05.07.2002 · IWW-Abrufnummer 020788
Bundesfinanzhof: Urteil vom 16.04.2002 – IX R 40/00
Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist nicht, wer sich als Ehegatte darauf beschränkt, die gemeinsame Einkommensteuerklärung zu unterschreiben, in der der andere Ehegatte unrichtige oder unvollständige Angaben über eigene Einkünfte macht.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids nach §§ 191, 71 der Abgabenordnung (AO 1977), mit der die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) für Einkommensteuerschulden ihres Ehemannes in Anspruch genommen wurde.
Der Ehemann der Klägerin (X) war beim ... beschäftigt. Im Jahre 1982 wurde er vom damaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) für eine geheimdienstliche Tätigkeit angeworben. Hierfür erhielt er bis zu seiner Verhaftung Agentenlohn. Dieser Lohn wurde teilweise in monatlichen Beträgen ausgezahlt, die von 1982 bis 1988 jeweils 4 000 DM, ab 1989 4 500 DM im Monat betrugen. Darüber hinaus erhielt er Sonder- sowie Spesenzahlungen. 1992 wurde X durch das Oberlandesgericht (OLG) zu einer Freiheitsstrafe wegen Landesverrats in Tateinheit mit Bestechlichkeit verurteilt. Das Gericht ging u.a. davon aus, dass X insgesamt 692 000 DM als Agentenlohn erhalten habe.
Die Klägerin erzielte bis 1982/83 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihren gemeinsamen Steuererklärungen für die Jahre 1982 bis 1989 begehrten die Eheleute die Zusammenveranlagung, machten aber keine Angaben zu dem Agentenlohn.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ gegen die Eheleute berichtigte Einkommensteuerbescheide, in denen er die Einkünfte des Ehemannes aus dessen Agententätigkeit gemäß § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von insgesamt 591 500 DM versteuerte. Daraufhin beantragte die Klägerin die Aufteilung der Gesamtschuld, die das FA antragsgemäß vornahm. Am 5. Mai 1992 erließ das FA einen Haftungsbescheid nach §§ 191, 71 AO 1977, in dem es die Klägerin für die Einkommensteuer auf Grund der nicht erklärten Agenteneinkünfte in Höhe von insgesamt 255 086 DM in Haftung nahm. Den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung sah das FA wegen der Abgabe unzutreffender Einkommensteuererklärungen als erfüllt an. Ein gegen die Klägerin eingeleitetes Strafverfahren wurde nach § 153 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos.
Auf ihre Klage hob das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid auf. Zur Begründung führte es in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 201 veröffentlichten Urteil aus: Zunächst liege eine Mittäterschaft oder Beihilfe eines Ehegatten zur Steuerhinterziehung des anderen Ehegatten nicht schon dann vor, wenn ein Ehegatte die gemeinsame Steuererklärung unterzeichne. Das Verhalten der Klägerin könne auch nicht als psychische Beihilfe in Form einer Bestärkung des Tatentschlusses bei X oder als Mitwirken an den Vorbereitungshandlungen angesehen werden. Überdies könne die Klägerin als Steuerschuldnerin nicht in Haftung genommen werden. Sie schulde die Einkommensteuer zusammen mit X als Gesamtschuldnerin, § 44 Abs. 1 AO 1977. Hierbei bleibe es auch, nachdem die Gesamtschuld zum Zwecke der Vollstreckung gemäß §§ 268 bis 280 AO 1977 aufgeteilt worden sei.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Vorentscheidung verstoße gegen §§ 191, 71 AO 1977. Auch die Klägerin habe gegenüber den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht. Sie habe gewusst, dass X für seine Agententätigkeit zugunsten der ehemaligen DDR regelmäßig Geld erhalten habe. Sie habe auch ein eigenes Interesse an der Stärkung des Familienvermögens gehabt. Der Haftungsinanspruchnahme stehe die Aufteilung der Gesamtschuld nach § 268 AO 1977 nicht entgegen. Es widerspräche dem Zweck des § 71 AO 1977, könnte sich die Klägerin der Haftung durch Aufteilung der Gesamtschuld entziehen. Der Agentenlohn sei im Übrigen nicht nach § 3 Nr. 63 EStG i.d.F. bis 1988 steuerfrei, sondern steuerpflichtig.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG eine Haftung der Klägerin nach § 71 AO 1977 für Einkommensteuer auf den von X bezogenen Agentenlohn verneint. Die Klägerin verwirklicht nicht den Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Täterschaft oder Teilnahme (§ 71 i.V.m. § 370 Abs. 1, § 369 Abs. 2 AO 1977, § 25 Abs. 2 und § 27 des Strafgesetzbuches --StGB--).
1. Nach § 71 AO 1977 haftet u.a. für die verkürzten Steuern, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 begeht, wer Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht.
Die Klägerin hat die gemeinsame Einkommensteuererklärung unterschrieben. Sie hat mit dieser Unterschrift keine (falschen) Angaben zu den von X als Agent der DDR erhaltenen Beträge gemacht und damit den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 weder als (Mit-)Täterin noch als Teilnehmerin erfüllt.
a) Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten im Einkommensteuerrecht liegt eine Beihilfe oder Mittäterschaft eines Ehegatten nicht schon dann vor, wenn ein Ehegatte die Einkommensteuererklärung mit unterzeichnet, obschon er weiß, dass die Angaben seines Gatten über dessen Einkünfte unzutreffend sind (so auch die h.M. im Schrifttum, vgl. Hellmann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler (HHSp), Kommentar zur Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 370 AO Rz. 80; Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 370 AO Rdnr. 25; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, Kommentar, 5. Aufl., § 370 AO Rn. 249; Burkhard in Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1998, 829 ff.; Seipl in Wolfgang Wannemacher, Steuerstrafrecht, Handbuch, 4. Aufl., 1999, Rz. 754; Tormöhlen in Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht --wistra-- 2000, 406; Seiler in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl. 2002, § 26 Rn. 52; a.A. Rolletschke, DStZ 1999, 216 ff.; ders., DStZ 2000, 677 ff.; Reichle in wistra 1998, 91 f.). Das bloße Mitunterzeichnen der Steuererklärung, zu der der andere Ehegatte bei der Zusammenveranlagung verpflichtet ist, begründet noch keine Mitverantwortung des mitunterzeichnenden Ehegatten für die unrichtige Erklärung der Einkünfte des anderen Ehegatten (so auch Trzaskalik in HHSp, § 153 AO Rz. 6; Birkenfeld, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 25 Rdnr. D 23, m.w.N.).
b) Zusammenveranlagte Eheleute müssen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgeben. Beide haben den Vordruck eigenhändig zu unterschreiben und versichern damit, die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben (§ 25 Abs. 3 Satz 5 EStG, § 150 Abs. 2 AO 1977). Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass alle Angaben auch von beiden Ehegatten mitgetragen werden (so aber Rolletschke, a.a.O.; Reichle, a.a.O.). Vielmehr beschränkt sich der Erklärungsgehalt der Unterschrift auf die Tatsachen, die den jeweiligen Ehegatten betreffen (so zutreffend Kohlmann, a.a.O., § 370 AO 1977 Rdnr. 25; Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz. 80; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 150 AO Tz. 20). Ein Ehegatte macht Angaben nur zu dem Sachverhalt, der seiner Wissenssphäre zuzurechnen ist (vgl. zu Steuererklärungen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203). § 25 Abs. 3 Sätze 2 und 5 EStG ist Teil des Abschnitts "III. Veranlagung". Deshalb ist der Inhalt der gemeinsamen Erklärung im Kontext mit den Vorschriften über die Zusammenveranlagung auszulegen. Nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG folgt das Gesetz im Bereich des Erzielens steuerbarer Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder Ehegatte für sich erzielt Einkünfte, wenn er in seiner Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet. "Sodann", und das heißt: nach Zusammenrechnen und gemeinsamen Zurechnen werden die Ehegatten gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt (vgl. BFH-Beschluss vom 23. August 1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782, zu C. IV. 1. b). Mit der so jeweils zu unterscheidenden Wissenssphäre korrespondiert der Erklärungsgehalt der Unterschrift und damit der Verantwortungsbereich des jeweiligen Ehegatten: Betrifft die Erklärung Einkünfte, die nur von einem Ehegatten erzielt werden, so macht nur derjenige Ehegatte "Angaben", der den Tatbestand dieser Einkunftsart verwirklicht. Bezieht sich die Einkommensteuererklärung hingegen auf solche Besteuerungsmerkmale, die --wie z.B. Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen-- beide Ehegatten betreffen, so beziehen sich auch ihre Erklärungen auf diese Merkmale.
c) Diese Grundsätze gelten aber nur dann, wenn der Tatbeitrag des Ehegatten lediglich darin besteht, die gemeinsame Steuererklärung mitzuunterzeichnen. Gehen seine Beiträge darüber hinaus, unterstützt er z.B. den anderen Ehegatten aktiv bei seiner Tat, falsche Angaben zu machen, so nimmt er an dem Delikt teil (Klein/Gast-de-Haan, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 370 Rz. 123). Ein derartiger Fall lag der Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 8. März 1995 - 11 U 13/94, Juris-Dokument Nr.: KORE446969500) zugrunde. Dort hatte der unterzeichnende Ehegatte im Zeitschriftvertrieb des anderen Ehegatten daran mitgewirkt, dass Betriebsausgaben zu Unrecht angesetzt wurden.
d) Mit dieser Auffassung nicht im Widerspruch steht das Urteil des BFH vom 24. Juli 1996 I R 62/95 (BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115). Danach begehren Ehegatten mit dem Antrag auf Zusammenveranlagung zwar die steuerliche Behandlung als ein Steuerpflichtiger, so dass sich die Erklärungspflichten jedes einzelnen Ehegatten auch auf die von dem jeweils anderen Ehegatten verwirklichten Besteuerungsmerkmale beziehen (so BFH in BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115, unter II. 1. b am Ende der Gründe). Indes gelten diese Aussagen nur für das Steuerverfahrensrecht, nicht aber für das Strafrecht, das auf die persönliche und subjektive Tatbestandsverwirklichung abstellt. Muss sich deshalb bei der Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 jeder Ehegatte das grobe Verschulden des anderen als eigenes zurechnen lassen, so übernimmt er steuerstrafrechlich durch das bloße Mitunterzeichnen der Erklärung nicht schon eine Verantwortung für die Angaben des anderen Ehegatten. Ein Übertragen von Verantwortung, wie es das Steuerschuldrecht durch die Zurechnung fremden Verschuldens als eigenes kennt, gibt es im Steuerstrafrecht nicht.
e) In Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall bedeutet dies: Die Klägerin hat dadurch, dass sie die Einkommensteuererklärungen der Streitjahre lediglich mit unterzeichnete, den Tatbestand der Steuerhinterziehung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 weder als (Mit-)Täterin noch als Teilnehmerin verwirklicht. Denn sie hat mit der bloßen Unterschrift keine (falschen) Angaben zu Einkünften ihres Ehemannes gemacht und hat ihm durch ihre Unterschrift auch nicht Hilfe geleistet. Tatbeiträge, die über das Unterschreiben der gemeinsamen Steuererklärung hinausgehen, hat das FG nicht festgestellt. Daran ist der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Fehlt es bereits an der Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung durch die Klägerin, so kann der Senat offen lassen, ob sie darüber hinaus --wie sie behauptet-- über den steuerstrafrechtlichen Tatbestand irrte und sie deshalb ohne Tatvorsatz (§ 369 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. § 16 StGB) handelte.
2. Die Klägerin haftet auch nicht nach § 71 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 begeht Steuerhinterziehung, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Zwar hat die Klägerin sich zu den Einkünften ihres Ehemannes aus dessen Agententätigkeit nicht geäußert. Indes bestand für sie auch keine Rechtspflicht, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Ihr stand vielmehr das Recht zu, Auskunft zu verweigern, und zwar zunächst nach § 101 Abs. 1 AO 1977 (zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung bei zusammenveranlagten Ehegatten Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 101 Rz. 2; Tipke/Kruse, a.a.O., § 101 AO Tz. 9; a.A. wohl Söhn in HHSp, § 101 AO Rz. 9b). Sie durfte Auskunft überdies nach § 103 AO 1977 wegen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung verweigern. Hätte sie sich nämlich zu den Einkünften aus der Agententätigkeit ihres Mannes geäußert, hätte das FA die dadurch erlangten Kenntnisse gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a AO 1977 offenbaren können, wodurch sich die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung ihres Ehemannes ergeben hätte.
3. Verwirklicht die Klägerin weder als (Mit-)Täterin noch als Teilnehmerin den Tatbestand der Steuerhinterziehung, so kann unerörtert bleiben, ob die Agententätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt steuerpflichtig ist oder ob die daraus zugeflossenen Beträge nach § 3 Nr. 63 EStG i.d.F. bis 1988 steuerfrei waren. Der Senat kann mangels Tatbestandsverwirklichung durch die Klägerin auch die Frage dahinstehen lassen, ob ihre Haftung nach § 71 AO 1977 deshalb entfällt, weil sie als Gesamtschuldnerin für die Einkommensteuer nicht zugleich haften kann.