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  • 16.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123424

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 10.03.2011 – 9 K 9370/07

    Hat ein Arzt trotz der ausdrücklichen Frage auf der Rückseite der Anlage KSO nach Einkünften aus Berufsunfähigkeitsrenten die ihm in den Jahren 1995 bis 2000 zugeflossene, mit ihrem Ertragsanteil steuerpflichtige private Berufsunfähigkeits-Zusatzrente, die in ihrem monatlichen Bruttobetrag der Höhe des Bruttoverdienstes eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers entsprach, jeweils in der Einkommensteuererklärung nicht angegeben, so ist zumindest von einem bedingten Vorsatz (dolus eventualis) und somit vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Voraussetzung für eine auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist sowie für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen auszugehen.


    FG Berlin-Brandenburg v. 10.03.2011

    9 K 9370 / 07

    Tatbestand:

    Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Kläger bezüglich der Einkommensteuerfestsetzungen 1995 bis einschließlich 2003 wegen Nichtangabe seiner monatlichen Bezüge aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von mehr als … DM pro Monat den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung i. S. von § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) begangen hat.

    Der 1959 geborene Kläger und die 1964 geborene Klägerin sind Ehegatten, die vom Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In den Streitjahren 1995 bis 2000 waren beide Eheleute nahezu durchgehend berufstätig (der Kläger im Streitjahr 1995 zunächst als angestellter …-Arzt und, in der Folgezeit als selbständiger …-Arzt, die Klägerin in den Jahren 1995 bis 1998 sowie im Jahr 2000 als angestellte …-login und dann als Angestellte in der Praxisgemeinschaft ihres Ehemannes mit einem weiteren Arzt, Herrn D…). Ferner erzielten beide Kläger ab dem Streitjahr 1996 negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Außerdem erklärten die Kläger im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 im Rahmen der Anlage KSO Einkünfte aus Kapitalvermögen (aus Guthaben und Einlagen) in Höhe von … DM. Die Rückseite (= S.2) dieser Anlage, die sonstige Einkünfte, u. a. Leibrenten, betraf, blieb unausgefüllt. Im Mantelbogen ihrer Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1996 und 1997 gaben die Kläger hinsichtlich S. 1 der Anlage KSO an, dass diese nicht eingereicht werde, da die Einnahmen aus Kapitalvermögen die gesetzlichen Freibeträge nicht übersteigen würden. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung 1998 machten sie hierzu keine Angaben. Mit der Einkommensteuererklärung 1999 reichten sie wiederum die Anlage KSO ein und gaben darin Beteiligungseinkünfte aus Kapitalvermögen an.

    Ab dem Veranlagungszeitraum 2000 gab es für die Kapitaleinkünfte und die sonstigen Einkünfte nicht mehr einen einheitlichen Vordruck „Anlage KSO”, sondern es waren hierfür mehrere Vordrucke zu verwenden (Anlage KAP sowie Anlage SO).

    Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001 reichten die Eheleute ausgefüllte Anlagen KAP betreffend Zinseinkünfte sowie SO betreffend private Veräußerungsgeschäfte i. S. von § 23 EStG ein. Im Mantelbogen der Einkommensteuererklärungen 2002 sowie 2003 gaben die Kläger hinsichtlich der Anlage SO lediglich an, keine privaten Veräußerungsgeschäfte getätigt zu haben.

    Die Einkommensteuererklärungen gingen am 13. August 1997 (betr. 1995), 6. August 1998 (1996), 10. Dezember 1998 (1997), 31. August 2000 (1998), 28. Dezember 2000 (1999) und 27. September 2001 (2000) beim Beklagten ein. Bei der Erstellungen der Erklärungen 1996 bis einschließlich 2000 hatte jeweils die Steuerberaterkanzlei X aus mitgewirkt. Zu dem Zeitpunkt, als die Einkommensteuererklärung 1995 beim Beklagten eingereicht wurde, war für die Kläger Steuerberater Y aus wegen Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen für die Einkommensteuer 1996 tätig (vgl. dessen Schreiben an den Beklagten vom Mai 1997). Bereits der Einkommensteuerbescheid 1994 vom X. April 1997 wurde ihm bekanntgegeben.

    Mit Datum X. Februar 2007 sandte die Steuerberaterkanzlei X folgendes Schreiben an den Beklagten: „Sehr geehrte Damen und Herren, in der Anlage überreichen wir Ihnen die bisher in den Steuererklärungen nicht enthaltenen Anlagen SO bzw. Anlage R. Wir bitten um Änderung der Einkommensteuerbescheide 2001 bis 2005”. Entsprechend dem Antrag änderte der Beklagte die betreffenden Einkommensteuerveranlagungen im Hinblick auf die Einnahmen aus der nacherklärten Berufunfähigkeitsrente von bereits im Jahr 2001 monatlich deutlich über … DM pro Monat.

    Auf schriftliche Nachfrage des Beklagten vom 5. März 2007 nach der Höhe des Rentenbezugs in den Jahren 1995 bis 2000 zum Zwecke der Änderung auch dieser Einkommensteuerveranlagungen teilte die o. g. Steuerberaterkanzlei dem Beklagten mit Schreiben vom 18. April 2007 auch die Höhe dieser Rentenbezüge mit.

    Der Kläger hatte im Jahr 1988 bei den Z-Versicherungen eine „Dynamische Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen (vgl. Versicherungsschein vom 5. Juli 1988). Versicherungsbeginn war der 1. Juli 1988, Versicherungsablauf sollte am … 2034 sein, also kurz vor Vollendung seines 75. Lebensjahres. Nach den „Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung” sollte der Kläger die im Versicherungsschein bezeichnete monatliche Rente in Höhe von … DM wegen „Berufsunfähigkeit” in dem Fall erhalten, dass er zu mindestens 50 v. H. berufsunfähig werde. Der Anspruch auf die Rente sollte u.a. dann erlöschen, wenn der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 v. H. absinken sollte (§ 1 Ziffer 3 der o. g. „Bedingungen”). Nach § 2 der Vertragsbedingungen war die vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit u. a. auch dann anzunehmen, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer mindestens sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit außerstande gewesen ist, seinen Beruf oder eine „vergleichbare Tätigkeit” auszuüben.

    Im Jahr 1992 erkrankte der Kläger an …krebs. Im Hinblick auf § 2 der Vertragsbedingungen erhielt der Kläger deshalb ab September 1992 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von zunächst monatlich … DM. Mit Schreiben vom X. Januar 1993 zeigte der Kläger der Versicherung seine Absicht an, eine Berufstätigkeit als angestellter Arzt in einem Mindestumfang von 38,5 Wochenstunden ab März 1993 wieder aufzunehmen. Die Z-Versicherungen behielten sich gemäß Schreiben vom X. Januar sowie X. April 1993 eine Überprüfung des Rentenbezugsrechts des Klägers vor, welche aber in der Folgezeit zu keiner anderen Beurteilung führte.

    Auf schriftliche Nachfrage des Beklagten vom März 2007 nach der Höhe des Rentenbezugs in den Jahren 1995 bis 2000 zum Zwecke einer Änderung auch dieser Einkommensteuerveranlagungen teilte die o. g. Steuerberaterkanzlei dem Beklagten mit Schreiben vom 18. April 2007 auch die Höhe dieser Rentenbezüge mit.

    Mit auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützten Bescheiden vom X. Mai 2007 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 1995 auf … EUR, für 1996 auf … EUR, für 1997 auf … EUR, für 1998 auf … EUR, für 1999 auf … EUR, für 2000 auf … EUR, für 2001 auf … EUR, für 2002 auf … EUR und für das Streitjahr 2003 auf … EUR fest. Die Nachzahlungsbeträge betrugen … EUR für 1995, … EUR für 1996, … EUR für 1997, … EUR für 1998, … EUR für 1999, … EUR für 2000, … EUR für 2001, … EUR für 2002 sowie … EUR für das Streitjahr 2003.

    Gegen die Änderungsbescheide betreffend Einkommensteuer 1995 bis einschließlich 2000 legten die Kläger mit der Begründung, es sei mangels Erfüllung des Tatbestands einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung in ihrer Person inzwischen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, Einsprüche ein, die jedoch erfolglos blieben und vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2007 als unbegründet zurückgewiesen wurden.

    Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger als Empfänger der Rentenzahlungen doch vorsätzliche Steuerhinterziehungen begangen habe. Für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes (dolus eventualis) spreche sein hoher Bildungsgrad als …. Er erscheine nicht glaubhaft, dass er sich als Hochschulabsolvent und Bezieher verschiedener steuerrechtlich relevanter Einkünfte wie z. B. auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung keine Gedanken über die steuerlichen Auswirkungen einer langjährig zu zahlenden Berufunfähigkeitsrente gemacht habe. Eine solche Frage habe sich ihm geradezu aufdrängen müssen. Da der Kläger damals ohnehin steuerlich beraten gewesen sei, hätte er ohne großen Aufwand seinen Steuerberater fragen können. Wenn er dies unterlassen habe, sei bereits darin vorsätzliches Handeln zu sehen (Hinweis auf Urteil des FG Münster vom 3. Februar 1994 14 K 2976/93, juris). Der Kläger könne nicht ernsthaft der Meinung gewesen sein, dass eine Rente in Höhe des monatlichen Einkommens eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers in den Streitjahren einkommensteuerfrei gewesen sei.

    Mit Bescheid vom 26. Juni 2007 setzte der Beklagte außerdem Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2001 bis 2003 fest, die die nach § 233 a AO bereits festgesetzten Nachzahlungszinsen um … EUR (2001), … EUR (2002) bzw. … EUR (2003) übersteigen. Die hiergegen gerichteten Einsprüche der Kläger blieben erfolglos und wurden vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2007 als unbegründet zurückgewiesen.

    Mit ihrer Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend, dass der Ehemann keine vorsätzliche Steuerhinterziehung i. S. von § 370 AO 1977 begangen habe und deshalb im Zeitpunkt der Bekanntgabe der streitgegenständlichen Änderungsbescheide vom 3. Mai 2007 bereits Festsetzungsverjährung für die Streitjahre eingetreten gewesen sei. Es bestehe auch keine Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen betreffend die Einkommensteuernachzahlungen für die Streitjahre 2001 bis 2003.

    Er, der Kläger, möge fahrlässig oder sogar grob fahrlässig gehandelt haben. Ihm könne jedoch nicht der Vorwurf des bedingten Vorsatzes gemacht werden. Diesbezüglich würden auch die Grundsätze des „in dubio pro reo” gelten. Selbst bei einer Verletzung von Mitwirkungspflichten müssten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 370 AO 1977 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben sein (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 7. November 2006, VIII R 81/04, BStBl 2007 II S. 364).

    Er, der Kläger, sei bis Ende 2006 davon ausgegangen, dass die Rentenzahlungen nicht einkommensteuerpflichtig gewesen seien. Grundlage dieser Überzeugung seien die Umstände des Vertragsabschlusses der Lebensversicherung gewesen. Bei der Verhandlung über den Vertragsabschluss habe der Versicherungsvertreter nicht erwähnt, dass die eventuellen späteren Rentenbezüge einkommensteuerpflichtig sind. Der von ihm genannte Betrag sei ohne einen Zuschlag für eine Steuer dem Antrag auf Vertragsabschluss zugrunde gelegt worden. In den ihm damals von der Versicherung zur Verfügung gestellten Unterlagen sei ebenfalls kein Hinweis auf eine Steuerpflichtigkeit etwaiger Rentenzahlungen vorhanden gewesen. Vielmehr sei dort der Hinweis erfolgt, dass die Leistungen der Versicherung im Versicherungsfall steuerfrei seien (Hinweis auf Blatt 4 und 10 des Anlagenkonvoluts 1 zum Klagebegründungsschriftsatz vom 26. Februar 2008). Auf Besonderheiten der Berufsunfähigkeitsversicherung sei dabei nicht aufmerksam gemacht worden.

    Auch das Schreiben der Z-Versicherungen vom 7. Januar 1993, mit dem die Berufsunfähigkeitsrente – zunächst vorläufig – bewilligt wurde, enthalte keinen Hinweis auf eine Steuerpflichtigkeit solcher Bezüge. Die nachfolgenden jährlichen Mitteilungen der Versicherung enthalten, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, ebenfalls keinen Hinweis auf eine Einkommensteuerpflicht.

    Herr Steuerberater X habe bereits im Einspruchsverfahren gegenüber dem Beklagten schriftlich bestätigt, dass er zunächst keine Kenntnis von den Rentenbezügen gehabt habe und deshalb auch nicht auf eine Steuerpflicht habe hinweisen können. Er könne diesbezüglich vom FG auch als Zeuge vernommen werden.

    Der erste Hinweis auf eine bestehende Steuerpflicht sei im Schreiben der Z-Versicherungen vom 21. Dezember 2006 enthalten gewesen.

    Er, der Kläger, habe nach Erhalt des Schreibens vom 21. Dezember 2006 unverzüglich seinen Steuerberater konsultiert und diesen beauftragt, die für das Jahr 2005 bereits abgegebene Einkommensteuererklärung zu berichtigen. Der Steuerberater habe daraufhin gefragt, ob die Rente bereits seit längerem bezogen worden sei. Als er, der Kläger, dies bejaht habe, habe der Steuerberater gesagt, dass die Rente nicht erst seit dem Jahr 2005, sondern von Beginn an einkommensteuerpflichtig gewesen sei. Mit Schreiben vom 23. Januar 2007 seien deshalb die Rentenzahlungen für die Vorjahre bei der Versicherung erfragt worden. Nach Erhalt des Antwortschreibens der Versicherung vom 7. Februar 2007 seien am 20. Februar 2007 die Berichtigungserklärungen i. S. von § 153 AO 1977 für die VZ 2001 ff. beim Beklagten eingereicht worden.

    Wäre er, der Kläger, ein „taktierender Hinterzieher” gewesen, so hätte er nicht die o. g. Mitteilung der Versicherung abgewartet. Im Zusammenhang mit der Einführung des § 22 a EStG durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen ( Alterseinkünftegesetz – AltEinKG) vom 5. Juli 2004 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – I S. 1427) sei seit Mitte 2004 über das erhöhte Entdeckungsrisiko von Steuerhinterziehern bei Renteneinkünften in den Medien berichtet worden. Um das Risiko einer Tatentdeckung bzw. Einleitung eines Strafverfahrens vor der Abgabe einer Selbstanzeige zu vermeiden, hätte – bei einer vermeintlich vorangegangenen Steuerhinterziehung – die Berichtigung viel früher erfolgen müssen.

    Die in der angefochtenen Einspruchsentscheidung angeführten Beweisanzeichen rechtfertigten nicht in ausreichendem Maße den Rückschluss auf das Vorhandensein eines bedingten Hinterziehungsvorsatzes. Seinen hohen Bildungsgrad wolle er, der Kläger, dabei nicht in Abrede stellen. Er habe sich auch tatsächlich Gedanken über eine eventuelle Steuerpflicht gemacht. Er sei jedoch aufgrund der o. g. Umstände zu dem unzutreffenden Schluss gelangt, dass die Rente ertragsteuerlich irrelevant sei. Restzweifel habe er nicht gehabt.

    Das deutsche Steuerrecht zeichne sich leider nicht dadurch aus, dass ähnliche Leistungen auch gleich besteuert würden. Bezogen auf die Steuerpflicht von Rentenbezügen bestehe keine einheitliche Sichtweise. § 22 Nr. 1 EStG sei unübersichtlich und unverständlich abgefasst. Einzelne Rentenarten seien steuerfrei (Hinweis auf Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 26. Aufl., § 22 Rz. 21 zur Schadensersatzrente). Private Versicherungsleistungen würden grundsätzlich als steuerrechtlich irrelevant gelten (Hinweis auf Heinicke, in: Schmidt, a.a.O., § 4 Rz. 275). Gerade im Zusammenhang mit Lebensversicherungen gehöre es eher zum allgemeinen Laienwissen, dass deren Zahlungen – unter gewissen Voraussetzungen – steuerfrei seien.

    Die vom Beklagten zitierte Entscheidung des FG Münster sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Im Gegensatz zu Zinsgutschriften einer Bank müsse der Bürger bei Rentenzahlungen nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass sie steuerpflichtig seien. Außerdem sei dieser Entscheidung nicht der allgemeine Rechtssatz zu entnehmen, dass die Nichthinzuziehung eines steuerlichen Beraters stets den Rückschluss auf das Vorhandensein eines dolus eventualis rechtfertige. Die Gründe für eine solche Nichthinzuziehung könnten unterschiedlich sein. Wenn der Steuerpflichtige – wie hier gegeben – von der steuerrechtlichen Irrelevanz eines Vorgangs überzeugt sei, bestehe für ihn kein Anlass, diesbezüglich nochmals den steuerlichen Berater zu konsultieren. Anders sei es nur, wenn er bestehende Restzweifel unbeachtet lassen und den Berater nicht konsultiere, um keine Gewissheit zu erlangen. Im hier relevanten Zeitraum 1995 bis 2000 habe es auch in den Medien keine besondere Berichterstattung über die Steuerpflicht von Rentenbezügen gegeben. Erst aufgrund des Mitte 2004 eingeführten § 22 a EStG sei auf das erhöhte Entdeckungsrisiko bei Rentnern hingewiesen worden. Da er, der Kläger, von der Steuerfreiheit seiner Rente ausgegangen sei, habe er dieser Berichterstattung keine Aufmerksamkeit geschenkt.

    Die „Anzeige einer Betriebsaufnahme bzw. einer freiberuflichen Tätigkeit” vom 2. November 1995, in denen auch Angaben zu „Art und Höhe weiterer Einkünfte (z.B. Lohn/Gehalt, Zinsen, Renten, Mieten” zu machen sind und in der unstreitig nur Einkünfte der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit angegeben sind, sei seinerzeit von Steuerberater Y ausgefüllt und von ihm, dem Kläger. lediglich unterschrieben worden. Ein Gespräch über eventuelle Renteneinkünfte sei seinerzeit mit Herrn Y nicht geführt worden.

    Die Kläger beantragen,

    die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 2000 vom X. Mai 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom X. November 2007 aufzuheben,

    den Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2001 bis 2003 vom 26. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. November 2007 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er verweist zunächst auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, dass in der amtlichen „Anleitung zur Einkommensteuererklärung 1993” bereits für das Erstbezugsjahr der Rente 1993 im Abschnitt „Anlage KSO” ausdrücklich ausgeführt sei, dass zu den Renten als „sonstigen Einkünften” auch Berufsund Erwerbsunfähigkeitsrenten (Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) gehören würden. Anhand des Stichwortverzeichnisses zur amtlichen Ausfüllanleitung habe man sogar eine Fundstelle zur Grundlage dieser Steuerpflicht zur Kenntnis nehmen können. Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen der Z-Versicherungen gehe klar hervor, dass der Kläger eine solche Erwerbsunfähigkeitsrentenversicherung abgeschlossen und später daraus Rentenzahlungen erhalten habe. Insoweit sei ein Irrtum über die Steuerpflicht dieser Bezüge ausgeschlossen.

    Soweit der Kläger geltend gemacht habe, dass die betreffende Versicherung zum Teil selbst darauf hinweise, dass ihre Leistungen im Versicherungsfall steuerfrei seien, sei dem entgegenzuhalten, dass dies so pauschal nicht zutreffend sei. Die Versicherung habe lediglich auf die steuerliche Behandlung von Zinsen (aus Sparanteilen) bzw. auf die Steuerfreiheit von Leistungen bei Versicherungsablauf (Ende der Versicherungsdauer) und Tod des Versicherungsnehmers hingewiesen. Um keine dieser Versicherungsleistungen gehe es hier. Es sei davon auszugehen, dass ein Hochschulabsolvent wie der Kläger zwischen Zinsanteilen und Rentenzahlungen sowie zwischen Zahlungen im sog. Erlebensfall und im Todesfalle unterscheiden könne. Schließlich habe die Versicherung auf Seite 4 des Anlagenkonvoluts ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Versicherungsnehmer bei Fragen zur steuerlichen Behandlung der Versicherungsleistungen an die Versicherung wenden könne. Das sei offensichtlich im vorliegenden Fall nicht geschehen.

    Dem erkennenden Senat haben bei seiner Entscheidung sechs Bände Steuerakten betr. die Kläger (StNr.:…/…/…) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.


    Entscheidungsgründe:

    Die gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbundenen Klagen sind unbegründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1995 bis 2000 vom 3. Mai 2007 sowie der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 26. Juni 2007, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 2. November 2007, sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    A. Geänderte Einkommensteuerbescheide 1995 bis 2000 vom 3. Mai 2007

    1. Die in den o. g. Einkommensteuerbescheiden angesetzten Einkünfte des Klägers aus dem Bezug einer (privaten) Berufsunfähigkeits-Zusatzrente sind hinsichtlich ihrer Tatbestandsmäßigkeit i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG i. V. m. § 55 Abs. 2 EStDV („Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen”) in seiner in den Jahren 1995 bis einschließlich 2000 geltenden Fassung dem Grund und der Höhe (nur der sog. Ertragsanteil ist einkommensteuerpflichtig) nach zwischen den Beteiligten unstreitig, so dass es hierzu seitens des Gerichts keiner weiteren Ausführungen bedarf (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 9. Februar 2005 X R 17/04, BFH/NV 2005, 281 m.w.N.: „abgekürzte Leibrente”).

    2. Die Festsetzungsfristen für den Erlass der o. g. Einkommensteuerbescheide waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide noch nicht abgelaufen, da nach der Überzeugung des erkennenden Senats in der Person des Klägers als Empfänger der streitgegenständlichen Rentenzahlungen die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen von (mehrfachen) Steuerhinterziehungen i. S. von § 370 Abs. 1 AO 1977 gegeben sind, die zu einer Verlängerung der Festsetzungsfristen auf jeweils zehn Jahre führen (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

    Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Gemäß Abs. 4 Satz 1 der Vorschrift sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.

    Der Kläger hat im Streitfall den objektiven Tatbestand von Steuerhinterziehungen erfüllt, als er in den Einkommensteuererklärungen der Eheleute für die Streitjahre die Rentenzahlungen seitens der Z-Versicherungen nicht angegeben hat, denn gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG i. V. m. § 55 Abs. 2 EStDV gehören Einkünfte aus Berufsunfähigkeitsrentenversicherungen zu den einkommensteuerpflichtigen sonstigen Einkünften.

    Der Kläger hat den Tatbestand des § 370 AO 1977 nach Überzeugung des erkennenden Senats auch vorsätzlich erfüllt. In diesem Zusammenhang genügt die Bejahung eines sog. Eventualvorsatzes (dolus eventualis). Dieser ist bei der Steuerhinterziehung bereits dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige sich über die Steuerrechtslage im Unklaren ist und es ihm möglich erscheint, dass seine Erklärung bei zutreffender Anwendung des Steuerrechts unrichtig oder unvollständig ist, und er diese mögliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Steuererklärung billigend in Kauf nimmt (vgl. dazu zuletzt BGH-Urteil vom 16. Dezember 2009 1 StR 491/09, BFH/NV 2010, 267 sowie Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 370 AO Rz. 223 ff., 225, jeweils m. zahlr. Rechtsprechungsnachweisen).

    Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zumindest mit bedingtem Vorsatz handelte als er seine Renteneinkünfte in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1995 bis 2000 unerwähnt gelassen hat. Dabei ist für den Senat von entscheidender Bedeutung, dass auf der Rückseite der amtlichen „Anlage KSO” zur Einkommensteuererklärung 1995 ff. in Zeile 31 ausdrücklich nach Einkünften des Ehemannes oder der Ehefrau aus Berufsunfähigkeitsrenten gefragt wird und dazu im Bezugsfalle in den Zeilen 37 bis 42 genauere Angaben zu machen sind (Beginn und voraussichtliches Ende des Rentenbezugs, Rentenbetrag, Ertragsanteil der Rente sowie damit zusammenhängende Werbungskosten). Die amtlichen Hinweise zum Ausfüllen der Einkommensteuererklärung 1993 ff. enthalten im Abschnitt „Anlage KSO” eine eindeutige Aussage dahingehend, dass auch Berufs – der Erwerbsunfähigkeitsrenten, d. h. Rentenwegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu den in der Anlage KSO anzugebenden „Sonstigen Einkünften” gehören. Angesichts dieser Umstände sowie der Höhe der Berufsunfähigkeitsrente, die in ihrem monatlichen Bruttobetrag in den Streitjahren der Höhe des Bruttoverdienstes eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers entspricht, ist der erkennende Senat davon überzeugt, dass der Kläger es für möglich hielt, dass seine Angaben in den betreffenden Einkommensteuererklärungen unvollständig gewesen sind, und er dies mögliche Unvollständigkeit und damit eine Steuerverkürzung billigend in Kauf genommen hat.

    Die zur Entlastung des Klägers vorgebrachten Argumente und Beweisangebote führen zu keiner anderen Einschätzung der Rechtslage. Die unter Beweis gestellte Behauptung, die Steuerberater Y und X hätten von den Rentenbezügen des Klägers nichts gewusst und deshalb den Kläger diesbezüglich auch nicht beraten, kann als zutreffend unterstellt werden. Sie vermag den Kläger aber nicht zu entlasten, da diesem die Rentenbezüge ja unstreitig bekannt gewesen sind. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen der Z-Versicherung enthalten ebenfalls keinen Hinweis auf eine Einkommensteuerfreiheit von Rentenzahlungen aufgrund einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

    B. Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2001 bis 2003 vom 26. Juni 2007

    Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 235 Abs. 1 AO 1977 sind erfüllt, weil in der Person des Klägers – wie unter A. für die Jahre 1995 bis 2000 ausgeführt – vollendete Einkommensteuerhinterziehungen auch für die Streitjahre 2001 bis einschließlich 2003 begangen worden sind. Einwendungen gegen die Höhe der Zinsfestsetzungen sowie Beginn und Ende des Zinslaufs (vgl. dazu § 235 Abs. 2 und 3 AO 1977) haben die Kläger nicht geltend gemacht und sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.

    C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebieteEStG 1995, AO, EStDVVorschriftenEStG 1995 § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a AO § 169 Abs. 2 S. 2 AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO § 235 EStDV § 55 Abs. 2