07.01.2010 · IWW-Abrufnummer 094106
Bundesfinanzhof: Urteil vom 23.10.1992 – VI R 59/91
Ein Sportverein ist verpflichtet, Lohnsteuer für die von ihm eingesetzten Amateurspieler anzumelden und abzuführen, wenn die für den Trainings- und Spieleinsatz gezahlten Vergütungen nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Arbeitslohn zu beurteilen sind. Arbeitslohn liegt jedoch dann nicht vor, wenn die Vergütungen die mit der Tätigkeit zusammenhängenden Aufwendungen der Spieler nur unwesentlich übersteigen.
BFH
Urteil vom 23.10.1992
VI R 59/91
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Sportverein mit mehreren Amateur-Fußballmannschaften. Die erste Mannschaft spielt in der Verbandsliga. Für die Streitjahre 1984 bis 1987 fand bei dem Kläger eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte fest, daß der Kläger an die Fußballspieler der ersten Mannschaft Vergütungen in Höhe von jeweils 50 DM bis 80 DM pro Spiel gezahlt hatte. Daneben hatte er die Kosten für die Fahrten zum Training, für die Sportbekleidung und deren Reinigung sowie bei Fahrten zu bestimmten Auswärtsspielen die Aufwendungen für den Bus übernommen.
Von den für die Streitjahre vom Prüfer ermittelten Zahlungen hatte der Kläger keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt. Der Außenprüfer vertrat die Auffassung, daß die Spieler der ersten Mannschaft als Arbeitnehmer des Klägers zu beurteilen seien. Er sah die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer gemäß § 40a des Einkommensteuergesetzes (EStG) als gegeben an und berechnete demzufolge die nachzufordernde Lohnsteuer mit einem Steuersatz von 10 v.H. Der Kläger erklärte sich im weiteren Verfahren mit der Pauschalierung einverstanden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem Außenprüfer und erließ einen entsprechenden --als "Nachforderungsbescheid" bezeichneten-- Pauschalierungsbescheid für die Zeiträume Januar 1984 bis Dezember 1987 Der Einspruch des Klägers hatte nur wegen eines hier nicht zu behandelnden Punktes Erfolg.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Spieler der ersten Mannschaft seien nicht als Arbeitnehmer des Vereins zu betrachten. Bei den an die Spieler gezahlten Vergütungen handele es sich um pauschalen Spesenersatz. Hierzu erklärte ein Vertreter des Klägers in einem Erörterungstermin vor dem beauftragten Richter des Finanzgerichts (FG): Der Verein habe mit den Spielern, ausschließlich Amateuren, keine schriftlichen Verträge oder Vereinbarungen, sondern nur mündliche Abreden getroffen. Die Vergütungen würden durch den sog. Spielausschuß festgesetzt. Der einzelne Spieler erhalte einen Grundbetrag von 100 DM bis 300 DM monatlich; die Höhe bestimme sich nach der spielerischen Erfahrung und Leistung sowie nach der Entfernung zwischen dem Wohnort des Spielers und dem Vereinssitz in X. Für den Spieleinsatz werde eine sog. Einsatzprämie gezahlt, die je nach Spielerfahrung zwischen 30 DM und 60 DM pro Spiel betrage. In einzelnen Fällen gewähre der Verein eine sog. Punkteprämie in Höhe von 30 DM bis 40 DM. Erscheine ein Spieler nicht zum Training oder zum Spiel, könne sein Grundbetrag gekürzt werden. Darüber hinaus habe der Verein keine Möglichkeit, den Spieler zur Teilnahme zu zwingen.
Das FG gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Für die Beurteilung, ob die Spieler unselbständig tätig gewesen seien, komme es auf das Gesamtbild der Verhältnisse an. Bei Würdigung aller Umstände seien die Spieler nicht als Arbeitnehmer anzusehen. Ihre Weisungsunterworfenheit und Eingliederung in die Organisation des Klägers ergebe sich nicht aus einem Arbeitsverhältnis, sondern ausschließlich aus der Mitgliedschaft im Verein. In Ermangelung eines besonderen Arbeitsvertrages erschöpfe sich das Rechtsverhältnis zwischen Spieler und Verein in den vereinsrechtlichen Pflichten und Rechten. Der einzelne Spieler schulde dem Kläger nicht seine Arbeitskraft, sondern die aus der Satzung sich ergebenden Mitgliederpflichten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 44 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 19 Abs.1 EStG und des § 1 Abs.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV). Hierzu führt es u.a. aus: Das FG habe zu Unrecht die Merkmale "Eingliederung" und "Weisungsgebundenheit" nicht geprüft. Ob sich diese Merkmale aus einem individuellen Arbeitsvertrag oder aus einer Satzung ergäben, sei entgegen der Auffassung des FG unerheblich. Nach den maßgeblichen Verbandsregeln seien die Spieler von dem Verein abhängig. Sie seien hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt ihrer Tätigkeit weisungsgebunden. Trainings- und Spielzeiten sowie die Spielorte seien vorgegeben. Über den Einsatz der Spieler entscheide der Trainer. Da Fußball als Mannschaftssport gespielt werde, ergebe sich die Notwendigkeit zur ständigen Zusammenarbeit von selbst. Entgegen den Ausführungen im FG-Urteil werde die Vergütung im Krankheitsfall und während des Urlaubs weiter gezahlt. Die Aussage des FG, die rechtlichen Beziehungen zwischen Spieler und Verein erschöpften sich im Vereinsrecht, stehe im Widerspruch zu den Feststellungen im Erörterungstermin. Danach seien zwar keine schriftlichen Verträge oder Vereinbarungen getroffen worden, wohl aber mündliche Abmachungen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 19 Abs.1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach § 1 Abs.2 LStDV, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (z.B. Urteile vom 24.November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37, und vom 14.Juni 1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegt, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.
Die Frage, wer Arbeitnehmer ist, ist unter Beachtung der vorgenannten Bestimmung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661, und vom 20.April 1988 X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, mit weiteren Nachweisen). Eine Würdigung nach dem Gesamtbild bedeutet, daß die für und gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden (BFH-Urteil in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661).
Grundsätzlich kann auch die Ausübung von Sport Gegenstand eines Dienstverhältnisses sein. Der BFH ist in seiner Rechtsprechung stets davon ausgegangen, daß ein Berufssportler, soweit er seine Tätigkeit nicht selbständig ausübt, Arbeitnehmer ist (vgl. z.B. Urteile vom 16.März 1951 VI 197/50 U, BFHE 55, 255, BStBl III 1951, 97 --Berufsringer--; vom 22.Januar 1964 I 398/60 U, BFHE 78, 543, BStBl III 1964, 207 --Berufsboxer--, und vom 29.November 1978 I R 159/76, BFHE 126, 457, BStBl II 1979, 182 --Catcher--). Für Fußballspieler, die aufgrund eines mit ihrem Verein abgeschlossenen Vertrages nach dem (früheren) Vertragsspieler-Statut des Deutschen Fußballbundes (DFB) laufende Bezüge erhalten, hat das Bundessozialgericht (BSG) ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angenommen (Urteil vom 20.Dezember 1961 3 RK 65/57, BSGE 16, 98).
Sport wird jedoch in weitaus überwiegendem Maße zum Selbstzweck, also mehr oder weniger zur Freizeitgestaltung und/oder zur Stärkung der allgemeinen Leistungsfähigkeit, mithin nicht um des Entgelts willen ausgeübt. Erbringt ein Sportamateur in diesem Sinne ("Sportliebhaber") besondere sportliche Leistungen und erhält er dafür Gewinnpreise, so erzielt er damit regelmäßig keine steuerbaren Einkünfte, es sei denn, er beteiligt sich an Sportwettkämpfen in der Absicht, sichere Siegchancen zu nutzen und dies wiederholt zu tun (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 22 Anm.37 "Preise" unter b; Raupach/Schenking in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 2 EStG Anm.80 "Sportpreis"). Sport wird nach Auffassung des Senats auch dann nicht um des Entgelts willen ausgeübt, wenn der Sportler für seine Betätigung lediglich Aufwendungsersatz erhält (im Grundsatz ebenso: Bericht des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Steuerbereinigungsgesetzes 1985, BTDrucks 10/4513, S.13; Weisemann, Sport, Spiel und Recht, NJW-Schriftenreihe, 1982, Rdziff.25). Zahlungen, die nur den tatsächlichen Aufwand des Sportlers abdecken sollen, verwirklichen noch nicht den Tatbestand der Einkunftserzielung, sondern bewegen sich noch im Bereich der Liebhaberei, hier des Sports. Für den vergleichbaren Fall einer ehrenamtlichen Tätigkeit hat der BFH ausgeführt, daß geringfügige Entschädigungen für eine Gefälligkeit und damit gegen ein Arbeitsverhältnis sprechen können (Urteil vom 28.Februar 1975 VI R 28/73, BFHE 115, 342, BStBl II 1976, 134). Betätigungen der vorliegenden Art haftet nicht der Anschein an, sie würden gegen Entgelt erbracht und, umgekehrt, damit im Zusammenhang stehende Geldzahlungen sollten entsprechende Leistungen abgelten.
Anders verhält es sich aber, wenn ein Sportler im Zusammenhang mit seiner Betätigung Zahlungen erhält, die nicht nur ganz unwesentlich höher sind als die ihm hierbei entstandenen Aufwendungen. Dann ist nämlich der Schluß gerechtfertigt, daß der Sport nicht mehr aus reiner Liebhaberei, sondern auch um des Entgelts willen betrieben wird (vgl. Weisemann, a.a.O., Rdziff.25; Reisch/Reichhardt/Urbanke, Der Betrieb --DB-- 1988, 359). Die Sportausübung ist in einem solchen Fall nicht mehr reiner Selbstzweck, sondern auch Mittel zur Erzielung von Einkünften. Treffen Sportverein und sporttreibendes Mitglied eine entsprechende Entgeltsvereinbarung, schaffen sie damit einen selbständigen Rechtsgrund gegenseitiger Rechte und Pflichten, der als solcher neben das sich aus der Mitgliedschaft ergebende Rechtsverhältnis tritt (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 18.Februar 1956 2 AZR 294/54, BAGE 2, 289).
Der Auffassung, auch Zahlungen an Amateurspieler könnten zu Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG führen, steht nicht bereits von vornherein das Urteil des BAG vom 10.Mai 1990 2 AZR 607/89 (AP Nr.51 zu § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) entgegen. Darin hat das BAG die Auffassung vertreten, sog. "Vertragsamateure" im Sinne der DFB-Spielordnung (§ 15) seien nicht ganz allgemein als Arbeitnehmer ihres Vereins zu betrachten. Die Arbeitnehmereigenschaft sei vielmehr davon abhängig, daß die Spieler aufgrund der mit dem Verein geschlossenen Verträge und aufgrund deren Handhabung im Einzelfall ihre Leistungen in einer für das Arbeitsverhältnis typischen persönlichen Abhängigkeit erbringen, wobei allerdings die (ebenfalls erforderliche) Weisungsgebundenheit über die im Rahmen einer regulären Vereinsmitgliedschaft ohnehin bestehenden Weisungsbindung hinausgehen müsse (zur Kritik an der Entscheidung des BAG vgl. Arens in Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis --AR-Blattei-- Sport, Entscheidungen Nr.18; Däubler, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht --EWiR--, § 611 BGB, Arbeitnehmerbegriff, 3/90, 1067). Zwar kann es im Rahmen der steuerlichen Beurteilung als Indiz gewertet werden, wenn das Arbeitsrecht bzw. das Sozialversicherungsrecht ein nichtselbständiges Beschäftigungsverhältnis annimmt. Es besteht jedoch in dieser Frage keine Bindung zwischen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits (herrschende Meinung, vgl. die Nachweise bei Lang in Stolterfoht, Grundfragen des Lohnsteuerrechts, 1986, 27). Dem Arbeitsrecht liegt der Gedanke der sozialen Schutzbedürftigkeit zugrunde. Ein derartiger Regelungszweck ist dem Steuerrecht hingegen fremd (vgl. Lang, a.a.O., S.21, 27).
2. Das FG hat bei der Beurteilung des Streitfalles zunächst zu Recht das Gesamtbild der Verhältnisse für ausschlaggebend gehalten. Es hat jedoch bei seiner Würdigung, die Weisungsgebundenheit und/oder betriebliche Eingliederung der Spieler ergäben sich mangels einer weiteren, zusätzlichen rechtlichen Basis nicht aus einem Arbeitsverhältnis, sondern ausschließlich aus den vereinsrechtlichen Bindungen der Spieler als Mitglieder des Klägers, den Vortrag des Klägervertreters im Erörterungstermin nicht berücksichtigt. Danach sind mündliche Abmachungen zwischen den Spielern und dem Kläger getroffen worden. Ein Dienstverhältnis i.S. des § 1 Abs.2 LStDV muß nicht durch einen schriftlichen Vertrag, sondern kann auch durch bloßes tatsächliches Verhalten und erst recht durch mündliche Vereinbarungen begründet werden (vgl. Thürmer in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 19 Rdnr.57). Zusätzlich zur vereinsrechtlichen Eingliederung und Weisungsgebundenheit der Fußballer sind möglicherweise in mündlichen Vereinbarungen mit dem Verein beiderseitige Pflichten festgelegt worden, aus denen auf das Vorliegen von Dienstverhältnissen geschlossen werden könnte.
Da das FG dies nicht beachtet hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang aufklären müssen, welchen Inhalt die mündlichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und den einzelnen Spielern hatten und in welcher Höhe den jeweils geleisteten Zahlungen des Klägers Aufwendungen des jeweiligen Spielers gegenübergestanden haben.
Wird die Aufklärung des Sachverhalts ergeben, daß die Zahlungen des Klägers die Aufwendungen der Spieler jedenfalls in der Regel nicht wesentlich überstiegen haben, so müßte schon deshalb ein Dienstverhältnis abgelehnt werden. Sollten jedoch die Zahlungen die Aufwendungen nicht nur unwesentlich überschritten haben, so wäre es im Rahmen der dann erforderlichen erneuten Gesamtwürdigung als ein Indiz für die Eigenschaft der Spieler als Arbeitnehmer anzusehen, wenn der Grundbetrag auch im Falle des Urlaubs und der Krankheit der Spieler zu zahlen gewesen sein sollte oder tatsächlich gezahlt worden wäre (Lohnfortzahlung).