02.03.2005 · IWW-Abrufnummer 050606
Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 29.11.2004 – 2 BvR 1034/02
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
- 2 BvR 1034/02 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Mai 2002 - 2 Ws 291, 292/02 -,
b) den Beschluss des Landgerichts München I vom 31. Januar 2002 - 15 Ns 308 Js 37704/01 -,
c) den Beschluss des Landgerichts München I vom 29. Januar 2002 - 15 Ns 308 Js 37704/01 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. November 2004 einstimmig beschlossen:
Tenor:
1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 29. Januar 2002 - 15 Ns 308 Js 37704/01 - sowie der darauf bezogene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Mai 2002 - 2 Ws 291, 292/02 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu 3/4 zu erstatten.
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei Durchsuchungsbeschlüsse, die im Rahmen eines gegen den Beschwerdeführer wegen Einkommensteuerhinterziehung geführten Strafverfahrens erlassen wurden.
I.
1. Das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Erstinstanzlich wurde der Beschwerdeführer, der gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte, vom Amtsgericht München wegen Einkommensteuerhinterziehung zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 350 DM verurteilt. Der Beschwerdeführer habe für das Steuerjahr 1998 zu Unrecht Werbungskosten für die Anschaffung von Fachbüchern in Höhe von 917,60 DM angegeben; die hinterzogene Summe betrage 172 DM. Die vorgelegten Quittungen, auf denen eigenhändig eine Vielzahl von Buchtiteln eingetragen worden seien, beträfen Bücher beruflich nicht relevanter Warengruppen. Eine zweitinstanzliche Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht München I hob das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 5. März 2004 wegen einer Verletzung des Beweisantragsrechts des Beschwerdeführers auf.
2. Nach den Angaben des Beschwerdeführers in der Berufungshauptverhandlung vom 29. Januar 2002 befanden sich die verfahrensrelevanten Bücher zu diesem Zeitpunkt entweder in seiner Wohnung oder in seinem Büro. Das mit der Berufung befasste Landgericht München I erließ sodann in der Hauptverhandlung einen auf diese Räumlichkeiten bezogenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Die in Bezug genommenen und in der Anlage - als Quittungen des Buchhändlers - aufgeführten Bücher sowie deren Ankauf betreffende Belege seien für das Strafverfahren von Bedeutung. Es sei zu vermuten, dass sie bei der Durchsuchung aufgefunden würden. Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt; der Beschluss wurde den anwesenden Vertretern der Steuerfahndung zum sofortigen Vollzug ausgehändigt. Die im Beschluss aufgelisteten Bücher wurden bei der Durchsuchung nicht aufgefunden.
3. Da der Verdacht bestehe, dass der Beschwerdeführer in der im Beschluss vom 29. Januar 2002 bezeichneten Wohnung nicht wohne, erließ das Landgericht München I am 31. Januar 2002 - gestützt auf § 103 StPO - einen weiteren, auf die Wohnung der Ehefrau des Beschwerdeführers bezogenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Da der Beschwerdeführer angegeben habe, die Bücher noch zu besitzen, sei die Annahme gerechtfertigt, dass die Durchsuchung in der Wohnung der Ehefrau des Beschwerdeführers zum Auffinden der Gegenstände führen werde. Auch hier wurden die gesuchten Bücher nicht gefunden.
4. Gegen die beiden landgerichtlichen Beschlüsse erhob der Beschwerdeführer jeweils am 5. März 2002 Beschwerde.
a) Der Beschluss vom 29. Januar 2002 sei nicht messbar und kontrollierbar; die Steuerart sei nicht bestimmt worden. Zu Tatverdacht und Tatzeit enthalte der Beschluss keine Angaben. Da zudem jede inhaltliche Begründung fehle, liege ein Verstoß gegen § 34 StPO vor.
b) Da eine Gefährdung des Zweckes der Maßnahmen nicht vorgelegen habe, hätten die Beschlüsse gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (§ 33 Abs. 3 StPO). Soweit - zugunsten des Beschwerdeführers - das Auffinden der Bücher bezweckt gewesen sein sollte, seien die Beschlüsse ungeeignet und willkürlich. Der Beschwerdeführer sei zum Beibringen der Bücher nicht aufgefordert worden; ein Grundrechtseingriff zugunsten des Betroffenen gegen dessen Willen sei zudem nicht zulässig. Soweit das etwaige Nichtvorhandensein der Bücher betroffen sei, scheide deren Auffinden bereits nach den Gesetzen der Logik aus. Die Beschlüsse seien zudem im Hinblick auf die Schwere der Schuld und die Stärke des Tatverdachts unverhältnismäßig. Die Abwendungsbefugnis sei lediglich für den Fall der Beschlagnahme gewährt worden. Einem etwaigen Nichtauffinden der Bücher käme zudem kein Beweiswert zu.
c) Hinsichtlich des Beschlusses vom 31. Januar 2002 sei ergänzend von Bedeutung, dass keine Tatsachen vorgelegen hätten, aus denen zu schließen gewesen wäre, dass sich die Beweismittel in den Räumlichkeiten der Ehefrau des Beschwerdeführers hätten befinden können. Zudem habe dem Beschluss ein Aktenvermerk zugrunde gelegen, der unter Verstoß gegen das Steuergeheimnis (§ 30 AO) zu den Akten gelangt sei.
5. Das Oberlandesgericht München verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 6. Mai 2002 als unbegründet. Wegen des bereits erstinstanzlich ergangenen Urteils und der beigefügten Werbungskostenbelege sei allen Prozessbeteiligten klar gewesen, wonach ausschließlich gesucht werde. Die vorherige Bekanntgabe, wonach gesucht werde, würde jede Durchsuchung sinnlos machen. Der Beschwerdeführer verkenne zudem Sinn und Zweck des Strafverfahrens. Nach § 244 Abs. 2 StPO habe das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung seien. Ein Beweiswert komme - wegen der Warengruppeneinteilung der Buchhandlung - sowohl dem etwaigen Auffinden als auch - wegen der Widerlegung der Einlassung des Beschwerdeführers - dem Nichtauffinden der Bücher zu. Trotz der geringen Höhe des hinterzogenen Betrages sei auch von der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auszugehen. Zur Entlastung oder Überführung sei die Durchsuchung das einzige Mittel gewesen. Die Belastungen für den Beschwerdeführer hätten sich in Grenzen gehalten. Der zweite Durchsuchungsbeschluss sei konsequent, da der erste nicht am tatsächlichen Wohnsitz des Beschwerdeführers habe stattfinden können.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 GG, Art. 13 GG, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 103 GG.
Die Beschlüsse seien nicht messbar und kontrollierbar gewesen; insbesondere hätten die Steuerart und der relevante Tatzeitraum eingegrenzt sowie die Beweismittel genau bezeichnet werden müssen. Das Oberlandesgericht München habe verkannt, dass sich der jeweils erforderliche Beschlussinhalt aus den Beschlüssen unmittelbar hätte ergeben müssen. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien weder geeignet noch erforderlich gewesen, insbesondere hätte dem Beschwerdeführer eine Abwendungsbefugnis eingeräumt werden müssen. Wegen der Höhe des angeblich hinterzogenen Betrages seien die Durchsuchungen - auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs - unangemessen. Die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses vom 31. Januar 2002 ergebe sich auch daraus, dass keine für § 103 StPO erforderlichen Tatsachen dafür vorgelegen hätten, dass sich die gesuchten Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen hätten befinden können. Die Beschlüsse verstießen zudem gegen Art. 103 GG; insbesondere hätte der Beschwerdeführer - da eine Ausnahme gemäß § 33 Abs. 4 StPO nicht vorgelegen hätte - vor den Beschlüssen gehört werden müssen. Das Oberlandesgericht München habe im Übrigen durch die Würdigung des Beweiswertes der Maßnahmen gegen Art. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen.
2. Dem Land Bayern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; es hat hiervon mit Schreiben vom 30. März 2004 Gebrauch gemacht.
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 13 Abs. 1 und 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig (I.) und, soweit sie zulässig ist, in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet (II.).
I.
1. Der Durchsuchungsbeschluss als Zwischenentscheidung im Strafverfahren kann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Zwar können grundsätzlich Zwischenentscheidungen nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden (vgl. BVerfGE 58, 1 <23>). Anders ist dies jedoch dann, wenn Zwischenentscheidungen auf der Ebene des einfachen Rechts selbständig anfechtbar sind (vgl. BVerfGE 25, 336 <344>). Zu den Ausnahmefällen vom Ausschluss der Beschwerde gemä ß § 305 Satz 2 StPO gehört auch die Durchsuchung. Diese wird dadurch charakterisiert, dass die bereits eingetretene Beschwer des Betroffenen durch eine Anfechtung des Urteils nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 305 Rn. 10).
2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 GG durch den Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts München I vom 31. Januar 2002 - sowie durch den darauf bezogenen Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Mai 2002 - rügt, kann er die behauptete Rechtsverletzung nicht im eigenen Namen geltend machen. Die Verfassungsbeschwerde kann nur von dem erhoben werden, der selbst durch den angegriffenen staatlichen Hoheitsakt betroffen ist (vgl. BVerfGE 13, 1 <9>). Ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen zum Zeitpunkt dieses Durchsuchungsbeschlusses nicht in der zu durchsuchenden Wohnung gewohnt haben will, betrifft die auf § 103 StPO gestützte Maßnahme auch nach ihrem Wortlaut alleine die Wohnung der Ehefrau des Beschwerdeführers.
II.
Der Beschluss des Landgerichts München I vom 29. Januar 2002 sowie der darauf bezogene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Mai 2002 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
1. a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 59, 95 <97>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 <223>; 57, 346 <355 f.>; 76, 83 <91>; 103, 142 <150 f.>).
b) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 <221>; 103, 142 <151 f.>). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>).
c) Die Durchsuchung bedarf vor allem einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).
2. Der Durchsuchungsbeschluss vom 29. Januar 2002 genügte seiner verfassungsrechtlich gebotenen Begrenzungsfunktion. Zwar wurde als Strafvorwurf lediglich der pauschale und zeitlich nicht eingeschränkte Verdacht der Steuerhinterziehung genannt. Die auf konkret bezeichnete Beweismittel bezogene Durchsuchung wurde jedoch im Rahmen der Hauptverhandlung in Anwesenheit sämtlicher an der Maßnahme Beteiligter angeordnet. Der der Maßnahme zugrunde liegende Tatvorwurf war dem Beschwerdeführer zudem schon wegen der erstinstanzlichen Verurteilung und im Hinblick auf den Gegenstand der Berufungshauptverhandlung bekannt. Eine angemessene Kontrolle etwaiger Ausuferungen der Durchsuchung war auf dieser Grundlage möglich.
3. Die mit Beschluss des Landgerichts München I vom 29. Januar 2002 angeordnete und mit Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Mai 2002 best ätigte Durchsuchung hat jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht Rechnung getragen.
a) Die Durchsuchungsanordnung war zwar geeignet, den vorgeblichen Besitz des Beschwerdeführers an den im Beschluss genannten Beweismitteln aufzukl ären. Gegen die fachgerichtliche Auffassung, wonach neben dem Auffinden auch dem Nichtauffinden der gegenständlichen Bücher ein für das Verfahren erheblicher und damit dem Gesetzeszweck der Durchsuchung entsprechender Beweiswert zugekommen wäre, ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.
b) Die Maßnahme war jedoch zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat nicht erforderlich. Hierfür hätten andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung gestanden.
aa) Der Beschwerdeführer hat in der Berufungshauptverhandlung behauptet, zu diesem Zeitpunkt die relevanten Bücher selbst noch zu besitzen. Auf dieser Grundlage wäre der Zweck der angegriffenen Durchsuchung, verwertbare und verfahrenserhebliche Beweismittel zu erlangen, auch durch die im Verhältnis zur Durchsuchung mildere Aufforderung an den Beschwerdeführer erreichbar gewesen, dem Gericht die Bücher zeitnah vorzulegen. Wenngleich der Beschwerdeführer als Angeklagter nicht dazu verpflichtet ist, zu seiner Strafverfolgung durch aktives Handeln beizutragen (vgl. BGHSt 34, 39 <46>) und er im Strafverfahren keiner Darlegungs- und Beweislast unterliegt (vgl. Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 261 Rn. 39), hätten die Fachgerichte - im Hinblick auf die zumindest teilweisen Einlassungen des Beschwerdeführers (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1995 - 2 BvR 326/92 -, NStZ 1995, S. 555, zu dem verfassungsrechtlichen Verbot, das vollständig ausgeübte Schweigerecht zum Nachteil des Angeklagten zu verwenden) - aus einer etwaigen Nichtvorlage der Bücher verwertbare Schlüsse ziehen können. Diese Folgerungen hätten dem Beweiswert einer vollzogenen, den Beschwerdeführer in schwer wiegender Weise belastenden Durchsuchung entsprochen. Eine Vorlage der Bücher hätte - entsprechend einem Auffinden im Rahmen der Durchsuchung - deren Überprüfung ermöglicht; eine Nichtvorlage der Bücher hätte - ebenso wie deren Nichtauffinden im Rahmen der Durchsuchung - die Einlassung eines zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Besitzes widerlegen können.
bb) Die strafprozessuale Aufklärungspflicht hat den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses nicht geboten. Zwar ist die Erwägung des Oberlandesgerichts München zutreffend, wonach sich gemäß § 244 Abs. 2 StPO die gerichtliche Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. Herdegen, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 244 Rn. 19, zum Umfang der Aufklärungspflicht). Der Richter muss auch ohne Antrag und selbst gegen den Willen des Angeklagten entlastende Beweismöglichkeiten ausschöpfen (vgl. Herdegen, a.a.O., Rn. 20). Von der in jedem Fall beachtlichen Aufklärungspflicht sind jedoch die zum Zweck der Aufklärung veranlassten und mit Rechtseingriffen verbundenen Zwangsmaßnahmen zur Erlangung erreichbarer Erkenntnismittel zu unterscheiden. Diese müssen den oben genannten Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen.
cc) Die Annahme, bei einer etwaigen Nichtvorlage der Bücher wäre die auf den aktuellen Besitz der Bücher bezogene Einlassung des Beschwerdeführers ebenfalls widerlegt worden, kollidiert auch nicht mit dem strafprozessualen Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO.
(1) Die Beweiswürdigung ist Aufgabe des Tatrichters. Sie kann revisionsrechtlich nur beschränkt überprüft werden. Auch von Verfassungs wegen kann den Fachgerichten grundsätzlich keine bestimmte Würdigung strafprozessualer Erkenntnisse oder des Inbegriffs der Hauptverhandlung aufgegeben werden.
(2) Wegen der Besonderheiten des Falles ist hier von Bedeutung, dass die auf der Grundlage der Zwangsmaßnahme erlangten Erkenntnisse auch mit den oben aufgezeigten milderen Mitteln in gleicher Weise hätten gewonnen werden können. Es sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine Nichtvorlage der Bücher eine gleichzeitige Besitzhypothese hätte fortbestehen lassen können. Auch wegen der den Beschwerdeführer entlastenden Wirkung eines etwaigen Bücherbesitzes hätten sich die Fachgerichte nicht mit einer abstrakten, lediglich theoretisch denkbaren anderen Möglichkeit einer Nichtvorlage der Bücher auseinandersetzen müssen (vgl. BGHSt 25, 365 <367>; Schoreit, a.a.O., Rn. 4, 49).
dd) Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem angeblichen Bücherbesitz hätten daher - entgegen der fachgerichtlichen Auffassung - auch bei einem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Verzicht auf die Durchsuchung nicht unwiderlegt hingenommen werden müssen. Dass die dargestellten Folgerungen aus dem Verhalten des Beschwerdeführers ihre Ursache in einer Aufforderung an den Beschwerdeführer zur Büchervorlage gehabt hätten, ist auch mit dem strafprozessualen, auf dem Leitbild der Achtung vor der Menschenwürde beruhenden (vgl. BVerfGE 56, 37 <43>) Schweigerecht des Angeklagten - nemo tenetur se ipsum accusare - vereinbar. Nicht die fehlende aktive Mitwirkung an dem Verfahren, sondern die eigene Einlassung des Beschwerdeführers - er besitze die Bücher, lege sie aber nicht vor - wäre Grundlage der Beweiswürdigung gewesen. Da der Beschwerdeführer als Angeklagter nicht vollständig geschwiegen hat, hätten aus dessen gesamtem Verhalten nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen (vgl. BGHSt 20, 298 <300>; Schoreit, a.a.O., Rn. 41 m.w.N.).
ee) Die Durchsuchung und deren Vollzug konnten daher lediglich die für die Nichtvorlage der Bücher ohnehin bestehende Annahme verifizieren, dass sich zumindest zu diesem Zeitpunkt - entgegen den Angaben des Beschwerdeführers - die Bücher nicht mehr in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten befanden. Der schwer wiegende Eingriff in die räumliche Privatsphäre des Beschwerdeführers sanktionierte auf dieser Grundlage letztlich eine auf eine andere Weise bereits widerlegte Einlassung des Beschwerdeführers.
c) Ob die Durchsuchung insbesondere wegen der Geringwertigkeit des hinterzogenen Betrags und des Zeitablaufs - aber trotz des erstinstanzlich festgestellten, die Bagatellgrenze des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO übersteigenden Schuldmaßes (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 313 Rn. 2, zum Begriff der "Bagatellkriminalität" in diesem Zusammenhang) - auch außer Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs und der - durch eine bereits vorliegende erstinstanzliche Verurteilung des Beschwerdeführers qualifizierte - Stärke des Tatverdachts gestanden hat (vgl. BVerfGE 20, 162 <187>), kann auf dieser Grundlage offen bleiben.
4. Die angefochtenen Beschlüsse sind in dem genannten Umfang aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG). Gemäß § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu 3/4 zu erstatten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.