11.09.2008
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 16.07.2008 – VI B 25/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. (nur) zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Diese vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe liegen jedoch nicht vor.
1. Der vom Kläger hauptsächlich aufgeworfenen (abstrakten) Frage, ob eine Nichtveranlagungs-(NV-)Verfügung, die auf der Grundlage des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erlassen wurde, wirksam einer Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung entgegen stehen kann, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage ist bereits höchstrichterlich entschieden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) lässt sich die Rechtsnatur einer NV-Verfügung nicht abstrakt bestimmen. Die Frage nach der Rechtsnatur, dem Regelungsgehalt und der verfahrensrechtlichen Bedeutung einer derartigen Verfügung ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Mai 1989 III R 200/85, BFHE 157, 22, BStBl II 1989, 920; Beschluss vom 17. April 2007 VI B 136/06, BFH/NV 2007, 1267, m.w.N.). Die diesbezügliche Würdigung obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht.
Von diesen Grundsätzen ist das Finanzgericht (FG) in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen. Es gelangte in tatrichterlicher Würdigung zu dem Schluss, dass die den Bevollmächtigten des Klägers bekanntgegebene NV-Verfügung vom 27. August 2003 einen Verwaltungsakt mit verbindlicher Regelung darstellt, mit dem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Antrag des Klägers auf Durchführung einer Einkommensteuer-Festsetzung für 2000 förmlich abgelehnt hat.
Soweit der Kläger diese Wertung beanstandet, rechtfertigt dies ebenfalls keine Zulassung der Revision. Der Kläger verkennt, dass die tatrichterliche Überzeugungsbildung, die Tatsachen- bzw. Sachverhaltswürdigung sowie diesbezügliche Schlussfolgerungen grundsätzlich Sache des FG sind; sie sind einer Nachprüfung durch den BFH weitgehend entzogen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO; z.B. BFH-Beschluss vom 30. Dezember 2004 VI B 67/03, BFH/NV 2005, 702). Die tatrichterliche Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob die Schlussfolgerungen des FG aus den (verfahrensrechtlich einwandfrei) festgestellten Tatsachen mit den allgemeinverbindlichen Grundsätzen der Beweiswürdigung, insbesondere den allgemeinen Erfahrungssätzen und den Denkgesetzen vereinbar sind (vgl. hierzu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 82).
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensverstoßes des FG (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt es einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens und damit einen Verfahrensfehler dar, wenn das FG eine Sachentscheidung trifft, obwohl es das Verfahren hätte gemäß § 74 FGO aussetzen müssen (vgl. Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 115 Rz 166; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 103, jeweils m.w.N.). Eine Aussetzung des Verfahrens setzt jedoch voraus, dass das andere Verfahren zumindest in bestimmter Weise rechtlich vorgreiflich für das anhängige Verfahren ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz 1 ff.; BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2007 VIII B 39/07, BFH/NV 2008, 940, m.w.N.). Diese Frage hat die Vorinstanz indessen zutreffend verneint.
Der Kläger übersieht einerseits, dass die von ihm in Bezug genommenen Vorlagebeschlüsse des Senats vom 22. Mai 2006 VI R 49/04 und VI R 46/05 an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegenstandlos geworden sind; die jeweiligen Beteiligten haben beide Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem --im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung der Frist für die Antragsveranlagung in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG durch das Jahresteuergesetz 2008-- jeweils Abhilfebescheide ergangen sind. Entscheidend ist im Streitfall jedoch andererseits, dass eine Vorgreiflichkeit der betreffenden Normenkontrollverfahren (Az. des BVerfG: 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06) hier nicht bestand. Denn das FG hat --in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise-- dahingehend erkannt, dass der Bescheid vom 27. August 2003 in Bestandskraft erwachsen und eine ändernde Steuerfestsetzung mangels Vorliegens von Korrekturvorschriften nach §§ 172 ff. der Abgabenordnung ausgeschlossen ist.
b) Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang vorbringt, das FG hätte hinsichtlich der ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Bescheids vom 27. August 2003 Beweis erheben müssen, wurde weder dargelegt noch ist ersichtlich, warum der fachkundig vertretene und selbst als Rechtsanwalt tätige Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht bereits von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2007 VI B 68/06, BFH/NV 2008, 977, unter II. 2. der Gründe; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 76 FGO Rz 82, m.w.N.).
Im Kern wendet sich der Kläger auch insoweit gegen die tatrichterliche Würdigung des FG, dass der Bescheid vom 27. August 2003 --trotz einer unvollständigen Adressierung-- aufgrund verschiedener Umstände den Bevollmächtigten des Klägers zugegangen sein muss (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 1. Juli 2003 VIII R 29/02, BFH/NV 2003, 1397; vom 13. Januar 1993 II R 62/90, BFH/NV 1993, 285; vom 28. August 1990 VII R 59/89, BFH/NV 1991, 215; vom 1. Februar 1990 V R 74/85, BFH/NV 1991, 2, jeweils m.w.N.). Auch insoweit liegt ein Angriff gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG vor (siehe u.a. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 I R 103/04, BFHE 209, 416, BStBl II 2005, 623), der gleichfalls nicht zur Zulassung der Revision führt.