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  • 19.06.2024 · IWW-Abrufnummer 242097

    Landgericht Nürnberg-Fürth: Urteil vom 18.03.2024 – 18 KLs 505 Js 1651/21

    Eine GmbH, gegen die nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Anordnung einer Einziehung zu richten wäre, ist auch dann gemäß § 424 Abs. 1 StPO am Strafverfahren zu beteiligen, wenn über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. (Rn. 7)


    LG Nürnberg-Fürth

    Beschluss vom 18.03.2024 

    18 KLs 505 Js 1651/21

    Tenor

    Die ... GmbH wird an dem Strafverfahren beteiligt, soweit dieses die Einziehung betrifft (§ 424 Abs. 1 StPO).

    Gründe

    I.

    1
    1. Mit Verfügung vom ... erhob die Staatsanwaltschaft N.-F. Anklage gegen .... Diesem wird u. a. vorgeworfen, als Geschäftsführer zunächst der ... UG (haftungsbeschränkt) und sodann der ... GmbH im Zeitraum von ... bis ... Beitragsnachweise an die ... übermittelt zu haben, in denen er die geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu niedrig angegeben haben soll. Für die Monate ... soll es ... unterlassen haben, Beitragsnachweise zu übermitteln. Hierdurch sollen fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von € ... verkürzt worden sein. Dem Angeklagten ... liegt Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in einer Vielzahl von Fällen gemäß den §§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB zur Last. Die Staatsanwaltschaft N.-F. beantragte, gemäß § 424 Abs. 1 StPO die Beteiligung der ... GmbH am Strafverfahren anzuordnen.

    2
    2. Mit Beschluss vom ... eröffnete das Amtsgericht ‒ Insolvenzgericht ‒ Nürnberg auf Antrag des Finanzamtes N. und der AOK ... das Insolvenzverfahren über das Vermögen der ... GmbH und setzte Rechtsanwalt ... als Insolvenzverwalter ein (...).

    3
    3. Aufgrund Verfügung vom ... wurde die Anklage dem Angeklagten am ... und seinem Verteidiger am ... zugestellt. Mit Beschluss vom ... wurde das Hauptverfahren eröffnet.

    II.

    4
    1. a) Richtet sich die Einziehung gegen eine Person, die nicht Beschuldigter ist, so wird sie auf Anordnung des Gerichts am Strafverfahren beteiligt, soweit dieses die Einziehung betrifft (Einziehungsbeteiligter) ‒ § 424 Abs. 1 StPO. Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an (§ 73 Abs. 1 StGB). Die Anordnung der Einziehung nach § 73 StGB richtet sich gegen einen anderen, der nicht Täter oder Teilnehmer ist, wenn er durch die Tat etwas erlangt hat und der Täter oder Teilnehmer für ihn gehandelt hat (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Beim Delikt der Steuerhinterziehung oder dem des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt können die verkürzten Steuern oder Gesamtsozialversicherungsbeiträge „erlangtes Etwas“ im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese erspart. Maßgeblich bleibt dann aber immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.2021 ‒ 1 StR 28/21 m.w.N; BGH, Beschuss vom 23.12.2020 ‒ 1 StR 310/20). Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht, § 73c S. 1 StGB.

    5
    b) aa) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 1. Hs. GmbHG). Ab Auflösung, aber vor Beendigung, befindet sich die Gesellschaft im Liquidationsstadium. Erst die Beendigung der Gesellschaft führt zum Wegfall ihrer Existenz als Rechtspersönlichkeit (MüKoGmbHG/Berner, 4. Aufl. 2022, GmbHG § 60 Rn. 11 und 12). Mit Verwirklichung des Auflösungstatbestands tritt die GmbH ins Liquidationsstadium ein, besteht als solche aber unverändert fort, lediglich ihr „werbender“ Zweck wandelt sich zum Abwicklungszweck (vg. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 60 Rn. 6). Das Insolvenzverfahren endet durch Beschluss des Gerichts nach Vollzug der Schlussverteilung der Masse (§ 200 Abs. 1 InsO) oder rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§§ 217 ff., 258 InsO). Ist das Gesellschaftsvermögen vollständig verteilt und ist die Gesellschaft vermögenslos, hat das Gericht die Gesellschaft nach § 394 FamFG zu löschen. Sie ist dann vollbeendet (vgl. MHLS/Knaier, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 60 Rn. 212).

    6
    bb) Die Eröffnung des Privatinsolvenzverfahrens über das Vermögen eines Angeklagten steht einer Einziehungsanordnung gegen den Angeklagten selbst nicht entgegen, weil es sich bei dem dem Staat zustehenden Einziehungsanspruch um eine strafrechtliche Forderung eigener Art handelt, die entsprechend ihrer „quasi-bereicherungsrechtlichen Rechtsnatur“ mit dem Erlangen durch den Betroffenen (originär) entsteht und zugleich fällig wird. Mit der Wertersatzeinziehungsanordnung nach § 73c Satz 1 StGB wird der Zahlungsanspruch des Staates gegen den Betroffenen tituliert. Die Einziehung ist mithin ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen anzuordnen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht dazu, dass der Insolvenzverwalter, auf welchen die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Schuldnervermögen übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO), am Strafverfahren zu beteiligen und die Einziehungsanordnung gegen ihn als Partei kraft Amtes zu richten wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2018 ‒ 3 StR 447/18).

    7
    cc) Die unter II. 1. b) bb) für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Angeklagten dargelegte Rechtslage ist auf die Konstellation zu übertragen, dass über das Vermögen einer juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet wird, gegen die auf der Basis des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB eine Einziehung zu richten wäre. Solange nicht das Stadium ihrer Vollbeendigung eingetreten und sie lediglich nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 1. Hs. GmbHG aufgelöst ist, ist sie ‒ und nicht der Insolvenzverwalter ‒ gemäß § 424 Abs. 1 StPO am Verfahren zu beteiligen. Weil erst mit der Wertersatzeinziehungsanordnung nach § 73c Satz 1 StGB der Zahlungsanspruch des Staates gegen die juristische Person tituliert wird, bedarf es an dieser Stelle auch nicht der Beantwortung der Frage, ob der Staat als Insolvenzgläubiger oder als anderer Gläubiger, etwa als Neugläubiger, mit den entsprechenden insolvenzrechtlichen Folgen zu behandeln ist.

    8
    2. Nach den obigen Vorgaben war die ... GmbH an dem Strafverfahren zu beteiligen, soweit dieses die Einziehung betrifft. Die Anordnung der Einziehung hätte sich gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gegen sie zu richten, weil der Angeklagte als Geschäftsführer für sie gehandelt hätte (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die ersparten Gesamtsozialversicherungsbeiträge wären gemäß den §§ 73 Abs. 1, 73 c Satz 1, 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB bei ihr einzuziehen. Die Anwendung des 73 c Satz 1 ergibt sich daraus, dass sich ersparte Aufwendungen als nichtgegenständliche Vorteile bereits mit ihrer Inanspruchnahme verbrauchen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2018 ‒ 1 StR 36/17).

    RechtsgebieteStPO, StGBVorschriftenStPO § 424, StGB § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1