Betriebsprüferin vorgreiflich. Würde der Kläger die ablehnende Entscheidung des Beklagten bestandskräftig werden lassen, käme er möglicherweise auch im Hauptsacheverfahren nicht mehr zur Akteneinsicht.
Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung, da er für eine Vielzahl anderer Fälle allgemeine Bedeutung habe. Zudem fehle es bislang an einer Positionierung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Frage der Akteneinsicht aufgrund der DSGVO. Bei ablehnender Entscheidung ergebe sich zudem eine Divergenz zur Entscheidung des FG des Saarlandes.
Der Kläger beantragt,
1.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes und der Einspruchsentscheidung verpflichtet, das vollständige Fall-Heft sowohl papiermäßig als auch elektronisch mit allen Berechnungen, E-Mails und Dateien, die für oder während des Betriebsprüfungsverfahrens betreffend den Kläger für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 entstanden sind, dem Kläger oder dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unverzüglich papiermäßig und elektronisch auszuhändigen, oder das Fall-Heft dem Kläger oder dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vollständig und in einwandfrei lesbaren Kopien sowohl elektronisch als auch auf CD nachweisbar zu übergeben.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
3.
Hilfsweise, die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
4.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten auch für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, für eine Akteneinsicht fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Feststellung der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchhaltung sei aufgrund der von der Steuerberaterin vorgelegten elektronischen Daten und Excel-Listen erfolgt. Sie seien Gegenstand von Besprechungen mit der Steuerberaterin am 14. Juli 2020 und mit der Steuerberaterin und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. Dezember 2020 gewesen. Es lägen keine Daten vor, die von der Betriebsprüfung generiert worden seien und dem Kläger bzw. dessen Beratern nicht vorlägen.
Zudem sei die DSGVO wegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO auf nicht harmonisierte Steuern wie die Einkommensteuer nicht anwendbar. Der sachliche Anwendungsbereich werde nicht durch § 2a Abgabenordnung (AO) erweitert. Der Finanzverwaltung stehe es entgegen dem Schreiben des BMF vom 13. Januar 2020, BStBl I, 2020, 143 nicht zu, den Anwendungsbereich der DSGVO auszudehnen.
Schließlich lasse sich aus Art. 15 DSGVO kein allgemeines Akteneinsichtsrecht ableiten.
Die Betriebsprüfung ist nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich nach Abhaltung einer Schlussbesprechung am 19. März 2021 sowie Zustellung des Betriebsprüfungsberichts mit Postzustellungsurkunde am 12. Juni 2021 abgeschlossen. Gegen die bereits ergangenen Änderungsbescheide wurden Einsprüche eingelegt.
Der Senat führte am 26. Juli 2021 eine mündliche Verhandlung durch. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Dem Senat lag bei seiner Entscheidung die den Streitfall betreffenden Akte des Beklagten vor (1 Bd. Betriebsprüfungsakte).
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig.
1. Nach § 32i Abs. 2 AO ist für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person, zu denen auch der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO gehört, der Finanzrechtsweg gegeben. Die Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nach Maßgabe des § 32i Abs. 5 bis 10 AO anzuwenden (§ 32i Abs. 4 AO).
2. Statthafte Klageart für die gerichtliche Geltendmachung eines gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist die Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO). Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Der Erteilung der Auskunft geht eine behördliche Entscheidung voraus, die auf der Grundlage eines gesetzlichen Prüfprogramms (vgl. Art. 15 Abs. 4 DSGVO) zu treffen ist und bei der die Behörde besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen wie Begründungs- oder Anhörungspflichten zu beachten hat. Daher geht der Auskunftserteilung durch eine Behörde auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 DSGVO stets eine Prüfung möglicher Ausschluss- und Beschränkungstatbestände voraus (vgl. hierzu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- vom 16. September 2020 - 6 C 10/19 -, Rn. 12, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2021, 287, mit Anm. Treiber; vgl. auch BFH-Beschluss vom 28. Mai 2003 VII B 119/01, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst -DStRE- 2004, 112).
3. Der Kläger ist durch den ablehnenden Verwaltungsakt vom 23. Oktober 2020 und die Einspruchsentscheidung vom 26. November 2020 beschwert und damit klagebefugt (§ 40 Abs. 2 FGO).
Durch die im Laufe des Klageverfahrens vorgelegte Akte des Beklagten für Zwecke der Akteneinsicht gemäß § 78 FGO ist keine Erledigung der Hauptsache eingetreten und das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 2. Oktober 1992 VI B 105/91, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 169, 20, BStBl II 1993, 57). Denn bei der vorgelegten Akte handelt es sich gerade nicht um die Handakte der Betriebsprüferin, in die der Kläger Einsicht begehrt.
Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Daher bedurfte es nicht der vom Kläger beantragten Vernehmung des Vorstehers und der Sachgebietsleiterin der Betriebsprüfung des Beklagten als Zeugen.
Im Übrigen besteht nach der Rechtsprechung des BFH zu § 78 FGO kein Anspruch auf Einsicht in diejenigen Akten, um deren Kenntnisgabe gerade gestritten wird (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März 2014 II B 68/13, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2014, 1072). Der beantragten Beiziehung der Handakten zum Klageverfahren konnte daher nicht entsprochen werden.
II. Die Klage ist unbegründet.
Der Verwaltungsakt vom 23. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat es zurecht abgelehnt, dem Kläger Einsicht in die Handakten der Betriebsprüfung während der laufenden Betriebsprüfung zu gewähren.
1. Ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht wird nicht durch das Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO begründet.
a) Es kann im vorliegenden Streitfall dahinstehen, ob die Vorschriften der DSGVO im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern wie etwa die Umsatzsteuer anwendbar sind, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommensteuer natürlicher Personen (so das Niedersächsisches FG, Urteil vom 28. Januar 2020 - 12 K 213/19 -, EFG 2020, 665; Az. BFH: II R 15/20). Denn ausweislich der Prüfungsanordnung vom 18. November 2019 war auch die Umsatzsteuer 2015 bis 2017 Gegenstand der Prüfung. Die DSGVO ist jedenfalls bei einer Betriebsprüfung, die sich neben anderen Steuerarten auch auf die Umsatzsteuer erstreckt, insgesamt anwendbar. Es ist daher für den vorliegenden Streitfall auch nicht darüber zu befinden, ob sich aus dem BMF-Schreiben vom 13. Januar 2020, BStBl I, 2020, 143 eine Selbstbindung der Finanzverwaltung in Bezug auf die Anwendbarkeit der DSGVO auch auf nicht harmonisierte Steuern ergibt.
Hinzu kommt, dass auch bei Anwendbarkeit der DSGVO im vorliegenden Streitfall hieraus kein Anspruch auf Akteneinsicht besteht.
b) Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf weitere Informationen wie z.B. dem Zweck der Verarbeitung, der Dauer der Speicherung, der Herkunft der personenbezogenen Daten oder über Empfänger bzw. Kategorien von Empfängern (Baum, Neue Wirtschaftsbriefe -NWB- 2017, 3281, 3284 f.).
c) Anlass und Regelungsziel der DSGVO ist der in Art. 8 Abs. 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art. 16 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährleistete Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten (Art. 1 Abs. 2 DSGVO und Erwägungsgrund 1 zur DSGVO). Bereits auf der Ebene der Grundrechtecharta ist das Recht jeder Person verankert, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 GRC). Die Betroffenenrechte der DSGVO wurzeln in der Erwägung des europäischen Normgebers, dass der Einzelne selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen können muss. Natürliche Personen sollen daher grundsätzlich die Kontrolle über ihre eigenen Daten besitzen (Erwägungsgrund 7 Satz 2 zur DSGVO). Zu diesem Zweck räumen Art. 8 Abs. 2 GRC und Art. 15 Abs. 1 DSGVO der betroffenen Person ein Auskunftsrecht darüber ein, welche personenbezogenen Daten von Dritten erhoben worden sind. Ziel ist es, dass sich der Betroffene der Verarbeitung bewusst ist und auf dieser Grundlage deren Rechtmäßigkeit überprüfen kann (Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO). Das Auskunftsrecht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO und das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Absatz 3 der Vorschrift erweisen sich damit als elementare subjektive Datenschutzrechte, da erst die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet, die betroffene Person in die Lage versetzt, weitere Rechte auszuüben. Der Auskunftsanspruch soll für den Betroffenen Transparenz schaffen und ihm das für die Durchsetzung dieses Grundrechts notwendige Wissensfundament an die Hand geben. Er ist seiner Natur nach ein Instrument zur Durchsetzung der weiteren Betroffenenrechte wie Berichtigung (Art. 16 DSGVO), Löschung (Art. 17 DSGVO) oder Schadensersatz (Art. 82 DSGVO; vgl. BVerwG-Urteil in HFR 2021, 287; Schober, Finanz-Rundschau -FR- 2020, 558, 562).
d) Dieses Verständnis lässt sich durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur früheren Rechtslage nach Art. 12 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 S. 31) - Datenschutzrichtlinie - belegen. Der europäische Gesetzgeber will mit der DSGVO an die Ziele und Grundsätze der Datenschutzrichtlinie anknüpfen (Erwägungsgrund 9 zur DSGVO) und künftig ein unionsweit gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen gewährleisten (Erwägungsgrund 10 zur DSGVO). Daher bietet die in der Rechtsprechung vorgenommene Charakterisierung des Auskunftsanspruchs aus Art. 12 Buchst. a Datenschutzrichtlinie auch Hinweise auf das Verständnis des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO. So hat der EuGH in seinen Urteilen vom 7. Mai 2009 - C-553/07 [ECLI:EU:C:2009:293], Rijkeboer - (Rn. 49 ff.), vom 17. Juli 2014 - C 141/12 [ECLI:EU:C:2014:2081], YS u.a. - (Rn. 44) und vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 [ECLI:EU:C:2017:994], Nowak - (Rn. 57) jeweils den instrumentellen Charakter des Auskunftsrechts für das Begehren der betroffenen Person hervorgehoben, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen die Berichtigung, Löschung oder Sperrung ihrer Daten zu verlangen. Dagegen dient das Auskunftsrecht nicht der Schaffung eines Zugangs zu Verwaltungsdokumenten, weil dies nicht die Zielrichtung des europäischen Datenschutzrechts ist (EuGH-Urteil vom 17. Juli 2014 - C-141/12 - Rn. 46; BVerwG-Urteil in HFR 2021, 287).
e) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gewährt dem Betroffenen grundsätzlich ein "Recht auf Auskunft". Die Erfüllung dieses Anspruchs ("Ob" der Auskunftserteilung) steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Das "Wie" der Auskunftserteilung wird durch Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO jedoch nicht geregelt, so dass hieraus allein kein Akteneinsichtsrecht abgeleitet werden kann (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 32c AO, Rn. 12a).
Einem gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde ist schon aus sprachlichen Gründen zu widersprechen, da sich Art. 15 DSGVO dem Wortlaut nach nur auf bestimmte personenbezogene Daten bezieht und nicht auf eine allgemeine Einsicht in die Akten (Koenig/Gercke, 4. Auflage 2021, AO § 32c Rn. 2; Poschenrieder, DStR 2020, 21; Erkis, DStR 2018, 161).
Das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist auch nicht mit einem Akteneinsichtsrecht identisch. Das Akteneinsichtsrecht beruht vornehmlich auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) und soll den Anspruchsteller in die Lage versetzen, die Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 3515/08, HFR 2010, 862).
Ein Akteneinsichtsrecht geht stets über ein bloßes Auskunftsrecht hinsichtlich der verarbeiteten personenbezogenen Daten hinaus; so ergeben sich aus einer Akteneinsicht regelmäßig auch rechtliche Stellungnahmen, Entscheidungsentwürfe und Berechnungen der Amtsträger, Dienstanweisungen oder Ermittlungsergebnisse, die schon dem Grunde nach nicht unter den Schutzbereich der DSGVO und des § 32c AO fallen. Der Anspruch aus Art. 15 DSGVO umfasst auch nicht die von der Betriebsprüfung selbst, etwa im Wege der Schätzung, geschaffenen Daten. Angewandte Schätzmethoden oder Schlussfolgerungen der Betriebsprüfung aus den erhobenen Daten stellen keine Verarbeitung i.S. des Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar (vgl. FG Sachsen, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 K 337/19 -, EFG 2020, 661).
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber der DSGVO einen nach inländischen Normen nicht geregelten gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht schaffen wollte. Vielmehr kann ein datenschutzrechtlicher Anspruch auch ohne Akteneinsicht erfüllt werden, indem dem Betroffenen im Fall der Verarbeitung personenbezogener Daten die konkreten Daten sowie die Einzelangaben i.S. von Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO mitgeteilt werden (Klein/Rätke, AO, 15. Auflage 2020, § 91 Rn. 26; von Armansperg, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2021, 453; BeckOK AO/Kobor, 15. Ed. 15.1.2021, AO § 91 Rn. 39-40.1; Poschenrieder, DStR 2020, 21; Schober FR 2020, 558, 560 f.; Karg NWB 2020, 931, 933; BMF-Schreiben vom 13. Januar 2020, BStBl I 2020, 143, Rn. 32; vgl. dagegen aber auch Krumm Der Betrieb 2017, 2182; Bareither/Großmann/Uterhark Betriebs-Berater 2019, 1111; Myßen/Kraus FR 2019, 58).
f) Finanzbehörden dürfen Verfahren und Form der Auskunftserteilung gem. § 32d Abs. 1 AO nach pflichtgemäßem Ermessen selbst bestimmen, soweit die DSGVO keine Regelungen hierzu enthält (Gola/Franck, 2. Auflage 2018, DSGVO Art. 15 Rn. 30, 31).
Die DSGVO enthält keine Regelung über die Gewährung von Akteneinsicht, sondern lediglich über punktuelle datenschutzrechtliche Auskunftsrechte wie z.B. über die Zwecke der Verarbeitung, die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere Empfänger in Drittländern oder internationale Organisationen sowie falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer (vgl. BVerwG-Urteil in HFR 2021, 287). Der BFH führt im Beschluss vom 29. August 2019 X S 6/19, BFH/NV 2020, 25 aus, das Akteneinsichtsrecht stelle lediglich eine besondere Form der Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO dar.
Damit kann der im Kostenbeschluss des FG Saarland vom 3. April 2019 - 2 K 1002/16 -, EFG 2019, 1217 geäußerten Auffassung, es bestehe aufgrund von Art. 15 DSGVO ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht, nicht gefolgt werden. Hinzu kommt, dass dort wohl nicht der Anspruch auf Einsicht in die Handakten der Betriebsprüfung streitig war (so in einer Anmerkung zum FG-Beschluss Haverkamp/Meinert, Der AO-Steuerberater 2019, 276).
g) Nach § 102 Satz 1 FGO können Ermessensentscheidungen durch das FG nur darauf überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und ob das Finanzamt das ihm eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks fehlerfrei ausgeübt hat. Dabei muss das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abstellen (BFH-Urteil vom 19. März 2013 II R 17/11, BFHE 240, 497, BStBl II 2013, 639).
Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren keine datenschutzrechtlichen Ansprüche geltend gemacht. Der das Interesse des Klägers an einer Akteneinsicht konkretisierende Vortrag im Klageverfahren macht dies noch deutlicher. Danach habe der Kläger ein Interesse daran, die personenbezogenen Daten, Auswertungen, Berechnungen und sonstigen Unterlagen für die Abwehr unberechtigter steuerliche Ansprüche, insbesondere gegen eine willkürliche Schätzung, zu erlangen, um sich gegen die Änderungsbescheide entsprechend wehren zu können. Dieses Interesse ist jedoch nicht datenschutzrechtlicher, sondern steuerverfahrensrechtlicher Natur. Die Vernehmung der Steuerberaterin des Klägers und deren Steuerfachangestellten als Zeugen bedurfte es daher mangels Entscheidungserheblichkeit nicht. Hinzu kommt, dass ein derartiges Interesse als wahr unterstellt werden kann.
Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO begehrte Auskunft abgelehnt und auch davon abgesehen hat, dem Kläger die Angaben i.S. von Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO mitzuteilen.
Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, bei einer ablehnenden Entscheidung wäre dem Kläger eine spätere Geltendmachung eines Anspruchs verwehrt, wird darauf hingewiesen, dass bei Verpflichtungsklagen im Zusammenhang mit Ermessenentscheidungen in die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft (§ 110 FGO) nur diejenigen Tatsachen einzubeziehen sind, die das Finanzgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und darüber hinaus auch diejenigen Tatsachen, die unter Berücksichtigung von § 102 Satz 2 FGO in den Prozess hätten eingebracht werden können und deshalb durch die Rechtskraft präkludiert sind, weil sie bei natürlichem Verständnis zum Entscheidungsgegenstand gehören (Gräber/Ratschow, 9. Auflage 2019, FGO § 110 Rn. 50).
2. Auch die AO sieht kein Recht auf Akteneinsicht vor.
Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91 Abs. 1 AO und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Allerdings geht der BFH in ständiger Rechtsprechung - ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO - davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht (z.B. BFH-Urteil vom 23. Februar 2010 VII R 19/09, BFHE 228, 139, BStBl II 2010, 729).
Vorliegend sind keine Ermessensfehler erkennbar. Der Beklagte führt in der Einspruchsentscheidung aus, die Annahme der Prüferin, die Buchführung sei nicht ordnungsgemäß, beruhe auf der Sichtung von Daten und Kopien von Unterlagen, die ihr vom Kläger selbst bzw. seiner Steuerberaterin ausgehändigt worden seien. Diese lägen dem Kläger bzw. seiner Steuerberaterin im Original vor. Unter Betrachtung dieser Ausführungen ist bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht deutlich geworden, worin das berechtigte Interesse des Klägers an der Einsicht in die Handakte der Betriebsprüfung bestehen sollte. Ein solches hätte von ihm dargelegt werden müssen (vgl. Klein/Rätke, a.a.O., § 91 Rn. 25).
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers erstmals im Klageverfahren vorträgt, die Handakten der Betriebsprüferin enthielten auch Auswertungen, Berechnungen und sonstigen Unterlagen, kann er hiermit nicht gehört werden. Denn entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung. Zu diesem Zeitpunkt war vom Bevollmächtigten jedoch noch nicht zum angeblichen Umfang der Handakte der Betriebsprüferin vorgetragen worden. Vielmehr blieb der Vortrag der Betriebsprüferin gegenüber der Steuerberaterin des Klägers unwidersprochen, wonach die Handakte zum damaligen Zeitpunkt zum Streitpunkt der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nur von Klägerseite übergebene Unterlagen enthalte. In einem solchen Fall besteht kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht. Ein weiteres Anwachsen des Umfangs der Handakte nach Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung bis zur Schlussbesprechung am 19. März 2021 ist zu vermuten, aber für die Überprüfung der ablehnenden Entscheidung des Beklagten unerheblich.
Hinzu kommt, dass der Antrag auf Akteneinsicht in die Handakten während der laufenden Betriebsprüfung gestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt kann jedoch der Zweck einer Akteneinsicht, den Anspruchsteller in die Lage versetzen, die Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen, noch nicht erreicht werden.
3. Schließlich besteht auch kein Anspruch auf Akteneinsicht nach dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen in Baden-Württemberg (LIFG). Nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 LIFG gilt das Gesetz nicht gegenüber den Landesfinanzbehörden im Sinne des § 2 des Finanzverwaltungsgesetzes, soweit sie in Verfahren in Steuersachen tätig werden.
III. Die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zur Klärung der Form der Auskunftserteilung i.S. des Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist nicht geboten. Die Richtigkeit der Auslegung und Anwendung dieses unionsrechtlichen Begriffs erweist sich angesichts des eindeutigen Auslegungsergebnisses und der in der Rechtsprechung des EuGH erreichten Klärung des Zwecks des Auskunftsrechts nach der Datenschutzrichtlinie (vgl. EuGH-Urteile vom 7. Mai 2009 - C-553/07 - Rn. 49 ff., vom 17. Juli 2014 - C-141/12 - Rn. 44 und vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 - Rn. 57) als derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (acte-clair-Doktrin, vgl. EuGH-Urteile vom 6. Oktober 1982 - C 283/81 [ECLI:EU:C:1982:335], CILFIT - und vom 15. September 2005 - C-495/03 [ECLI:EU:C:2005:552], Intermodal Transports -).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
V. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben waren. Eine Divergenz zur Entscheidung des FG des Saarlandes in EFG, 2019, 1217 ist nicht möglich, da es sich hierbei um eine Kostenentscheidung und somit nicht um eine Entscheidung in der Hauptsache handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Mai 2016 III B 62/15, BFH/NV 2016, 1293).
Zudem hat der BFH mit Beschluss in BFH/NV 2020, 25 [BFH 29.08.2019 - II B 79/18] bereits geklärt, dass das Akteneinsichtsrecht lediglich eine besondere Form der Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO darstellt und demzufolge nicht von einem gebundenen Anspruch auszugehen ist. Darüber hinaus hat das BVerwG mit Urteil in HFR 2021, 287 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH ausgeführt, dass das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht der Schaffung eines Zugangs zu Verwaltungsdokumenten dient.
Die Rechtssache weist daher als Einzelfallentscheidung auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger keine datenschutzrechtlichen Ansprüche geltend gemacht hat, sondern lediglich Akteneinsicht beantragte, keine grundsätzliche Bedeutung auf.