24.05.2002 · IWW-Abrufnummer 020620
Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 30.01.2002 – 2 BvR 2248/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2248/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen
a) den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 14. November 2000 - 24 Qs 10/00 -,
b) den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2000 - 42 Gs 2413/00 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 30. Januar 2002 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit und Dauer der Durchsicht von Daten eines im Rahmen einer Durchsuchung sichergestellten Notebooks, von dem die Beschwerdeführerin behauptet, auf ihm seien Verteidigungsunterlagen gespeichert.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Beschwerdeführerin wird nicht in ihrem Recht auf eine effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
Aus diesem Recht ergibt sich zwar, dass - über den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus - Unterlagen, die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen (BGH, NStZ 1998, S. 309 ff.). Das Medium, auf dem sich diese Unterlagen befinden, ist in entsprechender Anwendung des § 11 Abs. 3 StGB gleichgültig (vgl. auch Nack, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 97 Rn. 11 und 13), so dass darunter auch lesbare Aufzeichnungen von Computerdaten fallen. Allerdings ist es einem Beschuldigten verwehrt, die Beschlagnahme von Unterlagen schon dadurch zu verhindern, dass er diese einfach als Verteidigungsunterlagen bezeichnet oder mit solchen Unterlagen vermischt. Entscheidend ist, ob ein Beschuldigter die Aufzeichnungen erkennbar, also für einen Außenstehenden nachvollziehbar, zum Zwecke der Verteidigung angefertigt hat (BGH a.a.O.). Ist nicht sofort feststellbar, ob die einzelnen Aufzeichnungen, die bei einer Durchsuchung gefunden werden, der Verteidigung dienen, so können sie vorläufig sichergestellt werden. Eine Pflicht zur sofortigen und ungelesenen Herausgabe besteht nur, wenn die Eigenschaft als Verteidigungsunterlage offensichtlich ist; andernfalls erfordern bereits die rein tatsächlichen Umstände eine Durchsicht (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 97 Rn. 25; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 110 Rn. 2).
Vorliegend ist die Durchsicht der Daten auf dem Notebook - die der Regelung des § 110 StPO unterliegt (BGH-Ermittlungsrichter, CR 1999, S. 292 <293>) - noch nicht abgeschlossen. Dass es sich bei den noch nicht entschlüsselten Daten um Verteidigungsunterlagen handelt, ist nicht offensichtlich. Bis zu deren Entschlüsselung besteht ohnehin keine Gefahr, dass zur Umgehung des rechtsanwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts entsprechende Dateien gelesen werden. Tragfähige Anzeichen dafür, dass der zuständige Staatsanwalt nach der Entschlüsselung des Passwortes sich im Falle des Auffindens von Verteidigungsunterlagen nicht an seine oben aufgezeigte Verpflichtung zur Herausgabe - die bei in einem Computer gespeicherten Dateien die Anfertigung von entsprechenden Kopien der Daten und deren anschließende Löschung auf der Festplatte erfordert - halten werde, liegen nicht vor. Überdies könnten Beschlagnahmeverbote auch noch im anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden.
2. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 13 GG scheidet von vorneherein aus. Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens und der Verfassungsbeschwerde ist nicht eine Durchsuchung in dem durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Bereich, sondern die Dauer der Sichtung von Daten, die auf einem in amtlicher Verwahrung befindlichen Notebook gespeichert sind. Die allein fortdauernde, im Sachentzug bestehende Eingriffswirkung, die nur mittelbar für die Beschwerdeführerin aus der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume folgt, unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, sondern dem des Art. 14 Abs. 1 GG.
3. Die Beschwerdeführerin ist jedoch auch nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt. § 110 StPO schränkt insoweit das Recht auf jederzeitige Nutzung des Notebooks und ungehinderten Zugriff auf die darauf gespeicherten Daten ein.
Die Vorschrift gibt der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Klärung und Entscheidung, ob sichergestellte Unterlagen, wozu auch lesbare Aufzeichnungen von Daten aus der Software von EDV-Anlagen gehören (BGH, CR 1999, S. 292 <293>), zurückzugeben sind oder ob die richterliche Beschlagnahme zu erwirken ist. Diese Phase ist noch zum Vollzug der Durchsuchungsanordnung zu rechnen (BGH, NJW 1995, S. 3397). In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des u. U. umfangreichen und komplexen Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt der Entscheidung der Staatsanwaltschaft (BGH, NJW 1995, S. 3397).
Die Prüfung der Einhaltung dieser Entscheidungsgrenzen obliegt in erster Linie den dafür allgemein zuständigen Fachgerichten. Insoweit steht dem Betroffenen der - auch von der Beschwerdeführerin gewählte - Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog offen (BGH, CR 1999, S. 292 <293>, LG Frankfurt, NStZ 1997, S. 564 f.). Die fachgerichtlichen Entscheidungen unterliegen jedoch keiner allgemeinen Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist; dies ist der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung willkürlich erscheint (vgl. BVerfGE 18, 85 <96>) oder auf Auslegungsfehlern beruht, die eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts erkennen lassen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Beides liegt hier nicht vor.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. Mai 1997 zur zeitlichen Geltung von Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellten Grundsätze (BVerfGE 96, 44 <51 ff.>) auf die Phase der Durchsicht von Unterlagen nach § 110 StPO nicht anzuwenden (a.A. Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, S. 443 <444>). In jener Entscheidung ging es um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft eine Wohnungsdurchsuchung auf Grund einer richterlichen Durchsuchungsgestattung durchführen darf, die schon längere Zeit zurück liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf den Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG insoweit die Regel aufgestellt, dass spätestens nach Ablauf eines halben Jahres der Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Kraft verliert, weil nach diesem Zeitraum durch den weiteren Gang der Ermittlungen sich regelmäßig die tatsächliche Entscheidungsgrundlage zu weit von dem Entscheidungsinhalt entfernt hat. Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar. In der Phase der Durchsicht nach § 110 StPO kommt es zu keinem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG. Die Eingriffswirkung beschränkt sich vielmehr auf die Fortdauer des Sachentzugs. Eine Gefahr, dass der Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG in Folge Zeitablaufs leer läuft, besteht mithin nicht.
b) Die Fachgerichte haben sich auch damit auseinander gesetzt, ob die Durchsicht nach § 110 StPO unzumutbar lange andauert oder ob der damit verbundene Eingriff noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Sie haben den Grund für die lange Dauer der Maßnahme, den Grad des Eingriffs in Grundrechte der Beschwerdeführerin und das Gewicht der zugrundeliegenden Tatvorwürfe gegeneinander abgewogen. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Gemessen an den oben dargelegten Kriterien zur Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>) hält sich die Abwägung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen und Gebotenen. Deren Ergebnis entzieht sich einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, denn es hat nicht seine eigene Wertung nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden sind oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt daher nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95, 96 <141>).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.