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  • 12.12.2024 · IWW-Abrufnummer 245375

    Landgericht Nürnberg-Fürth: Urteil vom 07.02.2024 – 18 StL 4/23

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

        I.

        Der Betroffene ist schuldig der schuldhaften Verletzung allgemeiner Berufspflichten.
        II.

        Ihm wird deshalb ein Verweis erteilt und eine Geldbuße in Höhe von € 30.000 auferlegt.
        III.

        Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen.

    Entscheidungsgründe

    A. Persönliche Verhältnisse
    1

    Der Betroffene ist berufsrechtlich nicht vorgeahndet. Wegen des nachstehend unter B. beschriebenen Verhaltens wurde er am ..., rechtskräftig seit ..., durch das Landgericht ...wegen Steuerhinterziehung in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Rahmen des Bewährungsbeschlusses wurde die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt und dem Betroffenen wurde auferlegt binnen 3 Monaten nach Rechtskraft 30.000 € an die Staatskasse zu bezahlen. Bis auf diese Eintragung ist der Betroffene nicht vorbestraft.

    B. Pflichtverletzung
    2

    Der Betroffene und der anderweitig Verfolgte ... waren jeweils einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der ... Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. mit Sitz in ....
    3

    Der Betroffene] und [ waren als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet, für diese bis zum 31.05. des auf den jeweiligen Besteuerungszeitraum folgenden Jahres beim zuständigen Finanzamt N.-Z. die Umsatzsteuerjahreserklärungen abzugeben. Dieser Verpflichtung kamen sie für die Jahre ..., in denen die GmbH umsatzsteuerbare Umsätze erzielte, nicht nach. Für den Zeitraum ... gaben der Betroffene und der anderweitig Verfolgte ... innerhalb der Erklärungsfrist keine Umsatzsteuerjahreserklärungen für die GmbH ab. Infolgedessen wurde die Umsatzsteuer jeweils verkürzt.
    4

    Insgesamt verkürzten der Betroffene und der anderweitig Verfolgte ... durch die nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre ... zugunsten der GmbH Umsatzsteuern in Höhe von 1.023.507,09 €.

    C. Beweiswürdigung
    5

    I.Die Feststellungen zu Ziffer A I bis VI ergeben sich aus den Angaben des Betroffenen, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Anlass zu Zweifeln hatte. Ergänzend beruhen die Feststellungen zu den registerrechtlichen Verhältnissen der genannten Gesellschaften auf dem Inhalt der gemäß den §§ 153 StBerG; 249 Abs. 2 StPO eingeführten Urkunden aus dem Handelsregister. Aus einem nach den §§ 153 StBerG; 249 Abs. 2 StPO eingeführten Schreiben der Steuerberaterkammer N. vom ... ergibt sich, dass der Betroffene berufsrechtlich nicht vorgeahndet ist (Ziffer A V). Aus dem Auszug aus dem Bundeszentralregister ergibt sich, dass der Betroffene abgesehen von der dem hiesigen Verfahren zugrunde liegenden Verurteilung, nicht vorbestraft ist.
    6

    II.1. Der Betroffene hat sich wie folgt eingelassen:
    7

    Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gemäß der Anschuldigungsschrift seien zutreffend.
    8

    2. a) Die Feststellungen zur Pflichtverletzung als solcher beruhen auf den Feststellungen des Landgerichts ... in seinem Urteil vom ..., rechtskräftig seit ..., die gemäß § 109 Abs. 3 Satz 1 StBerG bindend sind.
    9

    aa) Für die Entscheidung im berufsgerichtlichen Verfahren sind die tatsächlichen Feststellungen des Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren bindend, auf denen die Entscheidung des Gerichts beruht. In dem berufsgerichtlichen Verfahren kann ein Gericht jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln; dies ist in den Gründen der berufsgerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck zu bringen (§ 109 Abs. 3 StBerG). Eine solche Bindungswirkung entfällt bei Strafurteilen, die in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung zentraler Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind; dies kommt grundsätzlich in Betracht, wenn das strafrechtliche Urteil auf einer Verständigung beruht, den hieran zu stellenden wesentlichen Anforderungen aber nicht gerecht wird, was auch der Fall sein kann, wenn die Verurteilung tatsächlich auf einem durch das Strafgericht nicht oder nicht zureichend überprüften "Formalgeständnis" beruht hätte (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2015 - StbSt (R) 1/15). Die Beseitigung von Unklarheiten oder Widersprüchen in einem Strafurteil oder die Ermittlung zusätzlicher, ihm nicht zugrunde liegender Tatsachen darf Gegenstand einer Beweisaufnahme sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2015 - StbSt (R) 2/15; BGH, Urteil vom 4. März 1985 - AnwSt (R) 22/84; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1970 - StBStR 1/70).
    10

    bb) Ausweislich der Gründe des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth (...) ging diesem eine Verständigung nach § 257c StPO voraus. Das Protokoll der Hauptverhandlung vom .... und ... lässt keine Verletzung der Vorschriften der §§ 202a, 212, 257b, 257c StPO erkennen. Am ... wurde nach Belehrung der dortigen Angeklagten gemäß § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO die Hauptverhandlung unterbrochen und der Verfahrensstand mit den Verfahrensbeteiligten erörtert (§§ 202a, 212 StPO). Im Rahmen dieser Erörterung gab die Strafkammer bekannt, eine Bewährungsstrafe zwischen 11 Monaten und einem Jahr und sechs Monaten verhängen zu wollen. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung und Mitteilung des Inhaltes dieser Erörterung (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO) unterbreitete die Kammer einen entsprechenden, die Leitlinien des § 257c Abs. 2 und 3 StPO einhaltenden Vorschlag, dem der Betroffene nach Belehrung (§ 257c Abs. 4 und 5 StPO) zustimmte. Ein durch das Strafgericht nicht oder nicht zureichend überprüftes "Formalgeständnis" liegt nicht vor: Sein Verteidiger gab für den Betroffenen eine Erklärung ab, Letzterer ließ sich auch selbst zur Sache ein. Diese Einlassung wurde durch Vernehmung von Büroangestellten und des ermittelnden Steuerfahnders sowie die Einführung von Urkunden gemäß § 249 Abs. 2 StPO überprüft.
    11

    b) Aufgrund dieser sich aus § 109 Abs. 3 Satz 1 StBerG ergebenden Bindungswirkung bedürfte es keines Geständnisses des Betroffenen, um zur Feststellung der unter B. beschriebenen Pflichtverletzung zu gelangen.

    D.
    12

    Der Betroffene ist schuldig der schuldhaften Verletzung von Berufspflichten gemäß §§ 57 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 StBerG.
    13

    I.1. Gegen einen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten, der seine Pflichten schuldhaft verletzt, wird gemäß § 89 Abs. 1 StBerG eine berufsgerichtliche Maßnahme verhängt. Steuerberater und Steuerbevollmächtigte haben ihren Beruf unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, verschwiegen und unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben (§ 57 Abs. 1 Satz 1 StBerG). Die Verkürzung (auch) eigener unternehmensbezogener oder privater Steuern unterfällt den §§ 57 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 StBerG und stellt kein außerhalb des Berufes liegendes Verhalten gemäß den §§ 89 Abs. 2, 57 Abs. 2 Satz 2 StBerG dar, bei dem unter Anwendung des § 89 Abs. 2 StBerG und einer Qualifikation des Verhaltens als rechtswidrige Tat oder als mit Geldbuße bedrohter Handlung erforderlich wäre, dass es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für die Ausübung der Berufstätigkeit oder für das Ansehen des Berufs bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Alles, was auch nur mittelbar im Zusammenhang mit der Berufsausübung steht, ist berufsbezogenes Verhalten. Dies betrifft insbesondere die Nichterfüllung eigener berufsbezogener Steuerpflichten. Die Abgabe von Steuererklärungen gehört zum Kernbereich der Tätigkeiten eines Steuerberaters (vgl. OLG München, Urteil vom 19. Juni 2008 - 2 StO 2/2008). Dieses gilt auch für die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der persönlichen Steuerpflichten des Steuerberaters, die jedenfalls mittelbar im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung steht (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 11. Dezember 2009 - 5/35 StL 7/09).
    14

    2. Der Betroffene hat seine Pflichten schuldhaft verletzt (§ 89 Abs. 1 StBerG), weil er seinen Beruf nicht gewissenhaft ausführte (§ 57 Abs. 1 Satz 1 StBerG), zu dessen Inbegriff (auch) die korrekte und rechtzeitige Abgabe von Steuererklärungen gehört. Dabei betraf das rechtswidrige Verhalten das unternehmerische und berufliche Verhalten des Betroffenen als Steuerberater unmittelbar. Gerade bei Steuerstraftaten liegt ein unkorrektes Verhalten in finanziellen Angelegenheiten vor, das zugleich regelmäßig eine Berufspflichtverletzung darstellt (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 6. Oktober 2008 - 31 StL 1/08).
    15

    II. Selbst unter Anwendung der §§ 89 Abs. 2, 57 Abs. 2 Satz 2 StBerG wäre eine Pflichtverletzung des Betroffenen zu bejahen: Denn das als rechtswidrig einzustufende Verhalten des Betroffenen wäre nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet, Achtung und Vertrauen in einer für die Ausübung der Berufstätigkeit oder für das Ansehen des Berufs bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Steuerhinterziehungshandlung eines Steuerberaters in eigenen Angelegenheiten stellt ein besonders schweres Berufsvergehen dar, weil gerade von einem Steuerberater erwartet wird und erwartet werden darf, dass er im Umgang mit Behörden wahrheitsgetreu und korrekt handelt.

    E.
    16

    § 90 Abs. 1 StBerG sieht als mögliche Ahndung die Warnung, den Verweis, die Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro, das Berufsverbot für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren oder die Ausschließung aus dem Beruf vor. Die berufsgerichtlichen Maßnahmen des Verweises und der Geldbuße können nebeneinander verhängt werden (§ 90 Abs. 3 StBerG)
    17

    I. Zugunsten des Betroffenen spricht sein Geständnis. Er ist berufsrechtlich und strafrechtlich -mit Ausnahme der Entscheidung des Landgerichts ... vom ..., rechtskräftig seit ... - nicht vorgeahndet. Im Besteuerungsverfahren ist komplette Schadenswiedergutmachung geleistet. Der tatsächliche fiskalische Schaden war - wie sich aus F I der vorgenannten Urteilsgründe ergibt - geringer als der Verkürzungserfolg. Der Berufspflichtverstoß wurde durch den anderweitig Verfolgten ... zumindest mitverursacht. Der Betroffene ist ... Jahre alt und wird voraussichtlich nur noch wenige Jahre berufstätig sein. Während jener ... Jahre seit Bestellung zum Steuerberater sind außer der hiesigen keinerlei Verfehlungen bekannt. Der Pflichtverstoß fand sein Ende im Jahre 2018, mithin vor über 5 Jahren.
    18

    Gegen den Betroffen waren folgende Punkte zu würdigen: Er kam den ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Verpflichtungen über einen langen Zeitraum, mithin spätestens seit dem 31.05.2010 für über 8 Jahre nicht nach und verursachte eine Steuerverkürzung in Millionenhöhe. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 02. Dezember 2008 - 1 StR 416/08; BGH, Urteil vom 19.10.2022 - 1 StR 269/22). Die Verkürzungserfolge erreichen jeweils das für die Annahme eines Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AO erforderliche große Ausmaß. Wenngleich dieses die in erster Linie die Zumessung der Strafe betrifft, kennzeichnet es jedoch eine auf die Frage der Berufspflichtverletzung zu übertragende Wertsetzung ebenso wie der Umstand, dass die Verurteilung in das Führungszeugnis einzutragen ist (§§ 32 Abs. 1 Satz 1, 4 Nr. 1 BZRG).
    19

    II. Die unter B. geschilderte Pflichtverletzung ist für sich betrachtet bereits schwerwiegend und könnte dem Grunde nach bereits ein solches Gewicht erlangen, dass berufsbeendende Maßnahmen (Berufsverbot für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren oder Ausschließung aus dem Beruf (§ 90 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 StBerG) grundsätzlich zu erwägen wären. Eine - hohe Geldbuße - erscheint hier aber noch ausreichend.
    20

    1. a) aa)Die Ausschließung aus dem Beruf als schwerste Maßnahme kommt nach Art. 12 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn sie bei schweren Pflichtverletzungen zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts, nämlich des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtssuchenden in die Integrität des Berufsstands, geeignet und erforderlich ist. Die Gesamtabwägung muss zur Prognose führen, dass der Berufsangehörige als Steuerberater nicht mehr tragbar ist, weil von ihm noch eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht. Die Schwere der Pflichtverletzung allein ist nicht entscheidend. Ebenso wenig ist nur danach zu fragen, ob die Gefahr künftiger, vergleichbar schwerer Pflichtverletzungen durch den Steuerberater besteht. Über das individuelle Verhalten des Berufsangehörigen und seine Erklärungen hinaus ist auch darauf abzustellen, ob eine Gefahr für die Rechtspflege - wenn auch nur für einige Zeit - darin liegt, dass aufgrund der schweren Pflichtverletzung das für jede Rechtsberatung unabdingbare Vertrauen zwischen dem Berater und seinem Mandanten sowie die für eine sachgerechte Rechtsberatung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträchtigt ist. Dabei ist, wenn wie hier dem Pflichtverstoß eine Straftat zugrunde liegt, die indizielle Bedeutung ihres Gewichts, die auch in der Höhe der verhängten Strafe zum Ausdruck kommt, zu beachten (OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2009 - 2 StO 1/09). Die Gesamtabwägung muss zu der sicheren Prognose führen, dass von dem Betroffenen auch zukünftig schwerwiegende Gefahren für die Steuerrechtspflege ausgehen (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 11.12.2009 - 5/35 StL 7/09). Die Ausschließung aus dem Beruf setzt unter Berücksichtigung von Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung der Berufausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG u.a. voraus, dass das Verhalten des Steuerberaters unter Berücksichtigung der Gesamtumstände seiner Berufsausübung und seiner Persönlichkeit die sichere Prognose von auch künftig schwerwiegenden Gefahren für die (Steuer-) Rechtspflege begründet und er für den Beruf untragbar ist (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 7. Dezember 2018 - 5/35 StL 8/18). Entscheidend ist das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtssuchenden in die Integrität des Berufsstandes, soweit dies über bloße berufsständische Belange hinaus im Interesse der Rechtspflege liegt. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist zu prüfen, ob mildere Mittel ausreichen. Bei dieser Gesamtabwägung ist auch eine inzwischen eingetretene Konsolidierung der beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerberaters sowie der zeitliche Ablauf neben dem gegenwärtigen Verhalten und den Erklärungen des Steuerberaters zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1997 - StbSt (R) 6/97).
    21

    bb) Das befristete Berufsverbot - eingeführt durch das 8. StBÄndG 08 - darf als berufsgerichtliche Maßnahme nur zur Ahndung sehr schwerer Berufspflichtverletzungen angewendet werden, wenn Verweis und Geldbuße nicht mehr ausreichen, die Ausschließung aus dem Beruf aber noch nicht erforderlich ist (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 2. Dezember 2016 - 1 StL 14/16; Kuhls, Kommentar zum StBerG, 4. Auflage 2020, Bearbeiter Güntge, § 90 StBerG Rn. 36; Koslowski, 8. Auflage 2022, § 90 StBerG Rn. 11). Im Gesetzentwurf (Drucksache 16/7077, Seite 37) heißt es hierzu:

        "In den Katalog der berufsgerichtlichen Maßnahmen wird zusätzlich "Das Berufsverbot für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren" aufgenommen. Dies entspricht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, weil der zeitweise Ausschluss aus dem Beruf gegenüber dem dauerhaften Ausschluss aus dem Beruf einen weniger einschneidenden Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt."

    22

    Ein befristetes Berufsverbot ist insbesondere zu erwägen, wenn in dem Verhalten des Steuerberaters eine innere Einstellung zur (Steuer-) Rechtsordnung und zu dem Beruf des Steuerberaters erkannt werden kann, die als Gleichgültigkeit gegenüber den (berufs-) rechtlichen Anforderungen zu werten ist und im Interesse des rechtssuchenden Publikums zur Einwirkung auf den Steuerberater ein (zeitweises) Berufsverbot erzwingt (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 7. Dezember 2018 - 5/35 StL 8/18; LG Frankfurt, Urteil vom 4. Mai 2018 - 5/35 StL 13/17).
    23

    b) Unter Würdigung unter E I genannten Aspekte sind weder Berufsverbot noch Ausschließung aus dem Beruf veranlasst. Der Betroffene hat durch seine Einlassung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und wie er sein Fehlverhalten nicht nur als solches erkennt und einsieht, sondern dass er die Erfüllung berufsrechtlicher Verpflichtungen ernstnimmt und ihnen nicht gleichgültig gegenübersteht. Die straf- und letztlich auch berufsrechtlichen Vorwürfe sieht er als Ausfluss seines eigenen Fehlverhaltens und schiebt dieses nicht allein seinem ehemaligen Mitgesellschafter ... zu. Zwar waren nach dem Grundsatz der Gesamtverantwortung sowohl er als auch ... für die rechtzeitige Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärungen verantwortlich (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO). Letzterer allerdings hatte diese nach der - steuerstrafrechtlich zutreffenderweise nicht maßgeblichen - internen Aufgabenverteilung übernommen. In der Hauptverhandlung vor der Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen sind keine Umstände zutage getreten, aus denen auf eine Gleichgültigkeit des Betroffenen gegenüber den (berufs-) rechtlichen Anforderungen zu schließen wäre und auf die Annahme, von dem Betroffenen gingen auch zukünftig schwerwiegende Gefahren für die Steuerrechtspflege aus.
    24

    2. Unter Würdigung dieser Vorgaben und der genannten Zumessungsgesichtspunkte ist eine Geldbuße (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 StBerG) in der ausgesprochenen Höhe angemessen. Dabei war von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Verweis und Geldbuße zu kumulieren, weil die Geldbuße zur berufsgerichtlichen Ahndung des angeschuldigten Fehlverhaltens allein nicht ausreicht.

    F.
    25

    Eine berufsgerichtliche Maßnahme ist neben der bereits verhängten Strafe zusätzlich erforderlich, um das Ansehen des Berufs zu wahren (§ 92 Satz 2 2. Alt. StBerG).
    26

    I. 1. § 92 Satz 1 StBerG in der bis zum 31.07.2022 geltenden Fassung lautete wie folgt (Hervorhebung durch das Gericht):

        "Ist durch ein Gericht oder eine Behörde eine Strafe, eine Disziplinarmaßnahme, eine ehrengerichtliche Maßnahme, eine anderweitige berufsgerichtliche Maßnahme oder eine Ordnungsmaßnahme verhängt worden, so ist von einer berufsgerichtlichen Ahndung wegen desselben Verhaltens abzusehen, wenn nicht eine berufsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufs zu wahren."

    27

    Eine zusätzliche berufsgerichtliche Ahndung war danach nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn diese erforderlich ist, um den Steuerberater zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufs zu wahren. Beide Voraussetzungen mussten - dem Wortlaut des § 92 Satz 1 StBerG a. F. entsprechend - kumulativ vorliegen. Die Verbindung "und" wurde nicht als Redaktionsversehen angesehen. Allenfalls in der Verletzung von Pflichten der Berufsangehörigen untereinander sollten Fälle gesehen werden, in denen ein mit einer Strafe belegtes Verhalten eines Berufsangehörigen eine Verletzung seiner Berufspflichten darstelle, ohne gleichzeitig das Ansehen des Berufs zu schädigen. Das alleinige Abstellen auf das Erfordernis, den Berufsangehörigen zur Pflichterfüllung anzuhalten, führte zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 92 StBerG, die weder mit der grammatikalischen noch der teleologischen Auslegung zu vereinbaren sei. Es könne daher nicht nur allein die Wirkung auf den einzelnen Berufsangehörigen maßgeblich sein, sondern auch die Außenwirkung in Bezug auf das Ansehen des Berufsstandes in der Allgemeinheit. I. d. R. sei jedoch bei einem Fehlverhalten, das eine Berufspflichtverletzung darstelle, davon auszugehen, dass auch das Ansehen des Berufsstandes betroffen sei (vgl. Brisbois, DStR 2012, 1675).
    28

    Daher konnte eine berufsgerichtliche Ahndung neben einer strafrechtlichen Verurteilung wegen desselben Sachverhalts nur noch in Betracht kommen, um eine erforderliche erzieherische Wirkung auf den Berufsangehörigen auszuüben und zusätzlich das durch sein Verhalten beeinträchtigte Ansehen des Berufs zu wahren (vgl. OLG Celle, Urteil vom 06. Februar 2017 - 1 StO 1/16). Eine über die Bestrafung hinausgehende berufsgerichtliche Ahndung wurde dabei aber gerade in den Fällen, in denen das Strafverfahren zu einer erheblichen Bestrafung geführt hatte, in aller Regel zur Wahrung des Ansehens des Berufes als geboten angesehen (OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2009 - 2 StO 1/09 - dort 180 Tagessätze). Falsche Angaben in einer Steuererklärung, auch wenn es sich um die eigene handelt, wurden als in besonderem Maße geeignet angesehen, Achtung und Vertrauen in einer für das Ansehen des Berufes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen und auch dann ein disziplinärer Überhang angenommen, wenn der Steuerberater strafrechtlich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde (vgl. OLG München, Urteil vom 19. Juni 2008 - 2 StO 2/2008). Bei Steuerdelikten eines Steuerberaters wurde sogar regelmäßig und ohne weitere Prüfung die Notwendigkeit einer zusätzlichen berufsrechtlichen Ahndung gesehen (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 13.01.2015 - 1 StO 1/14).
    29

    Soweit Entscheidungen veröffentlicht sind, setzen sich die Gerichte vorrangig mit dem Erfordernis der berufsgerichtlichen Ahndung zur "Ansehenswahrung" auseinander. Scheinbar wird hier eine genauere Begründung für notwendig erachtet, wohingegen das Kriterium der erzieherischen Wirkung oftmals nur am Rande erwähnt und quasi unterstellt bzw. mit dem Gesetzeswortlaut begründet wird (so zutreffend Raab, DStR 2017, 1559 [OLG Celle 06.02.2017 - 1 StO 1/16] (1560)). Ob die Höhe der verhängten Strafe für den Entfall des disziplinären Überhangs maßgeblich ist, wurde uneinheitlich beurteilt: Das OLG München hat in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass "trotz der Höhe der verhängten Geldstrafe" eine berufsgerichtliche Ahndung erforderlich sei. Das OLG Koblenz scheint die gegenteilige Auffassung zu vertreten (so zutreffend Raab, DStR 2017, 743 (744)).
    30

    2. § 92 StBerG wurde durch Artikel 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (BRAORefG) umfassend geändert. Diese Änderungen sind am 01.08.2022 in Kraft getreten. § 92 Sätze 1 und 2 StBerG lauten nunmehr wie folgt (Hervorhebung durch das Gericht):

        "1Von einer berufsgerichtlichen Ahndung ist abzusehen, wenn

        1. durch ein Gericht oder eine Behörde wegen desselben Verhaltens bereits eine Strafe, eine Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten oder eine berufsaufsichtliche Maßnahme verhängt worden ist oder

        2. das Verhalten nach § 153a Absatz 1 Satz 5, auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2, der Strafprozessordnung nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann.

        2Satz 1 gilt nicht, wenn eine berufsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder die Berufsausübungsgesellschaft zur Erfüllung seiner oder ihrer Pflichten anzuhalten oder um das Ansehen des Berufs zu wahren." 

    31

    Wie der Wortlaut des § 92 Satz 2 StBerG neuer Fassung zeigt, ist es nun nicht mehr als Voraussetzung erforderlich, die kumulative Notwendigkeit zu sehen, eine erforderliche erzieherische Wirkung auf den Berufsangehörigen auszuüben und zusätzlich das durch sein Verhalten beeinträchtigte Ansehen des Berufs zu wahren. Es ist bereits ausreichend, wenn eine berufsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um das Ansehen des Berufs zu wahren.
    32

    Im Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 22.02.2021 (BT-Drucksache 55/21 Seite 359) bzw. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 17.03.2021 (BT-Drucksache 19/27670 Seite 299) heißt es zur Begründung dieser Änderung:

        "Die sprachliche Änderung in Satz 2 entspricht derjenigen in § 115b Satz 2 BRAO-E; auf die dortige Begründung wird deshalb ebenfalls verwiesen."

    33

    Der mit § 92 Satz 2 StBerG n. F. - angeblich - korrespondierende § 115 b Satz 2 BRAO erhielt hingegen folgende am 01.08.2022 in Kraft getretene Fassung (Seite 23 bzw. 26):

        "Satz 1 gilt nicht, wenn eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Rechtsanwalt oder die Berufsausübungsgesellschaft zur Erfüllung seiner oder ihrer Pflichten anzuhalten."

    34

    In der Begründung hierzu heißt es (Seite 253 bzw. 213):

        "Zudem soll es künftig neben dem inhaltlich unverändert bleibenden Erfordernis, dass die weitere Maßnahme erforderlich sein muss, um die Rechtsanwältin, den Rechtsanwalt oder die Berufsausübungsgesellschaft zur Erfüllung ihrer oder seiner Pflichten anzuhalten, nicht mehr darauf ankommen, ob die weitere Maßnahme auch erforderlich ist, um das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren. Denn die wesentliche Erwägung ist, ob die Maßnahme erforderlich ist, um die künftig ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten sicherzustellen. Ist dies der Fall, ist nicht erkennbar, warum von der Maßnahme trotzdem abgesehen werden sollte, nur weil angeblich das Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht berührt sei. Denn dann wäre trotzdem mit weiteren Pflichtverletzungen zu rechnen, was nicht sachgerecht sein kann. Im Übrigen weist auch Reelsen (in Weyland, BRAO, 10. Auflage 2020, § 115b BRAO, Rn. 33) zutreffend darauf hin, dass grundsätzlich jedes mit der anwaltlichen Berufstätigkeit zusammenhängende Delikt geeignet ist, das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt in der Öffentlichkeit zu schädigen. Bei den von ihm im Folgenden genannten Ausnahmefällen, bei denen aufgrund mangelnder negativer Wirkung in der Öffentlichkeit ein Absehen möglich sein soll (beispielsweise persönlichen Ausnahmesituationen bei Begehung der Pflichtverletzung) wird es regelmäßig schon an der Erforderlichkeit der Maßnahme für die künftige Pflichterfüllung fehlen. Im Ergebnis ist auf das zusätzliche Erfordernis daher zu verzichten."

    35

    Tatsächlich entspricht die Änderung in § 92 Satz 2 StBerG n. F. nicht dem § 115b Satz 2 BRAO n. F.: Während letzterer ausdrücklich auf das Erfordernis verzichtet, die Maßnahme müsse erforderlich sein, um das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren, blieb dieses in § 92 Satz 2 StBerG dem Grund nach beibehalten, wobei das "und" durch ein "oder" ersetzt wurde. Nach dem in Kraft getretenen eindeutigen Wortlaut des § 92 Satz 2 StBerG n. F. ist es nunmehr - auch und wahlweise - allein ausreichend, wenn die berufsgerichtliche Maßnahme erforderlich ist, um das Ansehen des Berufs zu wahren. Die inhaltlich nicht zutreffende Bezugnahme in der Gesetzesbegründung ("Die sprachliche Änderung in Satz 2 entspricht derjenigen in § 115b Satz 2 BRAO-E; auf die dortige Begründung wird deshalb ebenfalls verwiesen.") lässt zwar ein gesetzgeberisches Versehen vermuten. Die Ersetzung des Wortes "und" durch den Begriff "oder" legt allerdings eher eine bewusste Änderung in diesem Sinne nahe, anderenfalls es bei der alten Fassung geblieben wäre.
    36

    3. Im Falle der Begehung von Steuerstraftaten durch einen Steuerberater wird - unabhängig von der Frage, ob diese den privaten oder unternehmerischen Bereich betreffen und unter Würdigung im Einzelfall bestehender Besonderheiten - regelmäßig eine berufsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich sein, um das Ansehen des Berufes zu wahren. Steuerberater genießen in der Öffentlichkeit ein besonderes Vertrauen in Bezug auf ihre Rechtschaffenheit und Befähigung. Ihr Berufsverhältnis ist im Hinblick darauf gleich dem der Rechtsanwälte gesetzlich geregelt. Diese Heraushebung des Berufsbildes hat ein entsprechendes Maß an Pflichtenbindung und Verantwortlichkeit zur Folge. Einen solchen Pflichtenverstoß ohne berufsrechtliche Folgen hinzunehmen, stieße in der Öffentlichkeit auf Unverständnis.
    37

    Auf die Frage, ob eine berufsgerichtliche Maßnahme in diesen Fällen zusätzlich erforderlich ist, um den Steuerberater zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (was im Falle lange zurückliegender Steuerstraftaten und ansonsten beanstandungsfreiem beruflichen Verhalten zuvor und danach durchaus zweifelhaft sein kann), kommt es - jedenfalls im Rahmen der Prüfung des § 92 Satz 2 StBerG - nicht mehr an.
    38

    II. Unter Würdigung dieser Vorgaben ist die berufsrechtliche Maßnahme geboten, um das Ansehen des Berufsstandes zu wahren (§ 92 Satz 2 2. Alt. StBerG). Die Berufspflichtverletzung des Betroffenen ist anhand der hohen im Führungszeugnis einzutragenden (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Nr. 1; § 32 Abs. 2 Nr. 5b) BZRG) gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe überdies von solchem Gewicht, dass eine zur Strafe hinzutretende Ahndung zur Wahrung des Ansehens des Berufes unerlässlich ist.

    G.
    39

    Die Kostenfolge ergibt sich aus § 148 StBerG.

    Vorschriften§ 90 Abs. 1 Nr. 3 StBerG § 92 Abs. 2 StBerG