05.06.2002 · IWW-Abrufnummer 020599
Bundesfinanzhof: Urteil vom 30.01.2002 – II R 52/99
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist auf Grund eines notariell beurkundeten und am ... 1984 vom Nachlassgericht eröffneten Testaments Alleinerbin nach ihrer in 1984 verstorbenen Mutter. Das Gericht zeigte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) unter Beifügung einer Abschrift des Testaments den Erwerb der Klägerin an. Aus der Anzeige ergaben sich u.a. die Namen und Anschriften der Erblasserin und der Alleinerbin, die verwandtschaftlichen Verhältnisse sowie der Umstand, dass es sich um einen Erwerb von Todes wegen handele. Ferner teilte das Gericht mit, die Gebühr für die Eröffnung sei nach einem Wert von ca. 50 000 DM berechnet worden. Das FA, dem im Übrigen nur eine Bankmitteilung über Sparguthaben in Höhe von ca. 6 735 DM vorlagen, verzichtete darauf, bei der Klägerin eine Erbschaftsteuererklärung anzufordern.
Am 27. Juli 1993 teilte die Klägerin dem FA im Rahmen einer Selbstanzeige mit, etwa im März/April 1988 im Nachlass ihrer Mutter festverzinsliche Anleihen und Bargeld im Gesamtwert von 3,2 Mio DM gefunden und das Vermögen anschließend im Ausland angelegt zu haben. Das FA setzte daraufhin durch Bescheid vom 31. August 1993 Erbschaftsteuer in Höhe von 405 652 DM gegen die Kl ägerin fest.
Mit Bescheid vom 23. November 1994 setzte das FA darüber hinaus wegen Hinterziehung der Erbschaftsteuer Zinsen in Höhe von 127 764 DM fest, die mit der Einspruchsentscheidung auf 123 714 DM ermäßigt wurden.
Die Klage f ührte zur Aufhebung des Zinsbescheides und der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht (FG) führt aus, die Klägerin sei bezüglich ihres Erwerbs von Todes wegen im Hinblick auf die Erbschaftsteuer zu keinem Zeitpunkt anzeige- bzw. erklärungspflichtig gewesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1239 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 30 Abs. 1, 2 und 4 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) und § 153 der Abgabenordnung (AO 1977). Es vertritt die Auffassung, die Klägerin sei hinsichtlich der nachträglich aufgefundenen Nachlassgegenstände anzeigepflichtig gewesen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 26. März 1999 18 K 2662/95 AO aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) und endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 AO 1977). Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist, dass eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 3. a). Dies setzt --wie schon das FG zutreffend erkannt hat-- die Erfüllung des objektiven und des subjektiven Straftatbestandes des § 370 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. den blankettausfüllenden materiell-rechtlichen Steuernormen (hier: § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) sowie das Fehlen von Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen voraus (BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2000 VIII B 77/00, BFHE 193, 63, BStBl II 2001, 16).
2. Der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist nur erfüllt, wenn jemand den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Diese Voraussetzungen liegen --entgegen der Auffassung des FA-- im Streitfall nicht vor. Die Klägerin hat (jedenfalls vor Juli 1993) weder gegenüber dem zuständigen Erbschaftsteuerfinanzamt noch gegenüber einer anderen Behörde i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 irgendwelche Erklärungen über steuerlich erhebliche Tatsachen bezüglich des hier allein maßgebenden Erwerbs von Todes wegen abgegeben. Dementsprechend kann sie auch keine unvollständigen oder unrichtigen Angaben i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gemacht haben. Dies gilt auch, soweit die Klägerin gegenüber dem Nachlassgericht den Wert des Nachlasses objektiv unrichtig mit 50 000 DM angegeben hat. Denn das Nachlassgericht ist nicht "andere Behörde" i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Hierzu zählen nur solche Behörden, die steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen (vgl. Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand November 2001, § 370 AO 1977 Rdnr. 90 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Dies ist beim Nachlassgericht nicht der Fall. Dieses ist zwar nach § 7 der Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung (ErbStDV) zur Anzeige, zur Übersendung der eröffneten Verfügung von Todes wegen sowie --soweit bekannt-- zur Mitteilung der Höhe und der Zusammensetzung des Nachlasses verpflichtet; es trifft aber insoweit keine Entscheidung von steuerlicher Erheblichkeit.
Dies gilt auch für die Mitteilung des Nachlassgerichts in der Anzeige an das Erbschaftsteuerfinanzamt, die Gerichtsgebühr für die Eröffnung des Testaments sei nach einem Wert von "ca. 50 000 DM" berechnet worden. Es handelt sich hierbei lediglich um eine Geschäftswertermittlung (§§ 18 ff. der Kostenordnung --KostO--), die ausschließlich der Festsetzung von Gerichtsgebühren dient, nicht aber um eine Feststellung des Nachlasswerts im steuerlichen Interesse. Der Auffassung des FA, das Nachlassgericht habe ihm gegenüber mit der Mitteilung des von ihm zugrundegelegten Geschäftswerts die Erklärungspflicht der Klägerin wahrgenommen, kann deshalb nicht gefolgt werden. Gegen diese Vorstellung spricht im Übrigen auch der Umstand, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt anzeige- oder erklärungspflichtig (vgl. unten unter II. 3.) war.
3. Die Klägerin hat auch den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht erfüllt. Danach begeht eine Steuerhinterziehung auch derjenige, der pflichtwidrig die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Die Klägerin war gegenüber dem FA weder anzeige- noch hinweispflichtig.
a) Eine Anzeige nach § 30 Abs. 1 ErbStG hatte die Klägerin im Streitfall gemäß Abs. 3 der Vorschrift nicht zu erstatten, weil ihr Erwerb auf dem vom Nachlassgericht eröffneten Testament der Erblasserin beruht und dieses Testament das FA in die Lage versetzt hat zu prüfen, ob bei der Klägerin ein erbschaftsteuerbarer Vorgang vorliegt und bezüglich ihrer Person in ein Besteuerungsverfahren einzutreten ist. Der BFH hat in seinem Urteil vom 16. Oktober 1996 II R 43/96 (BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73) hierzu ausgeführt, dass der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 auch dann Genüge getan sei, wenn die Anzeige nicht alle in Abs. 4 aufgeführten Angaben enthalte. Danach reicht regelmäßig die namentliche Bezeichnung des Erblassers bzw. Schenkers und des Erwerbers sowie die Mitteilung des Rechtsgrundes für den Erwerb aus. Kann das FA der amtlich er öffneten Verfügung von Todes wegen unzweifelhaft diese Angaben entnehmen, entfällt die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG.
b) Die Klägerin hatte auch keine Steuererklärung einzureichen, weil sie dazu vom FA nicht eigens aufgefordert worden war. Gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG hat der Erbe nur auf Verlangen der Behörde eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben (BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 II R 96/97, BFH/NV 1999, 1341).
c) Entgegen der Auffassung des FA war die Klägerin auch zu keinem späteren Zeitpunkt, insbesondere auch nicht nach dem Auffinden weiterer Nachlassgegenstände zu einer Anzeige verpflichtet. Denn das Auffinden weiterer Nachlassgegenstände stellt keinen (zusätzlichen) "Erwerb" i.S. von § 1 ErbStG dar, sondern beruht auf dem ursprünglichen Erwerb von Todes wegen, hinsichtlich dessen die Klägerin wegen der Ausnahmeregelung in § 30 Abs. 3 ErbStG gerade nicht anzeigepflichtig war und auch nachträglich nicht anzeigepflichtig werden konnte.
Die Auslegung des § 30 ErbStG durch das FA widerspricht der Gesetzesanordnung. Es mag sein, dass aus der Sicht des FA ein Bedürfnis besteht, die Anzeigepflicht auf solche Fälle auszudehnen. Solange das Gesetz aber jeden Erwerber unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 ErbStG von der Anzeigepflicht entbindet, sind die Steuergerichte und auch die Verwaltung hieran gebunden. Es ist --ohne entsprechende gesetzliche Regelung-- unzulässig, den Umfang der Anzeigepflicht des Erwerbers auszuweiten und insbesondere hieraus Folgerungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu ziehen. Vielmehr ist es nach der derzeitigen Rechtslage Aufgabe der Finanzverwaltung, durch geeignete Maßnahmen, z.B. durch die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Steueranspruch zu sichern (Urteil in BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73).
d) Die Klägerin war auch nicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zur Anzeige oder Richtigstellung einer abgegebenen Erklärung gegenüber dem FA verpflichtet. Denn derjenige, der weder anzeige- noch erklärungspflichtig war (s.o. II. 3. a bis c) und auch gegenüber Finanzbehörden (oder anderen Behörden, die steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen) über steuerlich erhebliche Tatsachen keine Angaben gemacht hat (vgl. oben unter II. 2.), kann auch nicht nach dieser Vorschrift gehalten sein, die Unrichtigkeit von Angaben anzuzeigen und eine Richtigstellung vorzunehmen.