18.08.2009 · IWW-Abrufnummer 092721
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.05.2009 – 1 StR 665/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 StR 665/08
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 27. Mai 2009
beschlossen:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 8. Mai 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 600,-- Euro verurteilt. Zur Kompensation einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoßenden konventionswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht von der Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate und von der Gesamtgeldstrafe 30 Tage als vollstreckt erklärt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 15. Januar 2009 unbegründet; die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
1.
Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und - daran anknüpfend - einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die knappe Sachverhaltsschilderung ist noch ausreichend, denn mit ihr ist ein Tatvorwurf im strafprozessualen Sinn als historisches Ereignis hinreichend genau beschrieben und individualisiert (vgl. zur Individualisierungsund Umgrenzungsfunktion der Anklage § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend folgendes ausgeführt:
"Das relevante Verhalten und der Taterfolg des § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO sind angeführt. Durch die Benennung der Daten der Steuererklärungen, der Steuerarten und der Veranlagungszeiträume ist eine Unterscheidung von anderen denkbaren strafbaren Verhaltensweisen gewährleistet. Auch der Umfang des Strafklageverbrauchs lässt sich bestimmen ... Weitere Sachverhaltsangaben sind ausschließlich für die Informationsfunktion der Anklage relevant (a.A. Volk wistra 1998, 281). Insbesondere bedurfte es entgegen der Revisionsbegründung keiner Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung im konkreten Anklagesatz (BayObLG wistra 1991, 195; 1992, 238; OLG Karlsruhe wistra 1994, 319; a.A. OLG Düsseldorf wistra 1982, 159; 1991, 32; NJW 1989, 2145). Die Verkürzungsberechnung könnte keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten (vgl. BGH wistra 2008, 465 zu unselbständigen Rechnungsposten einer Betrugstat). Sie würde vielmehr dem Ziel zuwiderlaufen, den Vorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. BGH wistra 2008, 221; Nr. 110 Abs. 1 RiStBV). Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklagen (bzw. Strafbefehle) übertragen werden."
2.
Entgegen der Auffassung der Revision war die Anklage hinsichtlich der dem Angeklagten zur Last liegenden Taten der Einkommensteuerhinterziehung auch nicht auf einzelne Einkunftsarten beschränkt. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
"Zur Tat als Prozessgegenstand gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Dies kann nicht unabhängig von der verletzten Strafbestimmung beurteilt werden (BGHSt 45, 211 ; BGH NStZ 2006, 350; NStZ-RR 2003, 82; wistra 2002, 25). Im Steuerstrafrecht wird der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerrechts bestimmt (BGHSt 49, 359; BGH wistra 2005, 145; 2008, 22; insoweit zutreffend Volk wistra 1998, 281) ...
Bei der Hinterziehung von Einkommensteuer liegt hinsichtlich eines Veranlagungszeitraums materiellrechtlich und somit auch prozessual eine einheitliche Tat vor. Maßgeblich dafür ist die Festsetzung als Jahressteuer aufgrund einer Steuererklärung (§§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 36 Abs. 1 EStG, 90 ff., 149 ff. AO), in deren Rahmen die verschiedenen Einkunftsarten lediglich Rechnungsposten bilden (§ 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 EStG). Aufgrund des in § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 AO normierten Verhaltens bzw. Taterfolges kann Einkommensteuer daher immer nur insgesamt und nicht nur bzgl. einzelner Einkunftsarten hinterzogen werden. Beendet ist eine solche Tat mit der Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheides (Franzen/Gast/Joecks Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 376 Rn. 15)."
Entgegen der Auffassung der Revision war es daher zur Bezeichnung der angeklagten Tat auch nicht erforderlich, in der Anklageschrift die Einkunftsarten anzugeben, bei denen der Verdacht der Hinterziehung von Einkommensteuer bestand (a.A. Salditt, Die Tat bei der Hinterziehung von Einkommensteuer, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag, 2009 S. 637, 647).
3.
Die Hinterziehung von Einkommensteuer ist entgegen der Auffassung der Revision für den Veranlagungszeitraum nicht hinsichtlich der Einkunftsart "Vermietung und Verpachtung" verjährt. Die verjährungsunterbrechenden Maßnahmen erfassten jeweils die Taten der Steuerhinterziehung insgesamt. Da der Schuldgehalt einer Tat nicht teilweise verjähren kann, kann eine Steuerhinterziehung auch nicht hinsichtlich der verkürzten Steuern einer bestimmten Einkunftsart verjähren (a.A. Salditt aaO). Im Übrigen bestehen für eine Beschränkung des Verfolgungswillens der Ermittlungsbehörden auf die bei Erlass der Durchsuchungsanordnungen bestehenden Verdachtsmomente keine Anhaltspunkte. Vielmehr dienen auch bei der Straftat der Steuerhinterziehung die Ermittlungen grundsätzlich der Aufklärung der gesamten vom Anfangsverdacht erfassten Tat, auch wenn einzelne Umstände, die zu einem zusammengehörigen Lebensvorgang zählen, noch nicht bekannt sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Erkenntnisbasis zu Beginn der Ermittlungen geringer als bei Anklageerhebung ist. Sowohl die Verfahrenseinleitung gemäß § 397 AO als auch verjährungsunterbrechende Maßnahmen, wie der Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen, beziehen sich daher bei der Einkommensteuerhinterziehung auf die Steuererklärung insgesamt und nicht nur auf die Angaben zu einzelnen Einkunftsarten (a.A. Salditt aaO).
Die Fassung und Begründung der Durchsuchungsanordnungen erfüllt auch die an sie gestellten Mindestanforderungen (vgl. dazu BGH wistra 2003, 382; 2006, 421; BVerfG wistra 2005, 21). Denn die Sachverhaltsschilderung muss nicht so vollständig sein wie in einer Anklage (vgl. Nack in KK-StPO 6. Aufl. § 105 Rdn. 4).
4.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 verstößt nicht gegen den Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare", d.h. das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung. Die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht bereits durch die - dem Täter nicht bekannte - Verfahrenseinleitung, sondern erst dann suspendiert, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben wird (BGH NStZ 2002, 437). Denn bis zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Täter regelmäßig nicht in einer Zwangslage; er kann durch eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO, die auch in einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung liegen kann, Straffreiheit erlangen (vgl. auch BGH, Beschl. vom 17. März 2009 - 1 StR 479/08).
5.
Soweit die Revision beanstandet, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob und mit welchem Inhalt für die H. KG Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesellschaftsgewinns ergangen sind, deckt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Zwar trifft es zu, dass gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen gesondert festzustellen sind, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind; diesen Bescheiden kommt als Grundlagenbescheiden auch Bindungswirkung zu (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Den Urteilsfeststellungen ist jedoch zweifelsfrei zu entnehmen, dass die unrichtigen Einkommensteuerbescheide - mit Ausnahme des Schätzungsbescheides für das Jahr 1997 - jeweils auf der Grundlage der in den Einkommensteuererklärungen des Angeklagten gemachten unrichtigen Angaben erlassen worden sind. Dass dies nicht so gewesen sei oder dass Feststellungsbescheide mit abweichenden Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen ergangen wären, behauptet auch die Revision nicht. Für die Annahme, der Angeklagte könnte in Anträgen auf einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesellschaftsgewinns andere Angaben zum Gewinn als in seinen Einkommensteuererklärungen gemacht haben, fehlt jeglicher Anhaltspunkt, zumal nach den Urteilsfeststellungen der Bruder des Angeklagten als einziger Kommanditist nur mit einer Einlage in Höhe von 2.000,-- DM an der Kommanditgesellschaft beteiligt war und lediglich eine Verzinsung dieser Kapitalanlage erhielt (UA S. 6). Damit steht fest, dass die unrichtigen Einkommensteuerbescheide auf den unrichtigen Angaben des Angeklagten beruhen. Der Zurechnungszusammenhang wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der unzutreffenden Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bereits ein Steuervorteil liegen kann; denn die Steuerverkürzung tritt erst dann ein, wenn die unrichtigen Angaben in den Folgebescheid Eingang gefunden haben (BGH NJW 2009, 381, 383).
6.
Soweit der Angeklagte für das Jahr 1997 bis zum allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat, weil er davon ausging, "dass das Finanzamt seine Einkommensteuer zu niedrig schätzen würde" (UA S. 9), entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte auch keinen Antrag auf einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesellschaftsgewinns abgegeben hat.
7.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist das angefochtene Urteil nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich erörtert hat, ob in der - unwirksamen - strafbefreienden Erklärung des Angeklagten vom 27. Dezember 2004 hinsichtlich von bislang nicht erklärten Kapitalerträgen aus den Jahren 1993 bis 1999 (UA S. 17) eine strafbefreiende Selbstanzeige liegen könnte. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde vom Ermittlungsrichter bereits am 8. Mai 2001 gegen den Angeklagten ein Durchsuchungsbeschluss erlassen, der am 12. Juni 2001 vollstreckt wurde (UA S. 95 ff.). Dieser Durchsuchungsbeschluss stützt sich insbesondere auf den Verdacht der Hinterziehung von Einkommensteuer für die Jahre 1993 bis 1998. Im Hinblick auf die somit vorliegenden Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a und b AO konnte in der im Dezember 2004 gegenüber den Finanzbehörden abgegebenen Erklärung für die verfahrensgegenständlichen Taten keine wirksame Selbstanzeige mehr liegen.