20.02.2025 · IWW-Abrufnummer 246677
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 10.12.2024 – 3 Ws 231/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt 3. Strafsenat, Beschluss vom 10.12.2024, Az. 3 Ws 231/24
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiesbaden wird der Beschluss der 6. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Wiesbaden vom 12. Februar 2024 aufgehoben.
Das Hauptverfahren wird unter Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom 30. September 2021 vor einer anderen großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden eröffnet.
Die Entscheidung über die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 2, 3 GVG) bleibt der Strafkammer vorbehalten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen den Angeklagten zur Last.
Gründe
I.
Mit der Anklageschrift vom 30. September 2021 wirft die Staatsanwaltschaft Wiesbaden den Angeschuldigten vor, im Zeitraum vom 19. März 2004 bis zum 11. Oktober 2007 in Stadt1 und anderen Orten, die Angeschuldigten B und A jeweils durch zwei selbstständige Handlungen, der Angeschuldigte C durch drei selbstständige Handlungen - jeweils gemeinschaftlich handelnd - Steuern hinterzogen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO) zu haben, wobei der Angeschuldigte E in drei Fällen und der Angeschuldigte D in zwei Fällen hierzu Hilfe geleistet haben sollen.
Die Strafkammer hat mit der angefochtenen Entscheidung die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen abgelehnt. Sie hat hierzu ausgeführt, dass der für die Eröffnung des Verfahrens erforderliche hinreichende Tatverdacht nicht begründet werden könne, weil im Fall 1 der Anklage schon keine Straftat vorliege, hinsichtlich der Fälle 2 und 3 der Anklage kein Vorsatz angenommen und ein Gehilfenvorsatz der Angeschuldigten D und E nicht begründet werden könne. Wegen des Ganges des Verfahrens und der näheren Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.Dagegen hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, die Entscheidung aufzuheben und die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem dem Landgericht Wiesbaden benachbarten Gericht gleicher Ordnung zur Hauptverhandlung zuzulassen.
II.
Auf die gemäß § 210 Abs. 2 1. und 2. Alt. StPO zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und unter Zulassung der Anklage das Hauptverfahren vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zu eröffnen.
Das Hauptverfahren war nach § 203 StPO zu eröffnen, weil ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeschuldigten entsprechend den Ausführungen in der Anklageschrift vorliegt. Nach dem sich aus den vorliegenden Akten ergebenden vorläufigen Ermittlungsergebnis ist die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung wegen der angeklagten Taten nach §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO, 25 Abs. 2., 27 Abs. 1 StGB überwiegend.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu folgendes ausgeführt:
„Das Landgericht Wiesbaden hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Unrecht aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gemäß § 204 Abs. 1 Alt. 1 StPO abgelehnt.
Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der ihm vorgeworfenen Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Der unbestimmte Rechtsbegriff „hinreichender Tatverdacht" eröffnet insoweit einen Beurteilungsspielraum (BVerfG, NStZ 2002, 606; BGH, NJW 1970, 1543). Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO der Fall ist (vgl. BGH, NJW 1970, 1543, 1544; BeckRS 2003, 04494). Die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts umfasst sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen als auch die rechtliche Bewertung der Tat (BeckOK StPO/Gorf, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 170 Rn. 2). Hinreichender Tatverdacht ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhaltes, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2023 - StB 35/23 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht in der Regel, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Deshalb ist das Hauptverfahren nicht erst dann zu eröffnen, wenn die Verurteilung nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens überwiegend wahrscheinlich oder gar sicher ist, sondern schon in Zweifelsfällen mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung, die nur mit den besonderen Erkenntnismitteln und besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung zu klären sind (vgl. OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 08613; OLG Koblenz, NJW 2013, 98; Löwe/Rosenberg-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage, § 203 Rn. 13). Der Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo" gilt dabei nicht. Schwierige und zweifelhafte Tatfragen dürfen nicht nach Aktenlage im Wege der nichtöffentlichen, lediglich vorläufigen Tatbewertung des Gerichts endgültig entschieden werden.
Vom Erfordernis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verurteilung kann in Ausnahmefällen abgesehen werden, wenn es bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung notwendig erscheint, die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung in Anspruch zu nehmen. Die Eröffnungsentscheidung soll erkennbar aussichtlose Fälle ausfiltern, aber der Hauptverhandlung ansonsten nicht vorgreifen, insbesondere nicht in beweisrechtlich hochsensiblen Fällen. Zweifelhafte Tatfragen stehen der Eröffnung nicht entgegen, wenn in der Hauptverhandlung durch die Bewertung der Einlassung des Angeschuldigten, widersprechender Zeugenaussagen oder einzuholender Gutachten eine Klärung zu erwarten ist, die wahrscheinlich zu einer die Verurteilung tragenden Grundlage führen wird. Das Gericht ist dabei gehalten, die Beurteilung einerseits in Erfüllung seiner umfassenden Kognitionspflicht aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses vorzunehmen, andererseits aber auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen (OLG Karlsruhe BeckRS 2007, 32860; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. § 203 Rn. 2).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes erscheint eine Verurteilung aller fünf Angeschuldigten wegen Steuerverkürzungen bzw. Beihilfe zu diesen nach Maßgabe der Anklageschrift wahrscheinlich, weil sowohl die Erklärung unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in den Körperschaftsteuerklärungen durch die Verantwortlichen der Deutsche Pfandbrief AG für die Veranlagungsjahre 2004, 2005 und 2006 als auch der diesbezügliche Hinterziehungsvorsatz i.S.d. § 16 StGB mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann.“
Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat zur Begründung ihrer Beschwerde mit Verfügung vom 15.05.2024 folgendes ausgeführt:
„Hinsichtlich des Sachverhaltes wird auf die Anklageschrift vom 30.09.2021 verwiesen, dort insbesondere auf die Seiten 5 bis 34, auf denen sowohl dargelegt wird, welche vertragliche Gestaltung zwischen der Bank1 und der Bank2 dem Verfahren zu Grunde liegt als auch, welche Angaben die Angeschuldigten im Rahmen der Körperschaftssteuererklärungen für die Geschäftsjahre 2004, 2005 und 2006 gegenüber dem zuständigen Finanzamt machten.
Die Angeschuldigten haben in den für die Bank1 abgegebenen Körperschaftssteuererklärungen falsche bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und hatten hierzu auch einen entsprechenden Vorsatz. Dabei stellen sich zwei Kernprobleme. Zum einen hatte die Bank1 nach den Verträgen und deren tatsächlicher Umsetzung nicht die für das Steuerrecht erforderliche Eigentümerstellung in Bezug auf die als Sicherheit hereingenommenen Aktien erlangt, was die Angeschuldigten jedoch gegenüber den Finanzbehörden erklärten.
Die Konstellation war so gestaltet, dass die Bank1 keine Marktchancen und -Risiken im Zusammenhang mit den Aktien erlangte und sie über die Aktien weder verfügen konnte noch sollte, die Aktien also nicht Teil von Wirtschaftsgeschäften der Bank1 waren. Diese nahm lediglich eine Formalposition ein, mit der die Angeschuldigten gegenüber dem Finanzamt einen Steuerbefreiungstatbestand darstellten, der ihr tatsächlich nicht zustand. Zum anderen stellt sich im Rahmen des subjektiven Tatbestandes die Frage, ob Gutachten, die von Anbietern des Steuervermeidungsmodells zur Verfügung gestellt wurden und deren begutachtete Sachverhalte erkennbar von dem der Bank1 abwichen, einen Tatbestandsirrtum begründen können. Dasselbe gilt für ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten, an dessen Erstellung die Angeschuldigten mitgewirkt haben und das einen für die steuerrechtliche Würdigung kritischen Punkt wissentlich außer Acht lässt, welches aber vom Landgericht als unparteiisch, neutral und ergebnisoffen eingestuft wurde. Insbesondere auf diese Kernprobleme wird im Folgenden einzugehen sein.
I. Falsche/ unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen
1. Falsche/ unvollständige Darstellung von Tatsachen
Die Angeschuldigten machten in allen drei Fällen im Rahmen der Körperschaftssteuererklärungen unrichtige bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen. Hinsichtlich der Veranlagung für das Jahr 2004 ist dies offensichtlich und wurde auch durch das Landgericht Wiesbaden so gesehen. Hier enthalten die Steuererklärung und der zugehörige Wirtschaftsprüfbericht nur sehr spärliche Angaben zu den als Sicherheiten hereingenommenen Aktien erzielten Dividenden. Die Einbettung in eine umfassende vertragliche Gestaltung im Sinne eines Modells zur Steuervermeidung wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn dessen nähere Ausgestaltung dargestellt; ebenso wenig die an die Bank2 geleisteten Provisionszahlungen oder die in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Wertpapierdarlehen. Damit war den Finanzbehörden eine Prüfung und rechtliche Bewertung der Konstellation in keiner Weise möglich.
Soweit die Körperschaftssteuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 betroffen sind, geht das Landgericht Wiesbaden davon aus, dass den Finanzbehörden durch die Steuererklärungen und die zugehörigen Wirtschaftsprüfberichte alle steuerlich erheblichen Tatsachen mitgeteilt wurden. Nach hiesiger Ansicht ist dies jedoch nicht der Fall. Die Angaben betreffend die Jahre 2005 und 2006 waren zwar ausführlicher als im Jahr 2004, sie waren aber dennoch teilweise unrichtig, insbesondere aber unvollständig.
Steuerlich erheblich sind Tatsachen dann, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen werden müssen und damit Grund und Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen oder wenn sie die Finanzbehörde zur Einwirkung auf den Steueranspruch sonst veranlassen können (BGH, Urteil vom 27.09.2002 - 5 StR 97/02).
Voraussetzung für das Erlangen des Steuervorteils gemäß der damals geltenden Fassung des § 8b Abs. 1 und Abs. 5 KStG war, dass die Bank1 als Hypothekenbank das wirtschaftliche Eigentum an den als Sicherheit hereingenommenen Aktien erlangte, ihr die Aktien als Wirtschaftsgüter zuzurechnen sind, § 20 Abs. 2a EStG a.F.
Bei Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO, wonach Sicherheiten grundsätzlich dem Sicherungsgeber zuzurechnen sind, wäre der Steuervorteil der Bank1 nicht zugutegekommen. Die Aufnahme der Aktien in die eigene Unternehmensbilanz und der Ansatz der hereingenommenen Dividenden als nur zu 5% steuerpflichtig in der Steuererklärung beinhalten somit die konkludente Erklärung, wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden zu sein und zwar in einer Weise, die die Anwendung der Regelvermutung aus § 39 Abs. 2 Nr.1 S.2 AO ausschließt.
Nach der von der Bank1 und der Bank2 gewählten vertraglichen Gestaltung kam es gerade nicht zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien. Dies würde voraussetzen, dass die Bank1 zumindest für die gewöhnliche Nutzungsdauer die Sachherrschaft über die Aktien in einer Weise innehatte, dass sie die Bank2 von der Einwirkung auf die Aktien hätte ausschließen können, der Bank1 der wirtschaftliche Nutzen der Sicherungsaktien zu Gute kam und sie zugleich die wirtschaftlichen Risiken zu tragen hatte.
Die Sachherrschaft der Bank1 war jedoch extrem eingeschränkt. Es fehlte an der für den Eigentumsübergang notwendigen Festigkeit der Übertragung. So sahen die Verträge unter anderem vor, dass die Aktien jederzeit durch die Bank2 ausgewechselt werden konnten. Entscheidend war lediglich, dass der Gesamtwert der Sicherheiten gleichblieb. Auch eine Weiterveräußerung der Aktien durch die Bank1 war ausgeschlossen. Eine Weiterveräußerung hätte auch dem nach dem Modell gewünschten Tatbestand des § 8b Abs. 1 KStG entgegengestanden. Dieser ist bei einem Aktienhandel ausweislich § 8b Abs. 7 KStG nicht anzuwenden. Hinzu kommt, dass die Aktien der Bank1 jeweils sehr kurzzeitig über den jeweiligen Dividendenstichtag überlassen wurden, sodass eine Ausübung der zugehörigen Stimmrechte praktisch nicht möglich und offenbar von den Vertragsparteien auch nicht beabsichtigt war.
Weiter vereinnahmte die Bank1 zwar die Dividenden, diese wurden jedoch mit den von der Bank2 auf die entliehenen Wertpapiere erhaltenen Zinsen verrechnet. Wirtschaftlich verblieben die Dividendenvorteile damit beim Sicherungsgeber, während die Bank1 ihrerseits bei wirtschaftlicher Betrachtung ihre Zinsansprüche an den verliehenen Wertpapieren nie aufgegeben hat. Die Bank1 hatte bezüglich der Sicherungsaktien eine reine Formalposition zur Erlangung des Steuervorteils inne, nicht aber eine Eigentümerstellung, die ihr die direkten wirtschaftlichen Vorteile aus den Aktien einbrachte.
Auch die wirtschaftlichen Risiken der Sicherungsaktien gingen nicht auf die Bank1 über. Nach Ablauf der Leihzeit (und ohne Zwischennutzung) gab die Bank1 die Aktien zurück, ohne dass es auf den Kurswert ankam.
Damit war ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums im Sinne des § 39 AO nicht gegeben oder zumindest äußerst zweifelhaft. Die Angeschuldigten traf die Verpflichtung, den Finanzbehörden alle Tatsachen mitzuteilen, die diese benötigten, um einen Eigentumsübergang und den daraus resultierenden Anspruch auf den Steuervorteil hinsichtlich der Dividenden eigenständig und sachgerecht prüfen zu können.
Dabei machten die Angeschuldigten betreffend die Jahre 2005 und 2006 zwar etwas mehr Angaben als noch betreffend 2004. Es wurde dargelegt, dass die Geschäfte auf Grundlage eines „Rahmenvertrages für Wertpapierleingeschäfte" erfolgten, was den Finanzbehörden den Schluss erlaubte, dass zwischen der Wertpapierleihe und der Hereinnahme der Sicherungsaktion eine Verknüpfung bestand. Auch wurden einige Grundzüge der Vertragsgestaltung grob dargelegt.
Das Landgericht sieht dies in seinem Beschluss als ausreichend an und betont dabei insbesondere, zum Tatzeitpunkt sei ein anderer Maßstab anzulegen gewesen als dies nach aktueller Rechtsprechung von BGH und BFH der Fall sei. Es sei insbesondere nicht nötig gewesen, das vertragliche Gesamtkonzept in allen Einzelheiten darzulegen. Erstmals durch Urteil vom 16.04.2014 habe der BFH in einem sog. cum-ex-Fall angenommen, dass das wirtschaftliche Eigentum dann ausscheide, wenn der Erwerb der Aktien mit einem modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzept verbunden ist, nach welchem der Initiator den Anteilserwerb fremdfinanziert, der Erwerber der Aktien diese unmittelbar nach ihrem Erwerb dem Initiator im Wege einer sog. Wertpapierleihe bis zum Rückverkauf weiterreicht und der Erwerber das Marktpreisrisiko der Aktien im Rahmen eines sog. Total-return Swap-Geschäfts auf den Initiator überträgt (Leitsatz des Urteils vom 16.04.2014, I R 2/12). In der Folge legt das Landgericht Wiesbaden weitere Rechtsprechung des BFH und des Hessischen Finanzgerichts dar, die im Anschluss an dieses erste Urteil erging. Hierzu wird insbesondere auf Seite 16 des Beschlusses verwiesen.
Es trifft zu, dass die Vertragsgestaltungen in den sogenannten cum-ex-Fällen einige Parallelen zu der hier verfahrensgegenständlichen Vertragskonstellation aufweisen und der Begriff des „Gesamtvertragskonzeptes" in den entsprechenden Entscheidungen zu cum-ex-Fällen seit 2014 immer wieder auftaucht. Jedoch entspricht es nicht den Tatsachen, dass die Rechtsprechung erst ab diesem Zeitpunkt bei der Frage des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs auf eine Würdigung des Gesamtsachverhaltes abgestellt habe.
Der BFH hat bereits lange zuvor in ständiger Rechtsprechung zu §§ 39 und 42 AO klargestellt, dass für die Rechtsanwendung das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall bzw. die gesamten Umstände des Einzelfalles maßgebend sind (vgl. beispielhaft BFH-Urteil vom 15.12.1999, IR 29/97 sowie BFH-Urteil vom 10.09.1992, V R 104/91). Diese Würdigung der Gesamtverhältnisse drückt indes nichts Anderes aus als der später im Rahmen der cum-ex-Rechtsprechung geprägte Begriff des Gesamtvertragskonzeptes.
Auch der BGH hat in seinem Urteil vom 10.11.1999 (5 StR 221/99) die Offenlegungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist, dargelegt. Zugleich hat er entschieden, dass der Gesamtsachverhalt offenzulegen ist und es dem Steuerpflichtigen nicht freisteht, nur einen Teil der Tatsachen richtig vorzutragen und andere Einzelheiten, die für die steuerliche Beurteilung eines Vorgangs bedeutsam sein können, zu verschweigen.
Eine Sichtweise, wonach nur ein Teil des Gesamtsachverhaltes für die rechtliche Würdigung heranzuziehen ist und demnach offengelegt werden braucht, gab es in der Rechtsprechung auch zur Tatzeit nicht. Der vom Landgericht angelegte Maßstab ist damit unzutreffend. Die Tatsachen, die den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums in Frage stellten, wurden jedoch gerade nicht angegeben und damit nur einzelne Ausschnitte der Gesamtumstände des Einzelfalles mitgeteilt. Weder die jederzeitige Ersetzungsbefugnis der Aktien durch die Bank2 noch der Ausschluss eines Zwischenhandels wurden dargelegt. Auch wurde nicht erwähnt, dass keine Kursrisiken und -chancen eintreten sollten und eine Verrechnung der Dividenden mit den Zinsen erfolgte.
Die Angeschuldigten können sich auch nicht darauf berufen, ihrer Rechtsauffassung nach habe ein wirksamer Übergang des wirtschaftlichen Eigentums stattgefunden und sie hätten alle bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung relevanten Tatsachen korrekt mitgeteilt.
Zwar steht es jedem Steuerpflichtigen frei, offen oder verdeckt eine ihm günstige steuerrechtliche Gestaltung zu wählen (BGH, Urteil vom 10.11.1999 - 5 StR 221/99; Juris Rn.23), er ist jedoch verpflichtet, eine Prüfung des Sachverhaltes durch die Finanzbehörden dadurch zu ermöglichen, dass er zumindest diejenigen Sachverhaltsmomente mitteilt, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist (BGH, Beschluss vom 08.08.1985, 2 Ars 223/85). Die objektive Zweifelhaftigkeit der Eigentumsübergangs und die sich daraus ergebende Relevanz einzelner nicht mitgeteilter Aspekte der Vertragsgestaltung wurde bereits dargelegt. Außerdem wird im Rahmen der Ausführungen zum subjektiven Tatbestand noch darzulegen sein, dass auch die Angeschuldigten zumindest Zweifel daran hatten, ob die Bank1 wirtschaftliche Eigentümerin der als Sicherheit erhaltenen Aktien geworden ist. Auch der Umstand, dass die Finanzbehörden möglicherweise durch Nachfragen und weitere Prüfungen in der Lage gewesen wären, Kenntnis vom Gesamtsachverhalt zu erlangen, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Ob und in welchem Umfang die Finanzämter überhaupt zu entsprechenden Nachfragen verpflichtet sind oder dies angesichts des Charakters des Veranlagungsverfahrens als Massenverfahren zu einer Überforderung führen würde, kann an dieser Stelle dahinstehen. Selbst wenn man eine Pflicht zu Rückfragen annehmen würde, so können diese jedenfalls nur dann erfolgen, wenn sich aus den vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben überhaupt ein Anlass zu der Annahme ergibt, dass Rückfragen erforderlich sein könnten. Dies war vorliegend nicht der Fall. Nach den gemachten Angaben hatte es den Anschein, dass ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gegeben war. Alle Tatsachen, die den Verdacht nahegelegt hätten, es könne eine Abweichung von diesem Normalfall vorliegen, wurden gerade verschwiegen. Dass Nachfragen zu einer anderen rechtlichen Bewertung hätten führen können, war für die Finanzbehörden nicht ersichtlich.
Im Ergebnis haben die Angeschuldigten konkludent erklärt, es sei ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien erfolgt, eine Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten durch die Finanzverwaltung jedoch nicht ermöglicht, indem wesentliche Tatsachen falsch dargestellt bzw. verschwiegen wurden.
Der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden geht davon aus, im Falle einer Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung könne nur dann ein Gestaltungsmissbrauch gegeben sein, wenn eine im Zeitpunkt der Tatbegehung von der Rechtsprechung herausgearbeitete Fallgruppe betroffen sei. Unabhängig von der Frage, ob hierbei zu hohe Anforderungen gestellt werden oder nicht, unterfällt die vorliegende Gestaltung - entgegen der Auffassung der Kammer - einer solchen Fallgruppe.
Die mit der Bank2 getätigten Geschäfte waren vor Steuern wirtschaftlich nicht rentabel. Die aus den jeweils hereingenommenen Wertpapieren erzielten Einnahmen - Zinsen bzw. Dividenden - wurden miteinander verrechnet und die Bank1 zahlte darüber hinaus an die Bank2 eine als „Beratungskosten" bezeichnete Geldleistung, welche die für die Wertpapierleihe erhaltene Leihgebühr überstieg. Damit war die Bank1 zunächst bereit, mehr zu bezahlen als sie durch die Vereinnahmung der Dividenden erhielt. Ein Plus für die Bank1 ergab sich erst durch die Berücksichtigung des Steuervorteils. Dieser war die einzige Motivation für die Geschäfte mit der Bank2, deren eigentliches Handelsgut. Auch das Hessische Finanzgericht, das über den vorliegenden Fall zu entscheiden hatte, zeigte sich überzeugt, „dass den Geschäften ausschließlich eine steuerliche Motivation zugrunde lag (Urteil vom 28.01.2020, 4K 890/17, Rn. 215 nach juris). Eine solche Konstellation stellt eine in der Finanzrechtsprechung seit vielen Jahren anerkannte Fallgruppe des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO dar (beispielhaft dazu BFH-Urteil vom 14.01.1992, IX R 33/89, Urteil vom 27.07.199, VIII R 36/98). Beide Urteile wurden durch die Finanzverwaltung amtlich veröffentlicht (BStBI 11 1992, 549 bzw. 11 1999, 769), so dass sie nach BGH Urteil vom 10.11.1999, 5 StR 221/99, juris Rn. 26 den Maßstab für die Offenlegungspflicht bildeten. Eine Gestaltung, die für sich betrachtet keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zu Grunde gelegt werden und ist per se unangemessen im Sinne des § 42 AO (BFH Urteile vom 27.07.1999, VIII R 36/98 und vom 14.01.2003, IX R 5/00 sowie BFH Urteil vom 21.08.2012, VIII R 32/09), weshalb die zu Grunde liegenden Tatsachen den Finanzbehörden in einer Weise hätten dargelegt werden müssen, die eine Prüfung und ggf. Anwendung dieser Vorschrift ermöglichten.
Nach hiesigem Dafürhalten sind für die Frage, welche Tatsachen mitgeteilt werden müssen, um eine Prüfung der wirtschaftlichen Rentabilität vor Steuern und damit eine Prüfung der Anwendbarkeit des § 42 AO zu ermöglich, die gleichen Maßstäbe anzulegen wie oben zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums dargelegt. Die Finanzverwaltung darf zunächst davon ausgehen, dass von einer Bank getätigte Geschäfte auch vor Steuern wirtschaftlich rentabel sind und es obliegt dem Steuerpflichtigen, Tatsachen offenzulegen, aus denen sich mögliche Abweichungen von diesem Normalfall ergeben. Solche Tatsachen müssten den Finanzbehörden klar und offen unterbreitet werden. Es reicht nicht aus, einzelne Sachverhaltsausschnitte verteilt in einem umfangreichen Schriftstück von mehreren hundert Seiten zu präsentieren und es den Sachbearbeitern des Finanzamtes zu überlassen, diese Ausschnitte zusammenzusuchen, weitere umfangreiche und nicht erkennbar fehlende Informationen vom Steuerpflichtigen zu erfragen und sich daraus den Gesamtsachverhalt zu erschließen.
Die wirtschaftliche Unrentabilität vor Steuern entstand vor allem durch die von der Bank1 an die Bank2 geleisteten Provisionszahlungen. Diese wurden zwar in den Wirtschaftsprüfberichten betreffend die Jahre 2005 und 2006 erwähnt, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Darstellung des vertraglichen Gesamtkonzeptes, sondern an räumlich weit entfernter Stelle in einem mehrere hundert Seiten umfassenden Gesamtwerk.
Es war damit schon aufgrund der räumlichen Anordnung nicht erkennbar, dass diese Zahlungen zum selben Gesamtsachverhalt gehörten wie die Wertpapierleihe und die Vereinnahmung der Dividende auf die Sicherungsaktien.
Außerdem wurden die Provisionen wahrheitswidrig als „Beratungskosten" bezeichnet, obwohl durch die Bank2 plc, also die Empfängerin der angeblichen Beratungshonorare, nie eine Beratungsleistung erbracht worden war. Die Konzeption des Vertragsmodells war vielmehr durch die Firma F mbH erarbeitet und gemeinsam mit der Bannk2 plc vermarktet worden. Indem die Angeschuldigten den Eindruck erweckten, es seien Beratungsleistungen durch die Bank2 erbracht und hierfür Honorare gezahlt worden, machten sie objektiv unrichtige Angaben.
Auch wurde die Bank2 nur bei der Darstellung der angeblich gezahlten Beratungskosten erwähnt, jedoch bei der Darstellung der Geschäfte selbst nicht als Vertragspartner genannt. Schon aus diesem Grunde war es aufgrund der den Finanzbehörden übermittelten Informationen nicht möglich, einen entsprechenden Zusammenhang zu erkennen. Sie verschleierten damit sowohl den Umstand, dass es sich um wirtschaftlich nicht rentable Geschäfte handelte als auch die Art der Kosten.
2. Auswirkung der falschen/ unvollständigen Darstellung
Auch die als Zeugen vernommenen Sachbearbeiter der Finanzämter gaben an, bei Kenntnis der gesamten Vertragsgestaltung (und nicht lediglich der von den Angeschuldigten an die Finanzbehörden übermittelten Teilaspekte) hätten sie weitere Maßnahmen ergriffen. Insbesondere der Zeuge G (HA Bd. VI, BI. 1143 ff) gab an, die jeweils mit den Körperschaftssteuererklärungen übergebenen Unterlagen hätten nicht zur Prüfung des wirtschaftlichen Eigentumsüberganges genügt und bei Mitteilung weitergehender Tatsachen hätten hieran „erhebliche Zweifel" bestanden.
Das Landgericht Wiesbaden ist der Auffassung, diese Zeugenaussagen seien ebenfalls vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sie erst nach Ergehen der Cum-Ex-Rechtsprechung des BFH gemacht worden seien und die Zeugen deshalb an die Wertungen des § 39 AO andere Maßstäbe anlegen würden als die Zeugen dies zur Tatzeit getan hätten. Hierzu ist zu sagen, dass die vom Landgericht angenommene Änderung der Bewertung durch die cum-ex-Rechtsprechung wie oben dargelegt nicht stattgefunden hat. Im Kern hatten die Zeugen zur Tatzeit dieselben Bewertungsmaßstäbe anzulegen wie zum Vernehmungszeitpunkt, auch wenn sich teilweise die in der Rechtsprechung verwendeten Begrifflichkeiten geändert hatten.
Insbesondere die vom Zeugen G verwendete Formulierung „aus heutiger Sicht" bezieht sich nicht auf eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung der Beurteilungsmaßstäbe sondern vielmehr auf seine inzwischen umfassendere Kenntnis der Vertragsgestaltung. Zum Tatzeitpunkt war ihm lediglich bekannt, was die Angeschuldigten in den Steuererklärungen und den zugehörigen Wirtschaftsprüfungsberichten mitgeteilt hatten. Zum Vernehmungszeitpunkt waren ihm deutlich mehr Tatsachen bekannt, die für die Prüfung des wirtschaftlichen Eigentums relevant waren.
II. Subjektiver Tatbestand
Die Angeschuldigten nahmen bei Abgabe der Steuererklärungen für die Bank1 auch zumindest billigend in Kauf, nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen korrekt mitgeteilt zu haben. Hierfür ist notwendig, aber auch ausreichend, dass die Angeschuldigten die eine Steuerhinterziehung ausfüllenden objektiven Tatbestandsmerkmale im Rahmen einer „Parallelwertung in der Laiensphäre" zutreffend erfassten (vgl. FG Köln, Urteil vom 16.01.2019-11 K 2194/16, juris Rn 71.).
Dass dies zutrifft, ergibt sich aus den immer wieder von den Angeschuldigten gegenüber Zeugen gemachten Aussagen und ihrem Verhalten, das in der Anklage detailliert dargestellt wurde. Beispielhaft sei hier die vom Zeugen H beschriebene Besprechung vom 14.12.2005 zu nennen (vgl. HA Bd. IX, BI. 1721 ff). In dieser Besprechung wurde laut eines Memos der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X über die Frage des Übergangs des Sicherungseigentums diskutiert. Als im Rahmen dieser Besprechung der Zeuge Hgegenüber dem Zeugen I die steuerlichen Risiken der verfahrensgegenständlichen Geschäfte ansprach, zog der Angeschuldigte D - nach Darstellung des Zeugen H - seinen Pullunder über den Kopf und äußerte, davon wolle er nichts hören. In einem Protokoll der Besprechung wurde später vermerkt, der Angeschuldigte habe plötzlich Ohrenschmerzen bekommen und nichts mehr gehört. Die Zeugin J gab an, dieser Vermerk sei so zu verstehen, dass der Angeschuldigte die Auffassung des Zeugen H nicht habe hören wollen (vgl. HA Bd. VIII, B1.1654f). Auch hinsichtlich des Nachtatverhaltens, das auf Verdeckung der Vertragsgestaltungen gegenüber den Finanzbehörden gerichtet war, wird auf die Anklage verwiesen, dort insb. S. 161 ff.
Der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden kommt zu dem Schluss, dass die Angeschuldigten deshalb davon ausgehen durften, alle Erklärungen korrekt abgegeben zu haben, weil ihnen im Vorfeld durch mehrere Rechtsgutachten der Eindruck vermittelt worden sei, weder die Frage des Eigentumsübergangs an den Sicherungsaktien noch die eines möglichen Gestaltungsmissbrauchs sei letztlich steuerlich bedenklich.
Im Ergebnis vermag jedoch keines der Gutachten den Vorsatz der Angeschuldigten auszuschließen und einen Tatbestandsirrtum zu begründen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Gutachter gegenüber den Angeschuldigten im Rahmen neutral und ergebnisoffen erstatteter Gutachten klare und eindeutige Aussagen zu der konkreten Vertragskonstellation gemacht hätten. Keines der Gutachten kann jedoch diese Anforderungen erfüllen.
1. Gutachten der Kanzlei K L (Anlageband 1, BI. 47 ff)
In den Geschäftsräumen der Bank1 AG wurde ein Gutachten aufgefunden, welches Rechtsanwälte der Kanzlei K L am 26.01.2004 erstellt und an die Zeugin M von der Bank2 adressiert hatten. Dieses Gutachten prüft die dem „Steuermodell" zu Grunde liegende Vertragsgestaltung im Auftrag der Bank2 und kommt zu dem Schluss, die Gestaltung sei nicht unangemessen und daher ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO nicht gegeben. Allerdings verweist das Gutachten ausdrücklich auf Unsicherheiten in der steuerlichen Behandlung von Wertpapierdarlehen und die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung. Das Gutachten prüft lediglich abstrakt den Sachverhalt der Wertpapierleihe über festverzinsliche Wertpapiere eines unbeschränkt körperschaftssteuerpflichtigen Investors mit Absicherung desselben durch Geldzahlungen, Schuldverschreibungen oder Aktien. Es geht dabei von einem Sachverhalt aus, in dem Verfügungsbeschränkungen jedweder Art über die Sicherheiten nicht vorliegen.
Die angeratene Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten bei der Bank1 als Pfandbriefbank und der konkreten Ausgestaltung der Verträge (insbesondere der erheblichen Verfügungsbeschränkungen über die Sicherungsaktien) erfolgte in dem Gutachten gerade nicht. Auch äußerte sich das Gutachten nicht zur Anwendung des § 42 AO vor dem Hintergrund der mit der Gestaltung verbundenen Kosten. Entsprechend konnten die Angeschuldigten sich nicht auf das im Gutachten geäußerte Fazit verlassen. Einem Email-Wechsel vom 09.02.2004 zwischen den Angeschuldigten C, A und D ist zu entnehmen, dass ihnen dies auch bewusst war (s. Anlagenband 1, BI. 2f).
2. Gutachten N (Anlageband 2, BI. 78 ff)
In der Folge wurde von den Angeschuldigten ein Gutachten des Steuerberaters O der Partnergesellschaft N eingeholt, welches auf den 24.05.2004 datiert und an den Angeschuldigten E adressiert ist. Geklärt werden sollte aus Sicht der Angeschuldigten vor allem die Frage einer Anwendbarkeit von § 42 AO „gerade im Hinblick auf die doch sehr hohen Transaktionskosten, die dazu führen, dass wir vor Steuern ein negatives Ergebnis aus der Transaktion erzielen", wie es der Angeschuldigte E am 16.03.2004 formulierte (s. Anlagenband 1, BI. 5f). Gerade auf diese Kernfrage geht das Gutachten jedoch nicht ein, sondern setzt außersteuerliche Erwägungen voraus, die für die Angeschuldigten tatsächlich keine Rolle gespielt hatten.
Darüber hinaus darf die Neutralität eines Gutachters in Frage gestellt werden, der vor der Übersendung des fertigen Gutachtens explizit „Änderungswünsche" seines Auftraggebers erfragte und offenbar mit weiteren Anbietern desselben Anlagemodells zusammenarbeitet. Zumindest bot er den Angeschuldigten an, entsprechende Kontakte herstellen zu können, um der Bank1 einen „Preisvergleich" zu ermöglichen. Hinzuzufügen ist auch, dass bereits am 07.04.2004, also vor Beauftragung des Gutachtens, ein Beschluss des Vorstandes der Bank1 getroffen worden war, der die Durchführung des Wertpapierleingeschäftes im Jahr 2004 festlegte. (Anlageband 2, Bl.15, 49)
3. Gutachten P (Anlageband 2, BI. 85 ff)
Im Auftrag der Firma F mbH erstellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft P am 23.11.2004 eine Stellungnahme, die jedoch ebenfalls nicht geeignet war, die Zweifel der Angeschuldigten auszuräumen.
Das Landgericht Wiesbaden hat sich dieses Gutachten in seinem Beschluss nicht erwähnt.
Es handelt sich auch hier nicht um eine differenzierte Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Vertragsgestaltung, sondern vielmehr um abstrakte Überlegungen gegen eine Annahme rechtsmissbräuchlicher Gestaltung. Dabei geht die Stellungnahme von Grundannahmen aus, die von der verwirklichten Vertragsgestaltung zwischen der Bank1 und der Bank2 abweichen. Insbesondere wird angenommen, der Investor sei berechtigt, die als Sicherung erhaltenen Aktien wirtschaftlich zu verwerten und es ergäbe sich durch die Geschäfte keine negative Vorsteuerrendite. Für den Fall negativer Rendite vor Steuern äußerte das Gutachten Zweifel an der wirtschaftlichen Angemessenheit mit der Folge der Anwendung des § 42 AO (Anlagenband 2, Bl.103f). Beide Umstände waren den Angeschuldigte bekannt.
4. Gutachten Q (Anlageband 11, Bl.2, BI. 30 ff und BMO 6, PDF 149)
Die Bank2 war im Besitz eines weiteren Gutachtens der Kanzlei Q vom 28.02.2003, welches in den Unterlagen der Zeugin R zusammen mit weiteren Schriftstücken gefunden wurde, die die Zeugin mutmaßlich von den Angeschuldigten erhalten hat. Dieses wurde zu einem ähnlichen Vertragsmodell erstattet, geht jedoch von der Bank3 AG als Anbieter aus.
Sollte den Angeschuldigten dieses Gutachten bekannt gewesen sein, könnte jedoch auch dieser Umstand nicht zur Annahme eines fehlenden Vorsatzes der Angeschuldigten führen. Denn zum einen geht das Gutachten von einem anderen Anbieter aus und berücksichtigt nicht die spezifischen Verhältnisse bei der Bank1 als Hypothekenbank, zum anderen thematisiert es an keiner Stelle die Problematik der negativen Rendite vor Steuern und damit einer Frage, die im Kern der Zweifel der Angeschuldigten stand.
5. Auffassung von X (Anlageband 11, BI. 2)Der Angeschuldigte E beauftragte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X mit der handelsrechtlichen Prüfung des Wertpapierdarlehens zwischen der Bank1 AG und der Bank2. Diese äußerte schon frühzeitig Bedenken gegen die Vertragsgestaltung - insbesondere, weil man den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien durch die Bank1 als nicht gegeben ansah - und kam zu dem Ergebnis, eine Einstellung der Aktien als Aktiva in die Bilanz der Bank1 AG komme nicht in Betracht. Die steuerrechtliche Relevanz dieser Einschätzung erkannte der Angeschuldigte E und äußerte dies mit gegenüber dem Angeschuldigten C am 25.03.2004 mit den Worten „das Modell wäre tot!" (Anlageband 1, Bl. 11).In der Folge wirkten die Angeschuldigten auf die mit den Wirtschaftsprüfungsberichten betrauten Mitarbeitern ein, ihre Rechtsauffassung nicht umfassend in den Berichten darzulegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu auf die umfassende Darstellung der Anklageschrift (S.145-150) verwiesen. Hieraus ergibt sich klar, dass den Angeschuldigten die steuerrechtliche Problematik bewusst war und sie alles daran setzten, diese gegenüber den Finanzbehörden zu verschleiern. Zu dieser Problematik verhält sich die angefochtene Entscheidung nicht.
III. Zu den Tatbeiträgen der Angeschuldigten E und Dr. D
Der Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Wiesbaden konstatiert außerdem, ein Nachweis des Gehilfenvorsatzes der Angeschuldigten D und E werde voraussichtlich nicht gelingen. Es handele sich bei den angeklagten Vorgängen um berufstypisches Verhalten und die beiden Angeschuldigten hätten als weisungsabhängige Mitarbeiter gehandelt, die lediglich „Opfer schlechter Beratung" geworden seien.
Hierbei sind schon die Grundannahmen des Landgerichts in Frage zu stellen.
Die Rechtsprechung zum berufstypischen Verhalten dient dazu, eine Kriminalisierung neutraler" Tätigkeiten eines Angestellten zu vermeiden, die im Rahmen der üblichen beruflichen Tätigkeit ausgeführt werden. In diesem Fall soll ein bedingter Vorsatz nicht ausreichend für die Annahme einer strafbaren Beihilfe sein. Der Angeschuldigte D kann wohl kaum als weisungsgebundener Mitarbeiter bezeichnet werden. Er war von 2002 bis April 2007 Finanzvorstand der Bank1 plc, der Muttergesellschaft der Bank1 AG und von Juni 2005 bis Januar 2006 außerdem Vorstandmitglied der Bank1 AG. Er hatte damit gemäß § 76 Abs. 1 AktG gemeinschaftlich mit den anderen Vorstandsmitgliedern die AG unter eigener Verantwortung zu leiten und war gerade nicht an Weisungen anderer Gesellschaftsorgane gebunden. Entsprechend trat er auch innerhalb des Unternehmens auf wie sich aus der Äußerung des Zeugen T zur Durchsetzungsstärke des Angeschuldigten D ergibt (HA Bd. IV, BI. 664f).
Auch ist fraglich, ob die angeklagten Tätigkeiten der Angeschuldigten E und D als „berufstypisches Verhalten" zu qualifizieren sind, das mangels hinreichenden deliktischen Bezuges aus der strafbaren Beihilfe auszuklammern ist. Hierfür reicht es nicht aus, dass die fraglichen Handlungen berufsmäßig vorgenommen werden, sondern es ist vielmehr eine wertende Betrachtung im Einzelfall vorzunehmen.
Vorliegend fehlt es schon angesichts der Anbahnung, des Umfangs und der Einzigartigkeit der Geschäfte zwischen der Bank1 und der Bank2 und der ausführlichen Beschäftigung aller Angeschuldigten mit den rechtlichen Problemen der Darstellung gegenüber den Finanzbehörden am „Alltagscharakter" auch der Tatbeiträge dieser beiden Angeschuldigten. Jedenfalls kommt ein Ausschluss des Gehilfenvorsatzes dann nicht in Betracht, wenn der mögliche Gehilfe hinsichtlich der Haupttat mit direktem Vorsatz gehandelt hat. Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten (BGH NStZ 2017, 461f m.w.N.). Als Indiz kann auch herangezogen werden, ob das Verhalten des Gehilfen gezielt dazu beiträgt, eine mögliche Steuerhinterziehung durch Verschleierung der tatsächlichen Gegebenheiten zu fördern (vgl. BGH, Beschluss vom 20.03.2002, 5 StR 448/01).
Vorliegend waren die beiden Angeschuldigten im Vorfeld der Abgabe der Steuererklärungen eng in die Gestaltung der Verträge mit der Bank2 involviert. Es war ihnen bewusst, dass ihre Handlungen in diesem Zusammenhang nur dann für die Bank1 von wirtschaftlichem Interesse waren, wenn diese von der deutlich geringeren Besteuerung der eingenommenen Dividenden im Verhältnis zu den Zinsen profitieren konnten. Das wiederum setzte jedoch voraus, dass falsche bzw. unvollständige. Angaben im Rahmen der Steuererklärungen gemacht werden mussten. Die steuerrechtliche Problematik war auch den Angeschuldigten D und E, wie bereits dargelegt, bekannt. Sie handelten daher im Hinblick auf die von den übrigen Angeschuldigten begangenen Steuerhinterziehung mit direktem Vorsatz. Ein Ausschluss des Gehilfenvorsatzes nach den Grundsätzen des berufstypischen Verhaltens kommt nicht in Betracht ...“.
Diesen umfassenden Ausführungen, denen ich mich vollumfänglich anschließe, kann lediglich ergänzend hinzugefügt werden, dass Landgericht Wiesbaden zwar grundsätzlich zutreffend ausgeführt hat, dass die Zeugenaussagen der zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt vor dem Hintergrund zu würdigen seien, dass die Bewertung des § 39 Abs. 1 AO zum Vernehmungszeitpunkt bereits seit ca. 10 Jahren anders zu beurteilen war als in den Jahren 2004 bis 2006 und davor. Die weitergehende Annahme des Gerichts, dass daher Zweifel bestünden, ob aus den Zeugenaussagen der zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt tatsächlich bewiesen werden könne, dass die Festsetzungen d.er Veranlagungen anders erfolgt wären, wenn die Angeschuldigten weitere Einzelheiten der vertraglichen Einbettung der Wertpapiere dargelegt hätten, ist jedoch der Beweiswürdigung der Aussagen in der Hauptverhandlung vorbehalten, in der eine dezidierte Befragung der Zeugen, sowie eine daran anschließende Würdigung deren Glaubwürdigkeit sowie der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen erfolgen kann. Die Zeugen hatten sämtlich angegeben hatten. dass sie in Kenntnis des „tatsächlichen Sachverhaltes" hypothetisch weitere Maßnahmen ergriffen hätten! Die schon im Vorfeld gerichtlicherseits erfolgte Äußerung von generellen Zweifeln ist kein Aspekt, der der Verfahrenseröffnung im Wege steht ...“.
Diesen zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft Wiesbaden und der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat an und macht sie sich zu eigen. Die von der Verteidigung erhobenen Einwände vermögen angesichts des zuvor Dargestellten den hinreichenden Tatverdacht gegen die Angeschuldigten nicht erschüttern.
Schließlich liegen nach dem Vorgenannten auch keine rechtlichen Gründe vor, die eine Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens begründen könnten.
Der Senat hat von der Möglichkeit nach § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO, das Hauptverfahren vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zu eröffnen, Gebrauch gemacht, weil die Beschlussgründe Anlass zur Annahme geben, dass die Kammer sich die Beschwerdebegründung nicht vollständig zu eigen machen wird.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO entsprechend (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18. September 2012 - 2 Ws 712/12; OLG Celle, Beschluss vom 25. Januar 2013 - 2 Ws 17-21/13; jeweils zitiert nach juris).
Tenor
Das Hauptverfahren wird unter Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom 30. September 2021 vor einer anderen großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden eröffnet.
Die Entscheidung über die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 2, 3 GVG) bleibt der Strafkammer vorbehalten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen den Angeklagten zur Last.
Gründe
I.
Mit der Anklageschrift vom 30. September 2021 wirft die Staatsanwaltschaft Wiesbaden den Angeschuldigten vor, im Zeitraum vom 19. März 2004 bis zum 11. Oktober 2007 in Stadt1 und anderen Orten, die Angeschuldigten B und A jeweils durch zwei selbstständige Handlungen, der Angeschuldigte C durch drei selbstständige Handlungen - jeweils gemeinschaftlich handelnd - Steuern hinterzogen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO) zu haben, wobei der Angeschuldigte E in drei Fällen und der Angeschuldigte D in zwei Fällen hierzu Hilfe geleistet haben sollen.
Die Strafkammer hat mit der angefochtenen Entscheidung die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen abgelehnt. Sie hat hierzu ausgeführt, dass der für die Eröffnung des Verfahrens erforderliche hinreichende Tatverdacht nicht begründet werden könne, weil im Fall 1 der Anklage schon keine Straftat vorliege, hinsichtlich der Fälle 2 und 3 der Anklage kein Vorsatz angenommen und ein Gehilfenvorsatz der Angeschuldigten D und E nicht begründet werden könne. Wegen des Ganges des Verfahrens und der näheren Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.Dagegen hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, die Entscheidung aufzuheben und die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem dem Landgericht Wiesbaden benachbarten Gericht gleicher Ordnung zur Hauptverhandlung zuzulassen.
II.
Auf die gemäß § 210 Abs. 2 1. und 2. Alt. StPO zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und unter Zulassung der Anklage das Hauptverfahren vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zu eröffnen.
Das Hauptverfahren war nach § 203 StPO zu eröffnen, weil ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeschuldigten entsprechend den Ausführungen in der Anklageschrift vorliegt. Nach dem sich aus den vorliegenden Akten ergebenden vorläufigen Ermittlungsergebnis ist die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung wegen der angeklagten Taten nach §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO, 25 Abs. 2., 27 Abs. 1 StGB überwiegend.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu folgendes ausgeführt:
„Das Landgericht Wiesbaden hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Unrecht aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gemäß § 204 Abs. 1 Alt. 1 StPO abgelehnt.
Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der ihm vorgeworfenen Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Der unbestimmte Rechtsbegriff „hinreichender Tatverdacht" eröffnet insoweit einen Beurteilungsspielraum (BVerfG, NStZ 2002, 606; BGH, NJW 1970, 1543). Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO der Fall ist (vgl. BGH, NJW 1970, 1543, 1544; BeckRS 2003, 04494). Die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts umfasst sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen als auch die rechtliche Bewertung der Tat (BeckOK StPO/Gorf, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 170 Rn. 2). Hinreichender Tatverdacht ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhaltes, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2023 - StB 35/23 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht in der Regel, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Deshalb ist das Hauptverfahren nicht erst dann zu eröffnen, wenn die Verurteilung nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens überwiegend wahrscheinlich oder gar sicher ist, sondern schon in Zweifelsfällen mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung, die nur mit den besonderen Erkenntnismitteln und besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung zu klären sind (vgl. OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 08613; OLG Koblenz, NJW 2013, 98; Löwe/Rosenberg-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage, § 203 Rn. 13). Der Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo" gilt dabei nicht. Schwierige und zweifelhafte Tatfragen dürfen nicht nach Aktenlage im Wege der nichtöffentlichen, lediglich vorläufigen Tatbewertung des Gerichts endgültig entschieden werden.
Vom Erfordernis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verurteilung kann in Ausnahmefällen abgesehen werden, wenn es bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung notwendig erscheint, die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung in Anspruch zu nehmen. Die Eröffnungsentscheidung soll erkennbar aussichtlose Fälle ausfiltern, aber der Hauptverhandlung ansonsten nicht vorgreifen, insbesondere nicht in beweisrechtlich hochsensiblen Fällen. Zweifelhafte Tatfragen stehen der Eröffnung nicht entgegen, wenn in der Hauptverhandlung durch die Bewertung der Einlassung des Angeschuldigten, widersprechender Zeugenaussagen oder einzuholender Gutachten eine Klärung zu erwarten ist, die wahrscheinlich zu einer die Verurteilung tragenden Grundlage führen wird. Das Gericht ist dabei gehalten, die Beurteilung einerseits in Erfüllung seiner umfassenden Kognitionspflicht aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses vorzunehmen, andererseits aber auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen (OLG Karlsruhe BeckRS 2007, 32860; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. § 203 Rn. 2).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes erscheint eine Verurteilung aller fünf Angeschuldigten wegen Steuerverkürzungen bzw. Beihilfe zu diesen nach Maßgabe der Anklageschrift wahrscheinlich, weil sowohl die Erklärung unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in den Körperschaftsteuerklärungen durch die Verantwortlichen der Deutsche Pfandbrief AG für die Veranlagungsjahre 2004, 2005 und 2006 als auch der diesbezügliche Hinterziehungsvorsatz i.S.d. § 16 StGB mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann.“
Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat zur Begründung ihrer Beschwerde mit Verfügung vom 15.05.2024 folgendes ausgeführt:
„Hinsichtlich des Sachverhaltes wird auf die Anklageschrift vom 30.09.2021 verwiesen, dort insbesondere auf die Seiten 5 bis 34, auf denen sowohl dargelegt wird, welche vertragliche Gestaltung zwischen der Bank1 und der Bank2 dem Verfahren zu Grunde liegt als auch, welche Angaben die Angeschuldigten im Rahmen der Körperschaftssteuererklärungen für die Geschäftsjahre 2004, 2005 und 2006 gegenüber dem zuständigen Finanzamt machten.
Die Angeschuldigten haben in den für die Bank1 abgegebenen Körperschaftssteuererklärungen falsche bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und hatten hierzu auch einen entsprechenden Vorsatz. Dabei stellen sich zwei Kernprobleme. Zum einen hatte die Bank1 nach den Verträgen und deren tatsächlicher Umsetzung nicht die für das Steuerrecht erforderliche Eigentümerstellung in Bezug auf die als Sicherheit hereingenommenen Aktien erlangt, was die Angeschuldigten jedoch gegenüber den Finanzbehörden erklärten.
Die Konstellation war so gestaltet, dass die Bank1 keine Marktchancen und -Risiken im Zusammenhang mit den Aktien erlangte und sie über die Aktien weder verfügen konnte noch sollte, die Aktien also nicht Teil von Wirtschaftsgeschäften der Bank1 waren. Diese nahm lediglich eine Formalposition ein, mit der die Angeschuldigten gegenüber dem Finanzamt einen Steuerbefreiungstatbestand darstellten, der ihr tatsächlich nicht zustand. Zum anderen stellt sich im Rahmen des subjektiven Tatbestandes die Frage, ob Gutachten, die von Anbietern des Steuervermeidungsmodells zur Verfügung gestellt wurden und deren begutachtete Sachverhalte erkennbar von dem der Bank1 abwichen, einen Tatbestandsirrtum begründen können. Dasselbe gilt für ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten, an dessen Erstellung die Angeschuldigten mitgewirkt haben und das einen für die steuerrechtliche Würdigung kritischen Punkt wissentlich außer Acht lässt, welches aber vom Landgericht als unparteiisch, neutral und ergebnisoffen eingestuft wurde. Insbesondere auf diese Kernprobleme wird im Folgenden einzugehen sein.
I. Falsche/ unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen
1. Falsche/ unvollständige Darstellung von Tatsachen
Die Angeschuldigten machten in allen drei Fällen im Rahmen der Körperschaftssteuererklärungen unrichtige bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen. Hinsichtlich der Veranlagung für das Jahr 2004 ist dies offensichtlich und wurde auch durch das Landgericht Wiesbaden so gesehen. Hier enthalten die Steuererklärung und der zugehörige Wirtschaftsprüfbericht nur sehr spärliche Angaben zu den als Sicherheiten hereingenommenen Aktien erzielten Dividenden. Die Einbettung in eine umfassende vertragliche Gestaltung im Sinne eines Modells zur Steuervermeidung wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn dessen nähere Ausgestaltung dargestellt; ebenso wenig die an die Bank2 geleisteten Provisionszahlungen oder die in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Wertpapierdarlehen. Damit war den Finanzbehörden eine Prüfung und rechtliche Bewertung der Konstellation in keiner Weise möglich.
Soweit die Körperschaftssteuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 betroffen sind, geht das Landgericht Wiesbaden davon aus, dass den Finanzbehörden durch die Steuererklärungen und die zugehörigen Wirtschaftsprüfberichte alle steuerlich erheblichen Tatsachen mitgeteilt wurden. Nach hiesiger Ansicht ist dies jedoch nicht der Fall. Die Angaben betreffend die Jahre 2005 und 2006 waren zwar ausführlicher als im Jahr 2004, sie waren aber dennoch teilweise unrichtig, insbesondere aber unvollständig.
Steuerlich erheblich sind Tatsachen dann, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen werden müssen und damit Grund und Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen oder wenn sie die Finanzbehörde zur Einwirkung auf den Steueranspruch sonst veranlassen können (BGH, Urteil vom 27.09.2002 - 5 StR 97/02).
Voraussetzung für das Erlangen des Steuervorteils gemäß der damals geltenden Fassung des § 8b Abs. 1 und Abs. 5 KStG war, dass die Bank1 als Hypothekenbank das wirtschaftliche Eigentum an den als Sicherheit hereingenommenen Aktien erlangte, ihr die Aktien als Wirtschaftsgüter zuzurechnen sind, § 20 Abs. 2a EStG a.F.
Bei Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO, wonach Sicherheiten grundsätzlich dem Sicherungsgeber zuzurechnen sind, wäre der Steuervorteil der Bank1 nicht zugutegekommen. Die Aufnahme der Aktien in die eigene Unternehmensbilanz und der Ansatz der hereingenommenen Dividenden als nur zu 5% steuerpflichtig in der Steuererklärung beinhalten somit die konkludente Erklärung, wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden zu sein und zwar in einer Weise, die die Anwendung der Regelvermutung aus § 39 Abs. 2 Nr.1 S.2 AO ausschließt.
Nach der von der Bank1 und der Bank2 gewählten vertraglichen Gestaltung kam es gerade nicht zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien. Dies würde voraussetzen, dass die Bank1 zumindest für die gewöhnliche Nutzungsdauer die Sachherrschaft über die Aktien in einer Weise innehatte, dass sie die Bank2 von der Einwirkung auf die Aktien hätte ausschließen können, der Bank1 der wirtschaftliche Nutzen der Sicherungsaktien zu Gute kam und sie zugleich die wirtschaftlichen Risiken zu tragen hatte.
Die Sachherrschaft der Bank1 war jedoch extrem eingeschränkt. Es fehlte an der für den Eigentumsübergang notwendigen Festigkeit der Übertragung. So sahen die Verträge unter anderem vor, dass die Aktien jederzeit durch die Bank2 ausgewechselt werden konnten. Entscheidend war lediglich, dass der Gesamtwert der Sicherheiten gleichblieb. Auch eine Weiterveräußerung der Aktien durch die Bank1 war ausgeschlossen. Eine Weiterveräußerung hätte auch dem nach dem Modell gewünschten Tatbestand des § 8b Abs. 1 KStG entgegengestanden. Dieser ist bei einem Aktienhandel ausweislich § 8b Abs. 7 KStG nicht anzuwenden. Hinzu kommt, dass die Aktien der Bank1 jeweils sehr kurzzeitig über den jeweiligen Dividendenstichtag überlassen wurden, sodass eine Ausübung der zugehörigen Stimmrechte praktisch nicht möglich und offenbar von den Vertragsparteien auch nicht beabsichtigt war.
Weiter vereinnahmte die Bank1 zwar die Dividenden, diese wurden jedoch mit den von der Bank2 auf die entliehenen Wertpapiere erhaltenen Zinsen verrechnet. Wirtschaftlich verblieben die Dividendenvorteile damit beim Sicherungsgeber, während die Bank1 ihrerseits bei wirtschaftlicher Betrachtung ihre Zinsansprüche an den verliehenen Wertpapieren nie aufgegeben hat. Die Bank1 hatte bezüglich der Sicherungsaktien eine reine Formalposition zur Erlangung des Steuervorteils inne, nicht aber eine Eigentümerstellung, die ihr die direkten wirtschaftlichen Vorteile aus den Aktien einbrachte.
Auch die wirtschaftlichen Risiken der Sicherungsaktien gingen nicht auf die Bank1 über. Nach Ablauf der Leihzeit (und ohne Zwischennutzung) gab die Bank1 die Aktien zurück, ohne dass es auf den Kurswert ankam.
Damit war ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums im Sinne des § 39 AO nicht gegeben oder zumindest äußerst zweifelhaft. Die Angeschuldigten traf die Verpflichtung, den Finanzbehörden alle Tatsachen mitzuteilen, die diese benötigten, um einen Eigentumsübergang und den daraus resultierenden Anspruch auf den Steuervorteil hinsichtlich der Dividenden eigenständig und sachgerecht prüfen zu können.
Dabei machten die Angeschuldigten betreffend die Jahre 2005 und 2006 zwar etwas mehr Angaben als noch betreffend 2004. Es wurde dargelegt, dass die Geschäfte auf Grundlage eines „Rahmenvertrages für Wertpapierleingeschäfte" erfolgten, was den Finanzbehörden den Schluss erlaubte, dass zwischen der Wertpapierleihe und der Hereinnahme der Sicherungsaktion eine Verknüpfung bestand. Auch wurden einige Grundzüge der Vertragsgestaltung grob dargelegt.
Das Landgericht sieht dies in seinem Beschluss als ausreichend an und betont dabei insbesondere, zum Tatzeitpunkt sei ein anderer Maßstab anzulegen gewesen als dies nach aktueller Rechtsprechung von BGH und BFH der Fall sei. Es sei insbesondere nicht nötig gewesen, das vertragliche Gesamtkonzept in allen Einzelheiten darzulegen. Erstmals durch Urteil vom 16.04.2014 habe der BFH in einem sog. cum-ex-Fall angenommen, dass das wirtschaftliche Eigentum dann ausscheide, wenn der Erwerb der Aktien mit einem modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzept verbunden ist, nach welchem der Initiator den Anteilserwerb fremdfinanziert, der Erwerber der Aktien diese unmittelbar nach ihrem Erwerb dem Initiator im Wege einer sog. Wertpapierleihe bis zum Rückverkauf weiterreicht und der Erwerber das Marktpreisrisiko der Aktien im Rahmen eines sog. Total-return Swap-Geschäfts auf den Initiator überträgt (Leitsatz des Urteils vom 16.04.2014, I R 2/12). In der Folge legt das Landgericht Wiesbaden weitere Rechtsprechung des BFH und des Hessischen Finanzgerichts dar, die im Anschluss an dieses erste Urteil erging. Hierzu wird insbesondere auf Seite 16 des Beschlusses verwiesen.
Es trifft zu, dass die Vertragsgestaltungen in den sogenannten cum-ex-Fällen einige Parallelen zu der hier verfahrensgegenständlichen Vertragskonstellation aufweisen und der Begriff des „Gesamtvertragskonzeptes" in den entsprechenden Entscheidungen zu cum-ex-Fällen seit 2014 immer wieder auftaucht. Jedoch entspricht es nicht den Tatsachen, dass die Rechtsprechung erst ab diesem Zeitpunkt bei der Frage des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs auf eine Würdigung des Gesamtsachverhaltes abgestellt habe.
Der BFH hat bereits lange zuvor in ständiger Rechtsprechung zu §§ 39 und 42 AO klargestellt, dass für die Rechtsanwendung das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall bzw. die gesamten Umstände des Einzelfalles maßgebend sind (vgl. beispielhaft BFH-Urteil vom 15.12.1999, IR 29/97 sowie BFH-Urteil vom 10.09.1992, V R 104/91). Diese Würdigung der Gesamtverhältnisse drückt indes nichts Anderes aus als der später im Rahmen der cum-ex-Rechtsprechung geprägte Begriff des Gesamtvertragskonzeptes.
Auch der BGH hat in seinem Urteil vom 10.11.1999 (5 StR 221/99) die Offenlegungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist, dargelegt. Zugleich hat er entschieden, dass der Gesamtsachverhalt offenzulegen ist und es dem Steuerpflichtigen nicht freisteht, nur einen Teil der Tatsachen richtig vorzutragen und andere Einzelheiten, die für die steuerliche Beurteilung eines Vorgangs bedeutsam sein können, zu verschweigen.
Eine Sichtweise, wonach nur ein Teil des Gesamtsachverhaltes für die rechtliche Würdigung heranzuziehen ist und demnach offengelegt werden braucht, gab es in der Rechtsprechung auch zur Tatzeit nicht. Der vom Landgericht angelegte Maßstab ist damit unzutreffend. Die Tatsachen, die den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums in Frage stellten, wurden jedoch gerade nicht angegeben und damit nur einzelne Ausschnitte der Gesamtumstände des Einzelfalles mitgeteilt. Weder die jederzeitige Ersetzungsbefugnis der Aktien durch die Bank2 noch der Ausschluss eines Zwischenhandels wurden dargelegt. Auch wurde nicht erwähnt, dass keine Kursrisiken und -chancen eintreten sollten und eine Verrechnung der Dividenden mit den Zinsen erfolgte.
Die Angeschuldigten können sich auch nicht darauf berufen, ihrer Rechtsauffassung nach habe ein wirksamer Übergang des wirtschaftlichen Eigentums stattgefunden und sie hätten alle bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung relevanten Tatsachen korrekt mitgeteilt.
Zwar steht es jedem Steuerpflichtigen frei, offen oder verdeckt eine ihm günstige steuerrechtliche Gestaltung zu wählen (BGH, Urteil vom 10.11.1999 - 5 StR 221/99; Juris Rn.23), er ist jedoch verpflichtet, eine Prüfung des Sachverhaltes durch die Finanzbehörden dadurch zu ermöglichen, dass er zumindest diejenigen Sachverhaltsmomente mitteilt, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist (BGH, Beschluss vom 08.08.1985, 2 Ars 223/85). Die objektive Zweifelhaftigkeit der Eigentumsübergangs und die sich daraus ergebende Relevanz einzelner nicht mitgeteilter Aspekte der Vertragsgestaltung wurde bereits dargelegt. Außerdem wird im Rahmen der Ausführungen zum subjektiven Tatbestand noch darzulegen sein, dass auch die Angeschuldigten zumindest Zweifel daran hatten, ob die Bank1 wirtschaftliche Eigentümerin der als Sicherheit erhaltenen Aktien geworden ist. Auch der Umstand, dass die Finanzbehörden möglicherweise durch Nachfragen und weitere Prüfungen in der Lage gewesen wären, Kenntnis vom Gesamtsachverhalt zu erlangen, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Ob und in welchem Umfang die Finanzämter überhaupt zu entsprechenden Nachfragen verpflichtet sind oder dies angesichts des Charakters des Veranlagungsverfahrens als Massenverfahren zu einer Überforderung führen würde, kann an dieser Stelle dahinstehen. Selbst wenn man eine Pflicht zu Rückfragen annehmen würde, so können diese jedenfalls nur dann erfolgen, wenn sich aus den vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben überhaupt ein Anlass zu der Annahme ergibt, dass Rückfragen erforderlich sein könnten. Dies war vorliegend nicht der Fall. Nach den gemachten Angaben hatte es den Anschein, dass ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gegeben war. Alle Tatsachen, die den Verdacht nahegelegt hätten, es könne eine Abweichung von diesem Normalfall vorliegen, wurden gerade verschwiegen. Dass Nachfragen zu einer anderen rechtlichen Bewertung hätten führen können, war für die Finanzbehörden nicht ersichtlich.
Im Ergebnis haben die Angeschuldigten konkludent erklärt, es sei ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien erfolgt, eine Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten durch die Finanzverwaltung jedoch nicht ermöglicht, indem wesentliche Tatsachen falsch dargestellt bzw. verschwiegen wurden.
Der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden geht davon aus, im Falle einer Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung könne nur dann ein Gestaltungsmissbrauch gegeben sein, wenn eine im Zeitpunkt der Tatbegehung von der Rechtsprechung herausgearbeitete Fallgruppe betroffen sei. Unabhängig von der Frage, ob hierbei zu hohe Anforderungen gestellt werden oder nicht, unterfällt die vorliegende Gestaltung - entgegen der Auffassung der Kammer - einer solchen Fallgruppe.
Die mit der Bank2 getätigten Geschäfte waren vor Steuern wirtschaftlich nicht rentabel. Die aus den jeweils hereingenommenen Wertpapieren erzielten Einnahmen - Zinsen bzw. Dividenden - wurden miteinander verrechnet und die Bank1 zahlte darüber hinaus an die Bank2 eine als „Beratungskosten" bezeichnete Geldleistung, welche die für die Wertpapierleihe erhaltene Leihgebühr überstieg. Damit war die Bank1 zunächst bereit, mehr zu bezahlen als sie durch die Vereinnahmung der Dividenden erhielt. Ein Plus für die Bank1 ergab sich erst durch die Berücksichtigung des Steuervorteils. Dieser war die einzige Motivation für die Geschäfte mit der Bank2, deren eigentliches Handelsgut. Auch das Hessische Finanzgericht, das über den vorliegenden Fall zu entscheiden hatte, zeigte sich überzeugt, „dass den Geschäften ausschließlich eine steuerliche Motivation zugrunde lag (Urteil vom 28.01.2020, 4K 890/17, Rn. 215 nach juris). Eine solche Konstellation stellt eine in der Finanzrechtsprechung seit vielen Jahren anerkannte Fallgruppe des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO dar (beispielhaft dazu BFH-Urteil vom 14.01.1992, IX R 33/89, Urteil vom 27.07.199, VIII R 36/98). Beide Urteile wurden durch die Finanzverwaltung amtlich veröffentlicht (BStBI 11 1992, 549 bzw. 11 1999, 769), so dass sie nach BGH Urteil vom 10.11.1999, 5 StR 221/99, juris Rn. 26 den Maßstab für die Offenlegungspflicht bildeten. Eine Gestaltung, die für sich betrachtet keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zu Grunde gelegt werden und ist per se unangemessen im Sinne des § 42 AO (BFH Urteile vom 27.07.1999, VIII R 36/98 und vom 14.01.2003, IX R 5/00 sowie BFH Urteil vom 21.08.2012, VIII R 32/09), weshalb die zu Grunde liegenden Tatsachen den Finanzbehörden in einer Weise hätten dargelegt werden müssen, die eine Prüfung und ggf. Anwendung dieser Vorschrift ermöglichten.
Nach hiesigem Dafürhalten sind für die Frage, welche Tatsachen mitgeteilt werden müssen, um eine Prüfung der wirtschaftlichen Rentabilität vor Steuern und damit eine Prüfung der Anwendbarkeit des § 42 AO zu ermöglich, die gleichen Maßstäbe anzulegen wie oben zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums dargelegt. Die Finanzverwaltung darf zunächst davon ausgehen, dass von einer Bank getätigte Geschäfte auch vor Steuern wirtschaftlich rentabel sind und es obliegt dem Steuerpflichtigen, Tatsachen offenzulegen, aus denen sich mögliche Abweichungen von diesem Normalfall ergeben. Solche Tatsachen müssten den Finanzbehörden klar und offen unterbreitet werden. Es reicht nicht aus, einzelne Sachverhaltsausschnitte verteilt in einem umfangreichen Schriftstück von mehreren hundert Seiten zu präsentieren und es den Sachbearbeitern des Finanzamtes zu überlassen, diese Ausschnitte zusammenzusuchen, weitere umfangreiche und nicht erkennbar fehlende Informationen vom Steuerpflichtigen zu erfragen und sich daraus den Gesamtsachverhalt zu erschließen.
Die wirtschaftliche Unrentabilität vor Steuern entstand vor allem durch die von der Bank1 an die Bank2 geleisteten Provisionszahlungen. Diese wurden zwar in den Wirtschaftsprüfberichten betreffend die Jahre 2005 und 2006 erwähnt, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Darstellung des vertraglichen Gesamtkonzeptes, sondern an räumlich weit entfernter Stelle in einem mehrere hundert Seiten umfassenden Gesamtwerk.
Es war damit schon aufgrund der räumlichen Anordnung nicht erkennbar, dass diese Zahlungen zum selben Gesamtsachverhalt gehörten wie die Wertpapierleihe und die Vereinnahmung der Dividende auf die Sicherungsaktien.
Außerdem wurden die Provisionen wahrheitswidrig als „Beratungskosten" bezeichnet, obwohl durch die Bank2 plc, also die Empfängerin der angeblichen Beratungshonorare, nie eine Beratungsleistung erbracht worden war. Die Konzeption des Vertragsmodells war vielmehr durch die Firma F mbH erarbeitet und gemeinsam mit der Bannk2 plc vermarktet worden. Indem die Angeschuldigten den Eindruck erweckten, es seien Beratungsleistungen durch die Bank2 erbracht und hierfür Honorare gezahlt worden, machten sie objektiv unrichtige Angaben.
Auch wurde die Bank2 nur bei der Darstellung der angeblich gezahlten Beratungskosten erwähnt, jedoch bei der Darstellung der Geschäfte selbst nicht als Vertragspartner genannt. Schon aus diesem Grunde war es aufgrund der den Finanzbehörden übermittelten Informationen nicht möglich, einen entsprechenden Zusammenhang zu erkennen. Sie verschleierten damit sowohl den Umstand, dass es sich um wirtschaftlich nicht rentable Geschäfte handelte als auch die Art der Kosten.
2. Auswirkung der falschen/ unvollständigen Darstellung
Auch die als Zeugen vernommenen Sachbearbeiter der Finanzämter gaben an, bei Kenntnis der gesamten Vertragsgestaltung (und nicht lediglich der von den Angeschuldigten an die Finanzbehörden übermittelten Teilaspekte) hätten sie weitere Maßnahmen ergriffen. Insbesondere der Zeuge G (HA Bd. VI, BI. 1143 ff) gab an, die jeweils mit den Körperschaftssteuererklärungen übergebenen Unterlagen hätten nicht zur Prüfung des wirtschaftlichen Eigentumsüberganges genügt und bei Mitteilung weitergehender Tatsachen hätten hieran „erhebliche Zweifel" bestanden.
Das Landgericht Wiesbaden ist der Auffassung, diese Zeugenaussagen seien ebenfalls vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sie erst nach Ergehen der Cum-Ex-Rechtsprechung des BFH gemacht worden seien und die Zeugen deshalb an die Wertungen des § 39 AO andere Maßstäbe anlegen würden als die Zeugen dies zur Tatzeit getan hätten. Hierzu ist zu sagen, dass die vom Landgericht angenommene Änderung der Bewertung durch die cum-ex-Rechtsprechung wie oben dargelegt nicht stattgefunden hat. Im Kern hatten die Zeugen zur Tatzeit dieselben Bewertungsmaßstäbe anzulegen wie zum Vernehmungszeitpunkt, auch wenn sich teilweise die in der Rechtsprechung verwendeten Begrifflichkeiten geändert hatten.
Insbesondere die vom Zeugen G verwendete Formulierung „aus heutiger Sicht" bezieht sich nicht auf eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung der Beurteilungsmaßstäbe sondern vielmehr auf seine inzwischen umfassendere Kenntnis der Vertragsgestaltung. Zum Tatzeitpunkt war ihm lediglich bekannt, was die Angeschuldigten in den Steuererklärungen und den zugehörigen Wirtschaftsprüfungsberichten mitgeteilt hatten. Zum Vernehmungszeitpunkt waren ihm deutlich mehr Tatsachen bekannt, die für die Prüfung des wirtschaftlichen Eigentums relevant waren.
II. Subjektiver Tatbestand
Die Angeschuldigten nahmen bei Abgabe der Steuererklärungen für die Bank1 auch zumindest billigend in Kauf, nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen korrekt mitgeteilt zu haben. Hierfür ist notwendig, aber auch ausreichend, dass die Angeschuldigten die eine Steuerhinterziehung ausfüllenden objektiven Tatbestandsmerkmale im Rahmen einer „Parallelwertung in der Laiensphäre" zutreffend erfassten (vgl. FG Köln, Urteil vom 16.01.2019-11 K 2194/16, juris Rn 71.).
Dass dies zutrifft, ergibt sich aus den immer wieder von den Angeschuldigten gegenüber Zeugen gemachten Aussagen und ihrem Verhalten, das in der Anklage detailliert dargestellt wurde. Beispielhaft sei hier die vom Zeugen H beschriebene Besprechung vom 14.12.2005 zu nennen (vgl. HA Bd. IX, BI. 1721 ff). In dieser Besprechung wurde laut eines Memos der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X über die Frage des Übergangs des Sicherungseigentums diskutiert. Als im Rahmen dieser Besprechung der Zeuge Hgegenüber dem Zeugen I die steuerlichen Risiken der verfahrensgegenständlichen Geschäfte ansprach, zog der Angeschuldigte D - nach Darstellung des Zeugen H - seinen Pullunder über den Kopf und äußerte, davon wolle er nichts hören. In einem Protokoll der Besprechung wurde später vermerkt, der Angeschuldigte habe plötzlich Ohrenschmerzen bekommen und nichts mehr gehört. Die Zeugin J gab an, dieser Vermerk sei so zu verstehen, dass der Angeschuldigte die Auffassung des Zeugen H nicht habe hören wollen (vgl. HA Bd. VIII, B1.1654f). Auch hinsichtlich des Nachtatverhaltens, das auf Verdeckung der Vertragsgestaltungen gegenüber den Finanzbehörden gerichtet war, wird auf die Anklage verwiesen, dort insb. S. 161 ff.
Der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden kommt zu dem Schluss, dass die Angeschuldigten deshalb davon ausgehen durften, alle Erklärungen korrekt abgegeben zu haben, weil ihnen im Vorfeld durch mehrere Rechtsgutachten der Eindruck vermittelt worden sei, weder die Frage des Eigentumsübergangs an den Sicherungsaktien noch die eines möglichen Gestaltungsmissbrauchs sei letztlich steuerlich bedenklich.
Im Ergebnis vermag jedoch keines der Gutachten den Vorsatz der Angeschuldigten auszuschließen und einen Tatbestandsirrtum zu begründen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Gutachter gegenüber den Angeschuldigten im Rahmen neutral und ergebnisoffen erstatteter Gutachten klare und eindeutige Aussagen zu der konkreten Vertragskonstellation gemacht hätten. Keines der Gutachten kann jedoch diese Anforderungen erfüllen.
1. Gutachten der Kanzlei K L (Anlageband 1, BI. 47 ff)
In den Geschäftsräumen der Bank1 AG wurde ein Gutachten aufgefunden, welches Rechtsanwälte der Kanzlei K L am 26.01.2004 erstellt und an die Zeugin M von der Bank2 adressiert hatten. Dieses Gutachten prüft die dem „Steuermodell" zu Grunde liegende Vertragsgestaltung im Auftrag der Bank2 und kommt zu dem Schluss, die Gestaltung sei nicht unangemessen und daher ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO nicht gegeben. Allerdings verweist das Gutachten ausdrücklich auf Unsicherheiten in der steuerlichen Behandlung von Wertpapierdarlehen und die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung. Das Gutachten prüft lediglich abstrakt den Sachverhalt der Wertpapierleihe über festverzinsliche Wertpapiere eines unbeschränkt körperschaftssteuerpflichtigen Investors mit Absicherung desselben durch Geldzahlungen, Schuldverschreibungen oder Aktien. Es geht dabei von einem Sachverhalt aus, in dem Verfügungsbeschränkungen jedweder Art über die Sicherheiten nicht vorliegen.
Die angeratene Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten bei der Bank1 als Pfandbriefbank und der konkreten Ausgestaltung der Verträge (insbesondere der erheblichen Verfügungsbeschränkungen über die Sicherungsaktien) erfolgte in dem Gutachten gerade nicht. Auch äußerte sich das Gutachten nicht zur Anwendung des § 42 AO vor dem Hintergrund der mit der Gestaltung verbundenen Kosten. Entsprechend konnten die Angeschuldigten sich nicht auf das im Gutachten geäußerte Fazit verlassen. Einem Email-Wechsel vom 09.02.2004 zwischen den Angeschuldigten C, A und D ist zu entnehmen, dass ihnen dies auch bewusst war (s. Anlagenband 1, BI. 2f).
2. Gutachten N (Anlageband 2, BI. 78 ff)
In der Folge wurde von den Angeschuldigten ein Gutachten des Steuerberaters O der Partnergesellschaft N eingeholt, welches auf den 24.05.2004 datiert und an den Angeschuldigten E adressiert ist. Geklärt werden sollte aus Sicht der Angeschuldigten vor allem die Frage einer Anwendbarkeit von § 42 AO „gerade im Hinblick auf die doch sehr hohen Transaktionskosten, die dazu führen, dass wir vor Steuern ein negatives Ergebnis aus der Transaktion erzielen", wie es der Angeschuldigte E am 16.03.2004 formulierte (s. Anlagenband 1, BI. 5f). Gerade auf diese Kernfrage geht das Gutachten jedoch nicht ein, sondern setzt außersteuerliche Erwägungen voraus, die für die Angeschuldigten tatsächlich keine Rolle gespielt hatten.
Darüber hinaus darf die Neutralität eines Gutachters in Frage gestellt werden, der vor der Übersendung des fertigen Gutachtens explizit „Änderungswünsche" seines Auftraggebers erfragte und offenbar mit weiteren Anbietern desselben Anlagemodells zusammenarbeitet. Zumindest bot er den Angeschuldigten an, entsprechende Kontakte herstellen zu können, um der Bank1 einen „Preisvergleich" zu ermöglichen. Hinzuzufügen ist auch, dass bereits am 07.04.2004, also vor Beauftragung des Gutachtens, ein Beschluss des Vorstandes der Bank1 getroffen worden war, der die Durchführung des Wertpapierleingeschäftes im Jahr 2004 festlegte. (Anlageband 2, Bl.15, 49)
3. Gutachten P (Anlageband 2, BI. 85 ff)
Im Auftrag der Firma F mbH erstellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft P am 23.11.2004 eine Stellungnahme, die jedoch ebenfalls nicht geeignet war, die Zweifel der Angeschuldigten auszuräumen.
Das Landgericht Wiesbaden hat sich dieses Gutachten in seinem Beschluss nicht erwähnt.
Es handelt sich auch hier nicht um eine differenzierte Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Vertragsgestaltung, sondern vielmehr um abstrakte Überlegungen gegen eine Annahme rechtsmissbräuchlicher Gestaltung. Dabei geht die Stellungnahme von Grundannahmen aus, die von der verwirklichten Vertragsgestaltung zwischen der Bank1 und der Bank2 abweichen. Insbesondere wird angenommen, der Investor sei berechtigt, die als Sicherung erhaltenen Aktien wirtschaftlich zu verwerten und es ergäbe sich durch die Geschäfte keine negative Vorsteuerrendite. Für den Fall negativer Rendite vor Steuern äußerte das Gutachten Zweifel an der wirtschaftlichen Angemessenheit mit der Folge der Anwendung des § 42 AO (Anlagenband 2, Bl.103f). Beide Umstände waren den Angeschuldigte bekannt.
4. Gutachten Q (Anlageband 11, Bl.2, BI. 30 ff und BMO 6, PDF 149)
Die Bank2 war im Besitz eines weiteren Gutachtens der Kanzlei Q vom 28.02.2003, welches in den Unterlagen der Zeugin R zusammen mit weiteren Schriftstücken gefunden wurde, die die Zeugin mutmaßlich von den Angeschuldigten erhalten hat. Dieses wurde zu einem ähnlichen Vertragsmodell erstattet, geht jedoch von der Bank3 AG als Anbieter aus.
Sollte den Angeschuldigten dieses Gutachten bekannt gewesen sein, könnte jedoch auch dieser Umstand nicht zur Annahme eines fehlenden Vorsatzes der Angeschuldigten führen. Denn zum einen geht das Gutachten von einem anderen Anbieter aus und berücksichtigt nicht die spezifischen Verhältnisse bei der Bank1 als Hypothekenbank, zum anderen thematisiert es an keiner Stelle die Problematik der negativen Rendite vor Steuern und damit einer Frage, die im Kern der Zweifel der Angeschuldigten stand.
5. Auffassung von X (Anlageband 11, BI. 2)Der Angeschuldigte E beauftragte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X mit der handelsrechtlichen Prüfung des Wertpapierdarlehens zwischen der Bank1 AG und der Bank2. Diese äußerte schon frühzeitig Bedenken gegen die Vertragsgestaltung - insbesondere, weil man den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Sicherungsaktien durch die Bank1 als nicht gegeben ansah - und kam zu dem Ergebnis, eine Einstellung der Aktien als Aktiva in die Bilanz der Bank1 AG komme nicht in Betracht. Die steuerrechtliche Relevanz dieser Einschätzung erkannte der Angeschuldigte E und äußerte dies mit gegenüber dem Angeschuldigten C am 25.03.2004 mit den Worten „das Modell wäre tot!" (Anlageband 1, Bl. 11).In der Folge wirkten die Angeschuldigten auf die mit den Wirtschaftsprüfungsberichten betrauten Mitarbeitern ein, ihre Rechtsauffassung nicht umfassend in den Berichten darzulegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu auf die umfassende Darstellung der Anklageschrift (S.145-150) verwiesen. Hieraus ergibt sich klar, dass den Angeschuldigten die steuerrechtliche Problematik bewusst war und sie alles daran setzten, diese gegenüber den Finanzbehörden zu verschleiern. Zu dieser Problematik verhält sich die angefochtene Entscheidung nicht.
III. Zu den Tatbeiträgen der Angeschuldigten E und Dr. D
Der Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Wiesbaden konstatiert außerdem, ein Nachweis des Gehilfenvorsatzes der Angeschuldigten D und E werde voraussichtlich nicht gelingen. Es handele sich bei den angeklagten Vorgängen um berufstypisches Verhalten und die beiden Angeschuldigten hätten als weisungsabhängige Mitarbeiter gehandelt, die lediglich „Opfer schlechter Beratung" geworden seien.
Hierbei sind schon die Grundannahmen des Landgerichts in Frage zu stellen.
Die Rechtsprechung zum berufstypischen Verhalten dient dazu, eine Kriminalisierung neutraler" Tätigkeiten eines Angestellten zu vermeiden, die im Rahmen der üblichen beruflichen Tätigkeit ausgeführt werden. In diesem Fall soll ein bedingter Vorsatz nicht ausreichend für die Annahme einer strafbaren Beihilfe sein. Der Angeschuldigte D kann wohl kaum als weisungsgebundener Mitarbeiter bezeichnet werden. Er war von 2002 bis April 2007 Finanzvorstand der Bank1 plc, der Muttergesellschaft der Bank1 AG und von Juni 2005 bis Januar 2006 außerdem Vorstandmitglied der Bank1 AG. Er hatte damit gemäß § 76 Abs. 1 AktG gemeinschaftlich mit den anderen Vorstandsmitgliedern die AG unter eigener Verantwortung zu leiten und war gerade nicht an Weisungen anderer Gesellschaftsorgane gebunden. Entsprechend trat er auch innerhalb des Unternehmens auf wie sich aus der Äußerung des Zeugen T zur Durchsetzungsstärke des Angeschuldigten D ergibt (HA Bd. IV, BI. 664f).
Auch ist fraglich, ob die angeklagten Tätigkeiten der Angeschuldigten E und D als „berufstypisches Verhalten" zu qualifizieren sind, das mangels hinreichenden deliktischen Bezuges aus der strafbaren Beihilfe auszuklammern ist. Hierfür reicht es nicht aus, dass die fraglichen Handlungen berufsmäßig vorgenommen werden, sondern es ist vielmehr eine wertende Betrachtung im Einzelfall vorzunehmen.
Vorliegend fehlt es schon angesichts der Anbahnung, des Umfangs und der Einzigartigkeit der Geschäfte zwischen der Bank1 und der Bank2 und der ausführlichen Beschäftigung aller Angeschuldigten mit den rechtlichen Problemen der Darstellung gegenüber den Finanzbehörden am „Alltagscharakter" auch der Tatbeiträge dieser beiden Angeschuldigten. Jedenfalls kommt ein Ausschluss des Gehilfenvorsatzes dann nicht in Betracht, wenn der mögliche Gehilfe hinsichtlich der Haupttat mit direktem Vorsatz gehandelt hat. Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten (BGH NStZ 2017, 461f m.w.N.). Als Indiz kann auch herangezogen werden, ob das Verhalten des Gehilfen gezielt dazu beiträgt, eine mögliche Steuerhinterziehung durch Verschleierung der tatsächlichen Gegebenheiten zu fördern (vgl. BGH, Beschluss vom 20.03.2002, 5 StR 448/01).
Vorliegend waren die beiden Angeschuldigten im Vorfeld der Abgabe der Steuererklärungen eng in die Gestaltung der Verträge mit der Bank2 involviert. Es war ihnen bewusst, dass ihre Handlungen in diesem Zusammenhang nur dann für die Bank1 von wirtschaftlichem Interesse waren, wenn diese von der deutlich geringeren Besteuerung der eingenommenen Dividenden im Verhältnis zu den Zinsen profitieren konnten. Das wiederum setzte jedoch voraus, dass falsche bzw. unvollständige. Angaben im Rahmen der Steuererklärungen gemacht werden mussten. Die steuerrechtliche Problematik war auch den Angeschuldigten D und E, wie bereits dargelegt, bekannt. Sie handelten daher im Hinblick auf die von den übrigen Angeschuldigten begangenen Steuerhinterziehung mit direktem Vorsatz. Ein Ausschluss des Gehilfenvorsatzes nach den Grundsätzen des berufstypischen Verhaltens kommt nicht in Betracht ...“.
Diesen umfassenden Ausführungen, denen ich mich vollumfänglich anschließe, kann lediglich ergänzend hinzugefügt werden, dass Landgericht Wiesbaden zwar grundsätzlich zutreffend ausgeführt hat, dass die Zeugenaussagen der zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt vor dem Hintergrund zu würdigen seien, dass die Bewertung des § 39 Abs. 1 AO zum Vernehmungszeitpunkt bereits seit ca. 10 Jahren anders zu beurteilen war als in den Jahren 2004 bis 2006 und davor. Die weitergehende Annahme des Gerichts, dass daher Zweifel bestünden, ob aus den Zeugenaussagen der zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt tatsächlich bewiesen werden könne, dass die Festsetzungen d.er Veranlagungen anders erfolgt wären, wenn die Angeschuldigten weitere Einzelheiten der vertraglichen Einbettung der Wertpapiere dargelegt hätten, ist jedoch der Beweiswürdigung der Aussagen in der Hauptverhandlung vorbehalten, in der eine dezidierte Befragung der Zeugen, sowie eine daran anschließende Würdigung deren Glaubwürdigkeit sowie der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen erfolgen kann. Die Zeugen hatten sämtlich angegeben hatten. dass sie in Kenntnis des „tatsächlichen Sachverhaltes" hypothetisch weitere Maßnahmen ergriffen hätten! Die schon im Vorfeld gerichtlicherseits erfolgte Äußerung von generellen Zweifeln ist kein Aspekt, der der Verfahrenseröffnung im Wege steht ...“.
Diesen zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft Wiesbaden und der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat an und macht sie sich zu eigen. Die von der Verteidigung erhobenen Einwände vermögen angesichts des zuvor Dargestellten den hinreichenden Tatverdacht gegen die Angeschuldigten nicht erschüttern.
Schließlich liegen nach dem Vorgenannten auch keine rechtlichen Gründe vor, die eine Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens begründen könnten.
Der Senat hat von der Möglichkeit nach § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO, das Hauptverfahren vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zu eröffnen, Gebrauch gemacht, weil die Beschlussgründe Anlass zur Annahme geben, dass die Kammer sich die Beschwerdebegründung nicht vollständig zu eigen machen wird.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO entsprechend (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18. September 2012 - 2 Ws 712/12; OLG Celle, Beschluss vom 25. Januar 2013 - 2 Ws 17-21/13; jeweils zitiert nach juris).
Vorschriften370 AO, § 204 StPO