27.01.2006 · IWW-Abrufnummer 060231
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 12.01.2006 – C-354/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)
12. Januar 2006(*)
?Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ? Artikel 2 Absatz 1, Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Artikel 5 Absatz 1 ? Vorsteuerabzug ? Wirtschaftliche Tätigkeit ? Steuerpflichtiger, der als solcher handelt ? Lieferung von Gegenständen ? Umsatz, der Teil einer Lieferkette ist, an der ein Händler beteiligt ist, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, oder ein Händler, der eine ?entwendete? Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer verwendet ? Karussellbetrug?
In den verbundenen Rechtssachen C-354/03, C-355/03 und C-484/03
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidungen vom 28. Juli 2003 (C-354/03 und C-355/03) und 27. Oktober 2003 (C-484/03), beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2003 bzw. 19. November 2003, in dem Verfahren
Optigen Ltd (C-354/03),
Fulcrum Electronics Ltd (C-355/03),
Bond House Systems Ltd (C-484/03)
gegen
Commissioners of Customs & Excise
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. Malenovski, J.-P. Puissochet, S. von Bahr (Berichterstatter) und U. Lõhmus,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
? der Optigen Ltd, vertreten durch T. Beazley, QC, und J. Herberg, Barrister,
? der Fulcrum Electronics Ltd, vertreten durch R. Englehart, QC, und A. Lewis, Barrister,
? der Bond House Systems Ltd, vertreten durch K. P. E. Lasok, QC, und M. Patchett-Joyce, Barrister,
? der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Jackson (C‑354/03, C-355/03 und C-484/03) und K. Manji (C‑484/03) als Bevollmächtigte im Beistand von R. Anderson, QC, und I. Hutton, Barrister,
? der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Boček als Bevollmächtigten (C‑354/03, C-355/03 und C-484/03),
? der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde und A. Rahbøl Jacobsen als Bevollmächtigte im Beistand von P. Biering, advokat (C‑484/03),
? des Rates der Europäischen Union, vertreten durch A.-M. Colaert und J. Monteiro als Bevollmächtigte (C-354/03 und C-355/03),
? der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten (C-354/03, C-355/03 und C‑484/03),
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Februar 2005
folgendes
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. P 71, S. 1301) in der durch die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ? Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Erste Richtlinie) sowie die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen dreier Rechtsstreitigkeiten zwischen Optigen Ltd (im Folgenden: Optigen), Fulcrum Electronics Ltd, in liquidation, (im Folgenden: Fulcrum) und Bond House Systems Ltd (im Folgenden: Bond House) jeweils auf der einen und den Commissioners of Customs & Excise (im Folgenden: Commissioners) auf der anderen Seite über die Entscheidung der Commissioners, Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer abzulehnen, die auf den Kauf von Mikroprozessoren im Vereinigten Königreich entrichtet worden war, die anschließend in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführten wurden.
Rechtlicher Rahmen
Artikel 2 der Ersten Richtlinie lautet:
?Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchssteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wird bis auf die Einzelhandelsstufe einschließlich angewandt.?
Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Absatz 2 dieses Artikels genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig ausübt. Der Begriff ?wirtschaftliche Tätigkeiten? umfasst nach dem genannten Absatz 2 alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden und auch Leistungen, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfassen.
Nach Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie gilt als ?Lieferung eines Gegenstands ? die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen?.
Artikel 17 Absätze 1 bis 3 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
?(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände geschuldet wird oder entrichtet worden ist;
?
(3) Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:
a) seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;
??
Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten
Den Vorlageentscheidungen ist zu entnehmen, dass zu dem in den Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitpunkt die Tätigkeit der Gesellschaften Optigen, Fulcrum und Bond House hauptsächlich darin bestand, Mikroprozessoren von Gesellschaften im Vereinigten Königreich zu kaufen und an Kunden in anderen Mitgliedstaaten zu verkaufen.
Optigen machte in ihrer Mehrwertsteuererklärung für Juni 2002 einen Nettosaldo erstattungsfähiger Mehrwertsteuer in Höhe von mehr als 7 Mio. GBP geltend. Mit Bescheiden vom 16. und 31. Oktober 2002 wiesen die Commissioners diesen Antrag zurück, soweit er sich auf einen Betrag von etwas über 7 Mio. GBP bezog. Desgleichen lehnten die Commissioners mit Bescheid vom 30. Oktober 2002 die Erstattung eines Betrages von etwas mehr als 13 Mio. GBP an Optigen für Juli 2002 ab.
Fulcrum machte in ihrer Mehrwertsteuererklärung für Juni 2002 einen Vorsteuer-Nettosaldo von fast 7,2 Mio. GBP geltend. Mit Bescheid vom 11. November 2002 lehnten die Commissioners diesen Antrag in Höhe von fast 2 Mio. GBP ab. Ebenso lehnten sie für Juli 2002 die Erstattung von etwa 1,1 Mio. GBP von einer Gesamtforderung von knapp 4 Mio. GBP ab. Außerdem nahmen die Commissioners im Februar 2003 eine Veranlagung von Fulcrum in Höhe von fast 160 000 GBP für Vorsteuer vor, die sie Fulcrum für Mai 2002 zu Unrecht erstattet hätten.
Bond House beantragte in ihrer Mehrwertsteuererklärung für Mai 2002 die Erstattung von rund 16,3 Mio. GBP gezahlter Vorsteuer. Die Commissioners lehnten diesen Antrag ab. Im September 2003 teilten die Commissioners dem Unternehmen mit, dass sie von dem beanspruchten Gesamtbetrag etwas mehr als 2,7 Mio. GBP als erstattungsfähig ansähen.
Den Vorlageentscheidungen ist zu entnehmen, dass die betreffenden Umsätze zu Lieferketten gehörten, an denen ohne Wissen der in den Ausgangsverfahren klagenden Gesellschaften ein Händler beteiligt war, der seinen Verpflichtungen nicht nachkam, d. h. ein Händler, der mehrwertsteuerpflichtig war, aber verschwand, ohne die Mehrwertsteuer an die Steuerbehörden entrichtet zu haben, oder ein Händler, der eine ?entwendete? Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer verwendete, d. h. eine Nummer, die einem anderen gehört; bei diesen Praktiken handelt es sich nach Ansicht der Commissioners um ?Karussellbetrug?.
Den Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑354/03 und C‑355/03 zufolge sowie nach Angaben der Commissioners in der Rechtssache C‑484/03 funktioniert ein ?Karussellbetrug? grundsätzlich wie folgt:
? Eine Gesellschaft A mit Sitz in einem Mitgliedstaat verkauft Gegenstände an eine Gesellschaft B mit Sitz in einem zweiten Mitgliedstaat.
? Die Gesellschaft B, bei der es sich um den Händler handelt, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt oder eine ?entwendete? Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer verwendet, verkauft diese Gegenstände mit Preisnachlass an eine Puffergesellschaft C mit Sitz in diesem zweiten Mitgliedstaat weiter. Die späteren Verkäufe können so mit Gewinn getätigt werden. Die Gesellschaft B muss auf den Kauf der betreffenden Gegenstände Mehrwertsteuer entrichten, hat aber, da sie diese Gegenstände für steuerpflichtige Umsätze verwendet hat, auch ein Recht auf Abzug dieser Mehrwertsteuer als Vorsteuer. Andererseits schuldet B die Mehrwertsteuer, die sie der Gesellschaft C berechnet hat, verschwindet aber, bevor sie den entsprechenden Betrag an die Steuerverwaltung abführt.
? Die Gesellschaft C verkauft die betreffenden Gegenstände ihrerseits an eine weitere Puffergesellschaft D im zweiten Mitgliedstaat weiter, wobei sie die ihrem Abnehmer berechnete Mehrwertsteuer an die Steuerverwaltung abführt, nachdem sie hiervon die gezahlte Vorsteuer abgezogen hat, und so weiter, bis eine Gesellschaft im zweiten Mitgliedstaat die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat ausführt. Die Ausfuhr ist von der Mehrwertsteuer befreit, aber die ausführende Gesellschaft hat gleichwohl einen Anspruch auf Erstattung der für den Kauf der Gegenstände gezahlten Vorsteuer. Ist der Käufer die Gesellschaft A, handelt es sich um einen echten ?Karussellbetrug?.
? Das Verfahren kann wiederholt werden.
In den Rechtssachen C‑354/03 und C‑355/03 führt das vorlegende Gericht aus, die Commissioners hätten ihre Bescheide erstens darauf gestützt, dass Optigen und Fulcrum in Bezug auf die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Käufe keine Lieferungen erhalten hätten, die für die Zwecke im Sinne des Mehrwertsteuergesetzes verwendet worden seien oder hätten verwendet werden sollen, so dass die angeblich bei diesen Käufen gezahlten Mehrwertsteuerbeträge keine Vorsteuern im Sinne des Mehrwertsteuergesetzes von 1994 (Value Added Tax Act 1994) gewesen seien. Sodann seien die entsprechenden Verkäufe keine Lieferungen im Rahmen einer Geschäftstätigkeit im Sinne des Mehrwertsteuergesetzes gewesen, so dass sie keinen Erstattungsanspruch begründeten. Schließlich seien die Käufe und Verkäufe objektiv betrachtet ohne wirtschaftliche Substanz gewesen und hätten nicht zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit gehört. Bei den Käufen habe es sich daher nicht um Lieferungen gehandelt, die für die Zwecke irgendeiner wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet würden oder hätten verwendet werden sollen, und die Verkäufe seien keine Lieferungen gewesen, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Mehrwertsteuergesetzes ausgeführt worden seien.
Optigen und Fulcrum erhoben gegen die Bescheide der Commissioners vor dem VAT and Duties Tribunal London Einspruch. Dieses verband die beiden Sachen.
Mit Entscheidung vom 23. Mai 2003 wies das VAT and Duties Tribunal London die Klagen dieser Gesellschaften mit der Begründung ab, die Commissioners hätten zu Recht die Auffassung vertreten, dass die betreffenden Umsätze nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fielen. Ein Händler habe keinen Anspruch auf Erstattung der Vorsteuer, die er für Gegenstände gezahlt habe, die er anschließend an Gesellschaften mit Sitz außerhalb des Vereinigten Königreichs weiterverkauft habe, wenn ein Händler, der seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, oder ein Händler, der eine ?entwendete? Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer verwendet habe, an der Lieferkette beteiligt gewesen sei; das gelte selbst dann, wenn der Händler, der die Erstattung beantrage, weder in irgendeiner Weise an der Pflichtverletzung oder der ?Entwendung? der Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer beteiligt gewesen sei, die dem anderen Händler vorgeworfen würden, noch hiervon Kenntnis gehabt habe, und auch dann, wenn die Lieferketten, zu denen die Käufe und Verkäufe des betreffenden Händlers gehört hätten, ohne sein Wissen Teil eines von Dritten begangenen ?Karussellbetrugs? gewesen seien.
Optigen und Fulcrum legten beim High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, gegen die Entscheidung des VAT and Duties Tribunal London Rechtsmittel ein.
Der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑484/03 zufolge machen die Commissioners geltend, dass mit den in den Ausgangsverfahren streitigen Lieferketten betrügerische Zwecke verfolgt worden seien und daher keiner der Umsätze, aus denen diese Ketten bestanden hätten, einschließlich der von Bond House getätigten, wirtschaftliche Substanz gehabt habe. Da rechtswidrige Umsätze nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fielen, folge daraus, dass es sich bei den Beträgen, die Bond House seinen Lieferanten als Vorsteuer unter dem Deckmantel der Mehrwertsteuer gezahlt habe, nicht um Mehrwertsteuer gehandelt habe, so dass Bond House keinen Anspruch auf die Erstattung dieser Beträge habe.
Im August 2002 reichte Bond House eine Klage beim VAT and Duties Tribunal Manchester gegen den Bescheid der Commissioners ein.
Mit Entscheidung vom 29. April 2003, geändert durch ein Addendum vom 8. Mai 2003, stellte das VAT and Duties Tribunal Manchester fest, dass 26 der 27 im Ausgangsverfahren streitigen Käufe nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden könnten und daher vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ausgeschlossen seien. Diese Käufe hätten zu einer Reihe von Umsätzen gehört, die einen betrügerischen Zweck gehabt hätten. Obwohl Bond House diesen Zweck nicht gekannt und sich nicht strafbar gemacht habe, hätten diese Umsätze keine wirtschaftliche Substanz gehabt und seien nach objektiven Kriterien zu beurteilen gewesen. Es sei daher unerheblich, dass sich Bond House nicht strafbar gemacht habe. Schließlich könne Bond House ihren Antrag auf Vorsteuererstattung nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes stützen, und die Commissioners hätten dadurch, dass sie die Erstattung an die Klägerin abgelehnt hätten, weder die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Rechtssicherheit noch die Grundrechte von Bond House verletzt.
Bond House legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, ein.
Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
In den Rechtssachen C‑354/03 und C‑355/03 führt das vorlegende Gericht aus, dass der Sachverhalt in den Ausgangsverfahren als feststehend unterstellt werde. Es hält folgende Tatsachen für entscheidend:
? Es gab einen ?Karussellbetrug?.
? Optigen und Fulcrum waren als unschuldige Beteiligte nicht an diesem Betrug, von dem sie weder Kenntnis hatten noch haben mussten, beteiligt, sondern nur gewöhnliche Käufer von einem Händler und gewöhnliche Verkäufer an eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat.
? Optigen und Fulcrum hatten keinen geschäftlichen Verkehr mit dem Händler, der seinen Verpflichtungen nicht nachkam oder eine ?entwendete? Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer verwendete.
? Die neun von Fulcrum getätigten Käufe, für die die Erstattung der Mehrwertsteuer abgelehnt wurde, stellten sich für das Unternehmen nicht anders dar als die 467 anderen Käufe, die es während des einschlägigen Dreimonatszeitraums tätigte.
? Zu dem Zeitpunkt, als Optigen und Fulcrum die Gegenstände kauften und Vorsteuer zahlten, war das ?Karussell? unvollständig und ein Händler, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, noch nicht ?verschwunden?, so dass die Möglichkeit bestand, dass keines der beiden Ereignisse eintreten würde.
In der Rechtssache C‑484/03 führt das vorlegende Gericht aus, dass Bond House einige wenige Tatsachenfeststellungen oder Schlussfolgerungen des VAT and Duties Tribunal Manchester beanstande. Folgende Tatsachen gehören zu denen, die nicht bestritten werden:
? Bond House stand bei den Commissioners in gutem Ansehen und in keiner Weise in Verdacht, in einen Mehrwertsteuerbetrug verwickelt zu sein.
? Das Unternehmen wusste vom Vorliegen des von den Commissioners behaupteten Betruges nichts und handelte nicht grob fahrlässig.
? Bond House handelte mit keinem der Händler, von denen die Commissioners behaupten, sie hätten sich betrügerisch verhalten.
? Alle von Bond House getätigten Umsätze und die Umsätze, die stattfanden, bevor und nachdem Bond House die Waren gekauft und verkauft hatte, waren echt: Bei jedem Umsatz wechselten diese Waren den Besitzer und führten zu einer Zahlung.
? Die Umsätze, bei denen das VAT and Duties Tribunal Manchester das Fehlen einer wirtschaftlichen Substanz feststellte, unterschieden sich nicht von anderen Umsätzen, die Bond House tätigte und deren wirtschaftliche Substanz nicht bestritten wurde, da es keinen Beweis gab, dass sie Teil eines ?Karussellbetruges? waren.
Bond House trägt im Wesentlichen vor, da die Käufe und Lieferungen, um die es im Ausgangsverfahren gehe, tatsächlich erfolgt seien, könne nicht behauptet werden, dass sie nur deshalb für Mehrwertsteuerzwecke keine ?Lieferungen? oder keine Ausübung ?wirtschaftlicher Tätigkeiten? seien, weil sich an einer anderen Stelle in der Lieferkette ohne Wissen von Bond House ein Betrüger befinde, der einen Kunden mit Mehrwertsteuer belastet habe, aber diese Mehrwertsteuer gegenüber den Commissioners nicht erklärt habe. Ferner gebe es keinen Grund für die Annahme, dass die Umsätze, die erfolgt seien, nachdem oder bevor der Betrug begangen worden sei, und an denen Personen beteiligt seien, die keine Kenntnis von dem Betrug oder dem Betrüger gehabt hätten, Bestandteil des Betruges oder des Tatplans des Betrügers seien. Die Entscheidung des VAT and Duties Tribunal Manchester sei mit dem Sinn und Zweck des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems nicht vereinbar. Als ein Mittel zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetruges sei sie unverhältnismäßig und könne entgegen Artikel 28 EG abschreckend auf den rechtmäßigen Handel wirken. Sie sei auch nicht mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, da die Steuerpflichtigen nicht einmal mehr mit einem Minimum an Sicherheit Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis ausstellen oder Mehrwertsteuererklärungen ausfüllen könnten.
Die Commissioners tragen im Wesentlichen vor, dass Umsätze, die Bestandteil eines ?Karusselbetruges? seien, keine wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie seien. Die 26 im Ausgangsverfahren streitigen Umsätze hätten daher keine wirtschaftliche Substanz gehabt und unterfielen nicht dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie. Weder seien diese Umsätze Teil einer ?wirtschaftlichen Tätigkeit? gewesen, noch habe es sich bei ihnen um ?Lieferungen? an oder von Bond House gehandelt. Die Entscheidung, Bond House die Erstattung der fraglichen Mehrwertsteuer zu verweigern, verletze weder die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Rechtssicherheit noch die Grundrechte von Bond House.
In Anbetracht dessen hat der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
In den Rechtssachen C‑354/03 et C‑355/03:
1. Ist im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und im Licht der Ersten und der Sechsten Richtlinie der Anspruch eines Händlers auf eine Gutschrift für die auf einen Umsatz entrichtete Mehrwertsteuer zu beurteilen unter Bezugnahme auf
a) nur den einzelnen Umsatz, an dem der Händler beteiligt war, unter Einbeziehung der Absichten des Händlers bei der Tätigung dieses Umsatzes oder
b) die Gesamtheit der Umsätze einschließlich nachfolgender Umsätze, die eine kreisförmige Lieferkette bilden, zu der der einzelne Umsatz gehört, unter Einbeziehung der Absichten anderer Teilnehmer in der Kette, die der Händler nicht kennt und/oder nicht kennen kann, und/oder
c) die betrügerischen Handlungen und Absichten ? unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem einzelnen Umsatz begangen werden bzw. bestehen ? anderer Beteiligter an der kreisförmigen Kette, von deren Beteiligung der Händler nichts weiß und deren Handlungen und Absichten er nicht kennt und/oder nicht kennen kann, oder
d) irgendwelche anderen Kriterien und, wenn ja, welche?
2. Verstößt es gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung oder der Rechtssicherheit, dass Umsätze, die von einem unschuldigen Beteiligten getätigt werden, die aber Teile eines von anderen geschaffenen betrügerischen Steuerkarussells bilden, von der Mehrwertsteuerregelung ausgeschlossen werden?
In der Rechtssache C-484/03:
1. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit, und von Artikel 28 EG:
a) War die Rechtsmittelführerin unter den relevanten Umständen ein ?Steuerpflichtiger als solcher? im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie, als sie in den 26 Umsätzen die Mikroprozessoren von den Verkäufern im Vereinigten Königreich erwarb und sie an die nicht im Vereinigten Königreich ansässigen Käufer verkaufte?
b) Übte sie unter den relevanten Umständen eine ?wirtschaftliche Tätigkeit? im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie aus, als sie in den 26 Umsätzen die Mikroprozessoren von den Verkäufern im Vereinigten Königreich erwarb und sie an die nicht im Vereinigten Königreich ansässigen Käufer verkaufte?
c) War unter den relevanten Umständen bei den 26 Umsätzen der Erwerb der Mikroprozessoren durch die Rechtsmittelführerin von den Verkäufern im Vereinigten Königreich eine ?Lieferung von Gegenständen? im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie an die Rechtsmittelführerin?
d) War unter den relevanten Umständen bei den 26 Umsätzen der Verkauf der Mikroprozessoren durch die Rechtsmittelführerin an die nicht im Vereinigten Königreich ansässigen Käufer eine ?Lieferung von Gegenständen? im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie von der Rechtsmittelführerin?
2. Ist im Hinblick auf die Antworten auf Frage 1 a) bis d) ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, inbesondere die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit, festzustellen?
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 19. September 2003 sind die Rechtssachen C‑354/03 und C‑355/03 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Anschließend sind mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. Juni 2004 diese Rechtssachen und die Rechtssache C‑484/03 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den ersten Fragen
Mit seiner ersten Frage in allen drei Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Umsätze wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, aber zu einer Lieferkette gehören, bei der ein anderer, vorausgegangener oder nachfolgender Umsatz mit einem solchen Betrug behaftet ist, ohne dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die zuerst genannten Umsätze tätigt, dies weiß oder wissen kann, Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 Nummer 1, 4 und 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sind und ob unter diesen Umständen das Recht dieses Wirtschaftsteilnehmers auf Vorsteuerabzug eingeschränkt werden kann.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
Optigen und Fulcrum vertreten die Auffassung, dass im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und im Licht der Ersten und der Sechsten Richtlinie der Anspruch eines Händlers auf Erstattung der auf einen Umsatz entrichteten Steuer im Hinblick auf den einzelnen Umsatz, an dem dieser Händler beteiligt gewesen sei, unter Einbeziehung der Absichten des Händlers bei der Tätigung dieses Umsatzes, zu beurteilen sei und nicht unter Bezugnahme auf vorausgegangene oder nachfolgende Umsätze, von denen der Händler weder Kenntnis habe noch gehabt haben könne, oder auf betrügerische Handlungen und Absichten anderer Beteiligter, von deren Beteiligung der Händler nichts wisse und deren Handlungen und Absichten er nicht kenne und/oder nicht kennen könne.
Nach Meinung von Bond House ist die erste Frage in der Rechtssache C‑484/03 zu bejahen.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, dass im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und im Licht der Ersten und der Sechsten Richtlinie der Anspruch eines Händlers auf Erstattung der auf einen Umsatz entrichteten Steuer im Hinblick auf alle Umsätze einschließlich der nachfolgenden zu beurteilen sei, die eine kreisförmige Lieferkette bildeten, zu der der einzelne Umsatz gehöre; dabei seien die Absichten anderer Teilnehmer in der Kette, die der Händler nicht kenne und/oder nicht kennen könne, und die betrügerischen Handlungen und Absichten ? unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem einzelnen Umsatz begangen würden bzw. bestünden ? anderer Beteiligter an der kreisförmigen Kette einzubeziehen, von deren Beteiligung der Händler nichts wisse und deren Handlungen und Absichten er nicht kenne und/oder nicht kennen könne. Sämtliche Umsätze einer kreisförmigen Lieferkette, deren einziges Ziel in der Begehung eines Mehrwertsteuerbetruges bestehe, fielen daher vollständig aus dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie heraus, und der Umstand, dass an einigen dieser Umsätze ein unschuldiger Händler beteiligt gewesen sei, sei nicht geeignet, sie dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie zuzuordnen.
Die tchechische Regierung macht geltend, sofern das Ziel, das mit Umsätzen wie den in den Ausgangsverfahren streitigen verfolgt werde, rechtswidrig sei, könnten sie nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden.
Die dänische Regierung ist der Ansicht, dass zum einen dem Steuerpflichtigen, der die Mehrwertsteuer für die ?Lieferung eines Gegenstands? abziehen wolle, der Nachweis obliege, dass das Recht, über die Waren als Eigentümer zu verfügen, tatsächlich auf den Betroffenen übertragen worden sei, und zum anderen Umsätze, die in einem geschlossenen Kreis getätigt worden seien, nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fielen, da der Betroffene, indem er in einen solchen Kreis eintrete, nicht als Steuerpflichtiger handele.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften macht geltend, dass im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und im Licht der Ersten und der Sechsten Richtlinie der Anspruch eines Händlers auf Erstattung der auf einen Umsatz entrichteten Mehrwertsteuer unter Bezugnahme auf den einzelnen Umsatz zu beurteilen sei, an dem dieser Händler beteiligt gewesen sei. Die Umsätze, von denen er keine Kenntnis habe, und die betrügerischen Handlungen und Absichten anderer Beteiligter in der Lieferkette, von deren Beteiligung er nichts wisse, berührten diesen Anspruch nicht. Werde ein Umsatz, der als steuerbare Lieferung anzusehen sei, aus dem Mehrwertsteuersystem ausgeschlossen, liege folglich ein Verstoß gegen die Sechste Richtlinie vor.
Würdigung durch den Gerichtshof
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit der Sechsten Richtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen worden ist, das insbesondere auf einer einheitlichen Definition der steuerbaren Umsätze beruht (vgl. u. a. Urteil vom 26. Juni 2003 in der Rechtssache C‑305/01, MGK‑Kraftfahrzeuge‑Factoring, Slg. 2003, I‑6729, Randnr. 38).
Insoweit erkennt die Sechste Richtlinie der Mehrwertsteuer einen sehr weiten Anwendungsbereich zu, indem sie in Artikel 2, der die steuerbaren Umsätze betrifft, außer der Einfuhr von Gegenständen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen erfasst, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
Was zunächst den Begriff ?Lieferungen von Gegenständen? betrifft, so gilt nach Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie als eine solche Lieferung die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, dass dieser Begriff jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. u. a. Urteile vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C‑320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I‑285, Randnr. 7, und vom 21. April 2005 in der Rechtssache C‑25/03, HE, Slg. 2005, I‑3123, Randnr. 64).
Sodann gilt nach Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
Der Begriff ?wirtschaftliche Tätigkeiten? ist in Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie als alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden definiert und schließt nach der Rechtsprechung sämtliche Stadien der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen ein (vgl. u. a. Urteile vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C‑186/89, Van Tiem, Slg. 1990, I‑4363, Randnr. 17, und MGK‑Kraftfahrzeuge‑Factoring, Randnr. 42).
Was schließlich den Begriff ?Steuerpflichtiger als solcher? angeht, so ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass ein Steuerpflichtiger in dieser Eigenschaft handelt, wenn er Umsätze im Rahmen seiner steuerbaren Tätigkeit tätigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache C‑291/92, Armbrecht, Slg. 1995, I‑2775, Randnr. 17, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C‑77/01, EDM, Slg. 2004, I‑4295, Randnr. 66).
Wie der Gerichtshof in Randnummer 26 des Urteils vom 12. September 2000 in der Rechtssache C‑260/98 (Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I‑6537) festgestellt hat, wird aus der Analyse der Definitionen der Begriffe des Steuerpflichtigen und der wirtschaftlichen Tätigkeiten deutlich, dass sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten auf einen weiten Bereich erstreckt und dass es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (vgl. auch Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471, Randnr. 8, sowie im gleichen Sinne u. a. Urteile vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 19, und vom 27. November 2003 in der Rechtssache C‑497/01, Zita Modes, Slg. 2003, I‑14393, Randnr. 38).
Tatsächlich zeigt diese Analyse ebenso wie die der Begriffe ?Lieferungen von Gegenständen? und ?Steuerpflichtiger als solcher?, dass die betreffenden Ausdrücke, die die nach der Sechsten Richtlinie steuerbaren Umsätze definieren, sämtlich objektiven Charakter haben und unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar sind.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils vom 6. April 1995 in der Rechtssache C‑4/94 (BLP Group, Slg. 1995, I‑983) festgestellt hat, wäre eine Verpflichtung der Steuerverwaltung, Untersuchungen anzustellen, um die Absicht des Steuerpflichtigen zu ermitteln, unvereinbar mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, Rechtssicherheit zu gewährleisten und die mit der Anwendung der Mehrwertsteuer verbundenen Maßnahmen dadurch zu erleichtern, dass, abgesehen von Ausnahmefällen, auf die objektive Natur des betreffenden Umsatzes abgestellt wird.
Erst recht unvereinbar mit diesen Zielen wäre eine Verpflichtung der Steuerverwaltung, zum Zwecke der Feststellung, ob ein bestimmter Umsatz eine Lieferung, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck ? den dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte ? eines anderen Umsatzes zu berücksichtigen, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt.
Wie der Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist jeder Umsatz für sich zu betrachten und ändern vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse nichts am Charakter eines bestimmten Umsatzes in der Lieferkette.
Was die von der Regierung des Vereinigten Königreichs angeführte Rechtsprechung angeht, wonach die Steuerpflichtigeneigenschaft nur dann endgültig erlangt wird, wenn die Erklärung, die beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, vom Betroffenen in gutem Glauben abgegeben wurde (vgl. u. a. Urteile vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C‑400/98, Breitsohl, Slg. 2000, I‑4321, Randnr. 39, und vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C‑110/98 bis C‑147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I‑1577, Randnr. 46), genügt die Feststellung, wie sie der Generalanwalt in Nummer 35 seiner Schlussanträge getroffen hat, dass sich diese Rechtsprechung auf die Frage bezieht, ob jemand die Absicht hat, wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen und dementsprechend auszuüben, und nicht auf die Frage nach dem mit diesen Tätigkeiten verfolgten Zweck.
Soweit sich die Regierung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur fehlenden Mehrwertsteuerpflichtigkeit unerlaubter Geschäfte stützt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsprechung zum einen Waren betrifft, die aufgrund ihrer Art und ihrer besonderen Merkmale weder in den erlaubten Handel gebracht noch in den Wirtschaftskreislauf einbezogen werden können. Zum anderen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet. Somit führt die Einstufung eines Verhaltens als strafbar nicht ohne weiteres dazu, dass der fragliche Vorgang nicht steuerbar ist. Dies ist nur in spezifischen Situationen der Fall, in denen wegen der besonderen Eigenschaften bestimmter Waren oder bestimmter Dienstleistungen jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist (vgl. u. a. Urteile vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C‑158/98, Coffeeshop ?Siberië?, Slg. 1999, I-3971, Randnrn. 14 und 21, und vom 29. Juni 2000 in der Rechtssache C‑455/98, Salumets u. a., Slg. 2000, I-4993, Randnr. 19).
Es steht jedoch fest, dass diese Situation im Fall der Mikroprozessoren, um die es in den Ausgangsverfahren geht, nicht vorliegt.
Folglich sind Umsätze wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 Nummer 1, 4 und 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck ? den dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte ? eines anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt.
Das Recht eines Steuerpflichtigen, der solche Umsätze ausführt, auf Vorsteuerabzug wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist.
Wie der Gerichtshof nämlich mehrfach festgestellt hat, ist das in den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C‑62/93, BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18, und Gabalfrisa u. a., Randnr. 43).
Ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung ( ( vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. März 2004 in der Rechtssache C‑395/02, Transport Service, Slg. 2004, I‑1991, Randnr. 26). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass nach dem Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das sich aus den Artikeln 2 der Ersten und der Sechsten Richtlinie ergibt, die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (vgl. u. a. Urteile vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C‑98/98, Midland Bank, Slg. 2000, I‑4177, Randnr. 29, und Zita Modes, Randnr. 39).
Daher ist auf die erste Frage in allen drei Rechtssachen zu antworten, dass Umsätze wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 Nummer 1, 4 und 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sind, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck ? den dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte ? eines anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt. Das Recht eines Steuerpflichtigen, der solche Umsätze ausführt, auf Vorsteuerabzug wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist.
Zu den zweiten Fragen
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage in allen drei Rechtssachen braucht die in diesen Rechtssachen gestellte zweite Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Umsätze wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, sind Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 Nummer 1, 4 und 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ? Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 97/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck ? den dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte ? eines anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt. Das Recht eines Steuerpflichtigen, der solche Umsätze ausführt, auf Vorsteuerabzug wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg