02.11.2010
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 08.06.2010 – 2 K 1250/2007
Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dies ist der Fall, wenn die Duldungspflicht auf einer Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz beruht, die einen gesetzlichen Rückgewähranspruch oder - subsidiär - Wertersatzanspruch begründet, in den der Anfechtende vollstrecken darf. Der Erlass eines Duldungsbescheides ist eine Ermessensentscheidung des Finanzamts, die vom Gericht nur eingeschränkt zu überprüfen ist.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheids.
A X (Vollstreckungsschuldner) schuldete im April 2006 Umsatzsteuer und Zinsen für die Jahre 1998 bis 2002 in Höhe von 56.470,04 € zuzüglich Säumniszuschlägen.
Mit notarieller Urkunde vom 19.08.2002 des Notars N hat der Vollstreckungsschuldner seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück der Gemarkung F (Flur-Nr. L), P, der Klägerin übertragen. Der Verkehrswert des hälftigen Miteigentumsanteils wurde in der Urkunde mit 90.000 €, der Valutastand der übernommenen Darlehen mit 69.130 € angegeben.
In § 3 der Urkunde ist Folgendes vereinbart:
§ 3
Wesen der Grundbesitzübertragung; Vorbehalte; Hinweise
Der Erwerb des Grundstücks sowie die Finanzierung der aufstehenden Gebäude ist bislang ganz überwiegend durch die Ehefrau, Frau B X, und deren Eltern – wobei diese Finanzierungsbeiträge Frau X zuzurechnen sind – erfolgt. Dies gilt beispielsweise für die Übernahme von Teilen der Baukosten sowie von Sondertilgungen für die Darlehen der K Bank und der G Bank. Die Eltern der Frau X hatten sich auch gegenüber der G für die Kreditschuld mit verbürgt. Hinsichtlich der noch ausstehenden Rückführung der Restdarlehen vereinbaren die Beteiligten, dass diese im Innenverhältnis ebenfalls von Frau B X allein übernommen wird. Frau X verpflichtet sich gegenüber ihrem Ehemann, diesen von jeglicher Inanspruchnahme durch die finanzierenden Banken im Rahmen der Erfüllungsübernahme freizustellen.
Die Ehegatten wollen mit der heutigen Übertragung dem Umstand gerecht werden, dass die Finanzierung der Immobilie überwiegend durch die Ehefrau und deren Familie erfolgt (ist), soweit es über die Tragung der Zinsen, die als Unterhalt geschuldet sind, hinausging. Im Gegenzug verzichtet Frau B X gegenüber ihrem Ehemann, Herrn A X, auf sämtliche ihr wegen der vorbezeichneten Umstände eventuell zustehenden Darlehens-, Entschädigungs- oder Bereicherungsansprüche.
Da sich an der Haftung von Herrn A X gegenüber den Banken für die eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten im Außenverhältnis nichts ändern soll, vereinbaren die Beteiligten zugunsten des Veräußerers auf dessen Lebensdauer:
Ein Mitbenutzungsrecht in dem vertragsgegenständlichen Anwesen. Dieses besteht in dem Recht der Mitbenützung sämtlicher Räume des Anwesens samt Einrichtungen und Garten sowie Nebenanlagen. Der Berechtigte hat sich an den gesamten laufenden Lasten und Kosten des Anwesens – auch den außergewöhnlichen Kosten – hälftig zu beteiligen.
Das Mitbenutzungsrecht erlischt auch dinglich, wenn es voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausgeübt werden kann oder wenn Veräußerer und Erwerber länger als sechs Monate getrennt leben sollten im Sinne des § 1567 BGB; der Berechtigte ist dann zur Bewilligung der Löschung verpflichtet. Geldersatzansprüche werden aus jedem Rechtsgrund ausgeschlossen.
Der Nutzungsberechtigte wurde vom Notar darüber belehrt, dass sein Recht (u. U. entschädigungslos) untergehen kann, wenn aus im Grundbuch an besserer Rangstelle eingetragenen Grundpfandrechten die Zwangsvollstreckung betrieben würde.
Beide Eigentümer bestellen hiermit das Mitbenutzungsrecht als beschränkte persönliche Dienstbarkeit an dem in § 1 beschriebenen Grundbesitz zugunsten des Berechtigten und
bewilligt und beantragt
deren Eintragung an nächstoffener Rangstelle im Grundbuch.
Die Ehegatten X gehen daher davon aus, dass es sich bei der heutigen Übertragung nicht um einen unentgeltlichen Vorgang handelt, sondern um ein Austauschgeschäft. Der Notar hat auf hieraus erwachsende Folgen (etwa mögliche Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, soweit Teile vermietet oder nicht zu Wohnzwecken genutzt sein sollten), hingewiesen.
Regelungen für den Fall der Scheidung oder auch Vorbehalte etwa hinsichtlich der Beschränkungen der Verfügungsbefugnis des Erwerbers – gesichert durch Rückübertragungsvormerkung – werden trotz Hinweises des Notars auf diese Möglichkeiten nicht gewünscht. Den Beteiligten wurden die gesetzlichen Bestimmungen des Zugewinnausgleichs erläutert.
Auf den Notarvertrag vom 19.08.2002 wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Grundstück auf die Klägerin eine Gläubigerbenachteiligung darstelle. Es sah den Tatbestand des § 4 Anfechtungsgesetz (AnfG) als gegeben an und erließ nach Anhörung am 20.07.2006 gemäß § 191 AO i.V.m. § 4 AnfG gegenüber der Klägerin einen Duldungsbescheid. Danach habe sie die Vollstreckung in den unentgeltlich zugewendeten Hälfteanteil am Grundstück F, P, wegen eines Betrags in Höhe von 11.892,14 € (Umsatzsteuer 1998 und 1999 mit Zinsen und Säumniszuschlägen) so zu dulden, als gehöre der Anteil noch zum Vermögen des Steuerschuldners. Hinsichtlich eines weiteren Betrags in Höhe von 44.337,26 € wegen Umsatzsteuer für die Jahre 2000, 2001 und 2002 erging nach Eintritt der Bestandskraft der der Forderung zugrundeliegenden Steuerbescheide und unter Berücksichtigung weiterer Zahlungen des Steuerschuldners A X mit Bescheid vom 05.07.2007 ein Leistungsgebot gemäß § 254 AO in Höhe von 43.363,85 €.
Der Einspruch der Klägerin gegen den Duldungsbescheid vom 20.07.2006 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 09.07.2007 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klägerin hat Klage erhoben und beantragt, den Duldungsbescheid vom 20.07.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.07.2007 aufzuheben.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen Folgendes vor:
Die Übertragung des Miteigentumsanteils an dem Grundstück sei nicht unentgeltlich erfolgt. Die Gegenleistung liege in der Übernahme der Erfüllung der Darlehensverbindlichkeiten im Innenverhältnis gegenüber ihrem Ehegatten. Sie hafte nicht nur mit dem Grundstück, sondern auch mit ihrem übrigem Vermögen gegenüber ihrem Ehegatten. Eine Genehmigung der Schuldübernahme durch die Bank sei nicht erforderlich. Auch die Zahlungen ihrer Eltern erfolgten nicht zu ihrer Unterstützung, sondern auch zur Finanzierung und Tilgung ihres Hälfteanteils.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor:
Die Klägerin habe ihren Gatten nicht von der Darlehensschuld befreit. Im Außenverhältnis habe A X trotz der Vereinbarung mit der Klägerin weiterhin die Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag zu erfüllen. Die schuldrechtliche Verpflichtung der Klägerin, ihn im Innenverhältnis von der Inanspruchnahme durch die Bank freizustellen, stelle keinen ausreichenden Gegenwert zur Übertragung des Grundstücks dar. Dies gelte umso mehr, als die Verpflichtung der Klägerin nicht gesichert sei und im notariellen Übertragungsvertrag die interne Haftungsfreistellung als Gegenleistung für den Verzicht der Klägerin auf etwaige Entschädigungs- und Bereicherungsansprüche vereinbart wurde.
Gründe
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Das Finanzamt hat die Klägerin zutreffend durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen.
Der Duldungsbescheid vom 20.07.2006 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Finanzamt hat die Anfechtung der Übertragung des Miteigentumsanteils des Vollstreckungsschuldners an dem Grundstück P auf die Klägerin nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG) durch Duldungsbescheid geltend gemacht. Fehler bei der Ausübung des Ermessens liegen nicht vor. Die Anfechtung ist auch rechtzeitig erfolgt, denn es handelte sich um eine unentgeltliche Übertragung.
Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dies ist der Fall, wenn die Duldungspflicht auf einer Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz beruht, die einen gesetzlichen Rückgewähranspruch oder -subsidiär- Wertersatzanspruch begründet, in den der Anfechtende vollstrecken darf. Der Erlass eines Duldungsbescheides ist eine Ermessensentscheidung des Finanzamts, die vom Gericht nur eingeschränkt zu überprüfen ist (§102 FGO, § 5 AO; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 191 AO Tz. 144).
Nach § 1 AnfG sind alle Rechtshandlungen eines Schuldners anfechtbar, die seine Gläubiger benachteiligen. Zur Anfechtung ist jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat oder wenn anzunehmen ist, dass sie nicht dazu führen würde (§ 2 AnfG). Nach § 4 AnfG ist anfechtbar eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden.
Unter den Begriff der Rechtshandlung fallen alle Handlungen mit rechtlicher Wirkung, die zum Nachteil des Vollstreckungszugriffs führen (vgl. Huber, AnfG, Kommentar, 10. Auflage 2006, § 1 Randnr. 5). Der Begriff der Leistung ist weit zu fassen; es genügt, wenn der Begünstigte –unabhängig von der Wirksamkeit einer Verfügung– in die Lage versetzt wird, das zugewendete Vermögensgut tatsächlich zu nutzen und weiter zu übertragen. Von der Schenkung i.S. des § 516 BGB unterscheidet sich die unentgeltliche Leistung i.S. des § 4 AnfG dadurch, dass keine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit erforderlich ist. Für die Annahme einer unentgeltlichen Leistung genügt es, dass diese ohne Rechtspflicht erfolgt ist und keine Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist (Huber, AnfG, a.a.O., § 4 Rn. 15 ff.). Für die Abgrenzung, ob eine entgeltliche oder unentgeltliche Leistung vorliegt, gilt als Grundsatz, dass nicht die subjektiven Vorstellungen und Absichten des Schuldners und/oder anderen Teils, auch soweit sie erklärt worden sind, entscheidend ist, sondern die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers. Bei der Prüfung, ob die Beteiligten eine Gegenleistung als Entgelt angesehen haben oder ob gleichwohl der Hauptzweck des Geschäftes die Freigiebigkeit gewesen ist, muss berücksichtigt werden, dass der anfechtungsrechtliche Begriff der unentgeltlichen Verfügung zum Schutz der Gläubiger eine weitgehende Ausdeutung verlangt und keine Einigung über die Unentgeltlichkeit voraussetzt. Einseitige Vorstellungen des Schuldners über mögliche wirtschaftliche Vorteile, die nicht in rechtlicher Abhängigkeit zu seiner Zuwendung stehen, können deren Entgeltlichkeit nicht begründen (Huber, AnfG, a.a.O., § 4 Rn. 18).
Voraussetzung für jeden Anfechtungstatbestand ist ferner eine objektive Benachteiligung. Erforderlich ist die Feststellung einer besseren oder schnelleren Befriedigungsmöglichkeit ohne die angefochtene Rechtshandlung. Dies ist vom Standpunkt des einzelnen Gläubigers aus zu beurteilen. Für die Gläubigerbenachteiligung genügt der ganze oder teilweise Wegfall oder die Erschwerung/Verzögerung der Zugriffsmöglichkeit für den anfechtenden Gläubiger. Die Beweislast für den Eintritt der objektiven Benachteiligung trägt der anfechtende Gläubiger. Hierzu genügt es, wenn er vorträgt und nachweist, dass der Anfechtungsgegner einen Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung scheidet allerdings bei wertausschöpfender Belastung des veräußerten Gegenstandes aus, weil dann die Zwangsvollstreckung für den anfechtenden Gläubiger keinen Erfolg gehabt hätte. Jedoch ist bei der Belastung eines Grundstücks mit Grundpfandrechten nicht der nominale Buchwert maßgeblich, sondern in welcher Höhe sie noch Forderungen sicherten (Huber, AnfG, a.a.O., § 1 Rn. 32 ff.). Die schlichte Behauptung einer wertausschöpfenden Belastung reicht nicht (Huber, AnfG, § 1 Rn. 41).
Gemessen an vorstehenden Grundsätzen hat das Finanzamt die Klägerin mit Duldungsbescheid vom 20.07.2006 rechtsfehlerfrei in Anspruch genommen. Fehler bei der Ermessensausübung liegen nicht vor.
Die Übertragung des Miteigentumsanteils an dem Grundstück ist eine anfechtbare Rechtshandlung i.S.d. § 1 AnfG. Denn der Vollstreckungsschuldner A X hat mit Notarurkunde vom 19.08.2002 seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück P in F auf die Klägerin übertragen. Die Klägerin ist daraufhin als Alleineigentümerin am 29.08.2002 in das Grundbuch eingetragen worden.
Durch die dem Vollstreckungsschuldner zuzurechnende Rechtshandlung, nämlich die Übertragung des ihm gehörenden Miteigentumsanteiles auf die Klägerin, ist sein der Zwangsvollstreckung unterliegendes Vermögen geschmälert und damit das Finanzamt objektiv benachteiligt worden. Denn er hat den ursprünglich ihm gehörenden Halbanteil an dem Grundstück dem Zugriff der Gläubiger entzogen. Anhaltspunkte für eine bei Übertragung des Halbanteils bestehende wertausschöpfende Belastung des Grundstücks liegen nicht vor. Nach den eigenen Angaben der Klägerin in der notariellen Urkunde standen dem Wert des übertragenen Halbanteils in Höhe von 90.000 € auf dem Grundstück lastende dinglich gesicherte Verbindlichkeiten mit einem Valutastand bei Übertragung in Höhe von 69.130 € gegenüber.
Das Finanzamt ist rechtlich zutreffend von einer unentgeltlichen Leistung an die Klägerin ausgegangen und hat eine Anfechtung gemäß § 4 Abs. 1 AnfG vorgenommen.
Die Verpflichtung der Klägerin, die Darlehensschuld im Innenverhältnis gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu übernehmen, ist nicht als Gegenleistung für die Übertragung des Hälfteanteils an dem Grundstück anzusehen. Denn im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigerbanken war weiterhin der Vollstreckungsschuldner X und nicht die Klägerin zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet. Aus dem zwischen den Eltern der Klägerin als Darlehensgeber und der Klägerin als Darlehensnehmer mit Datum vom 29.03.2004 geschlossenen Darlehensvertrag über ein zinsloses Darlehen in Höhe von 55.000 € zur Begleichung des Darlehens bei der K Bank ergibt sich, dass A X für die Rückführung dieses Darlehens zusammen mit der Klägerin zu gleichen Teilen haftet. Daraus folgt, dass zugunsten von A X im Innenverhältnis zur Klägerin eine Freistellung von den Darlehensverbindlichkeiten nicht beabsichtigt und in der Folge auch tatsächlich nicht durchgeführt worden ist. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Übertragungsvertrag, dass Gegenleistung für die Freistellung im Innenverhältnis war, dass die Klägerin auf etwaige ihr gegenüber A X zustehende Darlehens-, Entschädigungs- oder Bereicherungsansprüche verzichtet.
Die vierjährige Anfechtungsfrist begann mit Vornahme der unentgeltlichen Leistung, also mit Eintragung der Klägerin ins Grundbuch am 29.08.2002. Der Erlass des Duldungsbescheids erfolgte am 20.07.2006 und damit vor Ablauf der vierjährigen Anfechtungsfrist am 29.08.2006.
Die Ermessenserwägungen des Finanzamts zum Erlass des Duldungsbescheids sind rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Danach konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO. Danach hat die Klägerin hat als die unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen.