03.07.2008 · IWW-Abrufnummer 082091
Bundesfinanzhof: Urteil vom 29.04.2008 – VIII R 28/07
1. War der Steuerpflichtige nicht im Besitz einer Kapitalertragsteuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG, so konnte eine Anrechnung der --eventuell-- einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer auch bereits nach der im Streitjahr 1993 geltenden Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht stattfinden.
2. Ist dem Steuerpflichtigen bewusst, dass er ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht herbeiführen kann, und gibt er deshalb Kapitaleinkünfte in seiner Steuererklärung in dem Bewusstsein nicht an, bei wahrheitsgemäßer Erklärung die Kapitalerträge wegen der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit gewissermaßen ein "zweites Mal" versteuern zu müssen, so kann in diesem Verhalten eine Steuerhinterziehung zu erblicken sein.
3. Erfasst die gerügte Gehörsverletzung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern bezieht sich lediglich auf einzelne Feststellungen, so liegt kein Fall des § 119 Nr. 3 FGO vor, so dass die Entscheidung über diese Verfahrensrüge gemäß § 126 Abs. 6 FGO keiner Begründung bedarf.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr im Januar 2008 verstorbener Ehemann (Kläger), dessen Rechtsnachfolgerin sie ist, Einkommensteuer auf Einnahmen aus Tafelgeschäften hinterzogen haben und die Festsetzungsfrist deshalb zehn Jahre beträgt.
Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger gaben am 13. Juni 1994 ihre Einkommensteuererklärung 1993 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ab. Unter anderem erklärten sie in der beigefügten Anlage KSO Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 7 720 DM und --unter Beifügung von Steuerbescheinigungen-- anzurechnende Kapitalertragsteuer von 1 813,11 DM. Das FA veranlagte erklärungsgemäß und setzte mit Bescheid vom 23. Januar 1995 eine Steuer in Höhe von 306 DM fest. Im August 1995 meldeten die Kläger weitere Zinserträge in Höhe von rund 10 000 DM nach, woraufhin das FA die Steuerfestsetzung entsprechend änderte.
Tatsächlich hatten die Kläger deutlich höhere Kapitaleinkünfte erzielt. Diese beliefen sich im Streitjahr 1993 auf insgesamt 120 551,82 DM.
Auch in den Vorjahren und in den Folgejahren waren in den von den Klägern abgegebenen Steuererklärungen nur geringe Teile der insgesamt erzielten Kapitaleinkünfte erfasst. So waren ihnen 1990 62 407,88 DM, 1991 90 564,21 DM und 1992 118 156,93 DM zugeflossen, von denen sie aber jeweils nur 7 988 DM für 1990, 11 187 DM für 1991 und 27 392 DM für 1992 angaben. Die für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 1999 abgegebenen Erklärungen waren in vergleichbarer Weise unvollständig.
Bei den nicht erklärten Einnahmen handelte es sich zu einem beträchtlichen Teil um Erträge aus Tafelgeschäften, die die Kläger anonym am Schalter abgewickelt hatten (Hingabe der Zinsscheine gegen Barauszahlung). Steuerbescheinigungen waren von den Banken nicht ausgestellt worden. Die übrigen Einnahmen resultierten aus über Konten oder Depots getätigte Anlagen in festverzinsliche Wertpapiere und ähnliche Investitionen. Diesbezüglich führten die Banken Kapitalertragsteuer ab und stellten Steuerbescheinigungen aus.
Im November 2001 teilte die Steuerfahndungsstelle --Steufa-- den Klägern schriftlich mit, dass sich aus ihr vorliegenden Unterlagen ergebe, dass Geld- bzw. Wertpapierübertragungen in das Ausland vorgenommen worden seien. Der Aufforderung der Steufa, eine vollständige Aufstellung der in- und ausländischen Kapitalerträge nebst einschlägiger Unterlagen vorzulegen, kamen die Kläger nach. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 berichtigten sie ihre bisherigen Erklärungen der Jahre 1990 bis 1999 und machten umfangreiche Angaben über die tatsächlich zugeflossenen Geldbeträge.
Im Änderungsbescheid vom 20. September 2002 wertete das FA das klägerische Schreiben aus und setzte die Einkommensteuer 1993 auf 26 008 DM fest. Das FA erfasste unter anderem nacherklärte Einnahmen aus Tafelgeschäften in Höhe von 63 888,33 DM. Diesbezüglich nahm es keine Anrechnung von Kapitalertragsteuer vor. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2002 wurde die Steuerfestsetzung aus nicht im Streit stehenden Gründen noch einmal geändert. Ohne Erfolg machten die Kläger im Einspruchs- wie im späteren Klageverfahren geltend, dass die Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig sei. Die verlängerte Festsetzungsfrist komme nicht zum Tragen, weil keine Steuer hinterzogen worden sei.
Die Klage hatte im Streitpunkt keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 95 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Das FG-Urteil leide an schwerwiegenden Verfahrensmängeln. Die Vorinstanz habe eine Überraschungsentscheidung getroffen.
Das Urteil beruhe auf einem weiteren Gehörsverstoß. Das FG habe rechtserhebliche Einwendungen, die in der mündlichen Verhandlung unter Heranziehung bestimmt bezeichneter Entscheidungen anderer Gerichte geltend gemacht worden seien, nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Außerdem habe es § 370 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) und §§ 15, 16 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) unzutreffend angewandt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und auch des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der Begriff des Tatbestandsirrtums in einer subjektiven Weise auszulegen. Habe ein Steuerpflichtiger angenommen, dass eine steuerliche Behandlung richtig sei, dann liege ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor. Das FG habe den Irrtumsbegriff gewissermaßen verobjektiviert und daher ihre Einlassung, im Hinblick auf die erhöhte Kapitalertragsteuer an deren Abgeltungscharakter geglaubt zu haben, zu Unrecht als bloße Schutzbehauptung und nicht als subjektiv zutreffende Annahme gewürdigt.
Den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung habe das FG zu Unrecht bejaht. Zu einer Steuerverkürzung sei es wegen der Abführung der Kapitalertragsteuer gar nicht gekommen. Dem Fiskus sei nicht nur kein Schaden entstanden. Vielmehr habe dieser sogar einige Tausend DM zuviel erhalten. Denn der persönliche Steuersatz der Kläger habe tatsächlich unter dem Zinsabschlagsteuersatz von 35 % gelegen. Nach Verfügungen der Oberfinanzdirektionen (OFD) München, Düsseldorf, Münster und Hannover sei dem Staat kein Schaden entstanden, weshalb § 370 AO nicht zur Anwendung komme.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen FG vom 22. November 2006 2 K 30186/03 die Einkommensteuer 1993 auf 3 762 ¤ festzusetzen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Zwar bestätigten die von der Klägerin angeführten Verfügungen der OFD München und Hannover insoweit deren Rechtsauffassung, dass eine Steuerhinterziehung nicht vorliege, wenn die einbehaltene Kapitalertragsteuer die festzusetzende Steuer übersteige. Dies setze jedoch voraus, dass Kapitalertragsteuer tatsächlich abgeführt worden sei. Im Streitfall sei dies gerade nicht nachgewiesen worden.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Festsetzungsfrist zehn Jahre betrug.
1. Das Revisionsverfahren ist durch den Tod des Klägers nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, weil dieser durch eine Prozessbevollmächtigte vertreten war (§ 246 Abs. 1 ZPO; vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 2007 III R 37/03, BFH/NV 2007, 2329).
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, entgegen § 93 Abs. 1 FGO sei die Streitsache in der mündlichen Verhandlung vom FG nicht einmal in Ansätzen erörtert worden, hat der Senat diese Rüge geprüft, aber nicht für zulässig erhoben erachtet. Er sieht insoweit von einer Begründung gemäß § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO ab.
b) Die Rüge, das rechtliche Gehör sei nicht gewährt worden, ist formgerecht erhoben. Insbesondere war die Bezugnahme auf das Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zulässig, weil die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits eine umfassende und kritische Würdigung der verfahrensrechtlichen Richtigkeit des FG-Urteils enthielt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 62; BFH-Beschluss vom 26. September 1995 VII R 29/95, BFH/NV 1996, 385). Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör allerdings nicht verletzt, es hat insbesondere keine Überraschungsentscheidung getroffen.
aa) Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und § 96 Abs. 1 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Hieraus folgt unter anderem das Verbot von Überraschungsentscheidungen; ein bisher nicht erörterter Umstand, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen, darf nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden. Allerdings bedeutet dies nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den --zumal fachkundig vertretenen-- Beteiligten umfassend erörtern müsste. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter --selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen-- nicht zu rechnen brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages gleichkommt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 21. August 2007 VII R 37/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2008, 254, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 5. Dezember 2006 VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490; vom 16. August 2007 VIII B 211/06, BFH/NV 2007, 2312, m.w.N.; vom 25. Januar 2008 X B 179/06, BFH/NV 2008, 608, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben hat das FG keine Überraschungsentscheidung getroffen. Denn ein kundiger Prozessbeteiligter muss in einem Gerichtsverfahren, in dem im Kern nur über die Frage des Vorliegens einer Steuerhinterziehung gestritten wird, ohne weiteres damit rechnen, dass das zur Entscheidung berufene FG bei der Prüfung des Vorsatzes auch das aktenkundige Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit in seine Beurteilung einbezieht. Wird nämlich die vorsätzliche Begehungsweise vom Steuerpflichtigen nicht eingeräumt und fehlen eindeutige Sach- und/oder Personalbeweise, wie z.B. Aussagen straftatbeteiligter Personen (Mittäter, Gehilfen, Anstifter), so sind die erforderlichen Feststellungen im Wege des Indizienbeweises zu treffen. Welche Einzeltatsachen den Schluss auf das Vorliegen des Vorsatzes zulassen können, hängt ganz von den Umständen des Einzelfalles ab. Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung ist auf die gesamte überschaubare Tätigkeit des Steuerpflichtigen abzustellen, eine Beschränkung auf Einzeltatsachen, die zeitlich unmittelbar mit dem streitgegenständlichen Besteuerungsabschnitt zusammenhängen, besteht hiernach nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juni 2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443). Dies wäre mit der richterlichen Pflicht, dem Urteil das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, nicht zu vereinbaren (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Januar 2008 VIII B 37/07, nicht veröffentlicht --n.v.--, m.w.N.).
Danach versteht es sich von selbst, dass aus dem Erklärungs- oder sonstigen Verhalten des Steuerpflichtigen in früheren --oder auch späteren Jahren-- Rückschlüsse auf den Kenntnisstand, die Absichten und Motive des Steuerpflichtigen im Streitjahr gezogen werden können. Da das FG nach ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, die für seine Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, musste die Klägerin von sich aus in Betracht ziehen, dass das FG die Tatsache der gänzlichen Nichtversteuerung erheblicher Kapitaleinkünfte in den Jahren 1990 bis 1992 verwertet und als Indiz für Bösgläubigkeit heranzieht. Dies gilt umso mehr, wenn die Klägerin --wie im Streitfall-- durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10 a, m.w.N.).
bb) Auch die weitere Rüge, dass der Vortrag der Klägerin zu den rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Tatbestandsirrtums gemäß § 16 Abs. 1 StGB nicht berücksichtigt worden sei, hält der Senat für unbegründet. Denn das mit Hinweisen auf straf- und finanzgerichtliche Judikate versehene Vorbringen der Klägerin wurde, wie Tatbestand und Entscheidungsgründe zeigen, vom FG entgegengenommen. Eine Gehörsverletzung liegt in einem solchen Fall nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das empfangene Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 26. März 2007 II S 1/07, BFH/NV 2007, 1094, m.w.N.). Solche besonderen Umstände sind im Streitfall weder vorgetragen noch ersichtlich.
cc) Im Übrigen sieht der Senat gemäß § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO von einer weiter gehenden Begründung ab. Eine Pflicht zur Begründung der Revisionsentscheidung gemäß § 126 Abs. 6 Satz 2 FGO besteht nicht, weil es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Gehörsverletzungen nicht um eine Rüge nach § 119 FGO handelt. Eine Rüge nach § 119 Nr. 3 FGO, bei der die Kausalität des Verfahrensmangels für die Entscheidung unwiderleglich vermutet wird, betrifft nur solche Fälle, in denen der gerügte Gehörsverstoß das Gesamtergebnis des Verfahrens erfasst. Bezieht sich die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wie vorliegend, lediglich auf einzelne Feststellungen, so ist die Kausalität vom Revisionskläger darzulegen und vom Revisionsgericht zu prüfen. Folglich handelt es sich nicht um einen absoluten Revisionsgrund i.S. des § 119 FGO (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, 43, 47, BStBl II 2001, 802; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 11, m.w.N.; Beermann in Beermann/Gosch, FGO, § 119 Rz 49 f., 50.1 bis 50.4, m.w.N.).
3. Die Revision hat auch mit der Sachrüge keinen Erfolg.
a) Steuerbescheide sind gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Änderung ist jedoch dann nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist zur Festsetzung der Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
Die Annahme einer auf zehn bzw. fünf Jahre verlängerten Frist setzt voraus, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer vollendeten Steuerhinterziehung i.S. des § 370 AO oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. des § 378 AO vorliegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1998 V R 60/97, BFHE 186, 1, BStBl II 1998, 530; vom 19. Dezember 2002 IV R 37/01, BFHE 200, 495, BStBl II 2003, 385).
Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der im Streitjahr geltenden Fassung wird auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die Anrechnungsverfügung stellt einen selbstständigen, von der Steuerfestsetzung zu unterscheidenden, rechtsbestätigenden Verwaltungsakt dar, der Teil des Erhebungsverfahrens ist (BFH-Urteile vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787; vom 18. Juli 2000 VII R 32, 33/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133).
b) Die Kläger haben im Streitjahr Einkommensteuer hinterzogen. Die Festsetzungsfrist betrug daher zehn Jahre, die Änderung der Steuerfestsetzung durch den angegriffenen Bescheid war zulässig.
aa) Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist gegeben. Die Kläger haben unvollständige Angaben zu ihren Kapitaleinkünften gemacht und dadurch Steuern verkürzt.
(1) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).
Wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, wurde infolge der Nichtangabe der Einnahmen aus Tafelgeschäften und bestimmter Einnahmen aus anderen Kapitalanlagen die Einkommensteuer im Bescheid vom 23. Januar 1995 zu niedrig festgesetzt. Die Streitfrage, ob trotz der zu niedrigen Festsetzung das Vorliegen einer Verkürzung zu verneinen ist, wenn anrechenbare Kapitalertragsteuerbeträge an den Fiskus abgeführt wurden, bedarf im Streitfall keiner Klärung (Überblick zum Streitstand bei Lindwurm, Der AO-Steuerberater 2007, 218; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 370 AO Rz 102a). Denn eine derartige steuerstrafrechtliche Verrechnung käme allenfalls unter der Prämisse in Betracht, dass die steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Abgabe der unvollständigen Steuererklärung sämtlich erfüllt sind. Ist das nicht der Fall, dann steht dem Fiskus die auf die nicht erklärten Kapitaleinkünfte festzusetzende Steuer "ungeschmälert", d.h. ohne Berücksichtigung einer eventuell abgeführten Kapitalertragsteuer, zu. Im Streitfall sind die Anrechnungsvoraussetzungen objektiv nicht erfüllt gewesen. Daher wurde die auf die nicht erklärten Kapitaleinkünfte festzusetzende Steuer verkürzt.
(2) Nach der Rechtsprechung des BGH sind anrechenbare Abzugsteuerbeträge steuerstrafrechtlich auf der Tatbestandsebene allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn die steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn die Bescheinigungen über Körperschaftsteuer nach § 44 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG a.F.) im Zeitpunkt der Tatbegehung nicht vorliegen. Abzugsteuerbeträge, die nicht bescheinigt wurden, sind weder geeignet, den tatbestandlichen Erfolg der Steuerhinterziehung entfallen zu lassen noch die Strafzumessung zugunsten des Einkommensteuerhinterziehers zu beeinflussen (vgl. BGH-Urteil vom 12. Januar 2005 5 StR 301/04, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht --wistra-- 2005, 144; BGH-Beschluss vom 7. November 2006 5 StR 435/06, wistra 2007, 68, jeweils zur Anrechnung von Körperschaftsteuer bei Einkommensteuerhinterziehungen im Rahmen des früheren Anrechnungsverfahrens). Fehlen Nachweise oder Bescheinigungen, deren Vorliegen sachlich-rechtliche Voraussetzung einer Steuernorm sind, und weiß der Steuerpflichtige, dass er diese Bescheinigungen benötigt, um die Voraussetzungen einer bestimmten begünstigenden Regelung erfüllen zu können, so begeht er eine Steuerhinterziehung, wenn er diese steuerliche Regelung beansprucht und dabei das Nichtvorliegen der erforderlichen Bescheinigungen verschweigt (vgl. BGH-Urteil vom 8. Februar 1983 1 StR 765/82, BGHSt 31, 248, wistra 1983, 115; BGH-Beschluss vom 4. Januar 1989 3 StR 415/88, wistra 1989, 190, jeweils zum Buchnachweis für die Steuerbefreiung der Ausfuhr gemäß § 6 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--; BGH-Urteil vom 12. Mai 2005 5 StR 36/05, wistra 2005, 308, BFH/NV 2005, Beilage 4, 400; Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26. Oktober 1987 4 St 164/87, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 1988, 313, zum Rechnungsbesitz beim Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG).
(3) Diese Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, hat im Streitfall zur Folge, dass die von der Klägerin behauptete, aber nicht nachgewiesene Abführung des Zinsabschlags in Höhe von 35 % der Erträge aus den Tafelgeschäften steuerstrafrechtlich nicht zu berücksichtigen ist. Denn die Kläger waren unstreitig nie im Besitz von Bescheinigungen der Kapitalertragsteuer gemäß § 45a Abs. 2 EStG, die materiell-rechtliche Voraussetzung der Steueranrechnung sind. Eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer war somit nicht möglich.
(4) Zwar war nach der im Streitjahr 1993 geltenden Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Unterschied zur heutigen Gesetzesfassung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250) die Vorlage der Steuerbescheinigung gemäß § 45a Abs. 2 EStG nicht ausdrücklich als Voraussetzung der Steueranrechnung benannt. Doch bedeutete dies keinen Verzicht auf jegliche formale Nachweiserfordernisse. Vielmehr konnte nach Auffassung des Senats auch bereits im Veranlagungszeitraum 1993 eine Anrechnung von Kapitalertragsteuerbeträgen, die im Zusammenhang mit getätigten Tafelgeschäften an den deutschen Fiskus abgeführt worden sein könnten, nur bei Vorlage einer Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG stattfinden (gleicher Auffassung BFH-Urteil vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BFH/NV 2008, 845, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; Abgrenzung zu BFH-Beschlüssen vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924; vom 21. Januar 2000 VII B 205/99, BFH/NV 2000, 1080 --jeweils obiter dicta--. Die Finanzverwaltung nahm durchgehend den hier vertretenen Rechtsstandpunkt ein, vgl. R 154 Abs. 4 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990 und R 154 Abs. 2 EStR 1993; Verfügungen der OFD Berlin vom 25. Oktober 1994 St 411 - S - 2401 - 1/94, ESt-Kartei Berlin § 36 EStG Nr. 5; der OFD Koblenz vom 25. März 1994 S 2400 A - St 34 3, Deutsches Steuerrecht 1994, 753).
Dies folgt aus dem Zweck der gesetzlichen Bescheinigungsregelung in § 45a Abs. 2 EStG. Dieser Zweck besteht in einer Nachweisfunktion. Im Unterschied zu einer Vielzahl anderer "steuerermäßigender" Tatbestände trifft der Gesetzgeber gerade im Zusammenhang mit der Anrechnung von Kapitalertragsteuer eine spezielle Bescheinigungs- und damit Nachweisregelung. Wenn der Gesetzgeber dieses Nachweisinstrument eigens zum Zwecke der Anrechnung einbehaltener Kapitalertragsteuer schafft, es detailliert ausgestaltet und es mit einer Ausstellungspflicht des Schuldners der Kapitalerträge bzw. des auszahlenden Kreditinstituts verbindet, so ist das ein deutlicher Beleg dafür, dass von diesem Nachweisinstrument nach dem Willen des Gesetzgebers auch zwingend Gebrauch zu machen ist. Wäre der Gesetzgeber tatsächlich der Auffassung gewesen, der Nachweis einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer könne auf jede erdenkliche Art und Weise geführt werden, so hätte es der detaillierten Regelung in § 45a Abs. 2 EStG nicht bedurft. Somit kann der Zweck der Regelung über die Kapitalertragsteuerbescheinigung, die praktikable und rechtssichere Durchführung der Kapitalertragsteueranrechnung zu ermöglichen, nur erreicht werden, wenn der Steuerpflichtige zwingend auf dieses spezielle Nachweisinstrument verwiesen wird. In seiner Auffassung sieht sich der Senat durch die Entstehungsgeschichte der ab dem Veranlagungszeitraum 1996 geltenden Neufassung des § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG bestätigt. Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der Gesetzgeber mit der Anfügung des Satzes 2 in die Anrechnungsvorschrift lediglich eine gesetzliche Klarstellung der seit längerem in den EStR enthaltenen Regelung, wonach eine Anrechnung ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung nicht möglich ist, bezweckte. Zudem sollte eine Gleichstellung mit der Anrechnung von Körperschaftsteuer erreicht werden (vgl. BTDrucks 13/1686, S. 46). Diesbezüglich war bereits geklärt, dass die Bescheinigung der Körperschaft materiell-rechtliche Voraussetzung der Anrechnung ist (BFH-Beschluss in BFHE 165, 287, BStBl 1991, 924). Einen Grund, die Kapitalertragsteuerbescheinigung anders zu behandeln als die Körperschaftsteuerbescheinigung, gab es aus Sicht des Gesetzgebers nicht.
Zudem lassen die gesetzlichen Sonderregelungen zur Behandlung von Tafelgeschäften darauf schließen, dass der Gesetzgeber bei diesen Geschäften die Kapitalertragsteuerbescheinigung als unverzichtbares Nachweismittel angesehen hat, um den offenkundigen Manipulationsmöglichkeiten angemessen Rechnung zu tragen. Faktisch ist die Kapitalertragsteuerbescheinigung hier schon deshalb unentbehrlich, weil es bei Tafelgeschäften an alternativen urkundlichen Nachweisen, wie zum Beispiel Erträgnisaufstellungen der Banken, fehlt. Ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung würde die Anrechnung des Zinsabschlags auf eine reine Schätzung hinauslaufen und die gesetzlichen Kennzeichnungs- und Bescheinigungsregelungen unterlaufen.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG haben die Kläger klassische Tafelgeschäfte getätigt, indem sie am Schalter der Bank anonym, d.h. ohne dass ihre Personalien aufgenommen worden wären, gegen Aushändigung der Zinsscheine die Wertpapiererträge bar vereinnahmten. Nach ihrem eigenen Vorbringen wollen die Kläger lediglich einen Abrechnungsbeleg erhalten haben, in dem weder Name noch Anschrift einer natürlichen Person aufgeführt waren. Eine Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG erhielten sie ebenfalls nicht. Dies entspricht der üblichen Praxis des Tafelgeschäfts, wonach Steuerbescheinigungen in der Regel nicht ausgestellt werden und auch die erteilte Quittung keine personenbezogenen Angaben enthält (vgl. Seemann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 44 Rz 21). Das Gesetz sieht --und sah-- allerdings auch bei Tafelgeschäften vor, dass die auszahlende Stelle auf Verlangen des Gläubigers der Kapitalerträge eine Steuerbescheinigung gemäß § 45a Abs. 2 EStG zu erteilen hat (vgl. nur Geurts in Bordewin/Brandt, § 45a EStG Rz 87; Seemann, a.a.O., § 44 Rz 21). Jedoch muss die Bescheinigung bei Tafelgeschäften mit einem speziellen Hinweis gekennzeichnet sein; die auszahlende Stelle hat hierüber besondere Aufzeichnungen zu führen (§ 45a Abs. 2 Satz 5 EStG i.V.m. § 45 Abs. 2 und 3 KStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; jetzt § 45a Abs. 2 Satz 5 EStG i.V.m. § 44a Abs. 6 EStG; hierzu Geurts, a.a.O., § 45a Rz 87). Damit werden die Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltung verbessert und sichergestellt, "dass im Veranlagungsverfahren die wirkliche Rechtslage geprüft und die bescheinigte Steuer beim wirklich Berechtigten angerechnet wird" (so wörtlich Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 30. April 1992 --Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung--, BTDrucks 12/2501, S. 20; vgl. auch Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994, Rz 819). Verlangt der Steuerpflichtige eine gekennzeichnete Steuerbescheinigung, dann muss er allerdings aus der selbst gewählten Anonymität des Tafelgeschäfts heraustreten und seinen Namen und seine Anschrift preisgeben. Denn diese Angaben müssen zwingend in der Steuerbescheinigung enthalten sein (§ 45a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG). Blanko-Steuerbescheinigungen sind unzulässig (Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994, Rz 819). Bevorzugt es der Steuerpflichtige dagegen, in der Anonymität zu bleiben und den speziellen Kennzeichnungs- und Aufzeichnungspflichten zu entgehen, so kommt dies einem bewussten Verzicht auf die Erteilung einer Steuerbescheinigung mit der Folge gleich, dass eine nachweisbare Zuordnung etwaiger vom Kreditinstitut abgeführter Kapitalertragsteuer zu einer bestimmten steuerpflichtigen Person auf zuverlässige Weise generell nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Ein reiner Abrechnungsbeleg, der, wie im Streitfall, ebenfalls keine personenbezogenen Daten enthält (vgl. Seemann, a.a.O., § 44 Rz 21), ist zum Nachweis völlig ungeeignet, weil aus ihm gerade nicht hervorgeht, dass derjenige Steuerpflichtige, der unter Vorlage dieser Urkunde die Anrechnung begehrt, identisch ist mit der Person, die das Tafelgeschäft tatsächlich getätigt hat bzw. der die Zinsen subjektiv zuzurechnen sind. Derartige "namenlose" Urkunden könnten in all den Fällen, in denen der persönliche Steuersatz niedriger ist als der bei Tafelgeschäften geltende Zinsabschlagsteuersatz von 35 %, sogar dazu eingesetzt werden, ungerechtfertigte Steuererstattungen zu realisieren.
Die zur Anrechnung von Lohnsteuerbeträgen bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte oder der Lohnsteuerbescheinigung ergangene Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Nach dieser Rechtsprechung wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Lohnsteueranrechnung offen gehalten, auch wenn er keine Lohnsteuerkarte oder -bescheinigung in den Händen hält. Dies beruht unter anderem auf der Erwägung, dass der Arbeitnehmer nicht mit dem Risiko belastet werden soll, aus in der Sphäre des Arbeitgebers liegenden Gründen von diesem keine Lohnsteuerbescheinigung erhalten zu können (vgl. BFH-Urteil vom 22. September 1978 VI R 221/75, BFHE 126, 257, BStBl II 1979, 55; BFH-Beschluss vom 29. Februar 1996 X B 303/95, BFH/NV 1996, 606; Brenner, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 36 Rz D 171). Es erscheint schon fraglich, ob bei dem normalen Kunden einer Bank ein vergleichbares Risiko überhaupt besteht. Jedenfalls befindet sich der Inhaber von Tafelpapieren zweifellos in einer ganz anderen Situation. Er könnte, wenn er nur wollte, ohne weiteres von einer Bank eine Kapitalertragsteuerbescheinigung über die dort getätigten Schaltergeschäfte erhalten. Er will dies aber nicht. Deshalb darf er mit den Folgen des von ihm selbst geschaffenen Risikos belastet werden, über keinen förmlichen Nachweis der angeblich auf seine Rechnung abgeführten Kapitalertragsteuer zu verfügen.
bb) Die Kläger haben auch vorsätzlich gehandelt. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Vorsatz bejaht und den Tatbestandsirrtum i.S. des § 16 Abs. 1 StGB verneint.
(1) Nach § 16 Abs. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (Tatbestandsirrtum). Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört danach, dass der Täter den angegriffenen bestehenden Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt und dass er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will (BGH-Beschluss vom 19. Mai 1989 3 StR 590/88, wistra 1989, 263; BGH-Urteil vom 9. Februar 1995 5 StR 722/94, wistra 1995, 191). Ein Tatbestandsirrtum liegt u.a. dann vor, wenn der Täter annahm, dass die steuerliche Behandlung einer Angelegenheit richtig war (BGH-Urteil vom 7. Dezember 1979 2 StR 315/79, BGHSt 29, 152; BGH-Beschluss in wistra 1989, 263).
(2) Nach diesem Maßstab hat das FG den --revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden-- Rechtsbegriff des Tatbestandsirrtums nicht verkannt. Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass das FG in der Sache keine verengte oder --wie die Klägerin meint-- "verobjektivierte" Irrtumsprüfung vorgenommen hat. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger Kenntnis von einem bestehenden Steueranspruch haben mussten. Irrtum i.S. des § 16 Abs. 1 StGB ist nichts weiter als die Negation der erforderlichen Kenntnis, bedeutet also Un-Kenntnis von einem Umstand, der zum gesetzlichen Straftatbestand gehört. Der Tatbestandsirrtum ist die Kehrseite des Wissenselements des Vorsatzes (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 16 Rz 3). Das FG ist bei seiner Beweiswürdigung ersichtlich von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat nämlich umfassend und eingehend gewürdigt, ob die Kläger im konkreten Fall diese erforderliche subjektive Kenntnis von dem staatlichen Besteuerungsanspruch --der Steuerpflicht der Erträge aus Tafelgeschäften-- hatten oder ob ihnen diese Kenntnis deshalb gefehlt hat, weil sie irrtumsbedingt an die abgeltende Wirkung der einbehaltenen Zinsabschlagsteuer und den hiermit verbundenen Wegfall der Erklärungs- und Steuerpflicht glaubten. Wenn sie --was Tatfrage ist-- geglaubt haben, der Steueranspruch des Staats sei durch den Zinsabschlag bereits erloschen, dann handelten sie ohne Kenntnis der Tatumstände und damit ohne Vorsatz.
(3) Die Beurteilung der Tatfrage, ob die Kläger die erforderliche Kenntnis hatten oder nicht hatten, gehört dem Bereich der Beweiswürdigung an und ist damit der revisionsgerichtlichen Kontrolle grundsätzlich entzogen. Im Streitfall ist die Würdigung des FG rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat ist daher an die Feststellung des FG, die Kläger hätten mit Vorsatz gehandelt, gebunden.
Die Beweiswürdigung des FG ist grundsätzlich revisionsrechtlich bindend. Nur wenn sie verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustande gekommen ist, sie durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflusst wurde, liegt ein die Revision begründender sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils vor (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 27. März 2007 VIII R 62/05, BFHE 217, 491; BFH-Beschluss vom 18. Oktober 2007 VIII B 212/06, BFH/NV 2008, 210, m.w.N.). Ist das nicht der Fall, so ist die tatrichterliche Würdigung auch dann revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn ein abweichendes Verständnis gleichermaßen möglich oder gar nahe liegend ist (BFH-Urteil vom 14. Juli 2004 I R 111/03, BFHE 206, 437, BStBl II 2005, 307; BFH-Beschluss vom 22. August 2006 V B 59/04, BFH/NV 2007, 116). Somit ist insbesondere eine nachvollziehbar vom FG begründete Würdigung einer Einlassung des Steuerpflichtigen als Schutzbehauptung nicht revisibel (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2007 VII R 51/04, BFH/NV 2007, 1161).
Im Streitfall sind die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen nicht begründet (s. oben unter I.1. und 2. der Gründe dieses Urteils). Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere ist die nachvollziehbar begründete Würdigung des FG, bei der Einlassung der Kläger handele es sich um eine Schutzbehauptung, möglich. Denn die wesentlichen Indizien, die das FG als für seine Überzeugungsbildung maßgeblich herausgestellt hat, lassen durchaus den Schluss auf bedingt vorsätzliches Handeln der Kläger zu. So deutet die Tatsache, dass in den Jahren 1990 bis 1992 ganz erhebliche Kapitalerträge weder bei der Veranlagung erfasst wurden noch dem Quellensteuerabzug unterlagen, darauf hin, dass nicht der Glaube an die abgeltende Wirkung einer wie auch immer gearteten Quellensteuer Grund für die Nichterklärung der Kapitalerträge war, sondern die Befürchtung, dass bei wahrheitsgemäßen Angaben zu den Einkünften des Jahres 1993 die "Unregelmäßigkeiten" der Vorjahre ans Licht kommen würden. Auch die vom FG festgestellte Tatsache, dass in erheblichem Umfang Kapitalerträge verschwiegen wurden, die dem normalen Zinsabschlagsteuersatz von 30 % unterlagen, kann ebenfalls zur Bewertung der klägerischen Einlassung als Schutzbehauptung führen. Denn die Kläger begründeten ihren Glauben an die abgeltende Wirkung des Zinsabschlags mit dem bei Tafelgeschäften auf 35 % erhöhten Steuersatz. Unterlagen sie tatsächlich dieser Fehlvorstellung, dann hätten sie zumindest die dem 30 %-igen Normalabzug unterliegenden Kapitaleinkünfte vollständig erklären müssen. Schließlich ist die Würdigung des FG möglich, dass die Kläger die Kapitaleinkünfte aus den Tafelgeschäften auch deshalb wissentlich nicht erklärten, weil sie davon ausgingen, eine Anrechnung der angeblich abgeführten Kapitalertragsteuer wegen der fehlenden Steuerbescheinigungen nicht herbeiführen zu können und die Erträge gewissermaßen ein "zweites Mal" versteuern zu müssen. Wussten sie um die fehlende Anrechnungsmöglichkeit, dann haben sie die dem Staat objektiv zustehende "zweite" Steuer mit Wissen und Wollen verkürzt. Wie eine derartige Straftat zu ahnden wäre (Strafzumessung), ist eine Frage, die sich im vorliegenden Verfahren nicht stellt.